Christentum aus religionswissenschaftlicher Sicht

Was ist Reli­gion­swis­senschaft? Was sind The­olo­gien?

Auch wenn Reli­gion­swis­senschaft als Diszi­plin vor ca. hun­dert Jahren zu guten Anteilen aus der vor allem protes­tantis­chen The­olo­gie her­vorge­gan­gen war, unter­schei­det sie sich in Zugang und Meth­o­d­en von einem solchen religiösen Zugang zu Reli­gio­nen als ihrem Forschungs­ge­gen­stand. Es geht ger­ade nicht darum, ob jemand auch The­olo­gin oder The­ologe ein­er Reli­gion sein darf oder ob jemand ander­sherum religiöse Gefüh­le ken­nen muss, die Frage ist, ob die Forschung reli­gion­swis­senschaftlichen Stan­dards enst­spricht. Während eine „The­olo­gie“ als „Lehre von Gott“ let­ztlich der Verkündi­gung ein­er religiösen Wahrheit dient, „ver­schiebt“ sich für die Reli­gion­swis­senschaft der Schw­er­punkt weg von ein­er phänom­e­nol­o­gis­chen Schau des ‚Heili­gen in der Welt‘ zu ein­er inter­diszi­plinären Erforschung religiös­er Men­schen und ihrer Verge­mein­schaf­tun­gen mit Meth­o­d­en der Philolo­gien, Sozi­olo­gie, Geschichtswis­senschaften, Eth­nolo­gie und Psy­cholo­gie.

“The­olo­gen glauben an die Exis­tenz Gottes, philosophis­che Athe­is­ten an die Nicht-Exis­tenz Gottes und Reli­gion­swis­senschaftler an die Exis­tenz gläu­biger Men­schen.”

Christoph Bochinger, Reli­gion­swis­senschaftler

Im Unter­schied zu ein­er The­olo­gie geht es also weniger darum, z.B. selb­st ein­er Stelle in einem soge­nan­nten „Heili­gen Text“ einen wörtlichen oder einen auf die „let­zten Dinge“ bezo­ge­nen über­tra­ge­nen Sinn zuzuord­nen und dies mit anderen entsprechen­den Stellen kanon­is­ch­er Texte zu begrün­den, son­dern eher darum, wie religiöse Men­schen ihre heili­gen Texte ver­wen­den, welche Kom­mentare von welch­er Gemein­schaft emp­fohlen wer­den usf. Eben­so geht es weniger darum, ob eine konkur­ri­erende Textdeu­tung ein­er kon­fes­sion­al unter­schiede­nen The­olo­gie von ein­er z.B. christlichen meta­ph­ysis­chen Wahrheit abwe­icht, son­dern mehr darum religiöse (und weltan­schauliche) Vielfalt aus ein­er nicht-religiösen Außen­per­spek­tive zu unter­suchen, die bezüglich meta­ph­ysis­ch­er Wahrheit­en einem method­is­chen Agnos­tizis­mus verpflichtet ist – das heißt, es wird davon aus­ge­gan­gen, dass wir nicht nicht wis­sen kön­nen, ob es Gott gibt oder nicht.

Auf­grund ihrer beson­deren Fachgeschichte, aber auch auf­grund der Beson­derung des Gegen­standes bein­hal­tet das auch die Her­aus­forderung, eine eigene Fach­sprache zu entwick­eln, denn etwa in ein­er nat­u­ral­is­tis­chen Per­spek­tive entzieht sich ger­ade die Ver­gle­ich­barkeit des Religiösen der Reli­gio­nen, während die tradierten Ter­mi­nolo­gien des Chris­ten­tums und der Antike entsprechend religiös gefärbt sind. Diese Her­aus­forderung wird nicht ein­heitlich behan­delt, in vie­len Punk­ten haben sich unter­schiedliche Umgangsweisen etabliert.

“Das Christentum” oder die christlichen Religionen

„Es liegt mir fern, eine ide­al­typ­is­che Reli­gion des Chris­ten­tums zu zeich­nen, die sich beispiel­sweise am römis­chen Katholizis­mus und dem lutherischen Protes­tantismus ori­en­tiert. Zu leicht wer­den dadurch Gemein­schaften, welche die vorherrschen­den Inter­pre­ta­tio­nen nicht teilen, zu defiz­itären oder ket­zerischen Grup­pen her­abgestuft“

Her­mann Ruttmann, „2000 Jahre Chris­ten­tum. Entste­hung, Sozialgeschichte und Gegen­wart ein­er Fam­i­lie von Kon­fes­sio­nen“, Mar­burg 2006, S. 5.

Zwar kann reli­gion­s­geschichtlich nachvol­l­zo­gen wer­den, wie Konzilien „Ökumene“ bzw. kon­fes­sion­alen Bezug organ­isierten – Eph­esos 431 ‚Abspal­tung‘ der nesto­ri­an­is­chen Assyrischen Kirche des Ostens, Chal­cedon 451 ‚Abspal­tung‘ der mia­physi­tis­chen ori­en­tal­isch-ortho­dox­en Kirchen -, aber im Fall der isolierten Gemein­schaft steckt bere­its im Wort „Son­derge­mein­schaft“ (oder „Sek­te“) die begonnene oder vol­l­zo­gene Infragestel­lung der jew­eili­gen „Chris­tian­iz­ität“. Schließlich macht die Wer­tung, diese Gemein­schaft stelle ein „Son­dergut“ in ihr Zen­trum anstelle von einem ‚all­ge­meineren‘ Christlichen bere­its einen Schritt in die Rich­tung eines Auss­chlusses aus der Fam­i­lie der Chris­ten­tümer.

Die Hege­monie des auch die Ostkirchen ein­beziehen­den nicäis­chen Chris­ten­tums (nach dem Ersten Konzil von 325; die Annahme des Nicäno-Kon­stan­ti­nop­o­li­tanum bzw „Großen Glaubens­beken­nt­niss­es“ ist Voraus­set­zung für die Auf­nahme in den Öku­menis­chen Rat der Kirchen, World Coun­cil of Church­es) darf nicht in einem dog­ma­tis­chen Vorzug als „eine ide­al­typ­is­che Reli­gion des Chris­ten­tums“ fest­geschrieben wer­den. Vielmehr muss klar sein, dass in vie­len solchen auss­chließen­den Entschei­dun­gen ger­ade auf bei­den Seit­en des dog­ma­tis­chen Schis­mas „Chris­ten­tum“ entste­ht.

Text: Kris Wagen­seil (2019), Aktu­al­isierung Mona Stumpe (2023)