Seit August 2023 besteht zwischen REMID e.V. und dem Fachgebiet Religionswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main eine Praktikumsvereinbarung, welche es Studierenden ermöglicht, ein mindestens vierwöchiges Praktikum bei REMID e.V. zu absolvieren.
Im Rahmen dessen hat sich REMID e.V. dazu verpflichtet, mindestens eine*n Ansprechpartner*in den Studierenden zur Seite stellen, um ihnen eine geeignete Einweisung zu bieten. Praktikant*innen wird somit ermöglicht, erste Einblicke in die Vereinsarbeit zu erhalten und aktiv Öffentlichkeitsarbeit, vor allem über die Website und social media, zu leisten. So besteht auch die Möglichkeit, selbstständig Blogeinträge über eigene Abschlussarbeiten oder andere aktuelle und relevante Themen zu verfassen. Neben redaktionellen Tätigkeiten bietet ein Praktikum bei REMID zudem einen Blick in Korrespondenz, Netzwerkarbeit, Mitgliederverwaltung und Projektplanung.
Interessierte können sich mit einem Lebenslauf und einem formlosen Motivationsschreiben mit Angaben zu eigenen Schwerpunkten und Interessengebieten bewerben.
Grundsätzlich ist REMID e.V. daran interessiert, auch mit weiteren Universitäten und geeigneten Instituten vergleichbare Kooperationen aufzubauen. Bei Interesse und Fragen sind wir über [email protected] zu erreichen.
Im Juni 2021 habe ich mich erfolgreich auf ein Abschlussstipendium von REMID e. v. beworben und konnte mit dieser Förderung meine Masterarbeit mit dem Titel „Atheistische Online-Community – Untersuchungen zu sozialen Interaktionsformen von Atheistinnen auf Reddit“ verwirklichen. Verfasst wurde die Arbeit unter Supervision von Frau Dr. Carmen Becker und Herrn Dr. Steffen Führding und eingereicht im Institut für Religionswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover.
Thema
Thematisch lässt sich die Arbeit grob im Feld von Studien über Nicht-Religion (nonreligion) einordnen. Im Fokus stehen hierbei primär Phänomene, welche selbst in der Regel nicht als „religiös“ klassifiziert werden, gleichzeitig aber einen unmittelbaren und mitunter zwingend notwendigen Bezug zu Religion aufweisen. Atheismus wie auch verwandte Bereiche wie Antiklerikalismus oder Religionskritik sind in diesem Kontext naheliegende Beispiele. Die religionswissenschaftliche Relevanz ergibt sich dabei in erster Linie daraus, dass gleichzeitig Schlüsse über die Wahrnehmung von und Haltung gegenüber „Religion“ gezogen werden können. Dies wurde im Rahmen der Ergebnissicherung meiner Arbeit ebenfalls deutlich.
Abseits dieser akademischen Situierung ist der Forschungsgegenstand in einer nordamerikanisch und anglophon Prägung zu kontextualisieren, was sich primär aus dem untersuchten Feld ergibt. Reddit ist eine 2005 gegründete Social-News-Website, welche Foren für nahezu sämtlichen Themen und Interessengebiete bietet. Userinnen finden sich in für sie relevante Unterforen (sog. Subreddits) zusammen und tauschen sich aktiv unter einander aus. Gibt es zu einem Thema noch kein Subreddit oder wird der bisher existierende als unzufrieden stellend wahrgenommen, können Userinnen ein neues Unterforum gründen und dort in Kontakt mit anderen treten. Nach eigener Angabe verzeichnet Reddit derzeit über 100.000 solcher thematischen Foren sowie täglich über 52 Millionen Userinnen. Im Jahr 2021 belegte Reddit Platz 21 der weltweit am häufigsten besuchten Internetseiten. Der sich auf Atheismus fokussierte Subreddit r/atheism wird von ca. 2,7 Millionen Userinnen besucht und stellt damit nach eigener Darstellung das größte Online-Forum für Atheistinnen dar. Ohne an dieser Stelle zu weit in Details zu gehen, war es in diesem Sinne auch ein Anliegen der Masterarbeit, das Potenzial von Online-Foren allgemein und Reddit bzw. r/atheism im Spezifischen für sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung hervorzuheben.
Vorgehen
Kernanliegen der Masterarbeit war es, einen qualitativ erhobenen Einblick in die Lebensrealität und relevanten Diskussionsthemen von Userinnen des Online-Forums r/atheism zu erhalten. Aufgrund des beschränkten Umfangs konnte zwar kein Anspruch auf Generalisierbarkeit und Repräsentativität erhoben werden, dennoch wurden mittels Vergleiche wiederkehrende Narrative, Themen und Motive ausgemacht. Die Datengrundlage ergab sich aus einem zeitlich abgegrenzten Auszug aus den Forumsinhalten von r/atheism: In einem Zeitraum von zwei Wochen wurden sämtliche textbasierten Forumsbeiträge und die in dieser Zeit hinzugefügten Kommentare erhoben. An diese Stelle kam das Stipendium von REMID besonders gelegen, da ich für die Datenerhebung tatsächlich finanzielle Kosten aufbringen musste. Um die Forumsbeiträge übersichtlich zu organisieren und zu strukturieren, wurde sich die kostenpflichtige Analyse-Software MAXQDA zu Nutzen gemacht. Als PDF exportiert wurde somit jeder einzelne Forumsbeitrag (=Thread) inklusive der dazugehörigen Kommentare in MAXQDA eingespeist, codiert und mit Memos versehen. Letztendlich ergaben sich hieraus insgesamt 279 Analyseeinheiten, welche die Grundlage für die vergleichende Analyse bildeten.
Ergebnisse
Im Theorieteil der Arbeit wurde zunächst der Fokus auf den gesellschaftlichen Kontext US-Amerikanischer Atheistinnen gelegt. In diesem Zuge herausgestellt hat sich der normative Status von Religion innerhalb der Zivilgesellschaft und sein unmittelbarer Einfluss auf die Stigmatisierung und Diskriminierung all derjenigen, welche von dieser Norm abweichen. Dadurch, dass Religiosität in den USA eine stark national-identitätsstiftende Bedeutung zukommt und mitunter als Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu einer moralischen Gemeinschaft verstanden wird, werden Atheistinnen als kulturell und ideologisch Andere konstruiert. Die hieraus abgeleitete Wahrnehmung als marginalisierte Minderheit rückt wiederum Fragen von individueller wie kollektiver Identität in den Vordergrund, sodass das Outing als Atheistin weit über die persönliche Ablehnung des Gottesglaubens hinausgeht. Herausgearbeitet wurde, wie Atheistinnen sich aufgrund kollektiver Alltagserfahrungen untereinander mobilisieren und politische Forderungen nach Gleichberechtigung und Akzeptanz formulieren. Sog. atheistischer Aktivismus wird dabei in erster Linie unter dem Schlagwort der Identitätspolitik verhandelt, in dessen Rahmen sich Minderheitsdiskurse bedient wird und das Selbst mittels der Grenzziehung zu Religion(en) konstruiert wird. Religion und religiöse Menschen werden in diesem Zusammenhang überwiegend als Antagonistinnen und potentielle Bedrohung wahrgenommen.
In besonderer Weise haben sich Ideen von Minderheitsdiskursen, Identitätspolitik, Othering und (politischer) Mobilisierung im Rahmen der Analysearbeit widergespiegelt. Religionskritik (aufgeteilt in Kritik an religiösen Menschen, Institutionen und Ideen bzw. Vorstellungen) etwa nimmt in dem Subreddit eine zentrale Rolle ein. In der Masterarbeit wurde dies vor allem als Ausdruck des Othering gedeutet, in dessen Zuge das eigene Selbst (rational, wissenschaftlich vernünftig) aufgewertet und das konstruierte Andere (irrational, verblendet, potentiell gewaltbereit) abgewertet wird. Die Erhöhung des Selbstbildes ist zudem unmittelbar als Ergebnis der erfahrenen Stigmatisierung und Diskriminierung von Atheistinnen in den USA zu verstehen. Gleichzeitig hat die gesellschaftliche Stellung zur Folge, dass Userinnen das Forum nutzen, um Gemeinschaft, Solidarität und gegenseitigen Beistand zu suchen. Aus zahlreichen Forumsbeiträgen ging hervor, dass Reddit und das Internet allgemein ein Rückzugsort und „safe space“ angesichts der als übergriffig und feindlich gesinnt wahrgenommenen und religiös dominierten Mehrheitsgesellschaft gesehen werden. Der Austausch mit Gleichgesinnten, das Erbitten um Hilfe und Rat (zum Beispiel wie sich gegenüber den Eltern „geoutet“ werden soll) und das gegenseitige Beistehen in Konfliktsituationen scheint für eine Großzahl der Userinnen einer der wichtigsten Gründe, regelmäßig das Forum aufzusuchen.
Eine wesentliche Erkenntnis der Arbeit war schließlich, dass sich Atheistinnen zwingend mit diversen Dimensionen von Religion konfrontiert sehen. Nicht trotz, sondern gerade wegen ihres Unglaubens sind Atheistinnen von Religion geprägt, da ein großer Teil ihres Alltags davon bestimmt ist, in einer Umwelt zu leben, welche Religiosität als Norm und Zugehörigkeitsmerkmal voraussetzt. Dabei spiegelt sich die eigene Abweichung in nahezu sämtlichen Lebensbereichen wider: Arbeitsumfeld, Beziehungen zu Familie und Freundinnen, aber auch die persönliche Belastung angesichts eines gesamtgesellschaftlichen Drucks, sich religiös zu bekennen. Die prinzipielle Gegensätzlichkeit von Atheistinnen und religiösen Menschen, wie sie aus der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Userinnen von r/atheism zu entnehmen ist, wird vor allem in Berichten über gemeinsame Interaktionen sichtbar.
Die Auseinandersetzung mit religiösen Verwandten, Bekannten und anderen Personen des sozialen Umfelds stellt vor diesem Hintergrund eine Konstante innerhalb des Subreddits dar. Mit der Allgegenwärtigkeit religiösen Denkens und seinem Einfluss auch auf politischer Ebene wird das religiöse Umfeld als Gefährdung des eigenen Wohls betrachtet. Ausdruck findet dies in Erfahrungsberichten, in welchen Userinnen u. a. hochgradig persönliche Informationen teilen und tiefe Einblicke in emotionale Themen geben. Entsprechend einfühlsam und entgegenkommend fallen auch die Reaktionen der Reddit-Community aus. Obwohl es sich bei den Akteuerinnen des Forums letztendlich um anonyme Fremde handelt, finden sich Hinweise darauf, dass r/atheism für Viele eine Support-Plattform von großer emotionaler Bedeutung bietet. Der Subreddit fungiert hier zum einen als Mediator für atheistisch relevante Inhalte, ermöglicht gleichzeitig aber auch den persönlichen Austausch mit Gleichgesinnten. Neben der Funktion als „safe space“ und Plattform für emotionalen Beistand und den Abbau psychischer Belastung, wird das Online-Forum also für Informationsaustausch und die weltanschauliche Bestätigung genutzt. Hierbei handelt es sich um eine weitere wichtige Erkenntnis dieser Arbeit, welche letztlich Antworten darauf liefert, weshalb Online-Umgebungen wie r/atheism von zentraler Bedeutung für gegenwärtigen Atheistinnen sind: Sie bieten gesellschaftlich marginalisierten und isolierten Menschen Zuflucht vor ihrem religiös dominierten Alltag und ermöglichen ihren Userinnen Bewältigungsmechanismen und persönliche Weiterbildung.
Aus religionswissenschaftlicher Perspektive von Interesse ist des Weiteren die Tatsache, dass „Religion“ in dieser Arbeit zwar nicht das eigentliche Forschungsobjekt darstellt, dennoch von zentraler Bedeutung ist. Atheismus kann nicht ohne den Rückbezug auf Aspekte des Religiösen untersucht und verstanden werden, sondern ist stets in einem dualistischen Verhältnis zu begreifen. Für die Religionswissenschaft bestätigt dies abermals, dass auch die Auseinandersetzung mit dem breiten Feld der Nicht-Religion einen wesentlichen Beitrag zu der Erforschung von Religion liefert. Darüber hinaus hat die Analyse von r/atheism wiederholt bestätigt, welches Potenzial die Analyse Online-Umgebungen für sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung besitzt. Im Vergleich zu „klassischen“ Erhebungssituationen sind die Charakteristika von Online-Räumen wie Reddit schlichtweg zu eigen, als dass sie für eine ganzheitliche Untersuchung eines Forschungsbereichs ignoriert werden können. Im Falle dieser Arbeit konnte so gezeigt werden, wie sich das Alltagsleben von Atheistinnen abseits formaler Organisationen oder öffentlichkeitswirksamer Leitfiguren gestaltet. Die Kombination aus Anonymität und digitaler Öffentlichkeit ermöglichte einen nahezu ungefilterten Blick in die Lebensrealität von durchschnittlichen Atheist*innen, ihre alltäglichen Sorgen und Probleme und die Konstruktion ihrer religiösen Umwelt. Das Maß persönlicher Involvierung und emotionaler Tiefe gibt nicht nur Aufschluss über die Funktion von r/atheism, sondern verdeutlicht auch den Stellenwert, der mit dem „Bekenntnis“ zum Atheismus in einer ansonsten stark religiös geprägten Umwelt einhergeht. Sebastian Mihatsch, M.A.
Durch die Bewilligung eines Abschlussstipendiums unterstützte der REMID e.V. mich im Wintersemester 21/22 beim Schreiben meiner Masterarbeit zum Thema „Catholic Hegemony? Die Konstruktion von ‚Religion(en)‘ in der TV-Serie Supernatural“. Die Arbeit wurde am Institut für Religionswissenschaft der Leibniz Universität Hannover mit der Betreuung durch Frau Dr. Carmen Becker und Herrn Dr. Steffen Führding verfasst.
Fragestellung
Die Arbeit hatte das Ziel die Forschungsergebnisse in Bezug auf die TV-Serie Supernatural der US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler*innen Erika Engstrom und Joseph Valenzano III aus religionswissenschaftlicher Sicht zu überprüfen. Supernatural ist eine US-amerikanische Fernsehserie, die von 2005 bis 2020 von „Warner Bros. Television“ und „Wonderland Sound and Vision“ produziert wurde. Drehort für die 327 Episoden der 15 Staffeln war Kanada. In den USA wurde die Serie von den Sendern „The WB“ (S1) und „The CW“ (S2-15) ausgestrahlt. In Deutschland erfolgte die Erstausstrahlung im Pay-TV auf Premiere (heute Sky) 2006 und im Free-TV auf ProSieben 2007. Supernatural handelt vom Kampf der Hauptcharaktere Sam und Dean Winchester gegen übernatürliche Widersacher (z.B. Vampire, Dämonen, Werwölfe, etc.) und ihrem Versuch die Apokalypse nach christlichem Schema zu verhindern. Die Serie wird als eine Mischung der Genres Horror und Soapopera beschrieben.
Erika Engstrom und Joseph Valenzano
Die beiden Kommunikationswissenschaftler*nnen Engstrom und Valenzano kommen durch mehrere Arbeiten zu dem Schluss, dass in Supernatural eine Hegemonie des Katholizismus dargestellt wird, dieser also als allen anderen Religionen übergeordnet präsentiert wird. Ihre qualitative Forschung ist jedoch meiner Meinung nach schlecht dokumentiert und von einem katholisch-dominierten Alltagsverständnis von Religion geprägt. Selbst ihre Ergebnisse wiesen eher auf die Konstruktion einer ‚Ur-Religion‘ in der Serie hin. Die zentrale Frage der Arbeit war darum: Wie werden Religion(en) in der US-Fernsehserie Supernatural dargestellt? Um die Ergebnisse von Engstrom und Valenzano zu überprüfen wurde eine Qualitative Inhaltsanalyse der Staffeln eins bis fünf der Serie Supernatural durchgeführt. Die hierfür nötigen DVDs der Serie und die Analysesoftware MAXQDA konnten dank des Abschlussstipendiums problemlos angeschafft werden.
Qualitative Inhaltsanalyse
Die Codierung und Analyse des Videomaterials erfolgte in MAXQDA mit einem modifizierten 3-Phasen-Verfahren auf Basis der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz.
In Phase 1 wurden anhand einer Stichprobe von Episoden Proto-Kategorien entwickelt, die die Basis des Kategoriensystems bildeten.
In Phase 2 wurden alle Episoden der Analyseeinheit mithilfe der Proto-Kategorien bearbeitet. Es wurden zusätzliche (Sub-)Kategorien gebildet und das Kategoriensystem optimiert.
In Phase 3 wurden die Theorie der Hegemonialstellung des Katholizismus und die These der Darstellung einer Form von ‚Ur-Religion‘ anhand der Analyseergebnisse und dem entstandenen Kategoriensystem aus Phase 2 überprüft.
Die Arbeit bestätigt, dass Supernatural stark von christlichen Glaubensvorstellungen geprägt ist. Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um katholische Elemente, sondern vorwiegend um die Darstellung eines undefinierten allgemeinen Christentums. Zusätzlich zu den christlichen Einflüssen wird eine Vielzahl von anderen religiösen Traditionen dargestellt. Diese nicht-christlichen Hintergründe werden in Supernatural jedoch meistens als Kontext für einmalige Antagonisten genutzt. Christliche Antagonisten, wie Luzifer, hingegen spielen eine zentrale Rolle in den staffelübergreifenden Storyarcs der Serie. Die Überprüfung des Konzepts des hegemonialen Katholizismus ergab somit, dass die Feststellungen von Engstrom und Valenzano aus religionswissenschaftlicher Perspektive nicht haltbar sind. Sie basieren vornehmlich auf der fälschlichen Zuschreibung von Katholizismus auf unklar definierte christliche Phänomene.
Konstruktion von religiösen Phänomenen
Als Beispiel sei hier zu nennen, dass die beiden Autor*innen jede Darstellung eines Priesters mit weißem Kragen und schwarzer Kleidung als Darstellung von Katholizismus werten, obwohl es darauf keine definitiven Hinweise gibt. Ein weiteres Ergebnis der Analyse ist das Konzept der in Supernatural dargestellten ‚Ur-Religion‘. Sie verbindet christliche und nicht-christliche Elemente durch die zentrale Position der Menschheit in der Kosmologie der Serie. Das wichtigste Bindeglied der verschiedenen Akteure in der ‚Ur-Religion‘ ist der Dualismus von freiem Willen und vorherbestimmtem Schicksal. Die Entscheidung eines Akteurs für eine dieser Seiten beeinflusst in Supernatural buchstäblich, ob die Welt endet oder nicht.
Fazit
Insgesamt hat sich die Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse mit Hilfe einer Analysesoftware als sehr sinnvoll für die Beantwortung der Forschungsfrage erwiesen. Durch die Natur der Arbeit als Masterarbeit konnte jedoch das für die Qualität der Ergebnisse ausschlaggebende Element der qualitativen Forschung, die Intersubjektivität mehrerer Forschender, leider nicht genutzt werden. Die weiterführende Analyse der restlichen10 Staffeln der Serie würde die Ergebnisse höchstwahrscheinlich ebenfalls verändern.
Die Serie Supernatural bietet über meine Fragestellung hinweg Potential für zahlreiche weitere Analysen. So widmen sich Engstrom und Valenzano in „Cowboys, Angels, and Demons: American Exceptionalism and the Frontier Myth in the CW’s Supernatural“ der Darstellung des amerikanischen Exzeptionalismus in Supernatural. Dieser Ansatz könnte ebenso aus religionswissenschaftlicher Perspektive verfolgt werden, da das Exzeptionalismus-Konzept stark mit den religiösen Ursprüngen der USA verwickelt ist. So fällt es selbst bei oberflächlicher Betrachtung auf, dass die Apokalypse nicht im sogenannten ‚Heiligen Land‘ im Nahen Osten stattfindet, sondern alle wichtigen Ereignisse in den USA lokalisiert sind. Eine weitere Möglichkeit ist, die in der Serie präsentierten, religiösen Informationen auf ihre realweltlichen Ursprünge hin zu untersuchen. Inwiefern stimmt der von den Winchesters verwendete Exorzismus mit dem realen katholischen Vorbild überein? Wurden in den verschiedenen polytheistischen Religionen tatsächlich so viele Menschenopfer durchgeführt, wie die Serie suggeriert? Wird der von People of Colour geprägte „Hoodoo“ realistisch dargestellt? Diese und ähnliche Fragestellungen wären es wert, ebenfalls untersucht zu werden.
Prof. Dr. Wanda Alberts, Professorin für Religionswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover forscht und lehrt unter anderem zu religionsbezogenem Schulunterricht und der Rolle der Religionswissenschaft in Bildungskontexten. Im Februar 2023 erschien das von ihr, Horst Junginger, Katharina Neef und Christina Wöstemeyer herausgegebene Handbuch Religionskunde in Deutschland. In diesem liefern die Autor*innen nicht nur eine Übersicht über die Diversität religionsbezogener Schulfächer in Deutschland, sondern beanstanden auch die Vernachlässigung religionswissenschaftlicher Expertise. Anlässlich der Veröffentlichung des Handbuches führte REMID ein Interview mit Frau Alberts.
In Ihrem Interview mit dem Deutschlandfunk unterscheiden Sie deutlich die grundlegende Natur von konfessionellem Religionsunterricht und Religionskunde und betonen, dass die Stärkung von Letzterem keine Bedrohung für den religiösen Religionsunterricht darstellen würde. Wie schätzen Sie eine solche Koexistenz dieser zwei Bildungsbereiche ein, wenn es um Inhalte geht, die von beiden Fächern thematisiert, aber unterschiedlich gewertet werden? Ein Beispiel wäre etwa die Frage, ob bestimmte religiöse Gruppen eine Denomination innerhalb einer größeren Tradition darstellen oder nicht doch eine eigenständige Glaubensgemeinschaft bilden.
A: Wichtig ist, dass auch von politischer Seite erkannt wird, dass bekenntnisgebundener Unterricht und Religionskunde zwei völlig verschiedene Dinge sind und Religionskunde nur von tatsächlich religionswissenschaftlich ausgebildeten Lehrkräften erteilt werden kann. Die Inhalte, die man sich gemeinhin als ähnlich vorstellt, sind de facto sehr unterschiedlich. Die Thematisierung von „anderen“ Religionen (die durch dieses Othering ja erst zu „anderen“ werden) geschieht im konfessionellen Religionsunterricht in der Regel durch die problematische Schablone des Weltreligionenparadigmas – im Unterscheid übrigens zur Thematisierung der „eigenen“ Religion. Der Gegenstand „Religion“ wird im Rahmen von Religionskunde grundsätzlich anders konzeptualisiert, d.h. das, was man über Religion und Religionen lernt, ist etwas anderes, als was man im konfessionellen Unterricht lernt – hier werden die Stereotype und Essentialisierungen, die das Weltreligionenparadigma mit sich bringt, gerade hinterfragt. Zudem wird der Unterrichtsgegenstand völlig anders gerahmt. Das Konzept der Rahmung wurde in diesem Kontext von Katharina Frank eingeführt. Sie zeigt klar die Unterschiede zwischen religiösen und religionskundlichen Rahmungen von Religion auf.
Die Frage nach der Rolle einzelner religiöser Gruppen wird im religionskundlichen Unterricht diskursiv behandelt, d.h. die Diskussionen um diese Frage dargestellt und nachvollzogen. Eine abschließende Entscheidung über den „Status“ bestimmter Gruppen wird hier nicht getroffen, sondern der Diskurs darüber analysiert.
Auch in anderen Ihrer Arbeiten kritisieren Sie das sog. „Weltreligionenparadigma“, also die Vorstellung, dass Religionen als feste, selbstständige und in sich geschlossene Einheiten agieren, ohne hierbei die Diversität einzelner Traditionen und ihre inneren Dynamiken zu berücksichtigen. Wie ließe sich in der Praxis die Lehre über die Vielzahl der religiösen Gemeinschaften umsetzen, ohne sich stark vereinfachter oder überholter Verallgemeinerungen zu bedienen, gleichzeitig aber einer realistischen Umsetzbarkeit gerecht werden. Wäre es eine Option, einen Fokus auf eben solche Religionsgemeinschaften zu legen, welche für Schüler*innen in Deutschland besondere Alltagsrelevanz und greifbare Nähe haben?
A: Eine Überwindung des Weltreligionenparadigmas als Muster für die Darstellung von Religionen beinhaltet auch, dass es eben nicht einen „Kanon“ an Religionen gibt, über die man sich möglichst viel Wissen aneignen muss. Stattdessen werden eher grundlegende Fragen darüber, was für wen wann als „Religion“ in den Blick gerät, relevant. Dafür kann man sich dann bei der Auswahl der Themen – die aber denn nicht mehr eine sukzessive oder vergleichende Behandlung einzelner „Religionen“ als Einheiten bedeutet – selbstverständlich an den gesellschaftlichen Kontexten orientieren, die für die Schüler*innen relevant sind. Das kann beispielsweise die (durchaus kontroverse) Diskussion um Religion als „Kulturerbe“ sein, oder auch die Verhandlung religionsbezogener Themen im politischen, rechtlichen oder Bildungsbereich, etwa die Frage nach dem Platz religiöser Symbole in unseren Gesellschaften. Dadurch ergibt sich „Alltagsrelevanz“ bzw. „praktische Nähe“ auf eine ganz andere Weise als wenn die Selbstdarstellungen von Religionen bzw. theologische Positionen „nacherzählt“ werden ohne sie sozial- und kulturwissenschaftlich einzuordnen. Damit sind der Gegenstand des Unterrichts nicht mehr selbstverständlich „die Religionen“, sondern gesellschaftlich relevante Aspekte von Religion(en), die genau dadurch für die Lebenswelt der Schüler*innen auch bedeutsam sind.
Sie setzen sich dafür ein, dass die Ausbildung von Lehrkräften für eine neutrale, wissenschaftsbasierte Religionskunde in erster Linie von dem akademischen Fach der Religionswissenschaft getragen werden sollte. Bislang ist dies nur vereinzelt und marginalisiert der Fall. Stattdessen stellt in der Regel die Philosophie das Referenzfach dar. Wie müsste sich Ihrer Meinung nach Verhältnis von Religionswissenschaft und Philosophie gestalten und welchen Platz sollte das Schulfach Philosophie bzw. Ethik neben konfessionellen Religionsunterricht und Religionskunde einnehmen?
A: Religionswissenschaft und Philosophie haben grundsätzlich unterschiedliche Methoden und Gegenstandsbereiche. Diese sollten klar getrennt ausgewiesen werden. Religionswissenschaft ist Bezugsdisziplin für religionskundlichen Unterricht, Philosophie für philosophischen bzw. ethischen Unterricht. Die Verbindung von Religionskunde und Ethik, die häufig vorgenommen wird, könnte in den Fachnamen deutlicher ausgewiesen werden, wie etwa in Brandenburg im Fach „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“. Aktuell finden wir viele Alternativ- bzw. Ersatzfächer für den konfessionellen Religionsunterricht, die allein „Ethik“ oder „Philosophie“ im Namen tragen, aber auch Religionskunde enthalten. Letztere wird dann oft vernachlässigt. Es ist aber wichtig zu betonen, dass Philosoph*innen ohne religionswissenschaftliche Ausbildung (Fachwissenschaft und Fachdidaktik) nicht qualifiziert sind, Religionskunde zu unterrichten.
Meiner Ansicht nach, sollte Religionskunde allgemein als Element schulischer Bildung für alle Schüler*innen etabliert werden, unabhängig von konfessionellem Religionsunterricht und Ethikunterricht. Die Verbindung mit Ethikunterricht ist im Moment das dominante Paradigma in Deutschland, möglich wäre Religionskunde aber auch im Verbund mit Sozialkunde. Ein Problem in der Verbindung mit Ethikunterricht ist die Abgrenzung der explizit nicht normativen Religionskunde von den normativen Aspekten von Ethikunterricht. Hier geht leider sehr viel durcheinander und Reden über Religion aus „ethischer Perspektive“ kann leicht zu impliziter Theologie werden.
Welche Gründe sehen Sie dafür, dass die Religionswissenschaft in der Praxis bisher kaum Einfluss auf die Gestaltung von Kerncurricula für sog. Alternativfächer in Deutschland hat? Wie ließe sich dies ändern?
A: Ich sehe hier zwei Gründe:
1) Die Religionswissenschaft war als eigenständige Disziplin lange nicht wirklich über einen kleinen akademischen Kontext hinaus bekannt – so dass Theolog*innen nicht nur als Spezialist*innen für ihre eigene Religion, sondern im Prinzip auch für „Religion an sich“ oder auch den Umgang mit „anderen Religionen“ angesehen wurden. Zudem sind die Alternativfächer oft direkt abhängig vom konfessionellen Religionsunterricht und Vertreter*innen der Kirchen und der Theologie zögerten nicht, an der Gestaltung derselben mitzuwirken (was in Bezug auf das Recht auf Religionsfreiheit eigentlich ein Skandal ist). Zudem sind die Zuständigkeiten in den entsprechenden Ministerien häufig so verteilt, dass Religionsunterricht und die Alternativfächer als ein gemeinsamer Bereich behandelt werden – der dann in der Regel kirchenfreundlich besetzt ist. Da wissen dann Personen in den Ministerien, bei denen man sich fragt, wo ihre religionswissenschaftlichen Kenntnisse denn herkommen sollen, häufig besser als Religionswissenschaftler*innen, worum es eigentlich geht – bzw. stellen sie es eben so dar, dass die „Fachkenntnis“ vorhanden wäre, obwohl diese eben theologisch oder konkret schulbezogen, aber eben nicht religionswissenschaftlich ist. Auch das ist eigentlich ein Skandal, im Detail von außen aber nur sehr schwer nachzuvollziehen. In den Recherchen für das Handbuch konnten wir aber diesbezügliche Muster in unterschiedlichen Kontexten erkennen.
2) Die Religionswissenschaft war bis vor nicht allzu langer Zeit zudem stark mit sich selbst und ihrem akademischen Kontext beschäftigt. Das Feld „Schule“ kam nicht in den Blick und es wurde häufig übersehen, dass in Kontexten, die notwendigerweise religionswissenschaftlich gestaltet werden müssten, aus anderen Perspektiven religionsbezogener Unterricht geplant wurde. Hier ist die Religionswissenschaft bisher eher vereinzelt aktiv geworden, so dass die notwendigen Unterscheidungen, etwa zwischen (konfessionell ausgebildeten) Religionspädagog*innen und religionswissenschaftlich qualifizierten Personen häufig nicht getroffen wurden. Hier sehe ich einen klaren gesellschaftlichen Bedarf, diese Unterschiede zu vermitteln und an den Stellen, an denen Religionswissenschaft gebraucht wird, die Expertise auch zur Verfügung zu stellen. Das Problem ist jedoch, dass die zahlenmäßig kleine Religionswissenschaft da selbst aktiv werden muss, um erst einmal auf diese Unterschiede hinzuweisen. Diese sind ja für die meisten Menschen – und noch nicht einmal für mit der Materie befassten Politiker*innen und Verwaltungsbeamte – gar nicht nachvollziehbar, so dass man dort auch nicht immer mit großer Freude empfangen wird. Irgendwo muss der Kreis der Unwissenheit aber unterbrochen werden. Jemand anderes wird diese Aufgabe für uns wahrscheinlich nicht übernehmen.
In Niedersachsen fungiert das Fach „Werte und Normen“ als Alternative zum konfessionellen Religionsunterricht. Die Ausbildung entsprechender Lehrkräfte soll neben der Philosophie und Gesellschaftswissenschaften auch von der Religionswissenschaft getragen werden und ist somit auch Gegenstand Ihrer Lehrtätigkeit. Welche Erfahrungen und Vorkenntnisse bringen Studierende mit, welche mitunter selbst während der Schulzeit das Alternativfach „Werte und Normen“ belegt haben?
A: Hier ist ein großes Problem, dass es bisher, obwohl Religionswissenschaft offiziell (neben Philosophie und Gesellschaftswissenschaften) Bezugsdisziplin für Werte und Normen ist, einerseits wenig tatsächlich religionswissenschaftlich ausgebildete Lehrkräfte gibt und zudem das Kerncurriculum aus religionswissenschaftlicher Perspektive problematisch ist. Darauf hat die Vorsitzende der DVRW schon vor Jahren hingewiesen, wirklich passiert ist aber bisher nichts. Große Teile von Werte und Normen, welches eigentlich laut Niedersächsischem Schulgesetz religionskundliche Kenntnisse vermitteln soll, sind aber statt dessen implizit theologisch (hierfür wird in der Fachliteratur z.T. der Begriff „small-c-confessional“ gebraucht) und schlecht ausgebildete Lehrkräfte können dies kaum ausgleichen. Daher sind die Erfahrungen und Vorkenntnisse sehr kontingent. Den religionswissenschaftlichen Zugang zu Religion erlernen Studierende, auch wenn sie Werte und Normen in der Schule als Fach hatten, in der Regel erst im Studium. Wichtig ist, dass an allen Standorten, die Lehrkräfte für Werte und Normen ausbilden nicht nur religionswissenschaftliche Module, sondern auch religionswissenschaftliche Fachdidaktik verpflichtend gelehrt werden. Das ist bisher nicht der Fall. Daher werden die religionsbezogenen Themen in Werte und Normen bisher nicht auf religionswissenschaftlicher Grundlage vermittelt, so dass häufig implizit oder explizit religionsaffirmative oder religionskritische Perspektiven die Darstellung rahmen. Das ist natürlich ein vollkommen unhaltbarer Zustand, auch aus rechtlicher Perspektive. Es gibt hier viel zu tun, für Politik und Wissenschaft.
In Ihren Arbeiten ziehen Sie häufig die Schulsysteme der skandinavischen Länder als Vorzeigemodell für das Fach der Religionskunde heran. Gibt es aktuell auf internationaler Ebene ein Modell, welches Sie aus religionswissenschaftlicher Sicht für uneingeschränkt geeignet und auch für deutsche Schulen wünschenswert einschätzen?
A: Prinzipiell finde ich eine verpflichtende Religionskunde für alle nach skandinavischem Modell bildungspolitisch wesentlich verantwortungsvoller als unseren Flickenteppich bezüglich religionsbezogenen Unterrichts. Allein deshalb, weil religionskundliche Bildung erst dadurch prinzipiell und für alle überhaupt verfügbar wird. M.E. ein Muss in unseren pluralen Gesellschaften, in denen Religion im öffentlichen Raum immer wieder thematisiert wird. In der Umsetzung gibt es in diesen Fächern natürlich immer auch wieder problematische Aspekte, so dass es schwierig ist, ein Modell als uneingeschränkt wünschenswert zu bezeichnen. Vorbild ist ein Modell wie das Schwedische allerdings durchaus. Norwegen mit seinem Gerangel um die Festschreibung des „Christentums als Kulturerbe“ und verschiedentlicher Priorisierung christlicher Vorstellungen, die das Fach KRL vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Fall gebracht hat, zeigt hingegen eher die Fallstricke bei der Etablierung von integrativen Modellen. Wichtig ist die Formulierung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Verpflichtender religionsbezogener Unterricht muss Religionen „objektiv, kritisch und pluralistisch“ darstellen. Dies darf nicht mit religiösen Ansätzen, die zwar Gegenstand des Unterrichts sein, ihn aber nicht rahmen können, vermischt werden.
Zuletzt noch ein Gedankenexperiment: Anstatt Religion zum Gegenstand eines eigenen Schulfaches zu machen (unabhängig davon, ob aus konfessioneller oder neutral-wissenschaftlicher Perspektive), könnte(n) Religion(en) fächerübergreifend und kontextgebunden Bestandteil von Fächern wie Geschichte, Politik oder Sprachen thematisiert werden. Würde dies nicht noch mehr der in der gegenwärtigen Religionswissenschaft verbreiteten Ansicht nahekommen, dass Religion(en) kein von der Umwelt abgesonderte Phänomen eigener Art, sondern stets Produkt gesellschaftlicher Umstände ist? Wie stehen Sie als Religionswissenschaftlerin dazu, Religion von ihrem „Thron“ zu nehmen und stattdessen lediglich als einen Bereich menschlicher Gesellschaft unter vielen zu betrachten?
A: Ja, das ist natürlich ein gutes Argument. Genauso wie die Disziplin Religionswissenschaft im Prinzip aus der Abgrenzung zur Theologie hervorgegangen ist, könnte man Religionskunde als eigenständiges Fach als Konsequenz aus dem konfessionellen Religionsunterricht sehen. Wirklichkeit und Wissen können natürlich immer ganz unterschiedlich geordnet werden und Wissen unterschiedlich kategorisiert und weitergegeben werden. Im Prinzip spricht überhaupt nichts dagegen, dem Gegenstand „Religion“ nicht immer eine Sonderrolle zuzuschreiben. Diese Sonderrolle ist ja auch ein Erbe eines religiösen Verständnisses von Religion als etwas „ganz anderem“. Als Religionswissenschaftlerin kann man sich zuweilen nur wundern, welche Privilegien und Ausnahmen von ansonsten bestehenden Regeln mit dem Verweis auf „Religion“ möglich sind. Gesellschaftlich wird es aber vermutlich noch eine ganze Weile dauern, bis Religion ein „normaler“ Gegenstand ist, nicht zuletzt WEIL religionskundliche Bildung in der Schule bisher eine weitgehende Leerstelle ist und religiöse Religionskonzepte auch in öffentlichen Diskussionen und Politik dominieren. In diesem Kontext ist vielleicht ein eigenes integratives religionskundliches Schulfach nicht unbedingt die einzige langfristig wünschenswerte Lösung. Aber gerade aufgrund der Tatsache, dass ein religionskundlicher Zugang zu Religion so unbekannt ist, halte ich es für durchaus sinnvoll, diesem ganz explizit einen Raum einzuräumen. Entscheidend ist dafür auch wieder die religionswissenschaftliche Lehrkräfteausbildung. Ohne diesen Hintergrund ist ein solider religionskundlicher Unterricht nicht möglich. Man könnte natürlich theoretisch religionswissenschaftliche und religionswissenschaftlich-fachdidaktische Module auch in die Ausbildung von Lehrkräften für Geschichte, Politik oder Sprachen integrieren, aber ist das realistisch?
Allerdings ist tatsächlich zu überlegen, ob grundlegende religionswissenschaftliche Kenntnisse nicht Element der allgemeinen Lehrkräfteausbildung werden sollten, weil der Gegenstand Religion ja in unterschiedlichen schulischen Kontexten relevant ist und zum Thema wird. Da würde es schon sehr helfen, wenn Lehrkräfte hier zwischen einer intuitiven, religiösen und säkular-religionswissenschaftlichen Herangehensweise an das Thema unterscheiden könnten.
In Kooperation mit dem Centrum für Religionswissenschaftliche Studien – CERES der Uni Bochum und dem Institut für Religionswissenschaft an der Uni Hannover bietet Remid e.V. im September ein Blockseminar für Studierende an:
Gerade in Zeiten von Fake News ist es wichtig, wissenschaftlich fundiertes Wissen über Religionen anzubieten, unparteiische und objektive Perspektiven auf gesellschaftliche Diskurse aufzuzeigen und religionswissenschaftliches Wissen für Laien verständlich aufzubereiten. Doch um Menschen zu erreichen, die sich außerhalb des berühmten „Elfenbeinturms“ aufhalten, müssen Wissenschaftler*innen neue Wege suchen und ihre Themen dort vertreten, wo sie sich informieren – z.B. online bzw. in den Sozialen Medien.
Religionswissenschaftler*innen stehen vor dem Problem, dass ihre Perspektive in öffentlichen Debatten oft nicht wahrgenommen oder eingefordert wird. Um öffentliche Diskussionen nicht mehr länger Theolog*innen zu überlassen, müssen Religionswissenschafter*innen ebenfalls lernen, wie sie ihre Expertise in den öffentlichen Diskurs einbringen können.
In dem Seminar lernen Studierende verschiedene Plattformen wie YouTube, Instagram, Facebook oder Twitter kennen und setzen sich damit auseinander, welche Plattform und welches Medium sich für die Kommunikation welcher Inhalte eignet oder eben auch nicht. Außerdem gucken wir uns Best-Practice Beispiele von gelungener Wissenschaftskommunikation an, sowie Beispiele, wie man es besser nicht machen sollte. Studierende können sich in diesem Blockseminar ausprobieren und erstellen unter Anleitung Social Media Beiträge, Blogartikel oder Kurzvideos zu einer religionswissenschaftlichen Thematik ihrer Wahl. Dazu kooperieren wir mit dem wissenschaftlichen Nachrichtendienst REMID e.V., der ein Vorreiter der religionswissenschaftlichen Wissenschaftskommunikation ist.
Das Blockseminar bietet die Möglichkeit, in den Bereichen Informationsmanagement und Social Media unter Anleitung Erfahrungen zu sammeln, hilfreiche Tools und Software kennen zu lernen, mehr über das Schreiben für die Öffentlichkeit zu erfahren und gleichzeitig religionswissenschaftliche Standpunkte in öffentlichen Diskussionen sichtbarer und allgemein verständlich zu machen. Somit bekommen die Studierenden einen Einblick in die Öffentlichkeitsarbeit und erfahren mehr über mögliche berufliche Perspektiven in diesem Bereich (NGOs, Museen, Bildungseinrichtungen, Pressestellen, etc.).
Zeitraum: 11.-13.09. von 09:00 bis 16:00 Uhr und 22.09.2023 von 09:00 bis 12 Uhr (Blockseminar) Dozierende: Mona Stumpe, Anna Kira Hippert, Dunja Sharbat Dar
Teilnehmerbegrenzung: 15 Personen.
Teilnahmebedingungen: Einreichen eines formlosen Motivationsschreibens von 250 Wörtern per Mail an die Dozierenden Mona Stumpe ([email protected], Anna Kira Hippert ([email protected]) und Dunja Sharbat Dar ([email protected]). Einreichfrist: 01.06.2023.
Die Geschichte des türkischen Chasarenvolkes ist eigentlich ein eher unscheinbares historisches Thema. Um sie herum hat sich jedoch eine Verschwörungstheorie entwickelt, die möglicherweise die kurioseste in der jüdischen Geschichte ist. Bis heute wird der Ablauf der chasarischen Geschichte in wissenschaftlichen und verschwörungstheoretischen Kreisen diskutiert, sogar die russische Invasion der Ukraine ließ das Thema wieder aufblühen. Doch wie kam es dazu?
WER SIND DIE CHASAREN?
Die Chasaren waren ein semi-nomadisches Volk, dass vom 7. bis zum 10. Jahrhundert den Kaukasus bewohnte. Sie haben vermutlich nicht geschrieben, wodurch fast alles, was man heute über sie weiß, aus arabischen Reiseberichten über die Region stammt. Und diese Berichte behaupten teilweise, dass das Volk der Chasaren irgendwann zum Judentum konvertiert ist.
Konversionen sind in der Geschichte des Judentums relativ selten und notorisch kompliziert, unter anderem erfordern sie beispielsweise eine Erwachsenenbeschneidung1. Ein gesamtes Reich mit einer kollektiv konvertierten jüdischen Regierung wäre daher wirklich eine Besonderheit.
Diese kuriose Geschichte faszinierte auch den Schriftsteller Arthur Koestler (1905-1983). Koestler war kein Historiker, aber jemand der Geheimnisse und Rätsel liebte. Sein Roman „Sonnenfinsternis“ (1940)beschreibt die Kommunikation mit Klopfcodes und „Der göttliche Funke“ (1964)handelt von ähnlichen Chiffren, Geheimcodes und Matrizen. Sein Werk „Der dreizehnte Stamm“ (1976) widmete sich den aus den Reiseberichten überlieferten Gerüchten und beschrieb, wie die Chasaren zum Judentum konvertierten. Koestler vermutete sogar, dass ein Großteil des heutigen aschkenasischen Judentums von diesen konvertierten Chasaren abstamme. Nachdem der israelische Historiker Shlomo Sand die Theorie von Koestler in seinem Bestseller „Die Erfindung des jüdischen Volkes“2(2009)aufgriff, wurden die Chasaren zu einem Diskussionsthema in wissenschaftlichen und nichtakademischen Kreisen3.
FAKE JEWS
Die Theorie der sogenannten „Fake Jews“ gewann unter Verschwörungstheoretikern großen Zuspruch, auch wenn Koestler selbst sich von allen Verschwörungstheorien distanzierte.4 Die Idee von konvertierten „Fake Jews“5 kam antisemitischen Verschwörungstheoretikern aus allen politischen Lagern sehr gelegen6. Die heutigen Juden wären demnach nicht mehr das schützenswerte edle Volk der Israeliten, das auserwählte Volk Gottes, sondern parasitäre Betrüger7. Und eigene Aussagen gegen Jüdinnen und Juden wären dann auch nicht mehr antisemitisch, weil sie sich ja nicht gegen die „echten Juden“, sondern die chasarischen „Fake Jews“ richten würden.
Diese Chasarentheorie wurde außerdem auch antizionistisch ausgelegt: Wenn die aschkenasischen Juden gar nicht das biblische Volk aus Palästina wären, warum sollten sie dann ein Rückkehrrecht in dieses Land haben? Israel als Staat der „Fake Jews“ wurde damit zur „Fake Nation“8.
Diese Theorie wurde immer populärer, obwohl Koestlers „Der dreizehnte Stamm“ selbst die Aberkennung des Existenzrecht Israels schon verneinte: „the State of Israel’s right to exist […] is not based on the hypothetical origins of the Jewish people[…]. Whether the chromosomes of its people contain genes of Khazar or Semitic, Roman or Spanish origin, is irrelevant, and cannot affect Israel’s right to exist“.9
DIE CHASAREN UND DER UKRAINEKRIEG
Mit der russischen Invasion der Ukraine bekam die Verschwörungstheorie der Chasaren eine neue Bedeutung. Die komplexe politische Beziehung der Ex-Sowjetstaaten wird in diese Theorie stark vereinfacht und „die Juden“ werden zum Strippenzieher im Geheimen – mithilfe einer pseudowissenschaftlichen Erklärung. Die „Chasarenmafia“ steuere beide Seiten des Krieges, die direkten Nachfolger der zum Judentum konvertierten Chasaren10.
[Antisemitische Karikatur, „Hinter der russischen/ukrainischen Maske strebt der Jude nach Konflikt“]
Schon im April 2022 wurde dieses Bild auf der russischen Social Media-Plattform vk verbreitet11. Es zeigt antisemitische Karikaturen von Juden mit russischer und ukrainischer Maske, sowie die russische und ukrainische Flagge mit Davidstern im Zentrum, der israelischen Flagge nachempfunden. Sowohl Russland als auch die Ukraine sollen demnach heimlich jüdische Staaten sein und der aktuelle Konflikt sei nur ein weiteres Komplott der Juden. In russischsprachigen Telegram-Kanälen heißt es dann: „Die Ukraine ist die Heimatstätte und letzte Bastion der Chasarenmafia, die den Deep State der Welt kontrolliert“ und „Die Rothschild-Chasarenmafia […] kontrolliert das Bankwesen, […], das Parlament, die Massenmedien“.12
Anders als andere Verschwörungstheorien, die oft auf absurde Konzepte wie eine flache Erde oder humanoide Echsen setzen, besitzt die Chasarentheorie einen vermeintlich realwissenschaftlichen Kern. Wissenschaftler und Verschwörungstheoretiker spekulieren über dieselbe Frage um die Herkunft der Chasaren, sodass die Grenzen zwischen akademischer und verschwörerischer Wissensfindung verschwimmen.
DAS CHASARENMÄRCHEN
Für meine Bachelorarbeit las ich zum ersten Mal die arabischen Reiseberichte zu den Chasaren im Original und war erstaunt darüber, was für eine Nebenrolle das Thema Judentum für die Autoren spielte: al-Masʿūdī schweifte lang über die Geographie der kaukasischen Gebirge aus, Ibn Faḍlān beschrieb minuziös die Bestattungsriten der Chasaren und Ibn Rusta verlor sich in detailliertesten Beschreibungen des chasarischen Militärs – zur Religion der Chasaren schreiben sie aber nur kurze, relativ trockene Absätze. Für die herrschenden Khalifen, die die Autoren beauftragten, war militärisches Wissen viel relevanter als die Religion der Chasaren: Wie sind ihre Städte aufgebaut? Wie stark ist ihr Militär? Welche Gebirge erschweren den Weg? Zur Religion wurden daher meist nur knappe Notizen gemacht.
Zum Ablauf der vermeintlichen Konversion der Chasaren zum Judentum findet sich hingegen in der – sehr wahrscheinlich nicht authentischen – Korrespondenz zwischen dem Chasarenkönig Josef und dem spanischen Historiker Chasdai ibn Shaprut eine märchenhafte Erzählung. In dieser Geschichte ruft der chasarische König Bulan je einen christlichen, muslimischen und jüdischen Gelehrten zu sich, um sich für die wahrhaftigste Religion von ihnen zu entscheiden. In einem Streitgespräch geben sowohl der muslimische, als auch der christliche Gelehrte zu, dass sie eher zum Judentum als zur jeweils anderen Religion neigen würden. Das Judentum, das selbst nicht missioniert, überzeugt den König und er nimmt schlussendlich die jüdische Religion an.
Die Geschichte erinnert an die Ringparabel aus Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing. Beide Geschichten haben auch denselben Ursprung. Die Legende von einem weisen Herrscher, der zwischen den drei abrahamitischen Religionen entscheiden muss, ist im Nahen Osten schon mindestens seit dem 8. Jhd. n.Chr. bekannt und wurde zu dieser Zeit zu einem häufigen literarischen Motiv. Es ist ein Gründungsmythos, der hier auch nur als solcher gemeint ist. Eine identitätsstiftende Legende, aber kein Versuch, tatsächliche Geschichte niederzuschreiben.
FALSCHE ÜBERSETZUNGEN
Neben dem Brief von Ibn Shaprut wird meist al-Masʿūdī zitiert, wenn es um die „Konversion“ der Chasaren zum Judentum geht:
„kāna tahawwuda maliki l-ḫazari fī ḫilāfati r-Rašīd“13, wörtlich: „Während der Herrschaft von Khalif Harun ar-Raschid [ungefähr 786-809 n. Chr.] wurde der König der Chasaren jüdisch“
Der verwendete Begriff tahawwud meint hierbei wahrscheinlich nicht unbedingt, dass es eine religiöse Konversion zum Judentum gab, sondern eher, dass ein gebürtiger Jude das Königsamt übernahm: Der König „wurde jüdisch“, weil ein Jude zum König wurde.
Und die Erklärung dafür liefert al-Masʿūdī direkt im Anschluss:
„wa-huwwa sannatu ʾiṯnān wa-ṯalaṯīna […] fa-tahāraba ḫalqun min al-yahūdi min arḍi r-rūm ʾilā ʾardi l-ḫazari“14, also: „Im Jahr 943 n.Chr. […] floh eine Gruppe von Juden [wegen Verfolgungen und Zwangskonversionen] aus dem Byzantinischen Reich in das Land der Chasaren“.
Aus dieser Quelle kann man rückschließen: Es gab keine Konversion, vielmehr übernahm eine Gruppe aus dem byzantinischen Reich geflohener Juden das Königsamt im Land der Chasaren. Das ist der Ursprung der jüdischen Chasaren – offensichtlich für jeden, der die Quelle im Original liest.
Leider arbeiten die meisten wissenschaftlichen Quellen eben nicht mit dem Originaltext, sondern mit einer Übersetzung: Das Interesse an dem Thema Chasaren kommt nicht primär aus der Arabistik oder Islamwissenschaft. Es sind vor allem Fachfremde, die nicht mit der Sprache der Hauptquellen vertraut sind, aber trotzdem unbedingt versuchen wollen, eine Theorie damit zu belegen oder entkräften. Und so sind sie den kreativen Neuinterpretationen von Übersetzern ausgeliefert:
„le judaïsme […] est devenu la religion dominante dans cet État“, also „Das Judentum wurde zu diesem Zeitpunkt zur dominanten Religion“15
Die bekannteste Übersetzung von al-Masʿūdī, die französische Übersetzung von de Meynard, weicht ohne ersichtlichen Grund von der originalen Bedeutung ab. Im Originaltext geht es nur um eine einzige Person: den chasarischen König, der jetzt Jude ist – und nicht der Verbreitung einer „dominanten Religion“.
„[the Khazars] embraced the tenets of the jews“, also „[die Chasaren] nahmen die Lehren der Juden an“16
Die bekannteste englische Übersetzung behauptet zwar nicht explizit, dass es eine Konversion zum Judentum gab – aber deutet zumindest stark darauf hin. Bedenkt man, dass al-Masʿūdī meint, dass ein gebürtiger Jude zum chasarischen König wurde, ergibt ein „Annehmen der Lehren der Juden“ keinen Sinn mehr.
Ob man die oben besprochenen Texte als freie Übersetzungen, Übersetzungsfehler oder „Verschönerung“ der historischen Tatsachen definiert, bleibt Ansichtssache. Sicher ist, dass die Texte von al-Masʿūdī basierend auf diesen Übersetzungen in der akademischen und nicht-wissenschaftlichen Welt falsch interpretiert wurden. Immer mit dem Ziel, die unglaubliche Geschichte von der Konversion wahrhaben zu wollen, obwohl die Originalquelle es nicht nahelegt.
ZU SCHÖN, UM NICHT WAHR ZU SEIN
Die Geschichte eines antiken türkischen Nomadenreiches, das tausend Jahre vor der Gründung des israelischen Staates einstimmig zum Judentum konvertierte, ist märchenhaft. Die Legende vom „dreizehnten Stamm“ ist so faszinierend und absurd, dass man sie einfach wahrhaben will.
Beispielhaft für diese Mentalität ist die DNA-Studie von Eran Elhaik (2012). Der israelisch-amerikanische Bioinformatiker versuchte eine genetische Verbindung zwischen den Chasaren und den heutigen europäischen Juden herzustellen, um damit zu prüfen, ob sie wirklich Nachfahren der jüdischen Chasaren sind. Da das Volk der Chasaren aber seit dem 10. Jahrhundert nicht mehr existiert und man daher keine DNA-Proben von ihnen nehmen kann, untersuchte Elhaik einfach DNA-Proben von Georgiern und Armeniern, da sie für ihn zur selben „genetischen Kohorte“17 gehörten.
Die DNA-Studie ist ein methodischer Albtraum. Man kann nicht einfach die DNA der heutigen Kaukasus-Bewohner mit den Chasaren des 10. Jahrhunderts gleichsetzen, noch weniger kann man damit die These von einer chasarischen Konversion zum Judentum beweisen. Trotzdem ist die Elhaik-Studie bis heute eine der meistzitierten Quellen zum chasarischen Judentum18 – nicht, weil sie eine fundierte Antwort auf eine wissenschaftliche Frage liefert, sondern weil sie eine einfache Antwort auf eine politische Frage bietet.
Eine ähnliche Situation ergab sich nach dem archäologischen Fund des jüdischen Friedhofes Çufut Qale in der heutigen Ukraine. Nachdem man dort Grabsteine mit hebräischen Inschriften fand, war die Antwort erstmal eindeutig: Das ist ein Friedhof der jüdischen Chasaren19. Eine spätere Analyse von Artem Fedorchuk ergab jedoch massive Fehler beim Auslesen der Todesdaten, die Grabsteine stammen aus dem 16. Jahrhundert und könnten daher unmöglich von Chasaren (7.-10. Jhd.) stammen.20
So ein grober Fehler von Historiker Abraham Firkowicz erklärt sich durch den confirmation bias: Mit der Geschichte der jüdischen Chasaren im Hinterkopf, ordnete er hebräische Inschriften auf dem ehemaligen Staatsgebiet der Chasaren schnell einander zu – und das auch, wenn die Geschichte von jüdischen Chasaren selbst total fragwürdig ist. Dieser Fehler ist das Resultat einer verzweifelten Suche nach einer schönen, einfachen Antwort für eine emotionale politische Frage.
JÜDISCHE CHASAREN?
Es ist an der Zeit, die Theorie der jüdischen Konversion der Chasaren nicht als kontrovers, sondern als unglaubwürdig zu beurteilen. Das schwere emotionale Gewicht der Chasarenfrage darf der unabhängigen wissenschaftlichen Bewertung der Quellen nicht im Weg stehen. Und diese ergibt eben, dass eine Migration einer Gruppe jüdischer Händler aus dem Byzantinischen Reich viel wahrscheinlicher ist als eine gesamtheitliche Konversion des chasarischen Volkes zum Judentum. Auch wenn es die „langweiligere“ Geschichte ist.
So sehr man sich danach sehnt, die Quellenlage zu den Chasaren ist dünn und die Frage nach ihrer Religion kann niemals endgültig beantwortet werden. Oft ist aber die einfachste Erklärung die naheliegendste – die historische Wahrheit ist meistens eben keine märchenhafte Geschichte.
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1 vgl. Dunlop, Douglas, The history of the Jewish Khazars, Princeton 1954: 118f.
2 hebräischer Originaltitel: „matai ve-ekh humtza ha-am ha-yehudi?“, „Wann und wie wurde das jüdische Volk erfunden?“
3 z.B. Sahm, Ulrich, Das Chasaren-Märchen, Jüdische Allgemeine, (1.7.2014), https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/das-chasaren-maerchen; van Straten, Jits, The Origins of Ashkenazi Jewry (2011), Berlin/New York 2011; Stampfer, Shaul, Did the Khazars Convert to Judaism? (2013), Jewish Social Studies, Vol. 19, Nr. 3
4 vgl. Koestler, Arthur, The Thirteenth Tribe, London 1976: 196
17 Elhaik, Eran, The Missing Link of Jewish European Ancestry: Contrasting the Rhineland and the Khazarian Hypotheses (2012), Genome Biology and Evolution, Vol. 5, Nr. 1: 64
19 Fedorchuk, Artem, New Findings Relating to Hebrew Epigraphic Sources from the Crimea, with an Appendix on the Readings in King Joseph’s Letter, in: Golden, Peter (Hrsg.), The World of the Khazars, Leiden/Boston 2007: 109
Wird sich die eh schon prekäre Lage von Doktorand*innen noch weiter verschlechtern? #WissZeitVG #ProfsfürHanna
Am 17.03.2023 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung seine Reformbemühungen zum Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorgestellt. Das grundsätzliche Anliegen: Die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern, insbesondere was die langfristige Planbarkeit einer akademischen Karriere betrifft. Konkret soll darauf abgezielt werden, Promovierenden mehr Verlässlichkeit zuzusichern, indem einerseits Mindestvertragslaufzeiten bei Erstverträgen festgelegt werden, andererseits aber auch die Höchstbefristungsdauer von sechs auf drei Jahre abgesenkt wird.
Es ist insbesondere die Verkürzung der Höchstbefristungsdauer, welche zahlreiche Stimmen aus der Wissenschaft heftig kritisieren: Was in der Theorie womöglich förderlich klingt, stellt sich sehr schnell als klarer Widerspruch zur aktuellen Realität von Promotionsstudierenden dar: Bei Überschreitung der vorgegebenen 3 Jahre müssten die Universitäten zwingend Doktorand*innen unbefristet einstellen, was in der Praxis eine Seltenheit abseits von Professuren ist. Besteht für Universitäten also weder die Möglichkeit, Promovierende befristet noch unbefristet anzustellen, verschlechtert sich die an sich schon prekäre Lage derjenigen, die eine Promotion anstreben.
Da für die Annahme einer Professur ein ungeschriebenes „akademisches Alter“, das heißt ausreichend Erfahrung in Lehre und Forschung vorausgesetzt wird, besteht die letzte Möglichkeit, die eigene Stelle über Drittmittel zu finanzieren. Um also weiterhin in der Wissenschaft tätig zu sein, wären Doktorand*innen gezwungen, sich alle zwei bis drei Jahre um Fördergelder zu bewerben. Während sich dies für förderungsstarke Fachgebiete vergleichsweise unkompliziert gestalten mag, stehen insbesondere Promovierende geisteswissenschaftlicher Fächer vor einer weiteren Herausforderung. Das ständige Entlanghangeln an Drittmittelprojekten sowie der damit verbundene Zwang, regelmäßig den Standort zu wechseln, stellt nicht nur auf persönlicher Ebene eine Belastung dar, sondern widerspricht auch der vom WissZeitVG abgezielten Verbesserung von Familien- und inklusionspolitischer Planbarkeit.
Ein Grund, weshalb die eigentlich als Verbesserung der Arbeitsbedingungen angedachte Reform konträr zur praktischen Umsetzbarkeit steht, liegt unter anderem in der grundlegenden Struktur des deutschen Bildungssystems: Während zwar das Bildungsministerium für die bundesweite Gesetzgebung zuständig ist, stellt sich die Finanzierung von zum Beispiel unbefristeter Stellen als Angelegenheit der einzelnen Bundesländer dar. Und eben diese legen letztlich die Auswahl und Anzahl der entsprechenden Stellen fest; unabhängig davon unter welchen Bedingungen die Anstellung geschieht. Aufgrund eben dieser planungsunsicheren Arbeitsbedingungen gestalten sich deutsche Hochschulen für viele als zunehmend unattraktiver Arbeitsort.
In einem offenen Brief, welche mittlerweile von über 2.500 Professor*innen aus ganz Deutschland und sämtlichen Fachgebieten unterschrieben wurde, fordern Kritiker*innen nun, dass das WissZeitVG „entweder grundlegend novelliert oder endlich abgeschafft“ wird.
Der Vorsitz besteht seit dem 10.11.2022 aus Robert Stephanus und Mona Stumpe. Dritter Vorsitzender und Kassenwart ist Nicolai Staab. Als Vorstandsbeisitzende wurden Emilia Bachmann und Gesa Marxsen gewählt. Mitarbeiter*innen bei REMID
Denn auch dieses Jahr ist es uns gelungen ein Programm zu erstellen, welches die vielfältigen Berufsbilder mit religionswissenschaftlichem Hintergrund aufzeigt.
Wir würden uns freuen, Sie mit einem Lächeln aus der Konferenz zu entlassen.
Für nähere Informationen besuchen Sie gerne unsere ausführliche Website:
Am 20. November 2020 wurde ein neuer Vorstand gewählt.
Der Vorsitz besteht nun aus Robert Stephanus M.A. und Mona Stumpe M.A. . Dritter Vorsitzender und Kassenwart ist Dr. phil. Nicolai Staab. Als Vorstandsbeisitzende wurden Robert Suckro B.A., Leo Weiß und Dr. Melanie Möller gewählt.
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