Großhirn-Voodoo und Voodoo-Politik – Kritik einer Metapher

Während einerseits religiöse Phänomene traditionell dasjenige Gegenüber der Wissenschaften darstellen, an denen diese sich in ihren Kindertagen erfolgreich profilieren konnten, erhalten die so scheinbar entwerteten Begrifflichkeiten häufig damit den Rang negativer Metaphern. Diese Praxis ist diskriminierend, zugleich offenbart sie aber etwas, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Häufig zu finden sind offenbar Beispiele, etwas mit “Voodoo” in Verbindung zu bringen. So etwa, wenn Veronika Hackenbroch auf Spiegel online am 2. Mai der Neurowissenschaft “Großhirn-Voodoo” unterstellt.

Im Beispiel hatte Craig Bennett einen toten Lachs mittels fMRT auf seine Gehirnaktivität untersucht, während der Fischleiche Bilder von ängstlichen, fröhlichen und wütenden Menschen vorgeführt wurden:

Das Ergebnis des absurden Experiments sorgte für einen handfesten Skandal. Denn im Gehirn des toten Fischs regte sich etwas. Müssen wir tote Lachse also mit völlig neuen Augen betrachten? Können Fische, noch während wir sie in die Bratröhre schieben, unsere Gefühle erkennen?
Natürlich nicht, versichert Bennett im neugegründeten “Journal of Serendipitous and Unexpected Results” (Zeitschrift für zufällige und unerwartete Ergebnisse), wo er sein Lachs-Experiment veröffentlicht hat. Die mittels funktioneller Kernspintomografie (fMRT) im Gehirn des Tiers erkennbaren Signale seien reine Zufallsprodukte, statistische Ausreißer ohne Bedeutung. Würden die passenden Korrekturrechnungen vorgenommen, verschwänden sie von selbst. Doch solche Rechnungen, schreibt Bennett, hätten nach seiner Auswertung selbst in den besten Fachjournalen zwischen 25 und 40 Prozent der Wissenschaftler nicht durchgeführt. (ebd.)

Den Ausdruck “Voodoo” – die eher hollywoodeske Schreibweise der afroamerikanischen Religion Wodun auf Haiti bzw. in Togo / Benin (vgl. unsere Kurzinformation), welche viele Europäer stellvertretend nehmen für sämtliche ursprünglich afrikanische Religiosität – führte allerdings bereits 2009 der MIT-Forscher Edward Vul in den Diskurs ein: Als “Voodoo-Korrelationen in der sozialen Neurowissenschaft” bezeichnete er die Ergebnisse vieler fMRT-Arbeiten seiner Kollegen: “Selbst hochrangige Wissenschaftler, so Vuls Befund, hatten nicht nur den Zusammenhang zwischen Wirklichkeit und Hirnscan viel zu hoch angegeben, sondern ihn auch völlig falsch berechnet”. Vul selbst historisiert sein Argument, indem er auf seiner Webseite einen Artikel von Edward Currington von 1950 verlinkt: “Validity, Reliability, and Baloney”. Baloney ist Quatsch. Damals wurde statt dem toten Fisch ein parapsychologisches Experiment “B – Projective Psychokinesis Test” hergenommen, um zu zeigen, dass problematische Deutungen begünstigt werden, wenn Validitätskoeffizient und Item-Analyse auf den gleichen Daten fußen.

Ein älteres Beispiel dieses Metapherngebrauchs findet sich in Deutschland 2001, als Hans Eichel (SPD), seiner Zeit Finanzminister, verwehrte:

Das ist Voodoo-Haushaltspolitik. Das hat mit einer seriösen Haushaltspolitik nichts mehr zu tun. (zitiert nach Spiegel online: Eichel will keine Voodoo-Politik. Kontext: “Der SPD-Politiker sagte in Chemnitz, ein Vorziehen der für 2003 und 2005 geplanten Steuerentlastungen auf 2002 sowie die Abschaffung der Ökosteuer würden zusammen 85 Milliarden Mark kosten”).

Damit wurde eine eigene Tradition begründet, so schreibt etwa Julian Heißler im Februar 2010 in “Der Freitag” im Kontext von Neuausrichtungsversuchen der FDP unter der Titelzeile “Voodoo-Politik”:

Das ist die gleiche Idee, die auch dem Wirtschaftsbild der Liberalen inne wohnt. Man müsse nur die Angebotsseite stärken, dann würde die Nachfrage schon automatisch kommen. Supply-Side-Economics nennen das Wirtschaftswissenschaftler. Skeptiker haben einen anderen Begriff: Voodoo-Ökonomie.

Der SWR lässt im September 2010 den ehemaligen Ministerpräsident Baden-Württembergs, Stefan Mappus (CDU), als Voodoopriester auftreten, der versucht mittels Trommeln und Voodoopuppen Demonstranten im Kontext von Stuttgart 21 und schließlich den Moderator zu bezwingen, sie mögen nach Hause gehen und dort bleiben. Zur Frage, das würde man doch nur dann machen, wenn sonst bereits alles andere versagt habe, antwortet die Mappus-Puppe mit dem Hinweis, die bisherigen “Informationsprojekte” hätten nichts gebracht und wären nur teurer als die afrikanische Praxis. Zu der ist zu sagen: unsere Vorstellungen von Voodoo-Puppen sind eine europäische Fantasie, der Glauben an Atzelmänner wurde auf exotische Gegenstände projeziert.

Anhänger der afroamerikanischen Religion haben aktuell weiterhin mit Diskriminierungen verschiedener Art zu kämpfen, ein Beispiel aktueller Art aus Texas unterstellte einer Anhängerin, sie hätte einen Fluch ausgesprochen. Der Artikel wird bezeichnenderweise mit der Abbildung wiederum einer Voodoopuppe illustriert.

Man begegnet in dieser Zuschreibung als europäischer Kategorie also neben offenbar weiterhin lebendigen Vorstellungen von wirksamer schwarzer Magie in z.B. entsprechenden christlichen Milieus einer Metapher, die ähnlich dem “Hokuspokus” vermittels der Suggestionskraft quasi eine Wirkung im Sinne einer Täuschung bzw. eines Betruges hervorbringe.

Während allerdings der Hokuspokus assoziativ heute eher mit Harry Potter (den die Mehrheit doch wie den Herrn der Ringe eher für unproblematische Fantasy hält) oder den Vorführungen eines David Copperfields verbunden ist, und selbst die Mentalistenszene um Uri Geller höchstens einen Kontrapunkt im Varieté-Programm zwischen Sendeformaten wie den “Mythbusters” oder “Galileo Mystery” darstellt (als ob es für den Zuschauer egal wäre, ob die “Wunder” nun “aufgeklärt” oder “verklärt” werden), steht Voodoo seit Paul Feyerabends wissenschaftstheoretischem Werk “Against Method” (1975) für eine derjenigen außereuropäischen Traditionen, welche als Alternativwissen zur westlichen Wissenschaft in Frage komme:

The assertion, however, that there is no knowledge outside science – extra scientiam nulla salus – is nothing but another and most convenient fairy-tale. Primitive tribes have more detailed classifications of animals and plants than contemporary scientific zoology and botany, they know remedies whose effectiveness astounds physicians (while the pharmaceutical industry already smells here a new source of income), they have means of influencing their fellow men which science for a long time regarded as non-existent (Voodoo), they solve difficult problems in ways which are still not quite understood (building of the pyramids; Polynesian travels), …

Die Annahme, da wäre kein Wissen außerhalb der Wissenschaft […], ist nichts anderes als eines der bequemsten Märchen. Einfache Ethnien haben feiner differenzierte Klassifikationen von Tieren und Pflanzen als die gegenwärtige akademische Zoologie und Botanik, sie kennen Heilmittel, deren Effektivität die Mediziner erstaunt (während die pharmazeutische Industrie bereits eine neue Einkommensquelle riecht), sie haben Mittel der Einflussnahme auf ihre Gefolgsleute, welche von der Wissenschaft lange Zeit für nicht-existent (Wodu) angesehen wurden, sie lösen schwierige Probleme mittels Wegen, welche einfach noch nicht verstanden worden sind (Bau der Pyramiden, Reisen der Polynesier)…

(vgl. offizielle Übers., S. 393, “Wider den Methodenzwang”, Frankfurt: Suhrkamp 1986).

Die in der Übersetzung ausgelassene Variante des Extra ecclesiam nulla salus, welches auf Cyprian von Karthago zurückgeht, es gebe kein Heil außerhalb der Kirche (bzw. der Wissenschaft, scientia), macht aus den wissenschaftstheoretischen Debatten ein vatikanisches Konzil. Die eine Seite verhandelt also lediglich ein Dogma, während die andere Seite, z.B. der “Wodu”, zwar eigentlich aufgewertet werden soll. Diese Aufwertung gelingt aber nur mittels einer Umdeutung, welche einen Kompromiss bietet – nämlich zwischen verschiedenen Argumenten der Kritik (diese Religion bestünde nur aus “Menschenbeeinflussung” – und diese suggestiven Techniken wären zudem wirkungslos).

Das “Lob des Voodoo” enthält wie auch entsprechende Statements zu signifikanten Studien zur Akupunktur oder zu den Werten von computertomographierten betenden Nonnen oder meditierenden Buddhisten den Chauvinismus, die gefundenen Effekte als nützliche und gesundheitsfördernde Illusionen zu betrachten. Das ist nicht unbedingt als Plädoyer gemeint, die eigentlichen “Theorien” der chinesischen Medizin, der afrikanischen Überlieferung oder buddhistischer Versenkungslehre endlich wissenschaftlich ernst zu nehmen. Vielmehr geht es um diese Diskursfigur der abwertenden Aufwertung.

Entsprechend konnte seiner Zeit 1778 Franz Anton Mesmer, Theoretiker des “thierischen Magnetismus”, die Exorzismen des Pfarrers Johann Joseph Gassner bei einer jeweiligen Vorführung der eigenen Fähigkeiten vor einer Münchner Kommission “entlarven”. Keine Dämonen seien es, die Gassner austreibe, er habe lediglich zufällig das Fluidum betroffener Personen magnetisch gereinigt. Daraufhin wurde die Praxis des Exorzismus in Deutschland verboten. Die Magnetiseure wurden einige Jahre später von der Kritik zerrissen. Man findet sie heute in Schauerromanen, z.B. von E.T.A. Hoffmann, oder z.B. das Fluidum in der afroamerikanischen Religion Umbanda, welche Einflüsse aus dem europäischen Spiritismus aufnahm.

“Voodoo” steht hier im letzten Beispiel also ähnlich wie im Diskurs das “Placebo” für eine Zurückweisung der Theorie bei stillschweigender Duldung eines Effekts. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, korreliert dabei der Ausdruck “Suggestionstechniken” mit der “Aktivierung körpereigener Abwehrsysteme” beim wirkstofffreien Medikament. Die vorherigen politischen Beispiele spielen eher mit der Idee der magischen Beschwörung, die Experimenteure verwerfen Effekte (ohne beim neurologischen Beispiel Bennetts die grundsätzlich begrifflich oft sehr alltagssprachlich geprägte Liste an im Hirn verorteten Korrespondenzen emotionaler oder geistiger Zustände als solche etwa mit Gassners Dämonen auf eine Stufe zu stellen).

Gemeinsam bleibt den letztlich zumeist tendenziös rassistischen Beispielen, selbst wenn Fürsprecher wie Feyerabend “Voodoo” gegenüber der Idee, dieser sei Inbegriff einer “Antiwissenschaft”, aufzuwerten suchen, die Zurückweisung einer Theorie im Sinne eines die Suggestionstechnik verkleidenden Hexeneinmaleins. Das ist nichts weiter als rhetorischer Kolonialismus, eingelegt in die überhebliche Erzählung von der vermeintlich linearen Evolution der Religion (und Wissenschaft). Kritisieren lässt sich auch sachlicher.

Kris Wagenseil

5 Kommentare:

  1. Inspirierender Beitrag.Habe einige tolle Gedankenanstoesse gekriegt. Warte auf weitere Beiträge.

  2. Pingback:Natur des Glaubens? Die Kontroverse um die Evolutionary Religious Studies « REMID Blog

  3. Was Aktuelles aus der TAZ zur Neurobiologie-Kritik:
    Felix Haslers Buch „Neuromythologie“ ist klug. Es verstört die Richtigen. Bei einer Begegnung gibt er einen kritischen Einblick in die Neurobiologie-Szene.
    taz.de/Neurobiologie-Kritik-auf-dem-tazlab/!113458/

  4. Pingback:Religion und Vorurteil von A bis Z « REMID Blog

  5. Thomas Fricke ergänzt auf Spiegel Online am 29.04.2016 “Voodoo-Riestern”.

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