Vor kurzem begann eine aktuell weiter anhaltende Debatte in einer internen Liste für Religionswissenschaft. 770 Teilnehmer sind bei ihr angemeldet und es ist im Wissenschaftssektor vielleicht eine Seltenheit, dass VertreterInnen eines Faches so intensiv Grundsatzdebatten führen und sich auf diese Weise einen Spiegel vorhalten, den sicherlich auch andere Disziplinen manchmal nötig hätten. Der Anlass war das Missverhältnis von konfessionsloser, empirischer Religionswissenschaft als Gesellschaftswissenschaft einerseits und den tatsächlichen Berufsangeboten andererseits, welche gerne aus dem Bereich der christlichen Theologien stammen oder ein entsprechendes Bekenntnis einfordern. So kam unter anderem folgende Frage auf: Wie sieht es eigentlich aus, was für religiöse oder nicht-religiöse Selbstbilder bestehen bei denen, die Religionswissenschaft studieren?
Aufgrund dieser Fragestellung wurde von Carsten Ramsel ein Fragebogen entworfen, der über die REMID-Webseite von mir technisch umgesetzt wurde. Dieser sollte eigentlich abfragen, welcher Konfession ReligionswissenschaftlerInnen angehören. Allerdings erhielt der Fragebogen bereits bei seiner Erstellung zudem die Ausrichtung (und Überschrift),nach religiösen Einstellungen von ReligionswissenschaftlerInnen zu fragen. Neben dem Formalkriterium wurde also auch nach tatsächlichem persönlichen Glauben gefragt. Allerdings wurden diese Fragen-Bereiche leider nicht deutlich genug voneinander geschieden. Tatsächlich wurde die Umfrage von 234 Personen beantwortet, welche aus dem Umfeld der angesprochenen Mailingliste, derjenigen von REMID sowie aus dem REMID-Umfeld über Facebook und Twitter kamen. Nur eine Minderheit von 80 befristet und 15 unbefristet an einer Hochschule beschäftigten, davon insgesamt nur 11 mit Habilitation, haben mitgemacht. Und damit ist noch nicht gesagt, dass ihre Stellen mit Religionswissenschaft tatsächlich zu tun haben. Gemeinsam haben die 234 Teilnehmer nur, dass sie sich im weiten Sinn für Religionswissenschaft interessieren.
Wo können Religionswissenschaftler arbeiten? Ohne Bekenntnispflicht – also Einbindung in einen Kontext der Vermittlung theologischer Inhalte zu innerreligiösen Zwecken – gibt es neben der Universität nur seltene Gesuche etwa mal einer jüdischen Gemeinde, die zugleich Russisch- und Hebräischkenntnisse verlangt, zur Mitarbeit bei der Integration neuer aus ehemaligen Ländern der Sowjetunion emmigrierter Gemeindemitglieder. Mit Schwerpunkt Islam bestehen Arbeitsmöglichkeiten beim Verfassungsschutz und vielleicht beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, auch ethnologische Beratung des Militärs beim Einsatz in Afghanistan könnte ebenso etwas für ReligionswissenschaftlerInnen sein. Neben weiteren üblichen Verdächtigen wie Museen, Zeitungen und Verlagen, NGOs und anderen Einrichtungen sind aber doch die Anbieter vieler Stellen aus dem kirchlichen oder religiös-sozialen Sektor (Bereiche Mission, Entwicklungshilfe, Dialog).
Damit begann also die Debatte, welche im Titel den Begriff “Diskriminierung” als Betreff fortführte. Da es um Religion geht, könnte man ein religiöses Bekenntnis als Arbeitsvoraussetzung durchaus als “Diskriminierung” im Sinne der UN-Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung der Religion oder der Überzeugung von 1981 interpretieren – zumindest dort, wo die Arbeit als soche nur formal mit der Bekenntnispflicht verknüpft ist. Während also ein Pfarrer – auch wenn das in vielen Fällen ungerecht ist – ohne Bezug zur eigenen Religion bzw. ohne alle für nötig erachteten Vorgaben möglicherweise seinen ebenso religiösen Zweck verständlich nicht ideal zu erfüllen vermag, wirkt diese Einschränkung bei Krankenschwestern, Pflegepersonal etc. überflüssig und konnte auch bereits erfolgreich als Diskriminierung eingeklagt werden. Nur wie ist das mit Religionswissenschaftlern?
Vermutlich müsste man einen genauen Blick auf das Stellenformat werfen, worum es konkret eigentlich geht. Die erwähnte interne Debatte bezog sich im Folgenden hauptsächlich auf die beiden akademischen Arbeitsfelder: gesellschaftswissenschaftliche und theologische Fakultäten an Universitäten. Doch wie intensiv ist das Problem eigentlich? Es kam also die Frage auf, welche Religion / Einstellung zur Religion heutige ReligionswissenschaftlerInnen statistisch aufweisen. Vermutet wurde eine Fortsetzung der “Tradition” von zumindest nominell mehrheitlich prostestantischen Vertretern.
Das Unternehmen der Umfrage hat ihr Ziel nicht wirklich erreicht. Die 234 Teilnehmer der Umfrage konnten über besagte Liste, diejenige von REMID und das REMID-Umfeld über Facebook oder Twitter zur Umfrage gekommen sein. Möglicherweise hat man einen nicht-repräsentativen Ausschnitt derjenigen, die sich für Religionswissenschaft im weitesten Sinne interessieren. Zudem ist es nur eine Minderheit von 80 befristet und 15 unbefristet an einer Hochschule Beschäftigten, die nicht unbedingt notwendig als Religionswissenschaftler beschäftigt werden, welche mitmachte. Davon waren auch nur elf habilitiert. Unter diesen waren neben 40, welche die Frage nach der Religionszugehörigkeit übergingen, 27 mit der Angabe “evangelisch” und 20 mit der Angabe “katholisch”. Anderes tauchte bis auf eine Ausnahme orthodoxes Christentum nur bei befristeten Stellen auf oder eben bei manchen von denen, die außeruniversitär beschäftigt sind oder als Studenten teilnahmen (65). Immerhin 19 waren außeruniversitär mit Bezug zur Religionswissenschaft beschäftigt, 10 mit Bezug zu Religionen; ohne Beschäftigung 21, weitere 22 arbeiten in einem völlig anderen Bereich. Dabei ist die Kritik zu bestätigen, dass nur eine Möglichkeit anzukreuzen war. Insofern ist nur zu hoffen, dass die von oben nach unten sich darbietende sinkende Relevanz erkannt wurde, also dass man nicht das Arbeiten in einen sachfremden Bereich betont bzw. wählt, wenn man zugleich befristet an einer Universität arbeitet.
198 befanden sich in Deutschland, 225 im deutschsprachigen Gebiet, 137 Teilnehmer waren unter 30, 121 weiblich und 108 männlich (soweit die jeweilige Frage nicht übergangen wurde). 40 gaben an, auch einer religiösen Lehre zu folgen. Beruflich mit der Universität haben dabei aber nur 15 zu tun. Schließlich können es ja auch Theologen sein, die sich auf welche Weise auch immer ebenso als Religionswissenschaftler verstehen, insofern mag das nicht verwundern.
Schließlich noch zu der Frage, welche die meiste Kritik erfuhr, da das Tendenzwörtchen “eher” fehlte und somit absolute Zuschreibungen abgefragt worden sind. Dabei wählten immerhin 34 Menschen die Aussage ” Ich bin spirituell” und 52 “Ich bin religiös”, so auch 55 “Ich bin nicht religiös” im Unterschied zu 63 x “Ich bin Agnostikerin oder Agnostiker” und 25 x “Ich bin Atheistin oder Atheist”. Wiederum auf die Uni-Gruppe geschaut, sind das 21 mit den ersten beiden Aussagen (offenbar dabei vielleicht also 6, die keiner bestimmten Lehre folgen).
Doch was sagt das nun aus? Aufgrund der Schwierigkeit, z.B. Theologen nicht herausrechnen zu können, ist das Ergebnis wenig verwertbar. Man kann vermuten, dass es durchaus fast genauso viele gibt, die “auf dem Papier” katholisch sind wie evangelisch. Mit 65 von 80 Hochschulvertretern, die weder die absolut religiöse noch die spirituelle Aussage ankreuzten (und die Frage nicht übergingen), dürfte aber durchaus ein größerer Anstieg zumindest keine Religion praktizierender ReligionswissenschaftlerInnen auch außerhalb dieser viel zu kleinen Stichprobe wahrscheinlich sein.
Auf der diesjährigen Tagung der DVRW nächste Woche in Heidelberg wird es zu der Umfrage und ihren Ergebnissen ein Plakat von Carsten Ramsel in Kooperation mit REMID geben.
Kris Wagenseil
Interessante Erhebung: Werden die Daten und Ergebnisse noch etwas differenzierter ausgewertet/bewertet oder geben sie nicht viel mehr her?
Besagtes Plakat enthält weitere Details, im Grunde bereitet es die hiesigen Zahlen grafisch auf und vergleicht mit einer von Carsten Ramsel zusätzlich durchgeführten Auswertung von Stellenangeboten.
Welche Differenzierung wäre dann gewünscht?
Wir begrüßen es, dass die DVRW nach diesem Pretest eine eigene Untersuchung bei ihren Mitgliedern anonym durchführen möchte. So kann sichergestellt werden, dass nur entsprechend der Aufnahmeverfahren der DVRW geprüfte Religionswissenschaftler teilnehmen und dass tatsächlich nur die formale Konfessionszugehörigkeit abgefragt wird, wie sie bei Stellenausschreibungen relevant wird, weniger die persönlichen Religionszuordnungen. Unser Pretest hat also die Notwendigkeit der Untersuchung des Verhältnisses von ReligionswissenschaftlerInnen und Stellenmarkt aufzeigen können.
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