Nein, es geht nicht um die Missionierende Kirche der Kopimisten, einer kürzlich als Religion in Schweden anerkannten Gemeinschaft von Filesharern aus dem Umfeld der europäischen Piratenparteien mit auch ersten Anhängern in Deutschland. Ausgehend von einem “Verhängnis” der Kunst, am treffendsten durch Walter Benjamins Aufsatz über einen “Verlust der Aura” des “Kunstwerk[s] im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit” (1935/6) auf den Punkt gebracht, gilt der erste Blick dem religiösen Urgrund der Original-Kopie-Unterscheidung bzw. seiner Konstruktion durch aufgeklärte moderne Autoren. Auch in der älteren (religionsphänomenologischen) Religionswissenschaft spielt diese Unterscheidung eine Rolle bzw. der Gedanke ihrer Überwindung. Doch ebenso für die neuere Religionswissenschaft dürfte – auf historischem und philologischen Gebiet – die Frage nach Kopie und Original noch nicht ganz vom Tisch sein. Im Grunde stehen nur Umgangsweisen zur Wahl, die jeweils den Religionswissenschaftler wie Don Quijote bei den Windmühlen erscheinen lassen: Es geht um Authentizität und Falsifikation.
Ein besonderes Fundstück in der Benjamin-Rezeption weiß um eine Lösung des Mangels an “Aura” – ein Begriff, den Benjamin der jüdisch-theologischen Literatur entnahm: So spricht Ulrich Holbein vom „Aura-Kopierer“, jener
„hocheffektiven Wundermaschine, die seit 89 Schlagzeilen macht, und das zu Recht; immerhin stellt der Aura-Kopierer in der Landschaft bisheriger Copysysteme unbestritten ein absolutes Novum dar. Stufenloses Verkleinern, Vergrößern, Farbkopieren, Verzerren, Entzerren, freies Strukturumwandeln, dreidimensionales Kopieren, sphärisches Kopieren, dies alles läßt der Aura-Kopierer souverän hinter sich – und produziert stattdessen Kopien, die qualitativ jede Vorlage in den Schatten stellen, und zwar insofern, als die Aura, die der Vorlage meist fehlt, am Schluß von der Kopie ausgeht.“ (Ulrich Holbein: Der Aura-Kopierer, in: ders.: Ozeanische Sekunde, Frankfurt a. M. 1993, S. 173 -206, Zitat S. 173f; zitiert nach Uwe C. Steiner: „Eine gelungene Anmaßung“? –Die Aura der Reproduktion und die Religion des Medialen bei Walter Benjamin und Patrick Roth, Walter-Benjamin-Gesellschaft 2003).

Eine Firma Edmund Scientifics aus New York bietet für knappe 300 Dollar zwar keinen Aurakopierer an. Dieses "Kirlian Imaging Device" ermöglicht aber ein fotografisches Verfahren zur Visualisierung von sogenannten Koronaentladungen. Esoteriker interpretieren diese als "Aura". Manche Heilpraktiker setzen sie zur Diagnose ein. Die Aufnahmen gelten allerdings laut dem Artikel "Komplementärmedizinische Diagnoseverfahren" im Deutschen Ärzteblatt von 2005, Nr. 102 (44) von Ernst Edzard nicht als valide reproduzierbar. Klicken Sie auf das Bild, um zum Artikel zu gelangen.
Es wird sich zeigen, welche Bedeutung gerade der letzte Gedanke, wenn “die Aura, die der Vorlage meist fehlt, am Schluß von der Kopie ausgeht”, für Religionen und ihre Rezeption oder Reformation haben kann. Zugleich sei aber nicht zu viel vorweg genommen.
Original versus Kopie – Religion und Philologie
Die Kritik am Zeitalter der Genie-Ästhetik (vgl. Artikel Ressource oder Wachstumsblase Bildung? “Religiöse” und utopische Aspekte eines besonderen Konzeptes) ist auch eine Kritik des Originals. Der “Tod des Autoren” in der Postmoderne-Diskussion reflektiert gerade die Probleme der Idee eines Autoren als autonomen Subjekts, das schöpferisch aus seinem Genius ein einzigartiges, originäres Werk erschaffe – entsprechend dem Gedanken der “Aura”. Das Gegenstück – die Nachahmer, Epigonen oder die Winkeldrucker-, Almanach- und Blütenlesen-Autoren – werden demgegenüber nahezu als bloße Handwerker oder Techniker gesehen, oder schlimmer: als Halb- oder Kleinkriminelle.
Auf einer Fachtagung “Wa(h)re Kultur” bezieht der brasilianische Ethnologe Gustavo Lins Rebeiro den Originalitätsgedanken zurück auf die christliche Theologie:
“Die Idee des Originals ist in unserer Kultur extrem mächtig”, so Ribeiro und führt das Konzept auch auf die Religion zurück. “Gott ist das erste Original. Er schuf uns nach seinem Abbild. Also sind wir alle Kopien.” Während andere Philosophien wie der Buddhismus die Kopie als “Suche nach dem Unendlichen” annehmen, bleibt im westlichen Weltbild also stets ihr Mangelcharakter. “Eigentlich ist das ein Widerspruch zu unseren fundamentalen kognitiven Fähigkeiten: Stellen Sie sich vor, jedes Objekt wäre einzigartig – wir könnten sie niemals benennen, geschweige denn benutzen.” (zitiert nach: Maria Handler: Original und Kopie: Über wa(h)re Kultur. Migranten als Agenten kultureller Veränderung eines der Themen der aktuellen Fachtagung in Wien, Wiener Zeitung, 15. Sept. 2011).
Allerdings war lange Zeit das christliche Problem des Originals eines der Trennung von heiligen und kulturellen Texten (vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis 1992). Die Philologien des Mittelalters versuchen entsprechend erste Anklänge von Autorenbewusstsein etwa ab der sogenannten Blütezeit des Hochmittelalters am Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert auszumachen – oder entwerfen entgegen der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Methode der originären Leithandschrift, die im krassesten Fall völlig rekonstruiert werden muss, die aus der New-Philology-Debatte hervorgegangenen Instrumentarien eines Variantismus. Dieser möchte die teilweise auch inhaltliche Vielfalt der Versionen ernst nehmen und keine als “Original” begünstigen. Das aktuelle Berner Parzival-Projekt greift daneben zusätzlich auf “New Phylogeny” zurück:
Die New Phylogeny hält demgegenüber an handschriftlichen Bezügen und Gruppierungen als der Basis überlieferungskritischer Untersuchungen fest. Der aus der Evolutionsbiologie stammende Begriff Phylogeny (deutsch: ‘Phylogenese’) bezeichnet die stammesgeschichtliche Verwandtschaft der Arten und wird im angelsächsischen Raum derzeit auf Fragen handschriftlicher Beziehungen angewandt, so etwa in der Chaucer-Forschung (Parzival-Projekt Bern).

Dieses ist ein beispielhaftes Stemma codicum im Sinne der Philologie des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um Karl Holl, Die handschriftliche Überlieferung des Epiphanius (Ancoratus und Panarion). Texte und Untersuchungen 36.2. Leipzig: J. C. Hinrichs, 1910, S. 94. Für ein Digitalisat (darin das 2. Heft) klicke man auf die Abbildung.
Letztlich ist es die Wissenschaft, welche auf dem Original beharrt. Das Kopieren ist gerade im sogenannten Mittelalter gängige Praxis, so etwa Kuratorin Ariane Mensger anlässlich einer Kunstausstellung zum Thema in Karlsruhe (bis zum 8. August 2012 zu sehen):
“Unsere Ausstellung setzt im Spätmittelalter an, in einer Zeit, als das Kopieren eigentlich auch noch kein Problem war. Aber spannend wird es dann etwa um 1500 mit Albrecht Dürer. Es ist genau die Zeit, in der wir das erste Mal greifen können, dass Künstler sehr wohl Bewusstsein für ihre Originalität entwickeln und auch frühe Formen des Copyrights dann entstehen.” (Johannes Halder: Das Echte im Falschen. Déjà-vu? Karlsruhe zeigt die Kunst der Wiederholung, drradio.de, 20. April 2012).
Das Stigma der Kopie
Auch die ältere Religionswissenschaft (vgl. Artikel zu Rudolf Otto und Friedrich Heiler) folgt in ihren Religionsphänomenologien bzw. Religionstheologien – d.h. es sind Versuche von Systematiken, die aber “Religion” bzw. deren “Wesen” über Anschauung und Empfindung kreativ konstruieren – der Idee des Originals und seiner Aura. So liest man z.B. bei Kurt Goldammer in “Die Formenwelt des Religiösen: Grundriss der systematischen Religionswissenschaft” (1960, S. 361):
“Die nachvollziehende Mimesis des Kultus läßt sich daher nicht in die Gegensätze schöpferisch-unschöpferisch, Original-Kopie, Erst-Empfindung, Nachempfindung einspannen, sondern sie gehört in den Bereich der participatio, der Teilhabe am Ganzen und Vollkommenen, Einmaligen, Urgegebenen.” (Zum philosophischen Begriff der Mimesis vgl. entsprechenden Band aus der Reihe dialektischer Grundbegriffe von Thomas Metscher von 2001)
Dem Kultus wird eine in dem Sinne “mystische” Erfahrung zugesprochen, als dass Gegensätze in eins fallen, vermutlich nicht nur im Sinne der aus der spätmittelalterlichen Mystik gezogenen Idee der unio mystica mit Gott (im christlichen Sinne), sondern auch in ihrer begrifflichen (phänomenologischen) Ausweitung – etwa im Sinne von William James “Vielfalt der religiösen Erfahrung” (1902, auf deutsch 1907), der bereits Praxen in Buddhismus und Hinduismus als “Mystik” bezeichnet (und sogar manchen Patienten von Geistesheilanstalten eine “dunkle Mystik” zuschreibt). Im Grunde erlaubt dieses Modell, jede “gute” religiöse Erfahrung als “Mystik” zu adeln. Ein Begriff wie “Besessenheit” erweckt ganz andere Assoziationen.
Außerhalb des Kultus besteht er nämlich sehr wohl in der Sicht der (älteren) Religionsphänomenologien: der Unterschied zwischen Original und Kopie. Allein die bedenkliche Anthropologie eines Rudolf Ottos mit ihrer Besonderung des “Propheten” mag als Beispiel tiefe Abgründe andeuten (vgl. Artikel “Ein Versuch über Rudolf Ottos ‘Das Heilige’“). Die Religionen der Welt wurden hierarchisiert und zugleich neue religiöse Bewegungen als eigenwillige, weniger authentische Kopien stigmatisiert.
Authentizität und Falsifikation
An dieser Stelle kommt Don Quijote ins Spiel. Der Schelmenroman von Cervantes (1605/15) ist eine Parodie auf das Rittertum und zugleich der Fans des entsprechenden literarischen Genres. Der Protagonist kämpft in einer Episode gegen Windmühlen, die er für vielarmige Riesen hält. Ein anonymer Wikipedia-Autor hat die daraus hervorgegangene Redensart treffend als das Führen “eine[s] aussichtslosen Feldzug[s] gegen einen unveränderbaren Zustand” veranschaulicht.
Obwohl die Bildung von Neureligionen eher die geschichtliche Regel darstellt – und eher ihr Ausbleiben die Ausnahme, wird diesen nur unter bestimmten Umständen Authentizität zugesprochen (sei es von den Medien, anderen Religionsgemeinschaften oder Wissenschaftlern). Dass dies allgemeingesellschaftlich diskursiv so erscheinen kann, ist ein Erbe der Religionsphänomenologien. Zugleich teilen (historische) Wissenschaften mit den religiösen Protagonisten – aus unterschiedlichen Gründen – das Interesse, nach Luther ad fontes (zu den Quellen) zu gelangen. Protestantismus und Renaissance (der Wissenschaften und Künste) verbinden sich in diesem neu erklärten Hang zum Original. Überlieferung wurde tendenziell zur Geschichte der Verfälschungen (oder zumindest der Kopierfehler). Diesen galt es auf die Spur zu kommen. Sei es das Interesse am Urchristentum oder an einer Religion als “urtümlich” gedachter Germanen (aufgeladen mit der dem “Indianer” zugeschriebenen Authentizität) oder sei es das Aufdecken verschütteter geheimer Offenbarungen Gottes an Adam, das verlorene Meisterwort der Freimaurerei oder das vorsintflutliche Wissen der ägyptischen Hieroglyphen (insbesondere vor ihrer tatsächlichen Entzifferung).
Wie man schon an den Klammern und den darin enthaltenen Einschüben sieht, hat die “Wissenschaft” manchmal eine divergierende Position, obwohl sie erstmal durchaus den gleichen Zug aufweist, indem sie eine Archäologie der religionsgeschichtlichen Bezüge betreibt, d.h. einen Stammbaum der Religionsideen pflegt. Allerdings schließt das längst die sogenannten Weltreligionen ein, die ebenso “aufgelöst” werden können in entsprechende religiöse Ideen, deren Permutationen man auf erwähntem “Stammbaum” einordnet (vgl. Artikel “Wessen Geistes Kind? Neue Religionen, alte Traditionen und die Crux des Systematikers“).
Der Wald und die Stammbäume der Religionsgeschichte

Nicht nur Religionswissenschaftler erstellen Stammbäume der Religionsgeschichte, auch Religionen setzen auf sie als Stilmittel in Legimitationsstrategien. Dieses Beispiel stammt aus dem Kontext der Neuen Religion Brahma Kumaris (2012).
Zugleich suggeriert eine Lokalisierung auf diesem Stammbaum der Religionsgeschichte eine je nach Lage bestimmte Portion Authentizität. Neuere Ideen, seien es gechannelte außerirdische Astronauten oder die nur nachts meistens Süßes vertilgenden Kühlschrankgeister, erfahren eher weniger Respekt.
Wenn diese Suggestion auch in der aktuellen Religionswissenschaft nicht mehr von allen gepflegt wird, sie kann auch durchaus ohne religionsphänomenologischen theoretischen Unterbau fortbestehen.
Vielleicht ist es tatsächlich in manchen Fällen ein Konflikt um die Deutung der Geschichte. Es geht um den Vorgang, dass eine Neue Religion ein neues Original (bzw. eine neue originäre Interpretation) präsentiert und auch mit historischen Belegen bestärkt. Kommt eine wissenschaftliche Überprüfung zu einem anderen Ergebnis, greift allein dieser faktische Widerspruch die Idee der Authentizität an (selbst wenn man auf die Rhetorik des Synkretismus, des Ekklektizismus und der bewussten Konstruktion verzichtet).
Anders kann es sich verhalten, wenn die Neue Religion sich an einem Original orientiert, das zu Teilen auch in der Forschung als solches (bzw. als alt) gilt. Hier besteht häufig das Problem eines zeitlichen Abstandes: Manche z.B. archäologischer Forschung entnommene Quellen des modernen Neuheidentums sind inzwischen hundert Jahre alt. Allerdings kann es ebenso vorkommen, dass eine Neue Religion sich zu bemühen beginnt, den aktuellen Forschungsstand “aufzuarbeiten”.
Grundsätzlich besteht jedoch ein Interessenkonflikt. Zumindest dort, wo die (Religions)Wissenschaft sich von religionstheologischen (bzw. stark universalisierenden) Modellen verabschiedet hat. Während gerade die “religionsproduktiven” Anteile der früheren Religionsphänomenologen (ähnlich der Tiefenpsychologie von Carl Gustav Jung) stark von neuen (wie alten) Religionen aufgenommen und “weiterentwickelt” wurden und werden, gilt das nicht so sehr für die neuere Religionswissenschaft.
Der genannte Interessenkonflikt tritt noch nicht so sehr zu Tage. Schließlich hat sich die neuere Religionswissenschaft in Parallele zur Ethnologie bzw. Anthropologie als Anwalt der bedrohten Völker und Kulturen den Neuen Religiösen Bewegungen angenommen. Nicht nur wurden sie als Religionen ernst genommen, zudem ging es darum, die Sektendebatte des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts zu versachlichen (vgl. Artikel über Radikalisierung, Jugend und Sektenberatungen nicht nur im Islam).
Der Konflikt aber besteht darin, dass die Kopie das wahre Original sein will. Der religionswissenschaftliche Text über eine Neue Religion unterscheidet sich sowohl von einem Text aus dem Kontext dieser Religion als auch von z.B. einem abwertenden Porträt in den Medien oder bei wie auch immer motivierten Kritikern dieser Religion. Zwar enthält ersterer nicht die Wertungen der anderen beiden (weder das Euphemische noch das Diffamierende), jedoch allein das Festhalten an einer bestimmten Sicht von Geschichte bringt diejenigen Einschübe mit in die Darstellung, die historisch kritisch eine Selbstdarstellung korrigieren.
Sicherlich ist das nicht notwendigerweise so. Es handelt sich zudem tendenziell um ein westliches Problem eher der Religionen selbst, das sich globalisiert hat (vgl. Interviews über Südkorea und über Eurozentrismus). So suchen alle (auch neuen) Religionen nach einer Legitimationsstrategie, die notwendig auch versucht, Geschichte sinnvoll und verstehbar zu machen: Warum erfolgte eine bestimmte Neuoffenbarung gerade in einer bestimmten historischen Konstellation? Welches gute Leben führt zu einer guten Zukunft? Ist es wirklich eine völlig neue Erkenntnis oder gab es nicht doch schon Vorboten dieser Wahrheit? Was ist denn mit denen, die noch in Unkenntnis der Wahrheit lebten? Oder ist es nicht eher diejenige Wahrheit, die schon immer da war, die nur vergessen wurde? – Eventuell ergeben sich solche Fragen aus erwähntem längst globalisierten Legitimationsdruck.
Der religionswissenschaftliche Text sagt also: Die Religionsgemeinschaft glaubt, die Kopie ist das wahre Original. Und das unabhängig davon mit welchen Mitteln – und ob er es mit Wertungen verknüpft (bzw. zwischen den Zeilen den metaphysischen Gedanken eines Auraverlusts nahelegt oder es als z.B. emanzipatorische “herstory” – im Gegensatz zu “his story” – politisiert). Der Eindruck entsteht auch ohne die Vokabeln “Kopie” und “Original”.
Undenkbar wäre es sicherlich, die historisch kritischen Darstellungen zugunsten solcher alternativer Geschichtsideen aufzugeben. Das wäre im besten Fall Belletristik, aber keine Wissenschaft. Zugleich entsteht gerade durch den universalisierenden Selbstanspruch von (Neu)Religionen dieser Eindruck des Religionswissenschaftlers als Don Quijote, der gegen die Windmühlen einer bunten Rekombination der Religionsideen aus dem Wald der Überlieferungen anschreibt, insofern er sie historisiert, die Ideen bestimmten Traditionen zuweist, eine Offenbarung kontextualisiert, die Quellen einer religiösen Universaltheorie bis in die eigene Fachgeschichte zurückverfolgt und damit deren Universalien häufig eher als “Projektionen” erscheinen lässt, selbst wenn der Religionswissenschaftler das nicht beabsichtigt.
Zwar kann er sich auch auf andere Forschungsinteressen verlegen, doch Religionsgeschichte gänzlich auszublenden wäre fatal.
Eine solche “historische Falsifikation” bedeutet im übrigen keinesfalls das Ende eines historisch unsauberen Remixes religiöser Ideen. Im besten Fall geht nun auch die alternative Darstellung des Wissenschaftlers in die Praxis des Remixens ein.
Fazit: Mut zum Remix?
Und damit wären wir am Schluss: Vielleicht unterscheidet sich die religiöse Szene – und dieser Anspruch scheint sich globalisiert zu haben – in diesem Punkt noch von der künstlerischen. Der bewusste Remix (“Synkretismus”, “Ekklektizismus”, “Bricolage”, “Patchwork”…) wird zwar dem “Genie” der Kunst zugestanden, nicht aber dem der Spiritualität und Religion. Nicht nur, weil in diesen beiden Szenen die Kritik am Genie-Gedanken noch nicht genügend verinnerlicht wurde. Es fehlt, obwohl solche Remixe inzwischen Gang und Gebe sind, nicht allein der oben beschriebene Aura-Kopierer, sondern überhaupt müssten die Bedingungen der Möglichkeit seiner Akzeptanz erst geschaffen werden. Doch vielleicht hat dieser Prozess längst begonnen? Finden sich Zeugnisse freier Spiritualität, die sich – vielleicht analog zur Kunst – positiv als Remix verstehen? Gar im “Remix” erst ihre religiöse Wahrheit betont neu erfinden?
Einsendungen von Antworten sind gerne gesehen.
Kris Wagenseil
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