Die Medien seien wirkungsträchtiger als die Kirchen, zitiert ein Tagungsbericht “Religion in den Medien” auf der Homepage des Deutschen Journalistenverbandes eine These von Kai Hafez. Der Kommunikationswissenschaftler (Erfurt) erläuterte in seinem Vortrag (2008), der Islam werde entsprechend in Deutschland weniger als Religion und mehr als negativ besetzte Gegenwelt wahrgenommen. Auch Jürgen Habermas wandte sich neulich gegen eine Marginalisierung der Religion (vgl. Artikel Sommerschule diskutiert über Nonkonformismus). Doch auch die Konfessionsfreien (oder -losen) können sich als marginalisiert wahrnehmen, gerade weil sie kaum organisiert sind. In der doppelten Funktion als Verleger und Eigentümer des Marburger Wissenschaftsverlages tectum sowie als religionskritischen Buchautoren (“Der Jesuswahn”, “Verführte Jugend”; beides 2011) interviewte REMID Dr. Heinz-Werner Kubitza zum Themenkomplex Religion und Öffentlichkeit.

Folgt man den Ergebnissen des Google Analyse-Tools Ngram (Corpus: German Books, aufgerufen am 25. September 2012, Daten bis 2008), enthalten deutschsprachige Bücher zwar im 19. Jahrhundert um einiges häufiger die Worte "Religion" oder "Gott". Doch haben die christlichen Begriffe sich in den letzten Jahrzehnten stabilisiert, während "Atheismus" und "Humanismus" eine fallende Tendenz haben. Der Islam wurde in beide Graphen eingefügt, um den Unterschied der Größenordnungen zu verdeutlichen. Für eine Großansicht der Grafik klicke man auf das Bild.
Als Verleger eines Wissenschaftsverlages versorgen Sie die Öffentlichkeit mit Medien – darunter Bücher über Religionen und religiöse Phänomene. Zwar zeugt Ihr eigenes Buch “Jesuswahn” von einer bestimmten persönlichen Einstellung zum Thema, Ihr Verlagsprogramm ist aber breiter gestreut. Religionen sind also ein Thema, über welches die Öffentlichkeit umfassend informiert sein sollte?
Wir haben durchaus auch Arbeiten aus der Theologie und der Religionswissenschaft im Programm. Da ich selbst ja auch Theologie studiert habe, finde ich persönlich diese Arbeiten oft besonders interessant. Und sofern es sich um z.B. wissenschaftliche Abschlussarbeiten handelt (Dissertationen vor allem) und eine Universität dafür einen akademischen Abschluss vergibt, habe ich keine Bedenken, diese Arbeiten auch zu veröffentlichen. Allerdings werden in solchen Arbeiten meist auch Themen verhandelt, die z.B. für Gläubige eher nicht interessant sind. So ist das halt bei vielen wissenschaftlichen Titeln. Was ich nicht machen würde, wären religiöse Arbeiten, wo es also direkt irgendwie um Glaubensvermittlung geht. Von solchen Arbeiten (und auch von durchaus vergleichbaren esoterischen Arbeiten) ist der Buchmarkt übervoll. Deren Niveau ist meist erschreckend niedrig. Das scheint nebenbei, in Verbindung mit der Sehnsucht nach religiöser Selbstbefriedigung, das Geheimnis deren Erfolgs zu sein. Religionen sind also im Prinzip im Übermaß schon in der Öffentlichkeit präsent, da brauche ich als Verleger nicht mittun und will dies auch nicht. Religionskritische Schriften, die an die Vernunft und den gesunden Menschenverstand appellieren, sind dagegen Mangelware. Und es gibt auch kaum Verlage, die daran interessiert sind, weil man sich damit leicht das viel größere religiöse Klientel vergrault. In unserem Verlag haben wir seit kurzem eine eigene Sparte, in der Arbeiten zur Religionskritik und zum säkularen Humanismus veröffentlicht werden sollen. Natürlich sind auch meine eigenen beiden Bücher zum Thema dabei, vor allem mein Buch „Der Jesuswahn. Wie die Christen sich ihren Gott erschufen“.
Von der Giordano-Bruno-Stiftung, in der Sie auch Mitglied sind, wurden zu eingeladen, erwähntes Buch vor einem Plenum vorzustellen und zu diskutieren. Wie unterschiedlich ist die Resonanz auf Ihr Buch in der Öffentlichkeit? Wie nehmen Religionsvertreter es auf?
Das Buch ist auf eine Resonanz gestoßen, die mich selbst überrascht hat. Innerhalb kurzer Zeit haben wir eine zweite Auflage machen müssen. Ich habe eine ganze Reihe von sehr positiven Reaktionen bekommen und auch schon ca. zehn Vorträge darüber gehalten. Im Umfeld des säkularen Humanismus ist das Buch bekannt. Inwieweit es auch in religiösen Kreisen gewirkt hat, lässt sich schwer sagen. Vermutlich eher wenig. Meine Kernthese war ja, dass der Jesus der Kirche fast nichts mit dem historischen Jesus zu tun hatte und dass die Kirche also eigentlich ohne Fahrschein in der Weltgeschichte unterwegs ist. Dies sind grob gesagt Ergebnisse der wissenschaftlichen Erforschung des Neuen Testaments und des frühen Christentums, meist von Neutestamentlern an Universitäten. Dies haben also auch protestantische Pfarrer auf der Universität gelernt, und dies wissen auch die Kirchenleitungen, allerdings ohne das deshalb an die große Glocke zu hängen. Kritiker, die die Kirche immer wieder daran erinnern, werden meist totgeschwiegen (siehe z.B. das großartige und umfangreiche Werk von Karlheinz Deschner) oder nach Möglichkeit kaltgestellt (siehe z.B. der Fall Gerd Lüdemann). Dennoch habe ich auch Zustimmung von Pfarrern erhalten, ja sogar von einem Dozenten der katholischen Theologie. Selbst einige der Kirche nahestehende Zeitschriften äußerten sich positiv.
Wie schätzen Sie den Faktor Religion innerhalb unserer Gesellschaft ein?
Die christlichen Kirchen haben immer noch einen großen gesellschaftlichen Einfluss, obwohl die „praktizierenden Christen“ (nicht identisch mit den bloßen Kirchenmitgliedern) sicher nur eine kleine Minderheit in unserem Staat darstellen. Konfessionsfreie gibt es dagegen viele. Aber die sind nicht oder kaum organisiert und haben deshalb weniger Einfluss, als ihnen eigentlich zukommen müsste. Politiker meinen auch immer noch auf Kirchen und Gläubige Rücksicht nehmen zu müssen. Ich bin gespannt, wann die erste Partei erkennt, dass auch die Konfessionsfreien ein großes Wählerreservoir darstellen.
Rückfrage: Jüngst beleuchtete auch der Spiegel online eine Konferenz “Die atheistische Perspektive”. Dabei wurde auf unsere REMID-Statistik zurückgegriffen (vgl. Artikel “Wer sind die Konfessionsfreien?”). Je nach Studie sind die Konfessionsfreien nicht unbedingt mehrheitlich Humanisten, Atheisten und Freidenker?
„Praktizierende Atheisten“, also Menschen, die sich auch aktiv für eine religionskritische und bewusst humanistische Sichtweise entscheiden und das auch vertreten, gibt es nur wenige. Religionskritische und humanistische Organisationen haben nur wenige Anhänger. Dies werden zwar sicher immer mehr werden, doch das Entscheidende scheint mir zu sein, dass der Anteil der Bevölkerung, der mit Gott und Kirche einfach nichts mehr am Hut hat, immer größer wird. Es wird bald die (allerdings bisher noch schweigende) Mehrheit sein. Kirche wird einfach nicht mehr für nötig befunden, auf ihre Heilsversprechen können moderne Menschen gut verzichten. Auch zur Wertevermittlung wird sie nicht gebraucht. In Ostdeutschland liegt die Zahl der Kirchenmitglieder bei unter 20 Prozent, ohne dass dort Anarchie und Verbrechen herrscht. Auch nach der DDR-Zeit gab es da kein religiöses Erwachen. Die Kirchen versuchen aber immer noch ihre Wichtigkeit zu betonen. So etwas Ähnliches haben die alten polytheistischen Religionen am Ende der Antike auch getan.
Die Giordano-Bruno-Stiftung und der Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA) treten dafür ein, z.B. bestimmte Privilegien der Amtskirchen aufzuheben. Welche Entwicklungen halten Sie in Zukunft für realistisch? Was würden Sie sich wünschen?
Ich würde mir natürlich wünschen, dass der Einfluss der Kirchen zurückgeschraubt wird. Die beiden wichtigsten Punkte hierzu wären die Aufhebung der Privilegierung der Kirchen durch die Kirchensteuer und andere direkte oder indirekte Finanzierungen der Kirchen, die Carsten Frerk in seinem Violettbuch Kirchenfinanzen (2010) auf 19 Milliarden Euro jährlich beziffert. Das zweite wäre eine Abschaffung des Religionsunterrichts. Beides passt nicht zu einem weltanschaulich-neutralen Staat. Dies wird auch eines Tages kommen, wenn die Mitgliederzahl der Kirchen noch weiter zurückgeht. Doch im Moment geht die Entwicklung eher in eine andere Richtung, indem der Staat sich nun auch anschickt, die Ausbildung von muslimischen Religionslehrern zu organisieren und zu finanzieren. Statt einer klaren Trennung noch mehr religiös-staatliche Verwirbelungen.
Religionswissenschaftler argumentieren zuweilen für eine weltanschaulich-neutrale Religions- und Weltanschauungskunde. Der Vorwurf an den Ethik-Unterricht, wie er als Alternative zum konfessionsgebundenen Religionsunterricht besteht, ist dabei, dass in ihm zwar Philosophie, aber in der Regel keine Kenntnis anderer Religionen vermittelt werde, welche für das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft erforderlich sei. Wie sehen Sie das?
Natürlich müssen Kenntnisse über die Religionen auch in der Schule vermittelt werden. Aber es dürfen eben keine „religiösen Erkenntnisse“ sein. Eine neutrale Religionskunde wäre sinnvoll und auch einem weltanschaulich neutralen Staat gemäßer als der jetzige Zustand. Diese Religionskunde sollte aber dann nicht von den heutigen Religionslehrern gemacht werden, weil diese meist selbst sich noch religiös-christlich gebunden fühlen (warum haben sie das Fach sonst studiert?). Dass man allerdings überhaupt ein eigenes (und damit zusätzliches) Schulfach dafür braucht, denke ich nicht. So wichtig sind die Religionen nun auch wieder nicht. Ich könnte mir die Integration einer Religionskunde in einen Ethikunterricht gut vorstellen. Als Lehrer kämen neben pädagogisch gebildeten Philosophen auch Religionswissenschaftler in Betracht.
Danke für das Interview.
Das Interview führte Kris Wagenseil.
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