Gleiche Rechte für alle Religionen und Weltanschauungen: Mit offener Religionspolitik kann Deutschland international zum Vorbild werden

Die Bahai-Gemeinde kann Körperschaft des Öffentlichen Rechts werden, das beschloss das Bundesverwaltungsgericht Ende 2012 in Leipzig: “Die absolute Zahl der Mitglieder oder das Verhältnis der Mitgliederzahl zur Bevölkerungszahl ist für sich allein regelmäßig nicht aussagekräftig für die Prognose, ob eine Religionsgemeinschaft dauerhaft bestehen wird. Die Bahá´i-Gemeinde in Deutschland besteht seit über 100 Jahren. Ihre Mitgliederzahl in Deutschland ist dabei langsam, aber konstant angestiegen.” Im Juni 2013 erhält darauf die Ahmadiyya Muslim Jamaat als erste muslimische Gemeinde den Körperschaftsstatus. Ebenfalls im Juni beschloss das Verwaltungsgericht Arnsberg, der Hindu-Tempelverein in Hamm sei als Körperschaft anzuerkennen. Insofern ist es genau der richtige Zeitpunkt, sich über die Zukunft von Religionspolitik Gedanken zu machen. Dazu lud das Forum Offene Religionspolitik (FOR) vom 18.-20. Oktober in Gummersbach zu einer Tagung. REMID stellte vor Ort die religiöse Vielfalt Deutschlands vor. Aktuell folgt ein Interview mit FOR-Mitbegründer Sven Speer.

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Das Forum Offene Religionspolitik hat ein neues Konzept entwickelt, wie mit religiöser und weltanschaulicher Vielfalt umgegangen werden könnte. Wie sieht dieses aus?

Die klassische Antwort auf die Frage, wie mit religiöser und weltanschaulicher Vielfalt umgegangen werden soll, ist die Trennung von Staat und Religion. Mit dieser Position haben wir von FOR ein Problem. Wenn der Staat sich strikt von Religion trennt, macht er religiöse Bürger zu Fremden in ihrem eigenen Land. Statt einer Trennung existiert aber in Deutschland faktisch nach wie vor eine privilegierte Stellung der beiden großen christlichen Kirchen, die sowohl Angehörige kleinerer Gemeinschaften wie auch religiös Ungebundene benachteiligt. Für uns erscheinen weder der Status quo noch eine strikte Trennung als der richtige Weg. Wir fordern, dass sich der Staat konsequent für alle Religionen und Weltanschauungen öffnet. Das Potential einer solchen Öffnung ist vorhanden, da der Staat bereits auf vielfältige Art und Weise mit den beiden großen Kirchen und auch einigen kleineren Gemeinschaften kooperiert. Wir wollen diese Kooperation öffnen und den Staat zum Hilfsmittel für alle Bürger in ihrer Vielfalt machen, anstatt durch den Staat einzelne Kirchen, Religionen oder Weltanschauungen exklusiv zu fördern.

Das Forum wurde 2011 durch eine Initiative unter anderem von Liberalen und Grünen gegründet und versteht sich als überparteilich. Inwiefern kann Offene Religionspolitik für einen anderen neuen Liberalismus stehen?

Für Liberale ist Offene Religionspolitik kein grundlegend neuer Ansatz. Er greift auf einige liberale Traditionslinien zurück. Häufig dominiert bei Liberalen der Ansatz einer „Toleranz der Vernunft“, d.h. dass nur dasjenige toleriert wird, was als vernünftig erscheint. In dieser Tradition stehen beispielsweise liberale Laizisten und andere Befürworter einer strikten Trennung von Staat und Religion. Religion als etwas scheinbar Unvernünftiges hat in diesem Konzept eine nachgeordnete Berechtigung, was den Zugang zur Öffentlichkeit anbelangt. Offene Religionspolitik hingegen steht für die „Vernunft der Toleranz“ und damit für die ebenfalls liberale Idee, dass es vernünftig ist, auch das zu tolerieren, was unverständlich ist und unvernünftig erscheint. Nur wenn sich auch das Abweichende frei entfalten kann, sind die Bürger wirklich frei.

Letztlich zeigen unsere Diskussionen bei FOR aber immer wieder, dass unsere Kernidee keinesfalls auf Liberale im parteipolitischen Sinn beschränkt ist. Bei FOR sind wir stolz darauf, dass unsere Mitgliedschaft parteipolitisch und religiös-weltanschaulich vielfältig ist. Wir nehmen unsere Vielfalt hin, ohne die Unterschiede des anderen im Einzelfall verstehen oder gutheißen zu müssen. Derartige Unterschiede werden in der Tagespolitik häufig zugespitzt und inszeniert, um Alternativen und Wahlmöglichkeiten herauszuarbeiten. Im zivilgesellschaftlichen Rahmen können wir anders arbeiten. Unser Engagement bei FOR ersetzt dabei nicht unsere parteipolitische Arbeit (sofern vorhanden), sondern ermöglicht uns, in mehreren Parteien gleichzeitig erfolgreich Einfluss auf die Diskussionsprozesse zu nehmen.

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Europa ist religiös vielfältiger geworden. Nach dem Eurobarometer 2010 glauben 51% in der EU27 an einen Gott, 24% an “some sort of spirit
or life force”, 20% gaben an, an nichts dergleichen zu glauben. In Deutschland gibt es neben knapp 30% Konfessionslosen 5% Muslime und stabile Minderheiten von Judentum, Hinduismus und Buddhismus. Die Grafik zeigt die Aufteilung der Islamverbände nach der Studie “Islamisches Gemeindeleben” des BAMF vom April 2012. Zur Vergrößerung klicken Sie auf die Grafik.

Copyleft: REMID e.V. unter Creative Commons Lizenz CC BY-SA 3.0.

Sie luden vor kurzem zu einem Seminar in Gummersbach. Während ich für REMID e.V. die religiöse Vielfalt Deutschlands referierte sowie Dr. Gerald Willms über religiöse Minderheiten aus religionswissenschaftlicher Sicht, wurde mit den entsprechenden Positionen z.B. der Humanistischen Union oder derjenigen von Friedrich Naumann zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein religionspolitischer Dialog eröffnet, an dem schließlich auch führende Vertreter der Bahai, der evangelischen Kirche, der Kirche der Heiligen der Letzten Tage, der Aleviten etc. teilnahmen. Wie unterscheidet sich Ihr Konzept von den vorgetragenen übrigen Positionen?

Von der Religionswissenschaft unterscheidet uns, dass unser Schwerpunkt nicht auf der Erforschung von Religion liegt. Bei einigen Veranstaltungen rücken wir die religiös-weltanschaulichen Hintergründe sogar ganz bewusst in den Hintergrund. Dies kann hilfreich sein, um sozusagen theologisch unbelastet religionspolitische Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Gemeinschaften zu finden. Zudem glaube ich nicht, dass es jedes Mal hilfreich ist, zu versuchen, das Gegenüber verstehen zu können. Toleranz heißt, auch das zu erdulden, was unverständlich ist. Das ist viel schwieriger, als das (Selbst-)Verständliche zu respektieren.

Mit der Humanistischen Union haben wir gemeinsam, dass wir den Anspruch haben, uns für Minderheiten einzusetzen. Die HU hat jedoch noch einen starken Impuls aus ihrer Entstehungszeit, vor allem Nichtreligiöse als die wesentliche benachteiligte Minderheit zu betrachten. Inzwischen gibt es aber in unserer Gesellschaft so gut wie keine Mehrheiten mehr. Fast jeder ist irgendwie Minderheit. Muslime beispielsweise sehen sich vielerlei Diskriminierungen in Deutschland ausgesetzt. Wir setzen uns für Minderheiten ein, ganz gleich ob es sich dabei um den Atheisten in Bayern, den Moslem in Hamburg oder den Katholiken in Mecklenburg-Vorpommern handelt. Ich glaube aber, bei der HU in diesem Punkt einen Wandel wahrnehmen zu können.

Von den Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften unterscheidet uns, dass wir religiös-weltanschaulich ungebunden sind und dass wir keine eigenen religionspolitischen Interessen haben. Wir bemühen uns, weder einzelne Traditionen noch einzelne Gemeinschaften zu bevorteilen. Da wir Freiheit sowohl für Katholiken, Protestanten, Muslime, Juden, Atheisten, Agnostiker, Mormonen, Bahai und viele andere gleichzeitig einfordern, stoßen wir auch immer wieder Gemeinschaften vor den Kopf.

Gerade die Unterschiede zu den genannten Akteuren macht die Kooperation mit ihnen für uns so attraktiv. Die jeweiligen Schwerpunktsetzungen befruchten die Diskussion.

Gummersbach war möglicherweise einer der ersten Orte, wo der Vorsitzende der Ahmadiyya, Abdullah Uwe Wagishauser, sowie Bekir Alboga, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime und der DITIB, bei einer Podiumsdiskussion an einem Tisch saßen (vgl. zur näheren Kenntnis der Ahmadiyya REMID-Interview mit Marburger Gemeinde). Themen waren insbesondere der Körperschaftsstatus, aber auch die Rolle der Medien. Welchen Eindruck hatten Sie von der Diskussion?

Ich freue mich sehr darüber, dass es uns gelungen ist, Vertreter des Koordinationsrates, der DITIB, der Ahmadiyya und der Aleviten an einen Tisch zu bekommen. Bei nicht wenigen Veranstaltungen wird allein durch die Teilnehmer der Eindruck verfestigt, der Islam sei monolithisch. Während des Seminars konnten wir aber die Unterschiede zwischen den verschiedenen Strömungen deutlich machen. Ich bin der Überzeugung, dass Unterschiede offen thematisiert werden müssen, wenn wir lernen wollen, mit ihnen umzugehen. Daher war es sehr spannend und produktiv, dass Teilnehmer des Podiums sehr frei und kontrovers gesprochen haben. Für mich ist das auch ein Zeichen dafür, dass wir eine sichere Umgebung dafür geschaffen haben, dass Menschen ihre Meinungen offen äußern und reflektieren. Viele Seminarteilnehmer haben diese Atmosphäre am Ende des Seminars gelobt und berichtet, dass sie ihre eigenen (Vor-)Urteile bspw. gegenüber Muslimen mit diesen diskutieren und lernen konnten.

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Die Ziele des Vereins Offene Religionspolitik (FOR) e.V. werden auf der Webseite mittels der Stichwörter Unbefangenheit, Individuelle Freiheit, Öffentlichkeit und Wahlfreiheit erläutert. Obiges Plakat gehört zu einer Serie, die versucht, dem pluralistischen Ansatz des Konzepts illustrativ gerecht zu werden. Ein Klick auf das Bild führt zum Selbstverständnis des FOR. Die Symbole stehen (von links nach rechts) für Islam, Christentum, Sikhismus, Humanismus, Mormonentum, Alevitentum, Judentum, Hinduismus, Atheismus und Buddhismus.

 

In anderen Medienbeiträgen betonen Sie die Rechte, welche Sie für Säkulare einfordern wollen. Ist es besonders schwierig, diese Zielgruppe für Ihr Anliegen zu gewinnen?

Ja und nein. Unter unseren Unterstützern finden sich neben religiösen Menschen auch viele Säkulare. Ich selbst bin als Agnostiker ebenfalls (eher) säkular. Nicht wenige säkulare Menschen sind sehr tolerant und aufgeschlossen gegenüber der religiösen Praxis in Deutschland. Auch unter organisierten Säkularen, beispielsweise im Humanistischen Verband und der Giordano-Bruno-Stiftung, finden sich Unterstützer einer Offenen Religionspolitik. Gleichwohl gibt es Atheisten, die fest daran glauben, dass die Religion aufgrund des Fortschritts aus der Welt verschwinden werde und eine strikte Trennung von Staat und Religion Ausdruck und Schrittmacher dieses Fortschritts sei. Diese Atheisten fühlen sich offenbar von unseren Ideen besonders bedroht, anders kann ich mir manch harsche Kritik an unseren Ideen nicht erklären.

Baykal Arslanbuga von der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. zeigte sich begeistert von Modell Deutschland und wollte das Konzept der (gleichberechtigten) Körperschaften auch für Ägypten und andere Länder außerhalb Europas anempfehlen. Ist das eine überschwengliche Euphorie oder kommt Deutschland bereits jetzt eine Sonderrolle in religionspolitischen Fragen zu?

Sofern die Kooperation des deutschen Staates konsequent für alle Religionen und Weltanschauungen geöffnet wird, kann Deutschland tatsächlich zu einem Vorbild für andere Länder werden. Für die Idee der Offenen Religionspolitik habe ich u.a. vor Juden in Jerusalem, Muslimen in Kairo, Evangelikalen in Washington, DC, und Mormonen in Salt Lake City geworben und viel Zuspruch erfahren. Wichtig ist, dass alle Gemeinschaften den gleichen Zugang zum öffentlichen Raum und zur staatlichen Förderung erhalten.

Welche nächsten Veranstaltungen sind bereits in Planung? Welche nächsten Schritte will das Forum Offene Religionspolitik gehen?

FOR ist nach wie vor ein kleiner Verein, auch wenn wir in den letzten Wochen einige Eintritte zu verzeichnen hatten. Unsere Arbeit konzentriert sich daher auf Vorträge, Podiumsdiskussionen und die Veröffentlichung von Beiträgen. Für Januar 2014 planen wir eine Veranstaltung anlässlich des Weltreligionstages am 19. Januar in Frankfurt a.M. Bislang haben wir vor allem mit der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung zusammengearbeitet. Unsere Kooperationen wollen wir in Zukunft ausweiten und sind für Angebote und Initiativen immer offen. Da sich unter unseren Mitgliedern mittlerweile viele sehr unterschiedliche Experten aus der deutschen Religionspolitik befinden, liegt ein neuer Schwerpunkt auf der besseren Vernetzung unserer in ganz Deutschland lebenden Mitglieder.

Danke für das Interview.

Das Interview führte Kris Wagenseil.