Im Jahr 2011 erschien das Buch “Open City” von Teju Cole. Der als Obayemi Babajide Adetokunbo Onafuwa in den USA geborene und teilweise in Lagos aufgewachsene Schriftsteller, Fotograf und Kunsthistoriker lässt darin den Protagonisten Julius mit vergleichbaren Migrationserfahrungen, von Beruf aber Psychiater, durch New York der Jahre 2006, 2007 spazieren (mit Ausnahme der Kapitel 7-11, welche in Brüssel spielen). In einem Interview mit Ekkehard Knörer (Merkur, 2012) sagt Cole, “ich wusste, dass es um diesen Zustand nach 9/11, um die Nachwirkungen dieses Ereignisses und dieser Verluste ging. Wir haben ja einfach weitergelebt, aber es blieb etwas Unabgegoltenes, Unabgeltbares…”. Es geht dabei also auch um eine Selbstverortung einer Stadt wie New York (oder aktuell Paris) im Angesicht eines islamistischen Terrors (vgl. dazu Der Salafismus und die dschihadistische Idee).

“The Melting Pot” war auch der Name eines Theaterstückes von Israel Zangwell (1908). Der Protagonist David Quixano erlebte als Angehöriger einer jüdischen Minderheit im zaristischen Russland einen Pogrom, und Amerika als “Schmelztiegel” gibt ihm Hoffnung auf eine zukünftige Gesellschaft frei von Rassismus und Hass. Das Theaterstück popularisierte diese Versinnbildlichung Amerikas. Die Freiheitsstatue auf dem Theaterplakat verweist direkt auf New York.
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Die offene Stadt als locus amoenus und locus terriblis
Der Titel “Open City”, so Cole im Interview mit Kate Welsh (The Oyster Review, 2015), sei einerseits inspiriert durch geläufige Redewendungen (“Naturally, one thinks of ‘open minded’, ‘open hearted’, and so on“), andererseits dachte Cole an militärische Situationen während des Zweiten Weltkrieges. Cole nennt Brüssel, gefunden habe ich es für Paris, das im Juni 1940 zur “open city” erklärt wurde. Mit dem Feind, den Nazis, wurde vereinbart, dass kein Widerstand zu erwarten sei, auf dass die Stadt so weit wie möglich versehrt bleiben möge – allerdings wird die Bevölkerung dabei der Invasionssituation ausgeliefert. “Rome, Open City” war der Titel einer mit englischen Untertiteln versehenen Version des Rossellini-Klassikers “Roma, città aperta” von 1945.
Neben und vor Cole bestehen weitere eher positive Besetzungen des Begriffes der “Open City”. Ein von 1990 bis 2010 bestehendes literarisches “Open City Magazine”, dessen Verlag heute noch Bücher herausbringt, macht aus seinem Namen ein progressiv ausgerichtetes Kunstprinzip unter Rückgriff auf die Trickster-Figur des Hermes aus der griechischen Mythologie (eine Trickster-Gottheit oder göttlicher Schelm wird aufgrund von Zaubermacht o.ä. als positiv wie negativ ambivalente Gottheit betrachtet, vgl. am Beispiel Thoths und Seths Georg Meurer, Die Feinde des Königs in den Pyramidentexten, 2002, S. 60):
“Literary and urbane, the magazine harkens back and forward to the tradition of Baudelaire’s Flaneur or Whitman’s long riffs on the Lower East Side. […]. Think of Hermes as embodied in a literary magazine, the magazine as literary boundary-crosser, putting into language and art the ways in which a society actually speaks its social and private worlds. […]“ (Open City Magazine, unter Verwendung eines Zitats von Catherine Bowman)
Weiter entfernt vom Cole’schen Begriff, aber von ihrem utopischen Gehalt nicht ganz uninteressant bei dieser Buchbesprechung sind folgende Konzeptionalisierungen von “open cities”. Das Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam veranstaltete 2012 einen Expertenworkshop “Closed-Cycles, Open City”. Es wurde nicht geprüft, inwiefern diese Terminologie schon länger in der Nachhaltigkeitsforschung üblich ist:
“We could say that our cities have evolved from ‘open’ to ‘closed’, not just literally in the form of gated communities, campuses and shopping malls, but also in the form of social segregation, functional specialization and a greater rural-urban division.” (Webseite IASS Potsdam).
Während hier das mit der “open city” markierte Ideal in der Vergangenheit liegt, und die zugrundeliegende Entwicklung als eher nicht nachhaltig eingeschätzt wird, verwendet der bekannte Soziologe Richard Sennett den Ausdruck für eine Utopie in der Zukunft – und zwar bei einer Festrede anlässlich der Eröffnung des Präsentationsjahres der Internationalen Bauausstellung Hamburg am 23. März 2013 im Bürgerhaus Wilhelmsburg mit dem Titel “Open City”. Es geht um „Städte, in denen jeder leben möchte”, leitet Sennett ein. Mit Systemtheorie, Konstruktivismus und Kybernetik wird argumentiert, “gegenwärtig machen wir unsere Städte zu geschlossenen Systemen. Um sie zu verbessern, sollten wir sie zu offenen Systemen machen”. Als Beispiele für offene Systeme nennt Sennett “Zufallsereignisse, mutierende Formen, Elemente, die sich nicht homogenisieren lassen oder nicht austauschbar sind”. Außerdem nennt er die Begriffe „nichtlinear“ und „Autopoesis“. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle alle diese Begriffe angemessen zu erklären. Nehmen wir diese Terminologie hin als naturwissenschaftlich inspirierte Mystik, in deren Worten des Ganz Anderen eine Stadt möglich werden soll, “in der jeder leben möchte”. Hier wird Offenheit zum Garant einer neuen utopischen Stadt der Zukunft.

Diese sogenannte “Mandelbrot”-Grafik oder “Apfelmännchen” ist eine Visualisierung einer nichtlinearen Gleichung. Die entsprechende mathematische Mandelbrot-Menge ist “eine fraktal erscheinende Menge, die eine bedeutende Rolle in der Chaosforschung spielt” (Wikipedia).
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Damit seien die positiven Aspekte, die Cole im Interview nur kurz umreißt, noch ein wenig ausgeleuchtet, um auch die Antipode, das Bild von New York als einer ausgelieferten Stadt im militärischen Sinne einer “open city”, besser erfassen zu können. Dieses Bild ist dabei durchaus problematisch. Die militärische Sprache verhängt das Kriegsrecht. Ich habe kein Interview gefunden, in dem Cole erläutert, dass er damit auf die Problematik verweisen will, dass der Kampf gegen den Terror die Grenze von Zivil- und Kriegsrecht verwischt. Die Terroristen sind keine Soldaten eines staatlichen Militärs und handeln nicht unbedingt im Auftrag eines Staates. Das berührt auch aktuelle Debatten über Einsätze der Bundeswehr im Inland. Jedenfalls so gesehen steht “Open City” auch für eine Angst, welcher der Protagonist mit seinem psychiatrischen Blick nachspürt. Insofern ist es auch eine konservative Positionierung – neben der vielleicht links-liberalen der Open City als “open-minded” city.
Ein guter, aufgeklärter Liberaler und ein charmanter Psychopath
Das Buch ist in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil trägt den Titel “Der Tod ist eine Vervollkommnung des Blicks” (Kapitel 1-11; Kap. 7-11 in Brüssel). Der zweite Teil heißt „Ich habe in mir selbst gesucht“ (Kapitel 12-21). In Kapitel 20 konfrontiert die frühere Jugendfreundin Moji den Protagonisten Julius, dass er sie 1989 als Vierzehnjähriger vergewaltigte. Auch hier können wir den Autor selbst zitieren, warum ihm diese Schuldhaftigkeit des Protagonisten wichtig ist:
“Ich wollte einen Erzähler, der nicht unschuldig ist, der impliziert ist in das, was er berichtet, ja, der Dinge auslöst und verursacht. Es war gerade das Fehlen der Unschuld, das mich interessiert hat. Er ist nicht der Schwarze, der unter der Unterdrückung der Weißen leidet und so fort. Andererseits wollte ich auch keine Figur wie Meursault in Camus‘ Der Fremde – keinen „bad guy“, für den man keine Sympathie empfinden kann. Er ist ja ein guter, aufgeklärter Liberaler, aber das schließt persönliche Schwächen keineswegs aus.” (Merkur-Interview, a.a.O.)
Die Erzählweise ist dabei das Spezische an Coles Roman. Im Interview äußert Cole (mit Jeffrey Brown, Art Beat, PBS, 2011): “It’s not a plot-driven book. It’s an ideas-driven book. But it’s also a book that’s driven by the narrative voice”. Als Vorbilder werden u.a. James Joyce („Dubliners“, 1904-7) und John Berger („Here is where we meet“, 2005) genannt (unter dem Aspekt einer “absence of speech indicators”). Auch Virginia Woolf. Cole wollte gerade nicht einer sozusagen naiv-realistischen Erzählkunst im Stil von Jane Austen und Charles Dickens nacheifern. Ihn interessieren die literarischen Experimente der ästhetischen Moderne.
Der narrative Stil lässt sich mit einem Beispiel (S. 37-43, dt. Übersetzung, 2. Auflage 2014) erläutern: 1. Auf die Begegnung mit einem „Krüppel“ folgt eine Assoziation in Richtung Yoruba-Religion: “Mir kam der Gedanke, dass möglicherweise Obatala seine Finger im Spiel hatte, der Schöpfergott, der im Auftrag von Olodumare die Menschen aus Lehm formte. […] Die Yoruba glauben, dass Obatala im Vollrausch Zwerge und Krüppel, Menschen mit fehlenden Gliedmaßen und chronisch Kranke produzierte”. 2. Erst jetzt wird der Zweck seiner aktuellen Fahrt mit der Linie 1 eingeführt, ein Kinobesuch. Vor diesem will er etwas “Zeit tot[..]schlagen” in einer Buchhandlung, es geht um “The Monster of New Amsterdam”, “eine historische Biographie von einer meiner Patientinnen” über Cornelis van Tienhoven (17. Jh.). Ihm und der Patientin sind jetzt mehrere Seiten gewidmet. 3. Den Weg von Buchhandlung zum Kino begleiten Gedanken über die kleine Eiszeit, Klimawandel-Skeptiker und „eine Art antiwissenschaftliche Laune“ (S. 42). 4. An der Kinokasse erfährt man, dass der Film in Afrika spielt. Im folgenden Abschnitt wird allmählich verraten, es handelt sich um „Der letzte König von Schottland“ (2006) – gemeint ist Idi Amin Dada, „Diktator von Uganda in den Siebzigerjahren“.

Obatala ist in der Religion der Yoruba, in der kubanischen Santería und im brasilianischen Candomblé diejenige Schöpfergottheit, welche die Menschen aus Lehm geformt oder aus Metall gegossen hat (nach Wikipedia). In Ile-Ife in Nigeria hat Obatala einen Tempel. Dort findet regelmäßig ein Jahresfest zu Ehren des Gottes oder Orisha statt. Das Bild zeigt eine Statue von Obatala in Costa do Sauípe, Brasilien.
Bild von Isha (um 2009) unter Creative Commons Lizenz CC BY 3.0.
Nach Brüssel reist Julius, um den Spuren seiner deutschen Großmutter nachzuspüren, die nach Belgien ins Exil gegangen war:
“Brüssel war wie eine Stadt im Wartezustand, wie unter einer Glaskuppel, mit traurigen Straßenbahnen und Bussen. Überall sah ich Menschen, viel mehr als in anderen europäischen Städten, die so wirkten, als wären sie gerade aus einer sonnendurchfluteten Ferne angereist. Ich sah alte Frauen mit schwarzen Mustern um die Augen, ihre Köpfe in dunkle Tücher gewickelt, und junge Frauen, die gleichermaßen verschleiert waren. Der Islam in seiner konservativen Form war überall präsent, doch waren mir die Gründe nicht klar: Belgien hatte nie zu einem nordafrikanischen Land in einem kolonialen Verhältnis gestanden. Doch das war die europäische Gegenwart, die Grenzen waren durchlässig. Die psychische Anspannung der Stadt war überall spürbar” (S. 128).
Nach einer fragwürdigen Assoziationskette Islam – durchlässige Grenzen – psychische Anspannung geht es unmittelbar darauf um Rassismus und rechtspolitische Agitation. Diese Dialektik ist typisch für “Open City”.
In Belgien trifft Julius auch auf Farouq und Khalil. Aus deren Gespräch in einer Brüsseler Kneipe sei Folgendes zitiert:
“Und was ist mit der Hisbollah, fragte ich, unterstützt du die auch? Ja, sagte er [Khalil], Hisbollah, Hamas, alles dasselbe. Es geht um Widerstand, ganz einfach. In jedem israelischen Haushalt gibt es Waffen. Ich sah Farouq an. Ruhig erwiderte er meinen Blick und sagte: Ich sehe das genauso. Es geht um Widerstand. Und was ist mit al-Qaida?, fragte ich. Khalil sagte, die Twin Towers, klar, das war ein schlimmer Tag. Schrecklich. Was sie gemacht haben, war sehr schlecht. Aber ich verstehe, warum sie es gemacht haben. Dieser Mann ist ein Extremist, sage ich, hörst du, Farouq? Dein Freund ist ein Extremist. Ich tat empörter, als ich war. Bei diesem Spiel, falls es eins war, sollte ich wohl die Rolle des empörten Amerikaners übernehmen, dabei spürte ich viel mehr Trauer als Wut. Doch mit Wut und dem halbernst gemeinten Wort Extremist ließ sich leichter umgehen als mit Traurigkeit. Exakt so stellen sich Amerikaner die Gedanken von Arabern vor, sagte ich zu den beiden. Wie deprimierend. Und du, was ist mit dir, Farouq? Unterstützt du al-Qaida auch?” (S. 158).
Farouq antwortet mit einer “Geschichte aus unserer Tradition” über König Salomon. Möglicherweise steht hier die Rastafari-Religion Pate, in welcher König Salomon und der Königin von Saba eine besondere Rolle zukommt (vgl. Heinz-Jürgen Loth, Die Anfänge von Rastafari und das Problem der Afrikanizität, Jena 2009). Es geht um die Schlange und die Biene, “[d]ie Schlange, sagte er, verteidigt sich, indem sie tötet[; d]ie Biene dagegen verteidigt sich, indem sie stirbt”. Farouq, der ansonsten als antiimperialistischer Linker gezeichnet wird, unterstütze al-Qaida nicht, aber er verurteile sie auch nicht. Die Palästina-Frage sei “die zentrale Frage unserer Zeit” (S. 159). Der Erzähler entfremdet daraufhin die Gesprächssituation, indem er Farouqs Gesichtszüge verschwimmen lässt. Der “unbekannte[.] marrokanische[.] politische[.] Philosoph” wird zum “Ebenbild von Robert De Niro, vor allen in der Rolle des jungen Vito Corleone in Der Pate II” [The Godfather II, 1974]. So ist es dann ein “charmante[r] Psychopath” (S. 160), welcher schließlich äußert: “Für uns ist Amerika eine Variante von al-Qaida”. Der Erzähler demontiert diesen Satz gleich viermal: 1. “Der Satz war so allgemein, dass er jegliche Bedeutung verloren hatte”, 2. “Er hatte keine Kraft, und er war ohne Überzeugung vorgebracht worden”, 3. “Ein Satz, der mit viel Rauch aufstieg und sich rückstandslos auflöste”, 4. “Vor einigen Wochen hätte er noch mehr bedeuten können, als derjenige, der ihn aussprach, noch eine unbekannte Größe war. Jetzt hatte ich ihn bei einer übermäßigen Dramatisierung ertappt”.
Allerdings schon bei der Einführung der Farouq-Figur einige Seiten zuvor, wurde der belesene Linke, gerade mit einer Lektüre von Walter Benjamin beschäftigt, zu einem Sinnbild der Jugend stilisiert, und wenn man es so lesen möchte, der besonnene Protagonist Julius als dessen Antipode:
“S. 140: Mir war gerade klargeworden, dass auch er [Farouq] von Wut und Rhetorik angetrieben wurde, auch wenn seine Position im politischen Spektrum attraktiv war [S. 139: “anonym wie Marx in London”, S. 138: mit einer Begeisterung für Malcolm X]. Krebsartig hatte sich die Gewalt in jede politische Idee hineingefressen und hielt sie besetzt; für viele zählte nur die Bereitschaft, irgendetwas zu tun. Aktionismus war Selbstzweck geworden und führte zu noch mehr Aktionismus. Und das beste Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen und die Jugend für die eigene Sache zu gewinnen, war Wut [auf S. 139 wird ähnlich über “Wut” im Kontext der rechtsnationalen “Verteidiger Flanderns” gesprochen]. Die einzige Möglichkeit, dieser Verlockung von Gewalt nicht zu erliegen, schien darin zu bestehen, kein Anliegen zu haben, fern jeglicher Loyalitäten zu bleiben, sich rauszuhalten. Doch war das nicht eine gravierendere ethische Verfehlung als die Wut selbst?” (S. 140f.).
Damit ist vielleicht die Aporie des Werks, “eine unauflösbare theoretische Problemstellung”, schlechthin herausgestellt. Und vielleicht ist das der Grund, warum die Mannigfaltigkeit der Bezüge, seien sie solche “westlicher” Kulturtraditionen oder transkulturelle Gegenerzählungen mit einer außereuropäischen Provenienz, etwas manieristisch wirkt. Diese Bezüge scheinen kein Anliegen zu haben. Sie sind Assoziationen, deren Anfang und Ende mit einer Beobachtung von Zugvögeln und ihren Wanderungen markiert wird, mit denen das Buch eröffnet und beendet wird. Anliegen und Loyalitäten – das findet man bei den unterschiedlichen Figuren der Begegnungen des Protagonisten, welche ein umfassendes Spektrum von Lebensentwürfen repräsentieren.

Malcolm X alias Malcolm Little oder – nach seiner Pilgerreise nach Mekka 1964 – El Hajj Malik el-Shabazz war ein amerikanischer Bürgerrechtler. Er war zeitweise prominentes Aushängeschild der Nation of Islam oder Black Muslims. Diese wiederum sahen in ihrer Entstehungszeit den Islam als Religion der Unterdrückten, zunächst ohne Kontakt zu einem real-existierenden orthodoxen sunnitischen Islam. Elijah Muhammad bzw. Poole gibt an, 1931 das Wort Allahs mittels Wallace Fard Muhammad empfangen zu haben. Es galt die “Sklavenhalternamen” abzulegen und sich islamische Namen zuzulegen. Nach seinem Tod 1975 spaltete sich die Gruppierung. Eine Gruppe unter Führung von Wallace Deen Muhammad näherte sich dem sunnitischen Islam an und nennt sich heute World Community of Al-Islam in the West. Malcolm X trat bereits 1964 aus und gründete die Organisation “Muslim Mosque, Inc”.
Bild von Marion S. Trikosko (1964), Public Domain.
Das letzte längere Zitat lässt dabei alle als Verlierer zurück. Den gemäßigten liberalen Intellektuellen Julius, der kein vergleichbares Anliegen zu haben scheint und sich offenbar eher “raushält”, statt etwa etwaige Anliegen auf einem demokratischen und zivilgesellschaftlichen Weg zu verfolgen. Zumindest wird das nicht in Erwägung gezogen. Auch die Jugend und ihre Wut, deren politische Ideen scheinbar notwendig in einem blinden Aktionismus enden müssen, verlieren. Die Parallelisierung mit Wahlen in Belgien und dem enormen Zuwachs der rassistischen “Vlaams Belang” (S. 130) lässt parlamentarische Demokratie sogar eher als eines der Spielfelder der Wut erscheinen. Sie steht hier also nicht notwendig im Gegensatz zu der so genannten “Verlockung von Gewalt”.
Insgesamt ist es ein eher melancholisches Buch mit einer Tendenz zur Innerlichkeit bei gleichzeitiger besonderer Betonung von Außeneindrücken, die als Zeichen, Symptome nicht nur eines Städte-Psychogramms fungieren. Im Grunde ist das ganze Projekt, als wandernder Psychiater über das Innenleben des New Yorks nach Nine Eleven zu einer Selbsterkenntnis zu gelangen (“Ich habe in mir selbst gesucht”), die raffinierte Geschichte eines Scheiterns.
Kris Wagenseil