Der Überlebenskampf des Christentums im „Sumpf“ Japans? Christliche Bewegungen zwischen japanischem Buddhismus und portugiesischem Katholizismus

SILENCE erschien am 02. März 2017 (Trailer, Eintrag IMDB) in den deutschen Kinos und gilt als das Herzensprojekt von Oscar-Preisträger Martin Scorsese (Regisseur). Basierend auf dem Roman „Schweigen“ von Shūsaku Endō, thematisiert der Film historische Ereignisse an Einzelschicksalen, die in eindringliche Landschaftsaufnahmen eingebettet sind. Im Zentrum steht Pater Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield), welcher zusammen mit seinem Jesuitenbruder Pater Francisco Garpe (Adam Driver) im Jahr 1638 von Portugal aus nach Japan aufbricht. Dort versuchen sie ihren spirituellen Mentor und berühmten Bruder Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) wiederzufinden. Auf diesem Weg begegnen sie dem christlichen Glauben in Japan und erleben die dortige Christenverfolgung mit. Gewidmet ist der Film den japanischen Christ_Innen und ihren Geistlichen. Lesen Sie im Folgenden einen Gastbeitrag von Kristina Göthling (Religionswissenschaft Bochum).

 

Bild-ID: COC_IL_Plakat_297x420_RGB. © 2017 Concorde Filmverleih GmbH.

 

Das historische Japan war im dargestellten Zeitraum – 17. Jahrhundert – von Außenbeziehungen weitgehend abgeschottet. Waren zuvor Holland, England, Spanien und Portugal stark in Japan tätig, so wurde lediglich den Niederlanden noch die Aufrechterhaltung der Handelsbeziehung erlaubt. Portugiesische Jesuiten waren in Japan zumeist als Übersetzer tätig, missionierten jedoch eine Großzahl von Japaner_Innen der unteren sozialen Stände (besonders Anhänger_Innen des Bauernstandes) zum Christentum. Gerade der Glaube an ein Heil, welches standesunabhängig erreicht werden konnte, muss hier als zentral gelten. Diese grundlegende Thematik ist im Film präsent. Die Hoffnung in das „Paradieso“ aufzusteigen, wird von japanischen Christ_Innen immer wieder betont, und die Bedrohung für die portugiesischen Padres Sebastião und Francisco ist immanent.

 

Jesuitenbriefe wurden in sogenannten “Relationes” zusammengefasst. Die hier behandelten Ereignisse erfuhren deutschsprachige Leser teilweise aus “Historischer Bericht/ Was sich in dem grossen unnd nun je lenger je mehr bekandten Königreich China/ in verkündigung deß H. Evangelii und fortpflantzung des Catholischen Glaubens/ von 1604. und volgenden Jaren/ denckwürdigs zugetragen” von Fernão Guerreiro (Augspurg : Dabertzhofer, 1611 = VD17 23:238652M).

 

Die Einordnung in den historischen Kontext erfolgt im Film über drei Erzähler, die ihre Briefe / Tagebücher vorlesen. Zu erst wird ein Brief von Pater Cristóvão Ferreira eingeführt, welcher die Umstände der Christenverfolgung in Japan schildert. Dieser gilt als Auslöser für den Beginn der Reise von Sebastião und Francisco. Von nun führt der Reisebericht, welchen Sebastião, Pater Alessandro Valignano (Ciarán Hinds) in Portugal zusendet, durch die Erzählung. Die beiden Jesuitenbrüder gelangen in ein Dorf in Japan, in welches sie von ihrem Begleiter Kichijiro (Yōsuke Kubozuka) geführt werden. Dort treffen sie auf eine christliche Gemeinschaft, die bereits eigene Formen ihrer Religion ausgebildet hat. Ihr Lehrer und Spender des Taufsakraments ist der sogenannte Ji-Samma (deut. in etwa „weiser Mann“, „alter Mann“) Ichizo (Yoshi Oida). Sebastião und Francisco verstecken sich in der Nähe des Dorfes, um keine Aufmerksamkeit auf sich und die Gemeinschaft zu ziehen, da die Männer des Inquisitors Inoue (Issei Ogata) vermehrt nach den Kakure Kirishitan (verborgene Christ_Innen) suchten. (Der Begriff “Inquisitor” ist aus dem Film entlehnt, und korreliert so mit der christlichen Inquisition, die sich gegen „Häresien“ wandte. Inoue Masashige gilt offiziell als Großinspekteur, welcher eine Schlüsselrolle in der japanischen Christenverfolgung einnahm). Allein durch ihr europäisches Aussehen, würden die Priester auffallen. Die beiden Padres leiten die Gemeinde vor Ort an, spenden Sakramente und verteilen Symbole des Glaubens. Kichijiro nimmt hier eine Sonderrolle ein, da er bei der Beichte gesteht, dass seine ganze Familie während der Christenverfolgung starb, da sie sich weigerten ein Abbild Christi mit Füßen zu treten, welches als Beweis der Apostasie von den japanischen Beamten gefordert wurde. Kichijiro selbst hatte aber, um sein Leben zu schonen, abgeschworen. Seit dem hadert er mit seinem Gewissen, ob er nun noch Christ sei oder Gott ihn nicht mehr anerkennen würde. Sebastião zeigt Verständnis für seine Situation.

 

Fumie (wörtlich „Tretbild“) war eine Bezeichnung für Bilder christlicher Symbole, welche in Japan zwischen den 1620er und den 1850er Jahren zum Einsatz kamen, um Christen ausfindig zu machen, welche zum Beweis ihrer nicht-christlichen Gesinnung ein solches Bild zertreten sollten.

Bild von Chris73 unter Creative Commons Lizenz CC BY-SA 3.0.

 

Als trotz der Vorsicht, die Männer des Inquisitors in das Dorf gelangen und dort u.a. den Ji-Samma, sowie zwei weitere Christen zu Tode foltern, trennen sich die Wege der beiden Jesuitenbrüder. Sebastiãos Geschichte rückt nun in den Fokus und wir erfahren von seinen Zweifeln am Glauben. Er hinterfragt das Elend der Welt und klagt Gott für sein SCHWEIGEN an. Nachdem er erneut auf Kichijiro trifft, verrät dieser ihn an den Inquisitor, was den Beginn der Gefangenschaft von Sebastião bedeutet. Nun werden vertieft die höheren Stände der japanischen Kultur eingeführt und die Problematik des Kulturkonflikts angesprochen. Der Vorwurf, dass christliche Priester mit zu wenig Respekt gegenüber der japanischen Kultur versuchen zu missionieren und zu urteilen, wird laut. Sebastiãos Glauben schwankt dabei immer mehr. Verstärkt wird dies durch die Aufforderung, dass er von seinem Glauben abschwören soll, um das Leid der anderen Gefangenen umgehend zu beenden. Tut er dies nicht, so müsse er – bis jetzt von der körperlichen Folter verschont – weiterhin den Qualen der Gefolterten hilflos zu sehen. Sebastião erlebt dann den Tod seines Bruders Pater Francisco Garpe mit, als dieser versuchte andere Christin_Innen vor dem Tod zu bewahren. Daraufhin folgt eine längere Phase der Inhaftierung in Nagasaki. Auch hier wird der Leidensprozess von Sebastião thematisiert, sowie der Kulturaustausch zwischen japanischem Buddhismus und portugiesischem Katholizismus weiter vorangetrieben. Der Inquisitor Inoue versucht Sebastião zu verdeutlichen, dass im „Sumpf“ Japans, kein fremdländischer „Baum“ Wurzeln schlagen könne, also das Christentum in der japanischen Kultur nicht wirken kann. Sebastião hingegen weicht von seiner Meinung, dass das Christentum nur nicht gedeihe, weil die „Wurzeln des Baumes“ durch die Christenverfolgung vergiftet wurden, nicht ab.

Im Zuge dieser Gefangenschaft trifft Sebastião dann endlich auf Bruder Cristóvão Ferreira, welcher mittlerweile seinen japanischen Namen Sawano Chūan (deutsch in etwa: „der Mann, der Frieden gefunden hat“) führt. Er arbeitet mittlerweile für den Inquisitor und verfasst u.a. ein Buch, welches über die Irrtümer des Christentums aufklären soll. Ferreira berichtet, wie er die Folter überlebte und danach dem Glauben abgeschworen habe, um sein Leid und das Leid seiner Mitgefangenen zu beenden. Zudem bestätigt er die Aussage Inoues, indem er anführt, dass es nie eine „wirkliche“ christliche Gemeinschaft in Japan gegeben habe, sondern diese auf der Basis von Missverständnissen und Sprachbarrieren entstanden sei. Dies lässt den Glauben des jungen Padres Sebastião weiter wanken. Als Sebastião dann selbst Zeuge von besonders grausamer Folterpraktiken wird, schwört auch er dem christlichen Glauben endgültig ab. In dem Moment, wo Sebastião Rodrigues mit sich hadert, ob er das Abbild Gottes mit Füßen treten soll, bricht Gott sein SCHWEIGEN und erteilt Sebastião Absolution für sein Handeln.

 

Dieses Monument der Sugimoto Familie im Friedhof des Zuirinji-Tempels in Tokyo trägt am rechten Rand den Namenseintrag,Chūan Joko Sensui, den buddhistischen neuen Namen von Cristóvão Ferreira. Zitiert nach: Hubert Cieslik, S. J.: The Case of Christovão Ferreira. In: Monumenta Nipponica, Vol. 29, No. 1. (1974), S. 1-54.

 

Der folgende abschließende Abschnitt des Films wird durch die Tagebücher eines holländischen Handelsreisenden erzählt: nun wird auch Sebastião in die japanische Kultur aufgenommen, erhält einen anderen Namen und lebt mit einer japanischen Frau und ihrem Kind zusammen. Beständig schwört er immer wieder dem Glauben ab. In der Abschlussszene schaut man auf die, nach buddhistischen Riten beigesetzte Leiche Sebastiãos, und erblickt, dass dieser in seinen Händen ein handgeschnitztes Kruzifix hält, welches ein Christ aus dem japanischen Dorf zu Beginn seiner Reise geschnitzt hatte. Mit diesem Bild endet der Film und verweist auf die Aussage, dass der Glaube von Sebastião nie gebrochen worden sei und immer noch bestand hatte. SILENCE zieht den Gedanken der SCHWEIGENS durch den gesamten Film. Er zeigt sich in dreierlei Form: 1. das komplette Ausbleiben einer Filmmusik, 2. das SCHWEIGEN Gottes, welches zentral für die Geschichte von Sebastião ist, 3. das SCHWEIGEN der christlichen Bevölkerung Japans, die gezwungen wurde im Untergrund zu leben. Hierbei wird einzig das SCHWEIGEN Gottes aktiv gebrochen, wodurch aber die Stimme des Christentums in Gestalt von Sebastião Rodrigues dann verstummt, da er sich in die japanische Kultur einfügt.

Der Film plädiert für die Möglichkeit des individuellen Glaubens ohne strikte Regeln. Denn, obwohl der Film den katholischen Glauben in der Form der Jesuitenpadres stark in den Fokus rückt, scheint er dennoch nicht der Idealtypus zu sein, denn alle handelnden Akteure, die Anhänger dieses Glaubens sind – Pater Sebastião Rodrigues, Pater Francisco Garpe und Cristóvão Ferreira – sterben durch/für ihn oder fallen von ihm ab. Der japanische Buddhismus, welcher anhand von statushohen Japanern eingeführt wird, weicht stark von dem in der westlichen Welt häufig propagierten Bild des „friedlichen Buddhismus“ ab, da in SILENCE auch eine gewaltsame, grausame und brutale Seite dieser Religionsfamilie gezeigt wird. Die Sinnlosigkeit eines religiösen Konflikts führt der Film ebenfalls mit an, da dargestellt wird, dass die Leittragenden dieser Auseinandersetzungen die „einfache“ Bevölkerung – hier Angehörige des Bauernstandes – sind. Diese Leittragenden entwickeln hier aber auch Beispiele für Synkretismen von japanischem Buddhismus und portugiesischem Katholizismus, die so u.a. Jesus Christus mit der Sonne in Verbindung setzen, die Heilserwartung des Paradieses bereits schon nach der Taufe erfüllt hoffen, oder andere Gemeindestrukturen wie u.a. den Ji-Samma bevorzugen. Die Zerrissenheit ihres Glaubens wird in der Rolle des Kichijiro besonders deutlich: er leidet darunter, dass er als Christ in einer Zeit leben muss, in der er verfolgt wird. Zum Erhalt seines Lebens handelt er gezwungener Maßen pragmatisch, auch wenn dies den Verrat am Glauben bedeutet. Nach jedem Verrat versucht er erneut die Absolution durch das Beichtsakrament über Padre Sebastião zu erhalten. Er durchbricht jedoch dieses Muster, als bei einer erneuten Inspektion ein christliches Amulett bei ihm gefunden wird und er diesmal Sebastião nicht beschuldigt – zudem sucht er den Padre auch nach dessen Entsagung vom Glauben noch auf, und spricht über den christlichen Glauben.

 

Die Gerüchte sind wahr – Ferreira (Liam Neeson) in einem buddhistischen Kloster. © 2017 Concorde Filmverleih GmbH.

Bild-ID: Silence-05276_R. © 2017 Concorde Filmverleih GmbH.

 

Der Film kann als Plädoyer für den friedlichen Glauben gelesen werden. Hierfür ist der gegenseitige Respekt zentral, welcher an vielen Stellen betont wird. Die Praktik der Folter wird durch SILENCE auf das Tiefste verurteilt: Hiermit ist jedoch sowohl die Folter anderer, wie auch die Folter gegen sich selbst gemeint. Auch an der gewaltsamen Missionierung wird Kritik geübt: der Zirkelschluss, dass die Jesuitenpadres, die zur Stärkung des Christentums – Missionierung – nach Japan gegangen sind, am Ende selbst gewaltsam die japanische Kultur annehmen müssen, zeigt die Problematik ihres Unterfangens auf. Die Folter, die sich gegen sich selbst richtet, zeigt sich an Sebastião, welcher im Sinne der imitatio Christi den Leidensweg Jesu nachempfinden will. Bildlich wird dies durch die Verschmelzung seines Gesichts mit einem Gemälde von Jesus umgesetzt – welches besonders deutlich nach Kichijiros Verrat sichtbar wird. Dieser Verrat wird in der Erzählung mit der Abendmahlsgeschichte und dem Verrat des Judas gleichgesetzt. Sebastião sieht sein Leiden als Prüfung seines Glaubens, und so auch den Umstand, dass andere Christ_Innen sterben müssen, deren Tod er, mit seinem Glaubensabfall hätte verhindern können. Erst Cristóvão Ferreira erklärt ihm, dass der Vergleich mit Jesus hochmütig sei, was den Prozess seines Apostasie begünstigt.

SILENCE erzählt die Geschichte der historischen Christenverfolgung in Japan anhand von Einzelschicksalen nach, wodurch sie greifbarer und realer wirkt. Es wird nicht nur die Perspektive der Opfer – der christlichen Gemeinschaft – beleuchtet, sondern auch die Sichtweise der Täter eingeführt. So wird die Pluralität der Historie aufgearbeitet und nicht vereinfacht: eine klare Zuordnung in „Gut“ und „Böse“ gelingt nur auf den ersten Blick – SILENCE lässt jedoch den Gedanken einer vielschichtigen Kausalität zu. Besonders hervorgetreten ist hierbei die christliche Gemeinde in Japan, welche scheinbar nirgendwo zugehörig ist – sie spiegelt Prozesse der Abspaltung und der synkretistischen Entstehung von Religion wider. SILENCE bindet so aktuelle Themen in ein historisches Drama mit ein, allem voran den Aufruf zum Kulturaustausch, anstatt Konflikte auf Basis von Unwissenheit zu führen.

Autorin: Kristina Göthling. Bildauswahl von Kris Wagenseil.

2 Kommentare:

  1. Siehe auch den Bericht zu unserer Jubiläumstagung 2014 zum Thema Religionsfreiheit einschließlich Ausstellungsdokumentation (auch hier war ein Tretbild zu sehen) – sowie unseren Themenschwerpunkt Religionsfreiheit.

    Von Kristina Göthling können Sie in unseren Archiven lesen: Hexe und Gender: Eine Transformationsgeschichte der Diskriminierungsfigur des Ketzers (2015).

    Außerdem sei der Hinweis auf folgende Rezension des Films durch Perry Schmidt-Leukel ergänzt: Glaubensabfall als Glaubenstreue – Missionsverzicht als wahres Zeugnis. Notizen zur Historie und Novelle hinter Scorseses Film Silence.

    Und wer der französischen Sprache mächtig ist, hier ein Beitrag von Isabelle Poutrin mit Hintergrundinformationen vom 2. Februar 2017: À propos de « Silence ». Le Japon face aux missions chrétiennes (XVIe-XVIIe s.).

    Auch der religionswissenschaftliche Blog des österreichischen Standard hat den Film rezensiert: Franz Winter: Die versteckten Christen Japans, 15. März 2017.

    Außerdem hat Achim Bayer (Universität Kanazawa) eine Rezension veröffentlicht, die auf H-Buddhism diskutiert wurde: Necessary Reflections on Martin Scorsese’s “Silence”: Religious Violence in the Seventeenth Century, as Seen from Japan.

  2. Sehr geehrter Herr Dr. Christoph Wagenseil,
    in der letzten Zeit wird meine Rezension in der folgenden Website veröffentlicht. Sie hat den Schwerpunkt nicht nur auf den historischen Hintergrund, sondern auch auf Endos Urschrift gesetzt.
    English Review published at Histoire@Politique. Politique, culture, société (Revue scientifique du Centre d’histoire de Sciences Po)
    http://www.histoire-politique.fr/index.php?numero=31&rub=comptes-rendus&item=627#_ftnref44

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