Zum 25. Studierendensymposium im deutschsprachigen Raum in Leipzig vom 10. bis 13. Mai 2018, zu “Memento Mori – Death, Deconstruction and the Afterlife”, interviewte REMID aus dem Team der Organiator*innen Inge Fiedler und Andreas Hölke.
Die Tradition der Studierendensymposien jährt sich dieses Jahr zum 25. Mal. Wie weit konnten Sie die “Symposiumsgeschichte” schon rekonstruieren? Wir hatten damals 2006 beim 13. Studierendensymposium eine eigene Tradition internationaler Studierendensymposien ins Leben gerufen. Gibt es die auch noch?
Andreas: Um der Symposiumsgeschichte auf die Schliche zu kommen, haben wir Kontakt zu Zeitzeugen gesucht. Auf unsere Anfrage über die Yggdrasil-Liste [eine Mailingliste für Religionswissenschaft; Anm. Red.] kamen einige Rückmeldungen, die uns sehr weitergeholfen haben. Momentan sichten wir noch das Material, aber die technologischen Veränderung werden schon deutlich. Beispielsweise, dass Vorträge auf Diskette versandt wurden und noch Dia-Shows stattfanden. Besonderer Dank geht an Markus Dreßler, der uns in einem persönlichen Gespräch viele Eckdaten geben konnte, und Verena Dierks, die uns ein umfangreiches Datenpaket zukommen ließ. Wir würden gerne am Ende einen Artikel über die Geschichte verfassen. Was die Tradition internationaler Symposien angeht, scheint sich die Internationalität nur in abgeschwächter Form erhalten zu haben, dadurch dass es sich an „nur“ an den deutschsprachigen Raum richtet. Jedoch versenden wir diesmal auch Einladungen an die Erasmus-Partnerinstitute in Brno, Krakau und Turku. Es ist eine schöne Idee, den Radius zu erweitern. Am Ende ist es immer eine Frage der Förderung, vor allem für die anreisenden Studierenden.
In diesem Jahr haben Sie sich “Memento Mori – Death, Deconstruction and the Afterlife” ausgesucht. Was hat Sie zu diesem Leitthema inspiriert?
Inge: Die Idee zum Thema kam schon beim letzten Symposium „Opening Pandora’s Box: Sex, Power & Religion“ in München auf. Am vorletzten Tagungstag saßen wir Leipziger gemeinsamen im Biergarten in der Nähe des Münchner Campus‘ und gingen eher scherzhaft durch, ob wir die Symposiumsausrichtung im nächsten Jahr übernehmen könnten. Als wir über das Datum und notwendige Planung sprachen, ging es recht schnell um das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, welches seit einigen Jahren in der Pfingstwoche, und somit folgend auf das Symposium, stattfindet. So kamen wir auf das zunächst grobe Thema „Umgang mit dem Tod“. Gleichzeitig wollten wir ein theoretisches Schwerpunktthema abdecken.
Das “con” in “Deconstruction” wurde hervorgehoben, so dass man auch “Destruction” lesen kann. Müsste die oder der poststrukturalistische Vertreter*in einer Dekonstruktionstheorie nicht einwenden, dass das ein Missverständnis sei? Zumal in dieser – sagen wir – traurigen Nachbarschaft von Tod und Memento Mori?
Inge: Wir fanden es wichtig diesen Disziplinstreit mit einer zugegeben provokanten Rahmung zu integrieren. Uns als Studierende begegnen unterschiedliche Ansätze der Dekonstruktion, wie historisch-kritische Methoden, Erzähltheorien, Diskursanalysen und Gender Studies. Im selben Zug lernen wir, dass der Religionsbegriff derart umstritten ist, dass noch schwer fassbar scheint, was Religionswissenschaft eigentlich zum Gegenstand hat. Einige Kommilitonen frustriert das gleich zu Beginn ihres Studiums – andere stürzen sich in die umgebenden Debatten. Das Symposium soll eine Gelegenheit bieten, sich einen Überblick über diese Debatte zu verschaffen und Meinungen dazu auszutauschen.
Ein Artikel im Deutschlandfunk zur Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft 2017 von Christian Röther beschäftigte sich auch mit dem Aspekt der gesellschaftlichen Relevanz. Vom Wave-Gotik-Treffen oder der Gothic Subkultur her gedacht, vernachlässigt die Durchschnittsbevölkerung den Tod und den Gedanken der Endlichkeit eher. Was machen die bereits vorliegenden Einsendungen daraus? Habt ihr da schon einen ganz groben Eindruck?
Inge: Bisher haben wir die unterschiedlichsten Beiträge erhalten – zum Themenspektrum Tod beispielsweise Beiträge zu alt-israelitischen Jenseitsvorstellungen, Jenseitsvorstellungen von Attentätern, zu muslimischen, tibetischen und japanischen Bestattungsformen, zu der “Politik des Todes”, theologischen Konzepten der Überwindung des Todes, kirchlichen Position zu Homosexualität während der AIDS-Krise der 1980er, Schweigen als Kommunikationsform und der Sci-Fi Kultur der “todbringenden Klingonen“. Davon werden es manche Beiträge sicher leichter haben einen Bezug zur gesamtgesellschaftlichen Relevanz herzustellen als andere, jedoch sollte das m. M. n. nicht die Themenauswahl bestimmen. Einige Vorträge nähern sich ihrem Thema mit dem Ansatz kollektiver Repräsentationen nach Robert Hertz. Zum Themenspektrum um Dekonstruktivismus und Religionswissenschaft kommen auch spannende Beiträge, beispielsweise zum Mittel der Ironie in der Wissenschaft und der religionswissenschaftlichen Betrachtung literarischer Werke als Ausdruck für Sinnsuche und -schaffung. Ein Themenspektrum überspannenden Vortrag erwarten wir auch – um die Materialitätsdiskurse bezüglich der Leiche innerhalb der Religionswissenschaft.
Ihr habt so etwas angesprochen wie eine theoriebezogene Frustration. Geht es da um die Verletzung der jeweils eigenen religiösen Gefühle durch dekonstruierende Perspektiven oder sind die Texte zu schwierig?
Andreas: Ich habe im letzten Wintersemester das Einführungstutorium mitgestaltet und in der Evaluation der Veranstaltung bemerkten einige Kommilitonen, dass die kritische Dekonstruktion des Religionsbegriffs für sie sehr frustrierend war. Sie zweifelt an ihrer Entscheidung ein Fach zu studieren, das ihren Gegenstand so stark diskutiert. Aus meiner eigenen Erfahrung fällt es einem schwer, diese teilweise doch sehr komplexen Überlegungen noch auf “alltägliche” Themen zu übersetzen. Wahrscheinlich kommt der Frust daher, dass man zunächst den Eindruck hat in eine rein rhetorische Auseinandersetzung einzutauchen, die mit der außeruniversitären Welt und späterem Arbeitsalltag nichts gemein hat.
Als Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationdienst versuchen wir ja gerade eine religionswissenschaftliche Perspektive in die Öffentlichkeit einzubringen. Die Frage des Religionsbegriffes hat z.B. ganz praktische Auswirkungen auf den Begriff Religionsfreiheit. Es macht z.B. einen darin einen Unterschied, ob man nicht-religiöse Positionen und neue religiöse Bewegungen einschließt – oder diese Entwicklung wie die katholische Kirche aktuell vor der UN kritisiert. Die Beantwortung eben dieser Frage ist auch maßgeblich für die von REMID hergestellte Statistik der Religionen und Weltanschauungen Deutschlands – und sie wiederholt sich bei ihren Subkategorien. So ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat seit 2013 die einzige islamische Körperschaft des Öffentlichen Rechts und auch den Aleviten gelang im Kontext ihres Religionsunterrichtes die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Sie gelingt also eher den religiösen Minderheiten der islamischen Welt, also denen, deren “Islamizität” nicht nur dort innerislamisch häufig in Frage gestellt wird. Das Gegenstück zur Dekonstruktion der tradierten Begriffe und zur Entwicklung einer religionswissenschaftlich reflektierten Terminologie ist doch eine Übernahme und damit Verstärkung der jeweiligen orthodox-theologischen Diskurse. In anderen Worten: Ansonsten wir der Hass der Mehrheiten auf die Minderheiten “wissenschaftlich” geadelt. Trotzdem sehe ich ein, dass eine solche religionswissenschaftliche Perspektive anspruchsvoll ist und nicht leicht zu vermitteln. [Herr Hölke,] geht es auf dem Studierendensymposium auch um Praxisbezug bzw. was würden Sie sich diesbezüglich für das Studium der Religionswissenschaft wünschen?
Inge: Die Wirkmacht von bestimmten Religionsbegriffen in Politik und Legislative wird schon vermittelt, vor allem Hubert Seiwert hat unseren Jahrgang dazu sensibilisiert. Für mein Studium kann ich aber sagen, dass mir weder eine bestimmte Definition noch eine bestimmte Schule als ultimative Orientierung serviert wurde. Möglicherweise startet man ins Studium und möchte schnell viele Antworten finden. Es scheint Teil des religionswissenschaftlichen Initiationsritus zu sein, erstmal mit mehr Fragen als Antworten aus dem Semester zu gehen.
Andreas: Bezüglich Praxis haben wir für das Symposium einige Workshops und ein Vernetzungstreffen geplant, bei denen sowohl Studierende als auch unterschiedliche religionswissenschaftlich-orientierte Organisationen sich mit Informationsmaterial vorstellen können, z.B. möchten wir Mitgliedern der Kulturpixel e.V. und dem Netzwerk Un-sichtbar Raum bieten. In Überlegung ist auch eine Form von Umfrage unter den TeilnehmerInnen, um einen Eindruck über die Studienrealität von unterschiedlichsten Standorten zu bekommen und Bedürfnisse wie Praxisbezug anzusprechen.
Ich persönlich habe den Eindruck, dass mit fast jedem „Praxisbezug“ religionswissenschaftliches Wissen in die Öffentlichkeit getragen wird. Ob journalistisch, beratend oder in einer kreativen Ausrichtung sowie in welchem Maß, scheint von jedem individuell abzuhängen. Praxisbezogene Seminare sind zwar schön und gut, jedoch scheint die Eigeninitiative eines jeden Studierenden eine größerer Rolle zu spielen, gerade hinsichtlich des angepeilten Jobs.
Zeit für und Anerkennung von Praktika halte ich persönlich – neben einem „lebendigen“ Seminar zum Diskutieren – am wichtigsten.
Danke für das Interview.
Das Interview führte Kris Wagenseil. Webseite des Studierendensymposiums 2018: mementomori2018.wordpress.com.
Man vergleiche auch „Religion was here – Religion und Populärkultur“: Bericht vom Studierenden-Symposium der Religionswissenschaft (2013).