Ritueller Missbrauch im Satanismus? Rezension zum Fachbuch „Das trügerische Gedächtnis“ von Julia Shaw

Mit freundlicher Genehmigung der Beratungs- und Informationsstelle “Sekten-Info NRW” dürfen wir von REMID an dieser Stelle die Rezension von Bianca Liebrand wiederabdrucken. Es geht um “Das trügerische Gedächtnis” von Julia Shaw (Carl Hanser Verlag: München, 2016). Hintergrund sind “Empfehlungen an Politik und Gesellschaft” eines Fachkreises “Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen”, die dem Bundesfamilienministerium im April 2018 vorgelegt wurden. Das gelingt, indem behauptet wird, es gebe eine Art Kontinuum von organisiertem Verbrechen “mit kommerzieller sexueller Ausbeutung (Zwangsprostitution, Handel mit Kindern, Kinder-/Gewaltpornografie)”, in welchem schließlich eine “Ideologie zur Begründung oder Rechtfertigung der Gewalt” hinzukommen könne, dann “als rituelle Gewaltstruktur bezeichnet” (siehe Beitrag im Deutschlandfunk vom 27. Mai). Tatsächlich gibt es keinerlei polizeiliche Erkenntnisse über satanische Ritualmorde, es handelt sich vielmehr um eine (oft christlich motivierte) Verschwörungsmythe, selbst im sonst seriösen Deutschlandfunk wird unkritisch wiedergegeben, “[d]urch Drohung oder Manipulation verhindern die Täter, die zu allen Teilen der Gesellschaft gehören, dass die Betroffenen zur Polizei gehen”. Im religionswissenschaftlichen Diskurs hat sich der Begriff “satanic panic” etabliert für diese Art der “rekonstruierten” Aussteigerberichte. Auch der Jahresbericht 2017 der Beratungsstelle nennt “die Schilderungen von drei Klientinnen, die berichtet haben, dass sie sich nicht daran erinnern konnten, je in ihrem Leben mit Satanismus in Berührung gekommen zu sein. Aber verschiedene Therapeutinnen hätten versucht, genau dies ihnen einzureden und dadurch enorme Ängste bis hin zu Selbstmordgedanken bei ihnen ausgelöst” (S. 19).

 

Klagemauer.TV ist ein Format von Ivo Saseks “Organische Christus-Generation” und bekannt für Verschwörungsmythen, Rechtspopulismus und Kampf gegen sogenannten “Genderismus”. So wird hier der Bogen etwas weiter gezogen, bis hin zu “Satanismus, Ritueller Missbrauch und Porno-Unterricht”, so der Titel des Videos im Nachrichtenstil. Einleitend wird auf den Fall der Zwölf Stämme Bezug genommen: “Einmal mehr wird die geweckte Aufmerksamkeit von den nachweislichen Kindermorden in Satanssekten auf wehrlose christliche Familien abgelenkt” (0:32). Am Ende wird gemutmaßt, ob auch “Sektenexperten” den satanischen Sekten angehören, da sie schweigen (13:32).

 

Einleitung

Bereits im Jahresbericht 2011 wurde der Artikel über „Beeinflusste Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in der Kindheit durch esoterische Therapieangebote“ veröffentlicht. Dieses Thema hat an Brisanz nicht verloren. Wie auch in den letzten Jahren kamen auch im vergangenen Jahr wieder­holt Ratsuchende in unsere Beratungsstelle, um darüber zu berichten, dass ihnen ein sexueller Missbrauch ein­geredet worden sei. Sie begaben sich wegen psychischer Probleme in therapeu­tische Behandlung. Einige stellten sich die Frage, ob die Ursache ihrer heutigen Probleme möglicherweise in ihrer Kindheit zu suchen sei. Aufgrund der Symptomatik wäre diesen Klienten trotz fehlender Erinnerung an einen sexuellen Übergriff mitge­teilt worden, dass diese Erinnerun­gen wahrscheinlich lediglich verdrängt worden seien, um ihre Seele zu schützen. Nach vielen intensiven Gesprächen seien dann Erinnerungsbruchstücke und Bilder im Kopf aufgetaucht, wodurch der anfängliche Zweifel, dass man sich doch an einen Missbrauch erinnern müsse, verschwunden sei. Erst später sei ihnen bewusst geworden, dass der sexuelle Missbrauch nie statt­gefunden habe.

Doch wie ist so etwas möglich? Können Erinnerungen, die sich für uns echt anfühlen, tatsächlich nur eingebildet sein? Das 2016 erschienene Buch „Das trügerische Gedächtnis“ von Julia Shaw beschäf­tigt sich mit dem Thema suggestiv herbeige­führter Erinnerungen und soll daher im Folgenden kurz zusammengefasst werden:

Das trügerische Gedächtnis – Wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht

Wer sich mit dem Thema Erinnerungs- (ver-) fälschung auseinandersetzen möchte, wird bei seiner Recherche schnell auf die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse von Julia Shaw stoßen. Die deutsch-kanadische Rechtspsychologin veröffentlichte 2015 eine Studie, in der sie zusammen mit Stephen Porter ungefähr 70 % der Teilnehmer überzeugt hatte, ein Verbrechen in der Vergangenheit begangen zu haben. Die Probanden konnten sich am Ende der Studie nicht nur einfach daran erinnern, sondern waren in der Lage, erstaunlich viele Details einer Situation zu benennen, die nicht stattgefunden hatte. Doch wie war das möglich? Die Antwort auf diese und weitere Fragen im Zusammenhang mit verfälschten Erinnerungen und der Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses finden die interessierten Leser in dem 2016 veröffentlichten Buch.

Die Autorin beginnt mit einer leicht verständlichen Einführung in die Thematik und erklärt, dass unsere persönlichen Erinnerungen die Fundamente unserer Identität bilden. Zum Einstieg erklärt sie die Unterschiede zwischen dem semantischen und dem episodischen Gedächtnis sowie die Formbarkeit von Erinnerungen.

Im Anschluss daran folgen insgesamt zehn Kapitel:

1. Ich erinnere mich an meine Geburt
Im ersten Kapitel wird erläutert, dass das Gehirn eines Kleinkindes physiologisch nicht in der Lage ist, Erinnerungen langfristig speichern zu können. Das bedeutet, dass Erinnerungen an die Kindheit im Durchschnitt erst ab einem Alter von dreiein­halb Jahren möglich sind. Außerdem werden biologische Zusammenhänge der Gehirnstruktur und die Entwicklung des Gehirns erklärt und anhand wissenschaftli­cher Studien anschaulich beschrieben. Julia Shaw hebt die Entdeckung des Meta­gedächtnisses hervor, da es nach ihrer Einschätzung bei der Selbstkorrektur des Gedächtnisses eine wesentliche Rolle spielt. Das Metagedächtnis beschreibt das Wissen darüber, dass man ein Gedächtnis hat und dient zur Plausibilitätsprüfung. Anhand verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen wird erklärt, dass unser Gehirn einzelne Erinnerungen aus verschiedenen Zusammenhängen neu zusam­mensetzen kann und dass sich diese neu zusammengefügten Erinnerungen wie echte Erinnerungen anfühlen.

2. Dirty Memories
„Die Entstehung neuer Erinnerungen hängt von den Rohdaten unserer Wahrneh­mung ab, und obwohl sich diese für uns stets richtig anfühlen mögen, wissen wir doch, dass sie das in Wahrheit nicht sind.“ (S. 46) Dies wird am Beispiel der opti­schen Täuschung erklärt. Selbst wenn man vorher weiß, dass es sich bei einer vor­her angekündigten Darstellung um eine visuelle Irre­führung handelt, fällt es uns schwer, der Täuschung nicht zu unterliegen und das Gesehene als real anzuneh­men. Informationslücken werden mit Erfahrungen und Gelerntem aufgefüllt, damit sie für uns einen Sinn ergeben. Obwohl man sich über diesen Prozess bewusst sein kann, fühlt sich die Erfahrung im wahrsten Sinne des Wortes „täuschend“ echt an.


3. Hummeln im Kopf

In diesem Kapitel geht die Autorin auf die neurobiologischen Prozesse ein. Sie führt die Fuzzy-Trace-Theorie zur Erklärung für falsche Erinnerungen ein. Diese geht davon aus, dass nach der parallelen Verarbeitung und Speicherung einer Erinnerung in vielen Fragmenten ein getrennter Abruf dieser Speicherungen erfolgt. So wird zum Beispiel der Bedeutungskern einer Erfahrung auf einer anderen Spur (gist trace) abgespeichert als die wortwörtliche Komponente (verbatim trace). Dadurch sind neue Kombinationen beim Abruf möglich, die nicht mehr dem tatsächlich Geschehenen entsprechen. Der Abruf der gespeicherten Erinnerungen ist demnach fehleranfällig. Darüber hinaus werden bei Abruf oft Einzelheiten und spezifische Kontexte noch einmal durchlebt und das Risiko einer Fehlerinnerung wird dadurch noch zusätzlich erhöht. Das menschliche Gedächtnis basiert auf der Fähigkeit einzelne Erinnerungs­fragmente miteinander zu verknüpfen. Diese Assoziationen bringen den Vorteil eines sehr anpassungsfähigen und kreativen Gedächtnisses mit sich. Die Autorin schreibt, dass die potenziellen Fehler eine nebensächliche Folge unseres assoziativen Erinne­rungssystems sind.


4. Gedächtnisgenies

Auf den folgenden Seiten werden Theorien dargestellt, die zu erklären versuchen, weshalb manche Menschen (wie z.B. Savants und Autisten) über besondere Gedächtnisleistungen verfügen. Darüber hinaus wird erläutert, dass man sich effizienter erinnern kann, wenn man relevante von irrelevanten Informationen trennen kann. Das heißt mit anderen Worten, dass das Vergessen sinnvolle Vorteile für die neuronale Verarbeitung mit sich bringt.

5. Lernen im Schlaf
In diesem Kapitel beschreibt die Autorin einige Studien anhand derer sie erklärt, dass Aufmerksamkeit die Voraussetzung für Lernen und Erinnerungen ist. Wir benötigen Schlaf, um Erinnerungen zu verstärken, zu reorganisieren und zu verwandeln. Außerdem bezieht sie in diesem Kapitel eine klare Stellung zu Produkten, die für eine angebliche Steigerung der Gedächtnisleistung oder zur Überwindung schlechter Angewohnheiten auf dem Markt angeboten werden. In Bezug auf eine Steigerung der Intelligenz durch Baby-Videos, Lernen im Schlaf, dem Zugang zu verborgenen Erinnerungen durch Hypnose oder der Wirkung von unbewussten Botschaften erläutert sie die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass aus diesen Bereichen keine bestätigenden Belege gefunden wurden. Sie hofft, dass die Leser diese Produkte „ […] als Möglichkeiten, uns selbst und an­dere zu beein­flussen, nur mehr als bestenfalls kreative Fiktionen ansehen.“ (S. 156)


6. Das Gehirn – ein Detektiv mit Schwächen

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Selbstüberschätzung unserer Gedächtnis­fähigkeiten. Wie von der Autorin bereits in Kapitel 2 angesprochen, sind Menschen anfällig gegenüber Erinnerungstäuschungen und überschätzen die Sicherheit ihrer Erinnerungen. Es werden zahlreiche Studien zu psychologischen Wahrnehmungs­störungen, Gesichtserkennung und Augenzeugenberichten vorgestellt und die Ergebnisse erläutert.

7. Hochemotional
Die Allgemeinbevölkerung denkt, dass traumatisierte Erinnerungen etwas Beson­deres sind. Diese Annahme wird von Julia Shaw insofern bestätigt, dass sie betont, dass traumatische Ereignisse resistenter gegen das Vergessen sind als alltägliche Erlebnisse. Es besteht eine größere Sicherheit bei der Erinnerung, wenn diese drei Kriterien erfüllt werden:

Das Ereignis erzeugt ein hohes Maß an Überraschung.

Das Ereignis hat wichtige Folgen für die Person oder die Menschen im Allgemei­nen.

Das Ereignis erzeugt ein hohes Maß an emotionaler Erregung (z.B. Angst, Trauer, Wut …).

Die Autorin verweist auf diesen Seiten noch einmal auf die Erkenntnisse aus den vorherigen Kapiteln. Die meisten Menschen sind fest davon überzeugt, dass sie sich korrekt erinnern und es kommt zu einer Selbstüberschätzung. Allerdings ist dies kein Kriterium für die Richtigkeit der Erinnerung. „Erinnerungen von Menschen sind beeinflussbar, und zwar durch sozialen Druck und bestimmte Abruftechniken, die dazu führen, dass sie sich Dinge vorstellen und diese imaginierten Dinge fälsch­licherweise für echte Erfahrungen halten.“ (S. 196) Aufgrund ihrer Forschungser­gebnisse kommt Shaw zu der Schlussfolgerung: „Anscheinend ist es so, dass sich Erinnerungen für diejenigen, die sie haben, echt anfühlen und folglich auch für andere echt aussehen – sie können Teil der persönlichen Vergan­genheit der Person werden, die sich erinnert, ob sie tatsächlich stattgefunden haben oder nicht.“ (S. 197)

8. Das digitale Gedächtnis
Dieses Kapitel behandelt die soziale Ansteckung von Erinnerungen beziehungsweise den „Erinnerungsdiebstahl“. In der heutigen Zeit werden unsere Erinnerungen stark von den Medien und den sozialen Netzwerken beeinflusst. Die Erinnerung eines Menschen kann von den Erinnerungsfehlern eines anderen Menschen angesteckt werden. Dies kann durch die folgenden drei Punkte geschehen:

Erinnerungsverzerrung:
Durch die Überlagerung der Erinnerung eines anderen werden die eigenen Erinne­rungen „überschrieben“.

Quellenverwechslung:
Dadurch wird man zu der Annahme verleitet, man selbst hätte diese Erfahrungen gemacht, obwohl uns jedoch lediglich davon erzählt wurde.

Soziale Einflüsse:
Dabei kommen drei mögliche Erklärungen in Frage. Entweder durch den Wunsch, sich Erinnerungen anzueignen, um an einem kohärenten und reizvollen, sozialen Austausch teilzuhaben (Zweckdienlichkeit) oder sich in einem guten Licht dastehen zu lassen (Statusgewinn). Der dritte Erklärungsansatz behandelt die Konformität. Die Autorin unterscheidet zwischen normativer und informativer Konformität. Normative Konformität bedeutet, dass wir uns einer Meinung anschließen, um nicht aufzufallen. Wir folgen einer Meinung aufgrund der informativen Konformität, weil wir glauben, dass die Gruppe es besser weiß als wir selbst. Weiter berichtet die Autorin, dass wir selbst aktiv unsere Erinnerungen in den sozia­len Netzwerken in angepasster Form veröffentlichen (posten), um uns vor den anderen in einer von uns bevorzugten Weise darzustellen. Dadurch entstehen auch in unserer Erinnerung blinde Flecken.

9. Erinnerungskrieg
In diesem Kapitel geht es um falsche Erinnerungen im Zusammenhang mit trauma­tischen Ereignissen wie zum Beispiel dem sexuellen Missbrauch von Kindern. Dazu zählt sie fünf Faktoren auf, die sie als Teile des Erinnerungspuzzles bezeichnet, welche falsche Erinnerungen an traumatische Ereignisse ermöglichen.

Ein Mangel an Skepsis,

die Annahme darüber, dass es Symptomchecklisten für sexuellen Missbrauch gäbe,

vorschnelle und unberechtigte Schuldvermutungen,

wissenschaftlichen Analphabetismus (Fehlen über das Wissen der aktuellen Forschungsergebnisse in der Gedächtnisforschung),

die Annahme, es gäbe im Untergrund satanistische Gruppen, die rituellen Miss­brauch ausüben würden.

Zu jedem der genannten Faktoren nimmt die Autorin in diesem Kapitel ausführlich Stellung. So führt sie beispielsweise an, dass in den 1980er und 1990er Jahren in den USA die sogenannte satanic panic – Zeit ausbrach. Zu dieser Namensgebung kam man, da es in diesen beiden Jahrzehnten zu einer überdurchschnittlich hohen Anzahl an Beschuldigungen kam, die mit sexuellem Missbrauch in Kindertages­stätten und Pädophilen-Ringen zusammenhingen. In dieser Zeit erschien das Buch Michelle Remembers (Pazder & Smith, 1980), in dem ein Therapeut mit Hilfe von Hypnose seiner Klientin dabei hilft, ihre angeblich verdrängten Erinnerungen wieder­herzustellen. Das Buch wurde zum Bestseller und wurde sogar Sozialarbeitern als Literatur empfohlen. Mittlerweile konnte mehrfach gezeigt werden, dass die geschil­derten Ereignisse höchst unwahrscheinlich und zum Teil sogar unmöglich so geschehen sein konnten.

Um ihre Aussagen zum Thema verdrängter Erinnerungen zu untermauern, bezieht sie sich auf die Forscherin Elisabeth Loftus, die im Bereich der falschen Erinne­run­gen eine der führenden Wissenschaftlerinnen ist. Diese zweifelt an, dass es so etwas wie verdrängte Erinnerungen überhaupt gibt. Darüber hinaus zitiert sie Chris French (2015), der ebenfalls seit Jahrzehnten in diesem Bereich forscht: „Es gibt keine glaubwürdigen Belege für das Wirken dieses psychoanalytischen Konzepts der Ver­drängung und sehr starke Belege dafür, dass die Bedingungen, unter denen Thera­pie stattfindet, in der Tat ideale Bedingungen für das Erzeugen falscher Erinne­run­gen sind.“ (S. 256). Dies behaupten auch Stephen Lindsay und Don Read: „Extreme Formen von Erinnerungsarbeit in der Psychotherapie kombinieren prak­tisch sämtli­che Faktoren, von denen man gezeigt hat, dass sie die Wahrschein­lich­keit für illusionäre Erinnerungen oder Überzeugungen erhöhen.“ (S. 256). Die Experten Lindsay und Read haben vier Faktoren veröffentlicht, die sie als Ursache sehen, wenn jemand den Versuch startet, angeblich verdrängte Erinnerungen wieder zu gewinnen.

Der Therapeut bringt dem Patienten die Vorstellung nahe, dass es verdrängte Erinnerungen gäbe, man könne schlimme Erinnerungen in das Unbewusste verschieben und das führe zu dauerhaften Auswirkungen auf Ihre Psyche. Diese Argumentation des Therapeuten wird dadurch verstärkt, dass er behauptet, der Patient habe typische Symptome, die auf eine Verdrängung hindeuten wie z.B. Angst oder Depressionen.

Der Therapeut sagt dem Patienten, er müsse diese Erinnerungen wiederfin­den, um die Symptome zu beseitigen.

Der Therapeut stellt suggestive Informationen wie zum Beispiel eigene Anek­doten zur Verfügung, die in Richtung des angeblich verdrängten Ereignisses hinweisen.

Dem Klienten werden Angaben für ein Grundtrauma gemacht. Er wird aufgefor­dert, sich etwas Traumatisches vorzustellen, um die angeblich verdrängte Erinnerung wiederzufinden.

Obwohl die Annahmen von Sigmund Freud über verdrängte Erinnerungen, das Unbewusste und seiner „Rede-Kur“ in wissenschaftlichen Misskredit geraten sind, halten sich die falschen Vorstellungen über Verdrängung von Erinnerungen hart­näckig. So glaubten laut einer 2014 veröffentlichten Studie immer noch 6,9% der klinischen Therapeuten, 9,9% der Psychoanalytiker und 28% der Hypnotherapeuten daran, dass viele traumatische Erinnerungen oft verdrängt werden.

Die Autorin macht ihren Standpunkt bezüglich sexuellen Missbrauchs deutlich. „Die meisten Fälle von sexuellem Missbrauch sind real, Missbrauch wird noch immer zu selten angezeigt, und es ist dringend nötig, dass wir die Stimmen der Opfer hören.“ Dennoch mahnt sie zur Vorsicht, „weil es falsche Erinnerungen an traumatische Erinnerungen eindeutig gibt, weil sie unglaublich echt wirken und weil unsere Reak­tion auf solche Anschuldigungen oft eher aus dem Bauch heraus erfolgt, als dass sie rational ausfällt.“ (S.260 f.)

10. Mind Games
Im letzten Kapitel geht es erneut um das Metagedächtnis (“Gefühl des Wissens”) sowie um die Steigerung der Gedächtnisleistungen durch Assoziation und Bizarrheit. Die Autorin thematisiert Spiele (z.B. „Gehirnjogging“), die angeblich das Arbeits­gedächtnis und den IQ verbessern sollen. Sie stellt eine Studie zu diesem Thema vor, welche die Möglichkeit einer Steigerung der Gedächtnisleistung durch diese Spiele ausschließt. Sie geht auf Merkhilfen ein, an Hand derer man sich beispiels­weise 1000 beliebige Ziffern innerhalb einer Stunde merken kann. Beim Thema Bizarrheit geht es darum, dass die Forschung gezeigt habe, man könne sich besser an Informationen erinnern, die unerwartete Komponenten enthalten. So könne man sich besser an einen Satz erinnern, bei dem man mehr Energie aufbringen muss, um die inhaltlichen Zusammenhänge zwischen den Wörtern herzustellen („Die Kekse kreischten, als der Backofen aus dem Fenster sprang.“ S. 275). Das Kapitel endet mit einem Fazit der Autorin, in dem sie erklärt, wie sie mit ihrem Wissen über das „trügerische Gedächtnis“ umgeht und einer Danksagung.

Fazit:
Es handelt sich um ein spannendes und lehrreiches Sachbuch über die Fehler­anfälligkeit und die Manipulierbarkeit des menschlichen Gedächtnisses, das den Zeitgeist trifft. Anhand zahlreicher Beispiele aus dem Alltag und aktuellen Forschungsstudien erklärt Shaw mit erfrischender und gut verständlicher Sprache, dass sich unsere Erinnerungen verfälschen lassen können. Dabei wird deutlich, dass sich falsche von echten Erinnerungen nur schwer unter­scheiden lassen, da sie sich wie echte Erinnerungen anfühlen. Dies ist beson­ders im therapeutischen Handeln von großer Bedeutung, denn durch das Vertrauen in die Therapeuten sowie der verzweifelten Suche nach einer Erklä­rung für die momentanen Probleme, kann ein solcher Prozess verhältnismäßig leicht in Gang gesetzt werden.

Der über diese populärwissenschaftliche Lektüre hinaus interessierte Leser kann sich tiefer mit diesem Forschungsgebiet auseinanderzusetzen, da im Anhang die über 230 wissenschaftlichen Studien und Quellenverweise aufge­führt werden.

 

Rezension von Bianca Liebrand, “Sekten-Info NRW”, Vorbemerkung und Bildauswahl von Kris Wagenseil.

8 Kommentare:

  1. “Hintergrund sind “Empfehlungen an Politik und Gesellschaft” eines Fachkreises “Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen”, die dem Bundesfamilienministerium im April 2018 vorgelegt wurden. Das gelingt, indem behauptet wird, es gebe eine Art Kontinuum von organisiertem Verbrechen “mit kommerzieller sexueller Ausbeutung (Zwangsprostitution, Handel mit Kindern, Kinder-/Gewaltpornografie)”, …”

    “Anhand zahlreicher Beispiele aus dem Alltag und aktuellen Forschungsstudien erklärt Shaw mit erfrischender und gut verständlicher Sprache, dass sich unsere Erinnerungen verfälschen lassen können.”

    Ihr Artikel/dessen Referenzgrundlage beschönigt nicht nur eines der weitreichendsten und verächtlichsten globalen Vergehen der Menschheitsgeschichte, es wird in unverblümter Perversion mit den Organen dieser Epedemie sympathisiert, indem ein in der Tat unglaubliches Faktum in unser aller Gesellschaft der Fragilität des selbst als kaum verifizierbar identifizierten Merkmals der Zuverlässigkeit von Erinnerungen charakteristisch zugeordnet wird und letztlich einerseits Betroffene bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit in Verruf gebracht und andererseis in bodenloser Arroganz und willkürlicher Frechheit Zweifel unter den ohnehin schon schwer Traumatisierten gegenüber sich selbst gestreut wird.

    Als noch widerlicher als die Vergehen selbst, könnte man die erbärmlichen, jedoch zum Scheitern verurteilten Versuche bezeichnen, Betroffene an den Punkt bringen zu wollen, wo sie selbst an der Faktizität ihrer absurd-abgründigen Biografien und ihrer eigenen Vertrauenswürdigkeit sich selbst gegenüber zweifeln!!!

    Diskreditierte Zeugen der Rituellen Gewalt werden von so manchem Rezipienten schon aus jener trügerischen Bequemlichkeit gerne in Kauf genommen, die dafür sorgt, das Verbrechen zu schützen und einen Zustand allgemeiner Unhaltbarkeit unschön zu verlängern – schöner scheinbar, als sich mit den dunklen und gefählichen Realitäten konfrontiert zu sehen, die eben sehr unappetitlich und entlarvend zugleich sind, da sie unsere gebilligten Euphemismen der Kultur und des Menschseins als blendwerk beleuchten und den Selbsterhaltungstrieb unserer egoistischen und triebhaften Fassadenselbste aktivieren.

    Hysterie und Entsetzen wäre eine natürliche Reaktion angesichts diesbezüglicher Ereignisse. Stattdessen wird unter den Teppich gekehrt, was unliebsam erscheint und eine Haltung angeekelter Skepsis zu den Opfern eingenommen, die sich durch den Inhalt der Thematik selbst rechtfertigen will.

    Ohne eigene Lektüre der Referenzquelle ist doch aber augenblicklich die schreiende Unseriösität erkennbar, mit der ein am schlechtesten verifizierbares Merkmal als Fundament und Angelpunkt einer schamlosen These dienen soll, nämlich das der Erinnerung, während mit bildgebenden Verfahren die neurologischen Folgeschäden von Traumatisierungen längst exakt ablesbar sind.
    Weiter ist der Schluss von der experimentell forcierten Möglichkeit verfälschbarer Erinnerungen auf einen rein mythischen Stellenwert des Phänomens des Rituellen Missbrauchs logisch ungültig und das Kernargument damit unbrauchbar.
    Die herbei bemühten Zeugenaussagen zu Fällen verfälschter Erinnerungen werden so allerding gemäß der eigenen Argumentation analog zu den “echten” Aussagen entkräftet und über dies logische Eigentor hinaus wäre ohnehin nur eine Aussage-gegen-Aussage-Situation ereichbar, die aber wiederum keine Aussagekraft im logischen oder wissenschaftlich Rahmen hat, sondern nur kindisch und laienhaft aus eben der Not des Fehlens jeglichen Fundaments heraus daher kommt.

    Dem Eindruck der Lächerlichkeit kann also nach diesen wenigen angeführten Korrekturen bereits definitiv nicht entgangen werden und zwar nicht wegen der grundsätzlichen Fehlerhaftigkeit, sondern wegen des Anspruchs, über das Überzeugungsniveau von im Netz kursierenden Geheimverschwöringsblogs ohne Mangel an viel Phantasie und kreativem Einfallsreichtum schließlich eigentlich sogar nicht nur hinaus kommen zu wollen.

    In Ihrem Eigeninteresse schon darum und im Sinne einer in der Realität verankerten Konsensbildung, fordere ich Sie in sehr sachlicher Redeabsicht dazu auf, den Artikel um die entsprechenden Fakten dessen, was und wie es tatsächlich ist, sinnvoll und wertvoll zu ergänzen (Aussagekräftig und hilfreich zu diesem Zweck z.B. https://mobil.stern.de/politik/ausland/jeffrey-epstein-affaere–trump-hat-neuen-arbeitsminister-gefunden-8808044.html) oder aber den Beitrag gleich durch eine aktualisierte Version zu ersetzen.

    Ihre Referenzquelle würde hier dann auch überhaupt endlich in einen nachvollziehbaren Kontext gerückt.

    Es geht schließlich darum aufzudecken, wie die angeblich respektable Elite unseres Planeten nur die Verfolgung und die Durchsetzung ihrer aller, aller(!) niedrigsten Triebe mit allen Mitteln und zu jedem Preis zum Ziel hat, während allen anderen für das Ausmaß und den Inhalt des Sachverhalts noch das passende Vorstellungsvermögen fehlt.

    Als ein Beispiel für das Agieren dieses organisierten rituellen Missbrauchsclans könnte der besagte fragwürdige Buchtitel sich dann in einer Fußnote bezüglich seiner Kohärenzeigenschaften redlich “emanzipieren”.

    Vielen Dank!

    • Sehr geehrte Frau Beckmann,
      ich empfehle Ihnen diesen aktuellen Beitrag der Evangelischen Zentralstelle der Weltanschauungsfragen: “Rituelle Gewalt in satanistischen Gruppen – ein populärer Mythos?” (2019):

      Die Möglichkeit, dass in der Traumatherapie diese Erlebnisse fälschlich induziert sein könnten (false memory syndrome), wird als „Täterpropaganda“ der „False-Memory-Bewegung“ zurückgewiesen. Aufgrund eines bestimmten, mit Gewaltfantasien bestückten Bildes vom Satanismus werden die Täternetzwerke in satanistischen Kreisen vermutet. In jüngerer Zeit werden sie aber allgemeiner destruktiven Kulten zugerechnet.

      Außerdem:

      Wo doch kriminalpolizeilich und staatsanwaltlich ermittelt wurde – teilweise mit enormem Personalaufwand und außerordentlich akribisch –, blieben die Untersuchungen ohne Ergebnis oder widersprachen sogar explizit den Berichten.

      Außerdem emfehle ich das Interview mit Joachim Schmidt, “Satanismus in der Religionswissenschaft. Interview mit Buchautor Joachim Schmidt” (2018):

      Nun, neu ist es im Grunde genommen nicht. Nur dass es in sehr frühen Zeiten apologetische Propaganda war, dann kam der “urbane Mythos” und heute spricht man von Memen. Den Gnostikern und Juden warf man rituellen Kindermord und rituelle Kinderopfer vor. Diese wurden meist noch nicht als Satanisten bezeichnet, sondern nur als (z.T. unwissentliche) Diener Satans. Auch das Freimaurertum sah sich immer wieder mit Satanismus-Vorwürfen konfrontiert – auch hier bereits ein projezierter Satanismus, der auf eine “Elite” abzielte. In den 1980er und 90er Jahren wurde dieser Vorwurf oft Satanisten gemacht, um den Vorwurf des rituellen Kindesmissbrauchs erweitert. In dem Maße, wie die gesellschaftliche Sensibilität dem Kindesmissbrauch gegenüber zunahm, wurde der Schwerpunkt mehr und mehr auf den Missbrauch verlagert – ohne dass der Tötungsvorwurf gänzlich verschwunden wäre. Schon in den 80er und 90er Jahren wurde immer wieder postuliert, dass auch sehr einflußreiche und mächtige Personen in diese satanische Aktivitäten involviert seien. Dies war schon deshalb unumgänglich, da sich ansonsten das Fehlen jeglicher Beweise schwerlich begründen ließ.

      Tatsächlich ist die Annahme einer weltumspannenden satanischen Verschwörung oder eine entsprechende Annahme einer entsprechenden Übermacht destruktiver Kulte in “Elite”-Kreisen offen für antisemitische Denkmuster, vgl. Michael Blume: Antisemitismus: “Wir erleben einen digitalen Neuaufbruch des Verschwörungsglaubens” (2019).

      Das bedeutet nicht, dass Traumatisierte mit solchen Erinnerungen keinerlei traumatisierende Erfahrungen gemacht hätten, dennoch ist die Möglichkeit einer Missinterpretation durch entsprechende Induktion von Bildern satanistischer oder “destruktiv” genannter Kulte, die im übrigen viel zu kleine Mitglieder- und Umfeldzahlen haben und auch religionssoziologisch nicht grundsätzlich obere Gesellschaftsschichten ansprechen, nicht auszuschließen.

  2. BlasterMaster

    Wie kommen dann eigentlich die vielen Aussagewilligen zustande die kurz vor dem Termin plötzlich sterben?
    Siehe Dutroux und den etwa 25 bis 28 Toten!

    Wieso werden derartige Fakten immer so radikal ausgeklammert? Um das eigene Narrativ von “Verschwörungsglauben” nicht zu gefährden? Oder was ist der Grund wirklich?

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