“38 Thesen gegen Hysterie”: Religionswissenschaftler*innen wollen Islamdebatte versachlichen

In unserem heuti­gen Dop­pelin­ter­view geht es um das Buch “Der Islam: Feind oder Fre­und? 38 The­sen gegen eine Hys­terie”, direkt als prak­tis­ches Taschen­buch im Feb­ru­ar von Moni­ka und Udo Twor­usch­ka (eigene Web­seite) veröf­fentlicht. Ein los­es Vor­bild mögen die “40 The­sen zur Reform des Islams” (2017) des islamis­chen The­olo­gen Abdel-Hakim Ourghi gewe­sen sein. Während dieser aber tat­säch­lich mit ein­er inner-islamis­chen Per­spek­tive “den Luther macht” und Refor­men der Reli­gion vorschlägt (“40. Nur ein lib­eraler Islam ist zukun­fts­fähig”), bleiben Moni­ka und Udo Twor­usch­ka auf der reli­gion­swis­senschaftlichen Sachebene. Das Buch richtet sich an alle Teilnehmer*innen des gesellschaftlichen Diskurs­es und verknüpft Analy­sen west­lich­er, ori­en­tal­is­tis­ch­er Islam­bilder mit reli­gion­swis­senschaftlich­er Exper­tise über den zeit­genös­sis­chen wie den his­torischen Islam.

Als ich die Lek­türe Ihres Buch­es begann, hätte ich nicht gedacht, wie schw­er mir die erste Frage dazu fall­en sollte. Es unter­schei­det sich von “klas­sis­chen” Ein­führun­gen in eine soge­nan­nte Wel­tre­li­gion. Und das erscheint mir sehr wichtig.

Und wenn man, was ein*e Leser*in wohl häu­fig tut, zunächst nur die The­sen betra­chtet, erst ein­mal los­gelöst von ihrer Ord­nung, ist da alles drin, was der derzeit­ige Diskurs zu bieten hat — ich würde sagen:  einen großen Teil der poli­tis­chen Felder abdeck­end —  von “Die Behaup­tung, jemand gehöre irgend­wohin, ist ein Mythos” (These 6) bis “Men­schen­rechte reiben sich mit islamis­chen Werten” (These 28), von “Den Islam gibt es nicht” (These 11) bis “Es gibt Gren­zen für Tol­er­anz und Reli­gions­frei­heit” (These 33).

Und jet­zt, nach der Lek­türe des Buch­es, wird deut­lich, wie sehr es  nicht nur auf eine solche These allein ankommt, son­dern auf ihre Einord­nung und Gewich­tung. Komme ich Ihrer Moti­va­tion damit nahe bzw. was war Ihr Anliegen?

Das Anliegen des Buch­es bestand darin, in die kon­tro­verse und oft unsach­liche Diskus­sion in den Jahren 2017/18 über Islam/Muslime einzusteigen und einen eige­nen Beitrag zur Ver­sach­lichung zu leis­ten. Zu einem solchen Beitrag fühlten wir uns verpflichtet, weil wir uns seit über vier Jahrzehn­ten mit der The­matik unter der Per­spek­tive der Ver­mit­tlung auseinan­der­set­zen. Bei der Beschäf­ti­gung mit dem The­ma ergaben sich immer wieder neue Fra­gen und Kom­plexe, was dazu führte, dass wir zumin­d­est ansatzweise sehr viele gesellschaft­spoli­tis­che Felder abzudeck­en ver­sucht­en.

Im Hin­ter­grund unser­er Auseinan­der­set­zung mit dem The­ma standen auch die immer deut­lich­er zu Tage tre­tenden Berührungspunk­te zwis­chen der aktuellen Diskus­sion und der Stim­mungs- und Argu­men­ta­tion­slage kurz vor und während der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus. Damals stellte man alles Jüdis­che und Kom­mu­nis­tis­che unter Gen­er­alver­dacht – wie heute alles „Islamis­che“. Damals wie heute kur­sierten jede Menge falsche Infor­ma­tio­nen, bösar­tige Unter­stel­lun­gen, Halb­wahrheit­en. Damals wie heute wurde eine vielfältige und faszinierende religiöse Tra­di­tion in Bausch und Bogen dif­famiert. Damals wie heute „argu­men­tieren“ viele hys­ter­isch mit pseudowis­senschaftlichen Gedanken und wit­tern über­all Ver­schwörun­gen. Unser Ein­druck ist: Viele Men­schen haben schlichtweg nicht genug aus unser­er Geschichte gel­ernt.

Dieses ori­en­tal­is­tis­che Gemälde von Wik­tor Michailow­itsch Was­ne­zow, zwis­chen 1919 und 1926 ent­standen, heißt “Ковёр-самолет”, “Fliegen­der Tep­pich” und demon­stri­ert das radikale Schwanken west­lich­er Islam­bilder. Wahrschein­lich entstammt die Vorstel­lung eines fliegen­den Tep­pichs daher, dass die in Kuriositätenk­abi­net­ten und Samm­lun­gen einge­gan­genen Exem­plare eines Tep­pichs mit Kom­pass o.ä. zu ein­er solchen Annahme ver­leit­eten. Der diente allerd­ings nicht zur Ori­en­tierung im Fluge, son­dern bei der Aus­rich­tung beim Gebet Rich­tung Mek­ka. Bei “Tausendun­dein­er Nacht” tauchen sie erst in eini­gen Über­set­zun­gen und Adap­tio­nen auf.

Ihre 38 The­sen richt­en sich gegen “Hys­terie”. Der Unter­ti­tel “Fre­und oder Feind?” wird durch eine Schwarz-Weiß-Mono­gra­phie visu­al­isiert. Sie begin­nen mit “ ‘Der Islam übern­immt Deutsch­land’ — Die Islamisierungs-Hys­terie hat ver­schwörungs­the­o­retis­che Züge” (These 1). Sym­metrisch gegenüber die let­zten bei­den The­sen “Unsere Gesellschaft benötigt mehr Ambi­gu­i­tät­stol­er­anz” und “Frei­heit ist stets auch die Frei­heit des Ander­s­denk­enden”: “Das Schwarz-Weiß-Denken, welch­es große Teile der Islam-Debat­te prägt, lässt sich auch als extremer Aus­druck ein­er fehlen­den Ambi­gu­i­tität­stol­er­anz deuten” (S. 115). Wenige Seit­en vorher geht es um mus­lim­is­che Jugendliche und Kinder, welche “durch ihre Sozial­i­sa­tion offen­bar einen Sozialcharak­ter erwor­ben [haben], der an Macht und Gehor­sam aus­gerichtet ist und der sich mit Frei­heit, Plu­ral­is­mus und Ambi­gu­i­tät­stol­er­anz schw­er­tut.” (S. 104).

Warum fällt ger­ade in der Islamde­bat­te Ver­sach­lichung etwa durch Religionswissenschaftler*innen so schw­er?

Wenn wie im Fall der Islam-Diskus­sion hohe Emo­tion­al­ität im Spiel ist, fällt eine Ver­sach­lichung immer schw­er. Wir sind der Ansicht, dass bei manchen Fra­gen, ins­beson­dere solchen mit ver­schwörungs­the­o­retis­chem Hin­ter­grund, viele Diskus­sion­steil­nehmer über­haupt nicht den Wun­sch haben, das eigene Islam-Bild auf­grund sach­lich­er Infor­ma­tio­nen ger­ade zu rück­en. In Kreisen, deren Fühlen, Denken und Han­deln von schwarz-weiß Mustern geprägt ist, dürfte ein tra­di­tionell mei­n­ungss­chwach­es Fach wie die Reli­gion­swis­senschaft kaum hin­re­ichende Sachau­torität besitzen. Eine Reli­gion­swis­senschaft, die sich bewusst jeglich­er Bew­er­tung enthält, leit­et pop­ulis­tis­chen Mei­n­ungs­mach­ern höch­stens noch weit­eres Wass­er auf ihre Mühlen.

Unsere „38 The­sen gegen eine Hys­terie“ sind ein Beispiel für die von uns vertretene Prak­tis­che Reli­gion­swis­senschaft. Die haben wir nicht in unsere reli­gions- bzw. islamwis­senschaftliche Wiege gelegt bekom­men. Sie ent­stand im jahrzehn­te­lan­gen Reflex­ion­sprozess über die Bedeu­tung des Fach­es bei der Ver­mit­tlung von Religion(en).

Weil wir als Reli­gion­swis­senschaftler Ver­ständi­gung, gutes Zusam­men­leben und Dia­log wollen, favorisieren wir eine Kom­bi­na­tion aus ein­er „Hermeneu­tik des Ver­trauens“ als Grund­lage und ein­er „Hermeneu­tik des Ver­dachts“. Die Ver­trauen­sh­ermeneu­tik bringt die starken Seit­en des Islam zur Gel­tung – selb­stver­ständlich ohne seine schwachen, prob­lema­tis­chen zu ver­schweigen. Vor Blauäugigkeit, die allen irgend­wie pos­i­tiv klin­gen­den Aus­sagen über den Islam selb­st von nicht-recht­slasti­gen Men­schen unter­stellt wird, bewahrt uns die „Hermeneu­tik des Ver­dachts“. Diese hat aber zwei Seit­en: Eine, die wir „Hermeneu­tik der Denun­zi­a­tion“ nen­nen, hal­ten wir für gefährlich und sozialschädlich. Sie übt Zweifel an allem und jedem, glaubt wis­senschaftlichen Aus­sagen prinzip­iell nicht mehr, stellt ganze Men­schen­grup­pen – die Juden, die Mus­lime, die Zige­uner, die Frem­den – unter Gen­er­alver­dacht. Wir sind auf dem besten Wege dahin, eine Verdäch­ti­gungs-Gesellschaft zu wer­den, vor allem gegenüber dem Islam. Das anti­is­lamis­che Gift der Verdäch­ti­gung ver­bre­it­et sich immer weit­er. Diese „Hermeneu­tik der Denun­zi­a­tion“ ist inhu­man, sät Mis­strauen, wo sie nur kann, liefert die Grund­lage für „grup­pen­be­zo­gene Men­schen­feindlichkeit“.

Wir favorisieren die zweite Form der „Hermeneu­tik des Ver­dachts“, die unsere Ver­trauen­sh­ermeneu­tik flankiert. Sie hat eine pos­i­tive gesellschaft­skri­tis­che Aus­rich­tung, ver­set­zt in die Lage, entsch­ieden allen (islamis­chen) Has­spredi­gern ent­ge­gen­zutreten, Fraue­nun­ter­drück­ung, Zwang­sheirat, Ver­fol­gung Ander­s­gläu­biger und Abtrün­niger als das zu ächt­en, was sie sind: inhu­man, asozial und böse.

Der Diwan des Hafiz, Manuskript von 1585.

Eine inter­es­sante Beobach­tung ist für mich, dass es an eini­gen Stellen dur­chaus die Andeu­tung ein­er Art Bruch in der islamis­chen Welt gibt:

“Der Zeitraum von 800 bis 1800 zeigt ‘keine Spur von Homo­pho­bie’ in der islamis­chen Welt” und den Sozi­olo­gen Georg Klau­da weit­er zitierend: “[D]ie zeit­genös­sis­che Homo­sex­uel­len­ver­fol­gung in mus­lim­isch geprägten Län­dern [hat] nichts mit ‘mit­te­lal­ter­lich­er Rück­ständigkeit’ zu tun […], son­dern mit ein­er Re-Insze­nierung der west­lichen Mod­ernisierung” (S. 26).

“Im Islam gibt es keinen tra­di­tionellen, religiös oder ras­sis­tisch begrün­de­ten Anti­semitismus. Den­noch ist er heutzu­tage in den mehrheitlich islamis­chen Län­dern weit ver­bre­it­et” (S. 105, Peter Wien zitierend, Asso­ciate Pro­fes­sor für Mod­ern Mid­dle East­ern His­to­ry an der Uni­ver­si­ty of Mary­land in Col­lege Park).

“Die Kul­tur des Islam zeich­nete sich bis ins 19. Jahrhun­dert hinein durch Ambi­gu­i­tät­stol­er­anz aus.” (S. 116 unter Ver­weis auf die Arbeit­en von Thomas Bauer).

Was bedeutet das für islamis­che Mehrheits­ge­sellschaften heute?

Unser­er Mei­n­ung nach gehört die Fähigkeit der Ambi­gu­i­tät­stol­er­anz zu den wichti­gen Errun­gen­schaften der Aufk­lärung und des mod­er­nen, auch (selbst)-kritischen Men­schen. Dem Islamwis­senschaftler und Ara­bis­ten Thomas Bauer (Mün­ster) ver­danken wir die Erken­nt­nis, dass der Islam in weit­en Teilen sein­er Geschichte zu ein­er solchen Ambi­gu­i­tät­stol­er­anz fähig war. Das bedeutet, dass er diese Fähigkeit, die in der Gegen­wart von diversen poli­tis­chen Prob­le­men über­lagert wird, auch wieder zurück­gewin­nen kann. Die islamis­che Mehrheits­ge­sellschaft in vie­len Län­dern wird auf­grund der herrschen­den poli­tis­chen Ver­hält­nisse noch Zeit brauchen, um diese Tol­er­anz wiederzugewin­nen. Auch in unser­er aufgek­lärten west­lichen Gesellschaft ver­fü­gen nur solche Men­schen über Ambi­gu­i­tät­stol­er­anz, die in sich selb­st so gefes­tigt sind, dass sie religiösen und poli­tis­chen Plu­ral­is­mus aushal­ten kön­nen. Dieser Gruppe von Men­schen ste­ht eine andere gegenüber, die sich auf­grund der eige­nen fehlen­den wirtschaftlichen Absicherung, der ungelösten Fra­gen der Glob­al­isierung und vielfälti­gen weit­eren ungelösten Prob­le­men unsich­er und ängstlich fühlt. Diese Men­schen sind leichte Beute für Pop­ulis­ten.

Ein mod­ern­er ara­bis­ch­er Koran mit per­sis­ch­er Über­set­zung. Iran, 2009.

An ander­er Stelle beto­nen Sie die Unter­schiede “zwis­chen dem Main­stream-Islam und Islamis­ten. Ganze acht Prozent der 50 von Islamis­ten am häu­fig­sten zitierten Koran­verse sind All­ge­meingut des Mehrheit­sis­lam. Und nur sieben Prozent der vom Mehrheit­sis­lam zitierten Koran­verse enthal­ten Inhalte, die Ausle­gun­gen in Rich­tung Gewalt zulassen. Bei den Extrem­is­ten sind es 86 Prozent.” (S. 78 unter Beru­fung auf Milo Com­er­ford und Rachel Bryson: Strug­gle over Scrip­ture. Chart­ing the Rift between Islamist Extrem­ism and Main­stream Islam, 2017). Beim deutschen Salafis­mus wurde häu­fig von “Laien­the­olo­gie” gesprochen. Wie sehr ver­w­er­fen islamistis­che Strö­mungen die Tra­di­tio­nen der Rechtss­chulen?

In einem ganz erhe­blichen Maße. Die meis­ten Islamis­ten sind keine aus­ge­bilde­ten The­olo­gen. Wir unter­schei­den zwis­chen Salafis­ten, Islamis­ten und Dji­hadis­ten. Salafis­ten berufen sich auf eine in Ägypten ent­standene Reform­be­we­gung aus der zweit­en Hälfte des 19. Jahrhun­derts. Diese wollte die ein­stige kul­turelle und poli­tis­che Größe der islamis­chen Welt wieder beleben – durch eine Rückbesin­nung auf die Tugen­den der frühen Mus­lime, der „from­men Altvorderen“ (as-salaf aṣ-ṣāliḥ). Außer­dem wollte man die Botschaft des Korans von späteren Entwick­lun­gen reini­gen. Seit den 1960er Jahren drangen unter dem Ein­fluss des Mus­lim­brud­ers Sayyid Qutb (1906–1966) mil­i­tante Ten­den­zen in diese ursprünglich gewalt­lose Denkschule ein.

Bei den Salafis­ten gibt es Puris­ten, die auf die reine Lehre fokussieren, ein gottge­fäl­liges Leben des Einzel­nen und der Gesellschaft propagieren. Poli­tis­che Salafis­ten verbindet die Forderung nach der Ein­führung der Scharia in einem islamis­chen Staat, der auf kor­rek­ter Islam­inter­pre­ta­tion basiert. Dji­hadis­tis­che Salafis­ten stellen den bewaffneten Dji­had in den Mit­telpunkt, wollen Staat und Recht­sor­d­nung umgestal­ten und streben eine islamis­che Ord­nung an, in der west­liche Ver­fas­sung­sprinzipen nicht mehr gel­ten. Sie erre­ichen oft Men­schen, die in ein­er per­sön­lichen Krise steck­en, sich von der west­lichen Gesellschaft nicht anerkan­nt fühlen und auf per­fide Weise zu einem Feldzug gegen ver­meintliche oder echt existierende weltweite anti­is­lamis­che Kräfte aufgerufen wer­den. Salafis­ten erken­nen die Lehren der islamis­chen Rechtss­chulen als spätere „Neuerung“ nicht an, konzip­ieren eine eigene neue Rechtss­chule („Schule des Propheten“ bzw. „Schule der Altvorderen“.

Die The­sen “Der Koran verbesserte die Stel­lung der Frau” (24), “Männliche Mach­tansprüche, Tra­di­tion und Ehrvorstel­lun­gen wer­den der Frau zum Ver­häng­nis” (25) und “Der Islam recht­fer­tigt keine sex­uelle Gewalt gegen Frauen (26), die zusam­men mit “Die Kul­tur islamis­ch­er Län­der macht Män­ner gle­ichzeit­ig zu Tätern und Opfern” (27) das Geschlechter­ver­hält­nis und die Rolle der Frau behan­deln, über­raschen dop­pelt.

Ein­er­seits damit, dass die Ver­schleierung nur ganz kurz vorkommt (S. 83: “An kein­er Stelle fordert der Koran, dass sich Frauen ver­schleiern müssen und ihr Wirkungs­bere­ich auf das Haus beschränkt ist. Sure 24, 32 emp­fiehlt guten Mus­lim­in­nen, sich außer­halb des Haus­es schamvoll zu klei­den”).

Ander­er­seits damit — anschließend S. 84 — , dass sich Reform­be­we­gun­gen seit dem 19. Jahrhun­dert in Fra­gen der Emanzi­pa­tion der Frau wie ihre Geg­n­er auf den Koran bezo­gen, “[d]ieser enthält Aus­sagen, die eine Unterord­nung der Frau nahele­gen, aber auch solche, die Ansätze für eine rechtliche Gle­ich­stel­lung favorisieren” (vgl. REMID-Inter­view mit Dana Fen­nert über islamis­chen Fem­i­nis­mus).

Das “völ­lig über­be­w­ertete Kopf­tuch” taucht schließlich in der aller­let­zten These (38) auf (S. 118f.). Nach eini­gen Sta­tis­tiken, dass etwa nur 28% der islamis­chen Frauen in Deutsch­land eines tra­gen, oder dass junge mus­lim­is­che Frauen sich nicht von ver­gle­ich­baren jun­gen deutschen christlichen bzw. säku­laren Frauen in ihren Ein­stel­lun­gen zur Beruf­stätigkeit der Frau oder zur poli­tis­chen Ord­nung in Deutsch­land unter­schieden, abge­se­hen von der Rolle, die sie der Reli­gion für sich zus­prechen, plädieren Sie für einen Frei­heits­be­griff, “eine islamis­che Frau darin zu bestärken, ihrer Tra­di­tion fol­gen zu dür­fen — sie aber auch darin zu unter­stützen, wenn sie sich dage­gen wehren will”.

Warum diese Aus­son­derung des The­mas her­aus aus den­jeni­gen zum Geschlechter­ver­hält­nis und an den Schluss, wo es um Tol­er­anz und die Frei­heit der Ander­s­denk­enden geht? Ich meine — abge­se­hen von den­jeni­gen Grün­den ab dem “Übri­gens” auf S. 119, welche die gefährliche poli­tis­che Rolle dieser Debat­ten am Beispiel Öster­re­ichs, wo “die Ver­mu­tung, ‘unsere Werte’ wür­den durch die Kopftüch­er klein­er Kinder gefährdet, die öffentliche Diskus­sion vergiftet”, aufzeigen.

Man hätte dieses The­ma dur­chaus auch an ander­er Stelle beant­worten kön­nen, wie im Übri­gen auch manche anderen The­men. Uns überzeugt bis jet­zt die vor­liegende Gliederung. Wir freuen uns jeden­falls sehr über Ihre äußerst gründliche Lek­türe unseres Buch­es.

Google-Suche “kopf­tuch öster­re­ich”, 20. Mai 2019.

In der These “Der Islam hat Europa kul­turell bere­ichert” (15) ver­weisen Sie u.a. auf Thomas Bauers Konzept ein­er romano-grae­co-iranis­chen Antike: “Die Zeit zwis­chen 500 und 1050 in West- und Mit­teleu­ropa sowie in West- und Zen­tralasien lässt sich ein- und der­sel­ben Epoche zuord­nen, wenn  man sie als ‘Trans­for­ma­tion­sprozess und als for­ma­tive Peri­ode’ ver­ste­ht”. Um 1500 würde dann eine frühe, erste Neuzeit in ein­er spätere überge­hen, auf welche ab 1750 die Mod­erne folge (S. 59f.). Mit Ange­li­ka Neuwirth sei die über­lieferte Textfas­sung als auch die mündliche Vor­form des Koran als “Ausle­gung und Neu­for­mulierung bib­lis­ch­er und nach­bib­lis­ch­er Tra­di­tio­nen und somit als Teil des geschichtlichen Ver­mächt­niss­es der Spä­tan­tike an Europa” zu betra­cht­en (S. 65). Wie sehr ringt man in Europa heute im Medi­um des Islam­bildes um sich selb­st und die Suche nach ein­er Iden­tität?

Um diese wichtige Frage zu beant­worten, müssten wir einen eige­nen Auf­satz schreiben. Wir denken, dass das Islam­bild nur zu einem gerin­gen Teil bei der Suche nach eigen­er Iden­tität hil­ft bzw. gebraucht wird. In den meis­ten Fällen dient die Auseinan­der­set­zung mit dem Islam eher der Abgren­zungsstrate­gie, wobei das zu schützende Eigene oft dif­fus bleibt oder sich hin­ter Schlag­wörtern und Worthülsen wie Abend­land, Heimat, (jüdisch-)christliches Erbe ver­steckt.

Danke für das Inter­view.

Das Inter­view führte Kris Wagen­seil.

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