“Sikh-Religion in der Schweiz”: Interview mit Buchautor

Christoph Peter Bau­mann, ehe­ma­liger Leit­er von Inforel in Basel, hat ein Buch zur “Sikh-Reli­gion in der Schweiz” vorgelegt. Die Sikh-Reli­gion ist eine der zahlen­be­zo­gen kleineren Wel­tre­li­gio­nen mit rund 27 Mil­lio­nen Mit­gliedern und zählt in der Schweiz zu den kle­in­sten Reli­gion­s­ge­mein­schaften. Zum Buch führte REMID ein Inter­view mit dem Autoren.

Du beginnst mit ein­er per­sön­lichen Beziehung zur Sikh-Reli­gion. Du botest in deinem Haus Platz für einen Gur­d­wara. So nen­nen Sikhs ihre Gebets- und Schul­stätte. Und wie soll­ten sich die Leser*innen das vorstellen, ein Reli­gion­swis­senschaftler bietet ein­er Reli­gion­s­ge­mein­schaft einen Raum an, ohne zu kon­vertieren?

Zu dieser Zeit bot unsere Fam­i­lie mehreren Reli­gion­s­ge­mein­schaften Gas­trecht: Tamilis­che Hin­du, eine Sri-Chin­moy-Gruppe, eine Med­i­ta­tion­s­gruppe, eine bud­dhis­tis­che Gruppe und diverse Grup­pen für einzelne Anlässe und Tre­f­fen. So war die Sikh-Gruppe eine unter mehreren Reli­gion­s­ge­mein­schaften.

In der Nacherzäh­lung der Geschichte der zehn Gurus taucht bei Num­mer 9 der Begriff “Reli­gions­frei­heit” auf und bei Num­mer 10 der wieder­holte Hin­weis, dass der neben dem ab sofort (um 1700) für alle männlichen Sikhs gel­tenden Zuna­men Singh, “Löwe”, für alle Frauen gewählte Zuname Kaur ist, “Prinzessin” — aber: “gram­matikalisch richtig Prinz”. Die sozialen Unter­schiede, welche mit dem Fam­i­li­en­na­men ver­bun­den waren, soll­ten getil­gt wer­den. Das klingt alles sehr mod­ern? Wie ähn­lich oder eben ver­schieden sind diese mod­ern erscheinen­den Refor­men mit solchen in Europa um diese Zeit? Schließlich vom heuti­gen Stand­punkt aus gefragt, ist es ja sehr inter­es­sant, dass hier die weib­liche gram­ma­tis­che Form getil­gt wird. Hat das Gründe? Was steckt hin­ter diesem mythis­chen Bild von Löwen und Prinzen?

«Die sozialen Unter­schiede, welche mit dem Fam­i­li­en­na­men ver­bun­den waren, soll­ten getil­gt wer­den.»: Dies ist auch im heuti­gen Indi­en aktuell, weil jed­er Name Rückschlüsse auf die Reli­gion und bei Hin­dus auf die Kaste zulässt. Auch ich als Schweiz­er kann bei vie­len Hin­duna­men auf die Kaste schließen. So gehört zum Beispiel ein «Shar­ma» zur Brah­ma­nenkaste.
Dass ich nicht ein­fach die Über­set­zung von Kaur als “Prinzessin” übernehme, liegt daran, dass ich nach über 20 Jahren Sprach­stu­di­en (unter anderem San­skrit) gel­ernt habe, genau hinzuschauen. Warum aber Kaur gewählt wor­den ist und nicht eines der möglichen anderen Wörter für Prinz, entzieht sich mein­er Ken­nt­nis.

Ein seltenes Gemälde im Tan­jore-Stil aus dem späten 19. Jahrhun­derts zeigt die zehn Gurus der Sikhs sowie Bhai Bala und Bhai Mar­dana. Bhai Mar­dana Ji gilt als der erste Sikh und bei­de lebenslange Begleit­er des ersten Guru Nanak im 16. Jahrhun­dert.

Im Blog gab es mal einen Gast­beitrag “Vom Ursprung des Sikhis­mus bis zum Traum von Khal­is­tan” von Sabine Liesche (2017), welch­er ein wenig ten­sions with believ­ers (Michael Pye) provozierte. Mehrere Stel­lung­nah­men des Deutschen Infor­ma­tion­szen­trum für Sikh Reli­gion, Sikh Geschichte, Kul­tur & Wis­senschaft wur­den schließlich durch eine län­gere Rep­lik der Gas­tau­torin mit bib­li­ographis­chen Nach­weisen beant­wortet. Es ging um den zweit­en Teil ihres Artikels zum “Traum von Khal­is­tan” und ins­beson­dere um “Gewalt­tat­en gegenüber Hin­dus” im his­torischen “Sikh-Kon­flikt” (sie bezieht sich u.a. auf eine Forschungsar­beit von Mar­la Stuken­berg mit diesem Titel, die ich auch bei dir im Buch wiederge­fun­den habe). Wie gehst du mit dem The­ma um?

Da ich kein His­torik­er bin, nehme ich diese Unter­suchun­gen zur Ken­nt­nis. Meine Ein­schätzun­gen habe ich vor allem auf den Seit­en 21–25 beschrieben.

“Die Sikh-Reli­gion ver­tritt einen bild­losen Monothe­is­mus wie der Islam, glaubt wie der Hin­duis­mus an Wiederge­burt, ist aber trotz­dem kein Synkretismus dieser bei­den Reli­gio­nen. Es ist eine eigen­ständi­ge Reli­gion” (S. 14). Ähn­lich hast du das ja auch oben gesagt. [Vielle­icht]. Nun ist die Angabe von Ele­menten, also es gibt im Chris­ten­tum jüdis­che Ele­mente, solche aus den Mithras-Mys­te­rien, aus der Theur­gia eines Apol­lo­nius von Tyana usw. eigentlich his­torisch banal. Ich brauche dafür auch nicht wirk­lich die zusät­zliche Beze­ich­nung “Synkretismus”. Vielmehr ist es doch sein Gegen­teil, was sozusagen eine emisch-religiöse Fik­tion begrif­flich krei­iert, die Offen­barung des Chris­ten­tums als einzi­gar­tige und über­haupt einzige Gestalt eines Nicht-Synkretis­tis­chen. Und der Begriff “Wel­tre­li­gio­nen” ist dann so eine Art Kom­pro­miss, weni­gen anderen diese nicht-synkretis­tis­che Einzi­gar­tigkeit zuzugeste­hen. Wie viel hat so etwas auch immer mit Iden­tität­spoli­tik zu tun?

Die Gren­zen waren fließend. Die klare Abgren­zung kam erst später, als Hin­dus die Sikhs zu vere­in­nah­men ver­sucht­en.

Deine Beschrei­bung “Wel­tre­li­gio­nen” als “so eine Art Kom­pro­miss, weni­gen anderen diese nicht-synkretis­tis­che Einzi­gar­tigkeit zuzugeste­hen” lehne ich ab.

Ich ver­wende den Begriff “Wel­tre­li­gio­nen” selb­st nicht. Mir ging es darum, dass “Synkretismus” und “Wel­tre­li­gio­nen” als Begriffe auf eine gemein­same wer­tende Betra­ch­tung der Reli­gio­nen der Welt zurück­greifen. Kom­men wir zu etwas Anderem: In der Geschichte der Sikh-Reli­gion in der Schweiz geht es zunächst um “richtige” und “pro­vi­sorische” Gur­d­waras. Was macht für dich den Unter­schied?

Ein «richtiger» Gur­d­wara ist ein Gebäude, das für diesen Zweck gebaut wurde, ein pro­vi­sorisch­er ist entwed­er ein Raum in einem beste­hen­den Haus (zum Beispiel der erste «Gur­d­wara» in unserem Haus und diejeni­gen in Genf und Bassers­dorf).

Auf S. 39 erwähnst du Verze­ich­nisse zum Auffind­en bes­timmter Inhalte heiliger Schriften — und das wäre ohne schwierig. Warum? Wie wird da mit Tex­ten gear­beit­et?

Die Arbeit mit Tex­ten habe ich auf den Seit­en 41–47 beschrieben. Im Gegen­satz zur Bibel gibt es keine ver­gle­ich­bare Ein­teilung nach Kapiteln, so ist es ohne diese Verze­ich­nisse fast unmöglich, eine bes­timmte Textstelle zu find­en.

Eine Sikh-Frau soll sog­ar keinen Schleier tra­gen oder ihr Gesicht ander­weit­ig ver­bor­gen hal­ten (S. 54), aber wie ist das mit den 5 K und gibt es da ver­gle­ich­bare gesellschaftliche Debat­ten wie beim mus­lim­is­chen Kopf­tuch in der Schweiz? Auf S. 101 finde ich dazu, dass seit 1996 der Tur­ban eines von drei The­men sei, weswe­gen über Sikhs in den Medi­en berichtet werde.

Debat­ten wie beim mus­lim­is­chen Kopf­tuch kon­nte ich nie fest­stellen. Wenn darüber berichtet wird, geht es zum Beispiel um die Helmpflicht auf einem Motor­rad, so wie in Deutsch­land zur Zeit über das Urteil des Bun­desver­wal­tungs­gerichts in Leipzig berichtet wird. Sikhs haben immer wieder Schwierigkeit­en, weil sie oft mit Mus­li­men ver­wech­selt wer­den.

Den Schluss Deines Buch­es bildet eine klas­sis­che Lokale Reli­gions­forschung, welche alle Schweiz­er Ein­rich­tun­gen vorstellt, mit Fotos, Geschichte, Einord­nung und Kalen­der regelmäßiger Ver­anstal­tun­gen. Nun ist diese Art lokaler Reli­gions­forschung die Gold­grube schlechthin gewe­sen, für eine dem Par­a­dig­ma religiös­er Vielfalt verpflichtete Reli­gion­ssta­tis­tik wie die unsere von REMID. Allerd­ings scheint — nach­dem solche Forschun­gen eine Peri­ode lang gefördert wor­den waren — dieser Fördertrend vor­bei zu sein. REMID ist für eine Aktu­al­isierung ger­ade nicht-christlich­er Neuer Religiös­er Bewe­gun­gen jet­zt ver­mehrt auf Mono­gra­phien wie Dok­torar­beit­en etc. angewiesen. Wie verän­der­lich erscheint dir dage­gen das religiöse Feld? Soll­ten solche lokalen Reli­gions­forschun­gen wieder neu aufgelegt wer­den?

Solche lokalen Reli­gions­forschun­gen soll­ten unbe­d­ingt wieder neu aufgelegt wer­den!

Yogi Bha­jan mit Bhai Sahib Sat­pal Singh Khal­sa. Auf seine Ini­tia­tive hin ent­stand 3HO Inter­na­tion­al 1969. Dieses Jahr ist 50jähriges Jubiläum. Auf der Web­seite find­et sich zur Selb­st­beschrei­bung “Kun­dali­ni Yoga as taught by Yogi Bha­jan® is called the Yoga of Aware­ness”, “Kun­dali­ni Yoga is not a reli­gion. When we apply the tech­nol­o­gy of Kun­dali­ni Yoga to our bod­ies and minds, it has the effect of uplift­ing the spir­it. It is for every­one. It is uni­ver­sal and non­de­nom­i­na­tion­al”, aber auch: “There are some peo­ple who claim there is no rela­tion­ship between yoga and Sikhism. How­ev­er, Yogi Bha­jan talked about it very dif­fer­ent­ly. He car­ried the oral tra­di­tion of the Pun­jab with him when he came to the West. Part of that oral tra­di­tion was rec­og­niz­ing the inter­play between the ancient yog­ic teach­ings that pre­date Sikh Dhar­ma by thou­sands of years, and the Sound Cur­rent of the Shabad that the Sikhs Mas­ters man­i­fest­ed through their teach­ing.”

In den Nieder­lan­den, schreib­st du auf S. 12, ist Healthy, Hap­py, Holy Orga­ni­za­tion (3HO) “als west­lich­er Zweig der Sikh-Reli­gion zuzuord­nen”, in der Schweiz sei der Ver­band 3ho Shweiz Kun­dali­ni Yoga “poli­tisch und kon­fes­sionell neu­tral”. Deswe­gen fehlt sie, was ich bedauer­lich finde, auch in der Lokalen Reli­gions­forschung ab S. 121. Dabei ord­nen sich bei­de genan­nten nationalen Organ­i­sa­tio­nen der 3ho Foun­da­tion Inter­na­tion­al zu. Wie ist denn über­haupt 3HO in all das Bish­erige einzuord­nen?

Früher, das heißt, in den 1990er Jahren, war 3HO auch in der Schweiz der west­liche Zweig der Sikh-Reli­gion. In unserem Buch «Reli­gio­nen in Basel-Stadt und Basel-Land­schaft» (Basel 2000) führten wir sie im Kapi­tel «Erlosch­ene oder in Basel nicht mehr vorhan­dene Reli­gion­s­ge­mein­schaften» auf. Die vor­ma­lige Lei­t­erin der Gruppe in Basel ver­stand sich als Sikh und nahm auch einen Sikh-Namen an.

Der aktuelle Vere­in «3ho Schweiz Kun­dali­ni Yoga» wurde 2002 gegrün­det. 2008 erhielt ich von der Ver­ant­wortlichen dieses Vere­ins bei der Frage nach dem Ver­hält­nis zur Sikh-Reli­gion die Antwort «3HO ist offen gegenüber allen Reli­gio­nen.» So heißt es auch in den Statuten: 2009 im Artikel 2.3: «3HO Kun­dali­ni Yoga Schweiz ist poli­tisch und kon­fes­sionell neu­tral.»  2017 im Artikel 1: «Er ist poli­tisch und kon­fes­sionell neu­tral.» So war es für mich klar, dass 3HO nicht in das Buch «Sikh-Reli­gion in der Schweiz» gehört.

Danke für das Inter­view.

Das Inter­view führte Kris Wagen­seil.

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