Das Thema Klimawandel als Indikator für Antisemitismus

Unser Mitglied Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter von Baden-Württemberg, wurde neulich etwas verkürzt zitiert, in der Jüdischen Allgemeinen, “Windräder gegen Judenhass” (1. August 2019). Ihm ging es eigentlich um eine interessante, vielleicht auch etwas verkürzte Adorno-Rezeption, insofern – das zitierte auch der Rezensent Michael Wuliger – “[d]ie Verfeuerung fossiler Rohstoffe nicht nur Umwelt und Klima [vergifte], sondern auch Gesellschaften, Staaten und religiöse Lehren ins Autoritäre [verforme]”. Blume geht es dabei im Besonderen um die “Rentierstaatstheorie” und eben darum, dass nach Adorno et. al autoritäre Persönlichkeiten besonders für u.a. Antisemitismus empfänglich seien. Aber es gibt noch einen anderen Grund, sich als Religionswissenschaftler*in für den Klimawandel zu interessieren. So titelte T-Online auf seinem Nachrichtenportal “Neue Studie: Juli-Hitzewelle wäre ohne Klimawandel unwahrscheinlich” (2. August 2019). Von 173 Reaktionen bei dem zugehörigen Facebook-Post der dortigen Seite von T-Online sind aktuell (03.08., 11.22) ganze 140 Lach-Smileys. Das sind immerhin 80%, die bei diesem Thema sozusagen “Lügenpresse” rufen und nach den Kommentaren einem Narrativ folgen, das eine Verschwörung “windiger Ganoven” (Zitat von dort) gegen den “kleinen Mann” ausmacht.

Windrad in Nicaragua: “In Nicaragua ist der Klimawandel bereits Realität. Und zeigt sein gefährlichstes Gesicht. Extreme Wetterereignisse stellen das Land auf eine harte Probe”, heißt es auf der Webseite der christlichen Initiative Romero zu ihrem dortigen Klimaschutz-Projekt.

Foto: Arnaud Bouissou unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 2.0

Verschwörungsnarrativ und Antisemitismus

Nun ist es die alte Abwehr zu sagen, es gebe doch reale Verschwörungen, nicht jede “Verschwörungstheorie” wäre notwendig auf “den Juden” gemünzt. Es sei naiv und untertänig, hier keine Kritik zu üben, etwa an angeblichen Plänen einer “CO2-Steuer”. Nun würde das aber im konkreten Fall bedeuten, dass diese Verschwörung derartige Ausmaße haben müsste,

  • dass (1.) ca. 97% der Klimaforscher*innen involviert wären, insofern es bei ihnen Konsens ist, dass der Klimawandel kommt und dass er zu entscheidenden Anteilen menschengemacht ist;
  • dass (2.) die Aktivist*innen seit der Gründung der Partei “Die Grünen” zumindest zu guten Anteilen involviert sein müssten, insofern sie nahezu vierzig Jahre die einzigen waren, welche diese Position öffentlich machten;
  • dass (3.) die Politiker*innen von CDU und SPD usf., die sich aktuell gegen das Video des Youtube-Influencers “Rezo” oder mit den Abgeordneten der AfD zusammen gegen einen nationalen Klimanotstand aussprachen, involviert sein müssten und ihre Abwehr damit nur strategische Ablenkung wäre;
  • oder alternativ (3.) dass die hauptsächlich nur in wenigen europäischen Ländern existierende Parteirichtung der Grünen irgendeinen mächtigen Verbündeten haben müsste, um dann gegen CDU, SPD und AfD zu agitieren;
  • dass (4.) in beiden Fällen die Medien sich vermeintlich steuern lassen, zumindest diejenigen Medien, die wie die “Altparteien” auch, einem “System” zugerechnet werden, das zwar noch Ähnlichkeiten mit ‘altlinken’ Perspektiven auf angeblich ‘imperialistische’ versus ‘antikapitalistische’ Akteure hat, aber häufig genug sich auf ‘internationalistische’ versus ‘nationalistische’ Akteure engführen lässt.

Insgesamt handelt es sich also mindestens um eine Weltverschwörung und sie ist und bleibt anschlussfähig an die Große Erzählung des Nationalsozialismus vom “raffenden”, “internationalistischen” Judentum versus einer völkisch gedachten “Schicksalsgemeinschaft”.

Und das ist das Erschreckende: In einer gewissen Weise muss wohl konstatiert werden, dass das Vorhaben der Alliierten, den Nationalsozialismus eine “totale Kapitulation” unterzeichnen zu lassen und damit den Spuk zu beenden, gescheitert ist. Es wird deutlich, dass die über Jahrzehnte geringer werdende Zustimmung zu Items gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (denen erst seit wenigen Jahren eine breite Zustimmung zu neuen “rechtspopulistischen” Items gegenübergestellt werden kann), eher einen Lernprozess darstellt, bestimmte Schlussfolgerungen des eigenen Weltbildes nicht mehr öffentlich zu äußern.

Wenn dann aber Themen aufkommen, wo der unreflektierte Zaungast nicht bewusst bemerkt, dass er sich gerade antisemitisch äußert, weil gegenständlich eine neue Geschichte erzählt wird (wenn sie auch die alte nur variiert), dann gibt es 80% Zustimmung im postnationalsozialistischen Deutschland. Und wahrscheinlich nicht nur dort: Nach Michel Foucaults oder Giorgio Agambens Arbeiten sei die politische Ideengeschichte nie wirklich über ein neues biopolitisches Paradigma hinausgekommen.

Nun heißt das im übrigen am Ende nicht so sehr, dass Windräder gegen den Judenhass helfen. Natürlich gibt es keine Verbindung zwischen Klima (bzw. eben in der Perspektive der Erzählung Wetter) und Judentum (oder es ist wie bei den Hexen ein eher in Vergessenheit geratenes antisemitisches Klischee). Die Themen, welche Antisemit*innen in ihre eigenen Erzähltraditionen integrieren, haben eben gerade keinen realen Bezug zum Judentum. Darum ging es im übrigen auch – wie bereits angedeutet – nicht bei Michael Blume.

Ein Artikel bei Heise war Ende 2018 überschrieben mit: “Grüne schlagen radikale Maßnahmen für Klimaschutz vor : Ab 2030 nur noch abgasfreie Neuwagen, CO2-Bepreisung, dreckige Kraftwerke abschalten – das sind einige Vorschläge. Es gehe um eine ‘Menschheitsaufgabe'”. Als Bild verwendete der Artikel ein anderes Werk von Gerd Altmann aus Freiburg. Dort war es eine Bronze-Erde, die unter stürmischen Wolken in einem ähnlich schwarzen Sujet halb aus dem Meer ragt. In diesem Beispiel ist es eine Freiheitsstatue, aus deren Fackel der Freiheit (bzw. nach dem Erschaffer Bartholdi auch des Fortschritts) industrieller Rauch aufsteigt.

Bild von Gerd Altmann, Public Domain. Link: Heise-Artikel.

Der Frosch im Glas

Zugleich bleibt aber die Frage, ob die Themen, welche Antisemit*innen stark triggern, rein zufälliger Natur sind. Wo sie schon grundsätzlich nichts mit dem Judentum zu tun haben, haben sie vielleicht mit etwas anderem zu tun und sind deswegen irgendwie wichtig? In anderen Worten: Hat der Aufwand, den ein*e Antisemit*in betreibt, um diese komplexe Alternativrealität zu erschaffen und aufrecht zu erhalten, eine psychoanalytische Relevanz als unbewusster Ausdruck zum Beispiel einer “Verdrängung”? Deutet der offensichtliche Bezug einiger Antisemitismustheorien zum Autoritarismus daraufhin, dass hier an und für sich fremde Interessen zu eigenen gemacht werden? Dass also nicht externe Verschwörer*innen diese “fremden” internationalistischen Interessen vertreten, sondern dass ein insgeheim angenommenes Interesse eines Status Quo durch die schwurbelnden Antisemit*innen spricht und diese damit einen inneren Konflikt teilweise nach außen projizieren?

Es ist so ähnlich wie die Frage, wie man Rechtsradikalen sinnvoll Kontra geben könnte. Ob nun mit hartem Widerspruch, Ignorieren oder gar Verständnis – nichts scheint gegen ein gefühltes Stärkerwerden der Rechtsradikalen zu helfen. So ist leider auch eher mit einem Anstieg weiterer antisemitischer Hetze zu rechnen, wollte man die Antisemit*innen entsprechend einem Frosch im Wasserglas dazu verwenden, eine vielleicht progressive Idee dadurch zu identifizieren, dass sie Antisemit*innen besonders offensichtlich nicht gefällt und sie in ihrer problematischen Weise ‘produktiv’ werden. Das wäre ein Spiel mit dem Feuer, denn so stünden mehr Windräder absurderweise für mehr (durch sie getriggerten) Antisemitismus. Allerdings ist es eben auch ein Spiel mit dem Feuer, einfach auf diese Antisemit*innen zu hören. Und das ist bei 80% Zustimmung, den die Verschwörungsmythe um den Klimawandel mancherorts wie oben bei T-Online erfährt, die naheliegendere Gefahr.

Und mal nicht als Religionswissenschaftler*in gesprochen: Es könnte in der Tat essenziell für die Menschheit sein, den Klimawandel ernster zu nehmen.

Kris Wagenseil

Ein Kommentar:

  1. Eine Frage werde ich beantworten:

    “Hat der Aufwand, den ein*e Antisemit*in betreibt, um diese komplexe Alternativrealität zu erschaffen und aufrecht zu erhalten, eine psychoanalytische Relevanz als unbewusster Ausdruck zum Beispiel einer “Verdrängung”? ”

    Ja.

    Der Jude oder auch der Muslim oder auch der Zigeuner wird als Fremdkörper zum eigenen Volk ausgemacht, der erklären soll, warum Erfolg (nach außen) und Zusammenhalt (nach innen) der eigenen Volksgemeinschaft sich nicht einstellen.

    Diese Ansprüche selbst sind natürlich ideell, weil eben die Volksgemeinschaft einerseits gegen vielen andere Volksgemeinschaften konkurriert, die alle den gleichen Anspruch haben und andrerseits ist die Volksgemeinschaft in sich eine von Interessensgegensätzen bestimmter Zusammenschluss durch den bürgerlichen Staat, der die ganze Gesellschaft auf Privateigentum verpflichtet und sie so zu Konkurrenten macht.

    Die Verschwörungstheorien dienen also dazu, über die wahren Interessensgegensätze hinwegzutäuschen und so in letzter Instanz Kapital und Staat zu affirmieren, dadurch das der kapitalistische und imperialistische Alltag verharmlost wird, weil es in der VT eben erst eine Verschwörung braucht um diese Dinge “böse” werden zu lassen.

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