Religionswissenschaft gegen Vorurteile und Stereotype: Interview mit dem SORAPS-Projekt

Das heutige REMID-Inter­view wurde geführt mit Felix Pet­zold, Leit­er im Team des nationalen Part­ners im SORAPS-Pro­jekt, Uni­ver­sität Augs­burg, und dem Pro­jek­tko­or­di­na­tor, Gio­van­ni Lapis, L’U­ni­ver­sità Ca’ Fos­cari Venezia. SORAPS ste­ht für: “Study of Reli­gions against Prej­u­dices and Stereo­types”, also “Reli­gion­swis­senschaft gegen Vorurteile und Stereo­type”. Herr Pet­zold hat zudem die Pas­sagen von Gio­van­ni Lapis über­set­zt.

Erste und let­zte Seite des Pro­jekt-Fly­ers. Das Pro­jekt mit ein­er Laufzeit von 30 Monat­en begann im Novem­ber 2016. Das Pro­jekt hat zehn Part­ner­schaften mit anderen Organ­i­sa­tio­nen oder Ein­rich­tun­gen.

Link zum Fly­er.

Was war Ihre Moti­va­tion, das Pro­jekt SORAPS zu grün­den?

Tat­säch­lich haben wir einen Pro­jek­tantrag ein­gere­icht und Mit­tel aus dem Erasmus+-Programm der EU-Kom­mis­sion erhal­ten. Wir haben uns an die Arbeit an diesem Pro­jekt gemacht, weil wir der Mei­n­ung sind, dass religiöse und kul­turelle Vielfalt heute mehr denn je eine kri­tis­che Her­aus­forderung sind. Die europäis­che Bevölkerung zeigt sich wegen der rel­a­tiv größeren Ein­wan­derung und der jüng­sten Ter­ro­ran­schläge besorgt, was wiederum seinen Aus­druck in ein­er Zunahme von Intol­er­anz und Angst find­et.
Als Reak­tion auf diese Sit­u­a­tion will das Pro­jekt “Study of Reli­gions Against Prej­u­dices and Stereo­types” Teil jen­er langfristi­gen Bil­dungsanstren­gun­gen sein, die darauf abzie­len, gegen­seit­iges Ver­ständ­nis und Inte­gra­tion zu befördern sowie Kon­flik­te und Radikalisierun­gen zu ver­mei­den.

Was genau meinen Sie mit Vorurteilen? Und wie kon­tern Sie diese?

Wir leg­en eine denkbar weite Def­i­n­i­tion von Stereo­typen und Vorurteilen zugrunde. In unseren Frage­bö­gen haben wir diese Definition/Beispiele ver­wen­det:

„Ein Stereo­typ ist eine ver­fes­tigte, vere­in­fachte, vorge­fasste, oft falsche oder nur sehr eingeschränk­te wahre Vorstel­lung oder Überzeu­gung, die sich ins­beson­dere auf eine Gruppe von Men­schen bezieht. Haben Sie jemals gehört, dass die Iren alle Säufer seien, dass alle Südeu­ropäer faul seien oder dass Frauen schlechte Führungsper­sön­lichkeit­en seien? Das sind Stereo­type: gängige Urteile über bes­timmte Grup­pen. Sicher­lich haben Sie oft von neg­a­tiv­en Stereo­typen gehört, es gibt aber auch neu­trale oder pos­i­tive Stereo­type. Beispiel­sweise das Stereo­typ, Asi­at­en seien bess­er in der Schule. Eines der vie­len Prob­leme, das jedes Stereo­typ mit sich bringt, ist, dass es, selb­st wenn es in manchen Fällen zutrifft, nie auf alle Fälle zutrifft.
Ein Vorurteil ist eine Mei­n­ung, die gebildet wird, bevor man über eine bes­timmte Sit­u­a­tion richtig informiert ist. In den meis­ten Fällen ist diese Mei­n­ung neg­a­tiv. Ein Beispiel dafür ist Sex­is­mus: Das Wort Sex­is­mus ist mit neg­a­tiv­en Mei­n­un­gen über Frauen ver­bun­den, die sich aus dem Stereo­typ ableit­en, dass Frauen weniger wertvoll oder weniger tal­en­tiert seien als Män­ner. Stereo­type und Vorurteile wer­den als miteinan­der ver­wandte, aber den­noch unter­schiedliche Konzepte ange­se­hen. Stereo­type wer­den als die kog­ni­tive Kom­po­nente betra­chtet und erscheinen oft unbe­wusst, während Vorurteile die affek­tive Kom­po­nente der Stereo­typ­isierung sind.“

Unser Ziel ist es, auf wis­senschaftliche, objek­tive und zugle­ich agile Weise ein Bild von Reli­gio­nen in all ihrer Vielschichtigkeit wiederzugeben, das den ein­fachen Ver­all­ge­meinerun­gen, wie wir sie in unseren Umfra­gen und in der wis­senschaftlichen Lit­er­atur gefun­den haben, ent­ge­gen­ste­ht. Darüber hin­aus gehen wir sog­ar auf die Vere­in­fachun­gen und Stereo­type inner­halb des Begriffs “Reli­gion” selb­st ein.

Für eine Fort­bil­dung­sein­heit haben Sie dabei welche The­men und Meth­o­d­en vorge­se­hen? An wen soll sie sich richt­en?

Die Adres­sat­en unseres Train­ingskurs­es sind Lehrerin­nen und Lehrer der oberen Mit­tel­stufe aus den Geistes- und Sozial­wis­senschaften (Geschichte, Philoso­phie, Geo­gra­phie, Kun­st, Lit­er­atur, etc.) und natür­lich Reli­gion­slehrer.

Die The­men des Kurs­es sind die fol­gen­den, und im Grunde bildet jed­er von ihnen eine Train­ing­sein­heit:

- Päd­a­gogis­che Strate­gien in mul­ti­kul­turellen Klassen
- Der Sinn und die Meth­o­d­en eines reli­gion­swis­senschaftlichen Lehrens und Ler­nens in der Schule
- Stereo­type und Vorurteile über die wichtig­sten religiösen Tra­di­tio­nen
- Religiöse Plu­ral­ität in gegen­wär­ti­gen Gesellschaften und in den Medi­en
- Fun­da­men­tal­is­men, Gewalt und Reli­gio­nen
- Ein­satz inno­v­a­tiv­er ICT-Meth­o­d­en
- Meth­o­d­en zur Schu­lung von Kol­legin­nen und Kol­le­gen

Der Kurs wird in ein­er gemis­cht­en Form organ­isiert, d. h. sowohl aus Präsen­zlehre als auch aus Online-Train­ings beste­hen. In ein­er ersten 5‑tägigen Vor-Ort-Fort­bil­dungsver­anstal­tung erhal­ten die Kursteil­nehmer eine grundle­gende Ein­weisung in die Nutzung der Online-Train­ingsplat­tform und ein Grund­la­gen­wis­sen über The­men, die anschließend in der Phase des Online-Train­ings ver­tieft wer­den sollen. Der größte Teil des Kurs­es wird aus Online-Ler­nak­tiv­itäten beste­hen. Den Teil­nehmenden wird eine Rei­he von Lesun­gen und Auf­gaben (oblig­a­torisch und option­al) zugewiesen, die inner­halb bes­timmter Fris­ten zu erledi­gen sind. Die let­zte fün­ftägige Vor-Ort-Fort­bil­dungsver­anstal­tung stellt den Ort dar, an dem die Kursteil­nehmer zusam­men mit dem Rest des Pro­jek­tkon­sor­tiums die erwor­be­nen Ken­nt­nisse und Fähigkeit­en sowie die Stärken und Schwächen des Train­ingskurs­es bew­erten.

Der größte Teil der Abschlusssitzung ist jedoch einem Work­shop gewid­met, in dem die Kursteil­nehmer bei der Organ­i­sa­tion von “Mul­ti­p­lika­tion­strain­ingsver­anstal­tun­gen” in ihren Schulen geschult und unter­stützt wer­den, in denen sie das Gel­ernte an andere Kol­legin­nen und Kol­le­gen weit­ergeben wer­den.

Lehreraus­bil­dung-Kursrichtlin­ien des SORAPS-Pro­jek­ts in englis­ch­er Sprache, Inhalte des Kurs­es. Alle Mate­ri­alien wer­den mit ein­er Cre­ative-Com­mons-Lizenz ange­boten.

Sie beto­nen, dass zum Ende der Pro­jek­t­laufzeit alle Pro­jek­terträge (Leit­faden zu reli­gions­be­zo­ge­nen Stereo­typen und Vorurteilen, Online-Train­ingskurs mit­samt aller Mate­ri­alien) frei genutzt und wiederver­wen­det wer­den dür­fen. Wir wer­den diese Mate­ri­alien dann mit Ihrem Ein­ver­ständ­nis eben­falls anbi­eten. Vielle­icht kön­nen Sie aber vor­ab schon ein­mal wichtige Aspek­te ger­ade reli­gions­be­zo­gen­er Stereo­type aus dem Leit­faden nen­nen?

Da möchte ich Sie gerne direkt auf unsere Pro­jek­tweb­site ver­weisen (soraps.unive.it). Dort ist der Leit­faden bere­its auf Englisch und bald auch auf Deutsch abruf­bar. Dieser lis­tet auf der Basis von Forschungsergeb­nis­sen aus beste­hen­der Lit­er­atur, Umfrage­analy­sen sowie ein­er Analyse der Medi­en­in­halte und des poli­tis­chen Diskurs­es gängige Stereo­type über einzelne Reli­gio­nen auf, aber auch über das Konzept Reli­gion an sich. Möchte man etwas das die meis­ten reli­gions­be­zo­ge­nen Stereo­type Vere­inen­des benen­nen, so ist es vielle­icht ein­er­seits im Preis des Monothe­is­mus zu find­en, wie ihn Jan Ass­mann bes­timmt, ander­er­seits in der Prägekraft eines protes­tantis­chen Reli­gionsver­ständ­niss­es auf unser Sprechen über Reli­gio­nen. Ein wichtiger Aspekt ger­ade reli­gions­be­zo­gen­er Stereo­type beste­ht nun darin, dass ihnen die Dichotomie im Denken zugrun­deliegt, die ‚richtige‘ Reli­gio­nen von ‚Pseu­do‘-, ‚Quasi‘-Religionen, ‚echte‘ von ‚unecht­en‘, ‚wahre‘ von ‚falschen‘, ‚gute‘ von ‚schlecht­en‘ sowie recht­en ‚Gebrauch‘ vom ‚Miss­brauch‘ der Reli­gion schei­den lässt.

Auch wenn eine kri­tis­che Zurück­weisung von Essen­zial­is­mus ger­ade keine “Tabuisierung” ist : Ein Artikel von Gudrun Krämer, “Islam­forsch­er sind im per­ma­nen­ten Stresstest” (Tagesspiegel, 14. Nov. 2018), ver­weist auf eine Art Spa­gat, der von Islamforscher*innen abver­langt würde. Wie ver­mit­teln Sie zwis­chen den Ebe­nen wis­senschaftlich­er und öffentlich­er Diskurs?

Das Pro­jekt find­et ja seinen Adres­satenkreis im öffentlichen Bere­ich. Dieser Aus­rich­tung suchen wir auf unter­schiedlichen Ebe­nen Rech­nung zu tra­gen.

1. In der Beschre­itung neuer Wege jen­seits des gegen­wär­ti­gen Main­streams in der Forschung. Mit der kul­tur­wis­senschaftlichen Erneuerung der Reli­gion­swis­senschaften ver­lagerte sich auch der Fokus reli­gion­swis­senschaftlichen Arbeit­ens. Dieser liegt gegen­wär­tig ganz klar auf Dekon­struk­tion und sucht es zu ver­mei­den, Nar­ra­tive (im sozial­wis­senschaftlichen Wortsin­nver­ständ­nis) zu entwer­fen. Für Bil­dungszwecke erwies es sich als notwendig, diesen gegen­wär­ti­gen ‚Main­stream‘ in der Forschung zu ver­lassen. Das Resul­tat bilden die Mate­ri­alien, wie sie dem Vorgänger­pro­jekt IERS (Inter­cul­tur­al Edu­ca­tion through Reli­gious Stud­ies) und dem derzeit laufend­en Pro­jekt SORAPS (Study of Reli­gion against Pred­ju­dices and Stereo­types) enthal­ten sind. Im Falle von IERS informieren diese über Religion(en). Sie tun dies auf eine überkon­fes­sionelle, kri­tis­che, objek­tive Weise, auch in his­torisch­er Tiefe, unter der expliziten Angabe, dass es sich dabei um Ver­all­ge­meinerung han­delt. IERS geht es darum, Ler­nende über­haupt dazu zu befähi­gen, sich mit religiösen Phänome­nen von Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart auseinan­der­set­zen zu kön­nen. Der Spa­gat zwis­chen wis­senschaftlichem und öffentlichem Feld zeigt sich somit in der Beschre­itung neuer Wege in der Forschung unter Beibehal­tung ein­er streng akademis­chen Beschäf­ti­gung mit dem Gegen­stands­bere­ich bei der Ver­mit­tlung.

2. In der Zusam­menset­zung des Pro­jek­tkon­sor­tiums. Die Pro­jek­te ver­sam­meln Experten, deren Forschungss­chw­er­punkt auf ein­er The­o­rie für die Prax­is liegt. Zum Beispiel wurde das Insti­tut des franzö­sis­chen Part­ners, das Insti­tut européen en sci­ences des reli­gions, im Wesentlichen deshalb gegrün­det, um reli­gions­be­zo­gene Bil­dung an öffentlichen Schulen in Frankre­ich zu imple­men­tieren. Der dänis­che Part­ner, Tim Jensen, ist selb­st ein Experte für Teach­ing about und nicht in Reli­gion, und ist mit der Aus­bil­dung von ‘Reli­gion­slehrin­nen’ und ‘Reli­gion­slehrern’ betraut. Und schließlich pro­moviert Gio­van­ni Lapis, der Pro­jek­tko­or­di­na­tor, zu diesen The­men. Ihm geht es darum, eine akademisch arbei­t­ende Reli­gion­swis­senschaft mit all­ge­mein­er Didak­tik und aus­gewählten Fach­di­dak­tiken zusam­men­zubrin­gen.
Die besten Ein­blicke, wie sich ein Spa­gat zwis­chen öffentlichem und akademis­chen Feld vol­lzieht, erhal­ten Sie auch hier, wenn Sie sich die bish­eri­gen Pro­jek­tergeb­nisse anschauen, wie Sie unser­er Pro­jek­tweb­site enthal­ten sind.


Danke für das Inter­view!


Das Inter­view führte Kris Wagen­seil.

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