Wenn die “Theologie” der Religionskritiker*innen auf “konfessionslose” Islambilder trifft

Im “Freitag” finden sich aktuell zwei Beiträge zum Berliner Neutralitätsgesetz. Auf die Startseite als Empfehlung aus der Community geheftet wurde “Die Krux mit der Religion” von David Danys (24. Mai). Die Parteilinie der Linken in Berlin wolle für “Säkulare und gemäßigte Muslime und Muslima wie Atheisten und Atheistinnen mit islamischem Hintergrund, Vorkämpfer und Vorkämpferinnen einer emanzipierten Kultur in muslimisch geprägten Sphären” nicht das Wort ergreifen, sondern paktiere mit ihren islamistischen Unterdrückern. Daneben bzw. weiter oben steht der Beitrag von Cornelia Möhring und Christine Buchholz, “Gegen jeden Zwang – Das Berliner Neutralitätsgesetz beruht auf Vorurteilen, es macht Muslimas das Leben schwer”, ein redaktioneller Beitrag vom 28. Mai. Der Zwang, ein Kopftuch zu tragen, sei ebenso abzulehnen wie der Zwang, es abzusetzen. Dem ersten Beitrag nicht gänzlich unähnlich in der Argumentationsweise erschien ein Beitrag von Michael Schmidt-Salomon im Humanistischen Pressedienst, “Marx macht mobil. Der Marx-Hype in Trier und die linke Aversion gegen Religionskritik”, bereits am 8. Mai. Der Autor ist Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, die “keine ‘atheistische’, sondern – wie die meisten führenden Wissenschaftler heute – eine ‘naturalistische’ Position” vertrete, “[d]as heißt: Wir gehen davon aus, dass es im Universum ‘mit rechten Dingen zugeht’, dass weder Götter noch Geister noch Kobolde oder Dämonen in die Naturgesetze eingreifen”. Wie der letzgenannte Beitrag zeigt, geht es hier nicht allein um eine spezifische Diskussion eines besonderen politischen Milieus. Dennoch ist diese scheinbar paradoxe Situation möglicherweise auflösbar.

Bild von A Gude unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 2.0: Koran-Manuskript 12. Jahrhundert (Symbolbild).

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Religionsbarometer und Varianz: Hass-Prävention mit Religionswissenschaft?

Wer klassisch in eine Einführung in die Religionswissenschaft schaut, wird erfahren, dass zunächst zwei Varianten der Definition von “Religion” differenziert werden können. Auch Anfragen in Seminaren, für welche REMID gebucht werden kann, fordern immer wieder eine Definition ein. Sie kennen selbst bereits eher die “essenzialistische” Variante, die einen “Kern”, ein “Wesen” von “Religion” in den Mittelpunkt stellen möchte, z.B. den Glauben an höhere Wesen, “Rückbindung” (als eine populäre Etymologie von “religio”) oder “Transzendenz”. Die Diskussion entwickelt dabei zugleich die zweite “funktionalistische” Variante, nach welcher der gesellschaftliche Funktionszusammenhang erlaube, das als “Religion” zu begreifen, was einem vergleichbaren Zweck diene (vgl. auch Ninian Smart: Dimensions of the Sacred. An Anatomy of the World’s Beliefs, 1999). Dem sei im Folgenden die Erfahrung mit einem “Religionsbarometer” gegenübergestellt. Jede_r Seminarteinehmer_in sollte bestimmte Sätze beurteilen und sich für eine von fünf Karten entscheiden, um zu sagen, das im Satz beschriebene sei zu 0%, zu 30%, zu 50%, zu 70% oder zu 100% Religion. Vorbild war ein “Gewaltbarometer” aus der Präventionsarbeit (“Gewalt Sehen Helfen”), das dafür sensibilisieren will, dass Gewaltempfindungen subjektiv stark voneinander abweichen können. Dabei geht es nicht darum, dass “Religion” etwas Negatives wie “Gewalt” sei, vielmehr eignet das Religionsbarometer als Instrument, auf ein grundsätzliches Problem mit nicht naturwissenschaftlich quantifizier- und kategorisierbaren Begriffen hinzuweisen. Auch erläutert es ihre Rolle in identitätspolitischen Diskursen.

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Trendreport 2017: Migration, Rezession, “Regression” und Ressentiment

Es ist jetzt vier Jahre her, dass zuletzt ein sogenannter “Trendreport” auf dem REMID-Blog erschienen war (vgl. Trendreport 2013). Was ergibt ein Blick auf die “geistige Situation der Zeit” – Untertitel von “Die große Regression” (hrsg. von Heinrich Geiselberger, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2017) mit Bezug auf das Werk “Die geistige Situation der Zeit” des Philosophen und Psychiaters Karl Jaspers von 1932 sowie auf die (ökonomische) Rede von einer “Großen Rezession” seit 2008 (vgl. dazu insbesondere den Beitrag von César Rendueles, S. 233-252)? Kann sich ein “Trendreport” überhaupt noch mit einer lediglich nationalen Perspektive – also auf das Religions- und Weltanschauungsgeschehen Deutschlands – begnügen?

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Religiöse Vielfalt und politische Gegenwart im Libanon

Einen besonderen Blick auf ein anderes Land ermöglicht uns Christian Witt, Politologie-Student an der Universität Marburg. Nach der Herbstmigration der Bhaktiari im Iran, dem Christentum nicht nur auf den Philippinen, religiösem Pluralismus in Südkorea oder Auroville in Indien widmet sich das aktuelle Interview der religiösen Vielfalt und der politischen Gegenwart des Libanon – einschließlich der Anerkennungspraxis von Religionen, ihrer Beteiligung in der Politik, über Atheismus, westliche Kultur, Antisemitismus und antikes Erbe.

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Homosexualität in den Religionsgemeinschaften Deutschlands

Homosexualität und Religion sind nicht notwendig ein Gegensatz. Die hier im Folgenden zusammengestellten Erklärungen und Positionen zu alternativen Formen der Sexualität aus unterschiedlichen religiösen Strömungen Deutschlands zeigen eine Breite an möglichen Einstellungen. Allerdings gilt eine “fundamentalistische Religiosität” als einer von drei Faktoren für Homophobie, so Dr. Ulrich Klocke, Sozialpsychologe an der HU Berlin und Diskriminierungsforscher, in der Zeit am 10. Feb. 2014. Er ergänzt, dass laut einer Studie besonders Menschen, die Homosexualität aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen ablehnen, ihre Einstellung bei persönlichem Kontakt zu Homosexuellen überdenken (Cunningham & Melton, 2013). Folgende Zusammenstellung ist bemüht, offizielle Erklärungen im Auszug abzudrucken. Nur in Ausnahmefällen wurden Sekundärquellen herangezogen. Sollte durch Auslassung ein Zitat Ihrer Ansicht nach verfälscht worden sein, bitten wir von REMID um einen entsprechenden Kommentar.

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Amnesty International Report 2012: Religionsfreiheit global im Vergleich

Der neue Amnesty International Report 2012 (PDF) ist vor kurzem erschienen: “Amnesty International beleuchtet in seinem Report die Menschenrechtslage des vergangenen Jahres in 155 Ländern. In 101 Staaten dokumentierte die Organisation Folter und Misshandlung durch die Sicherheitskräfte sowie in 91 Staaten Einschränkungen der Meinungsfreiheit.” (Pressemitteilung vom 24. Mai). In 35 Länderberichten finden sich Hinweise auf Einschränkung der Religionsfreiheit, elf behandeln sie in einem eigenen Kapitel (ohne die besondere Situation in Nigeria, die ausführlich ebenfalls im entsprechenden Länderbericht behandelt wird). Von den Ländern sind vierzehn christlich dominiert (davon vier orthodox, die übrigen abgesehen von Namibia und Fidschi katholisch), dreizehn muslimisch, zwei buddhistisch und Nepal hinduistisch (ohne China, Nord- und Südkorea, Vietnam und Bosnien-Herzegowina). Unter den Betroffenen finden sich ebenfalls am häufigsten Christen (insbesondere Jehovas Zeugen und Evangelikale), Muslime (insbesondere Ahmadiyya, Ahl-e Haqq, Derwische und Sufis), Buddhisten, Hindus, Bahai und Falun Gong.

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Was forschen ReligionswissenschaftlerInnen in Deutschland?

Vor bald zwei Jahren wurde der Frage “Religionswissenschaft im Aufwind?” nachgegangen, anlässlich der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Religionswissenschaft (DVRW), die sich 2011 in Heidelberg diesem Thema widmete. Dieses Jahr ist es wieder so weit: “Empirie und Theorie — Religionswissenschaft zwischen Gegenstandsorientierung und systematischer Reflexion“, darum geht es bei der diesjährigen Tagung vom 11.-14. September in Göttingen. Ein solcher Titel bietet einen Anlass, mal nachzufragen: Was forschen ReligionswissenschaftlerInnen eigentlich aktuell in Deutschland?

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“Ein Leben unterwegs – Die Herbstmigration der Bakhtiari”: Crowdfunding in der Wissenschaft

Der Religionswissenschaftler Ben Raßbach (Leipzig) und die Fotografen Maciej Staszkiewicz und Miriam Stanke (Mannheim) begleiteten 2012 die Nomadengruppe der Bakhtiari im Iran: “Zweimal jährlich brechen sie bedingt durch klimatische Bedingungen auf, um ihre Lager zu wechseln” (vgl. Kurzvideo auf Vimeo). Für eine multimediale Fotoausstellung vom 27. April bis zum 5. Mai 2013 im Leipziger Tipi Westwerk wurde ein Crowdfunding-Projekt ins Leben gerufen. REMID interviewte Ben Raßbach, zur Zeit in Ostkurdistan unterwegs, zu diesem in der Religionswissenschaft noch ungewöhnlichen Schritt.

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Generationen in Konflikt und Wechsel: Von “Jugendsekten” zur “Gemeinde 2.0”

Karl Mannheim übertrug 1928 das kunstepochale Verständnis von Bewegungen, wie es spätestens seit “Sturm & Drang” und der Romantik Gang und Gebe wurde, auf den Begriff der “Generationen”. Inhalte und historische Ereignisse sollten es nun sein, welche ein Generationsgefüge bestimmen. Bis dahin waren “Generationen” lediglich statistisch relevante Einheiten von zumeist 30 Jahren. Auch für die Religionswissenschaft ist dieser Begriff von Relevanz geworden, etwa dadurch dass es gerade der gelungene Generationswechsel sei, welcher zum wichtigen Indiz dafür wird, dass eine Neue Religion sich verfestigt bzw. etabliert. Dieser Generationsbegriff hat einige Konsequenzen nicht nur für Debatten um sogenannte “Sekten”.

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