Vernetzt: Politik, religiöse Nicht-Regierungs-Organisationen und Globalisierung

Der insbesondere durch die Medienwahl und Spracheinschränkungen bedingte quasi-nationale Blickwinkel auf die Welt ist oft blind für globale Zusammenhänge. Das gilt auch für religiöse Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) bzw. überhaupt für die Grade internationaler Vernetzung religiöser Gemeinschaften einerseits wie für das Netzwerken in einer fernen “Diaspora”. Der Begriff, der ursprünglich die “Zerstreuung” des Judentums nach der Zerstörung des Zweiten Tempels bedeutete, bezeichnet in den Arbeiten von Robin Cohen die gemeinschaftsstiftende Erinnerung an einen Migrationsbezug. Zu transnationalen religiösen NGOs insbesondere im Kontext der Vereinten Nationen – das ist der Forschungsgegenstand eines aktuellen Projektes des Instituts zur Erforschung der religiösen Gegenwartskultur der Universität Bayreuth -, aber auch zur Rolle von sogenannten “Migrantenvereinen” für die Integration interviewte REMID den Leiter des Forschungsprojekts, Dr. Karsten Lehmann.

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Spirituelle Atheisten? Statistische Einblicke in aktuelle Formen weltanschaulicher Selbst-Verortung

Bereits im Jahr 2006 erbrachte eine Studie der Düsseldorfer Identity Foundation, welche seit 2001 einen Meister-Eckart-Preis vergibt, in Zusammenarbeit mit der Universität Hohenheim, dass 10-15 Prozent der Bevölkerung “spirituelle Sinnsucher” seien – neben 35% Religiös Kreativen, 10% Traditionschristen und 40% Alltagspragmatikern. In der Sprache des SINUS-Instituts heißt das (“Was wollen die Schäfchen?” 2011): Neben 15% Traditionellen, 10% Konservativ-Etablierten, 14% “Bürgerliche Mitte”, 7% Liberal-Intellektuellen, 7% Sozialökologischen, 9% “Prekären” und 15% Hedonisten finden sich 7% Performer, 9% Adaptiv-Pragmatische und 6% Expeditive. Während Religiosität fast überall eine Rolle spielt, ist der Zugang doch sehr verschieden. Bei einem aktuellen Forschungsprojekt der Universität Bielefeld und der University of Tennessee in Chattanooga (USA), “Spiritualität in Deutschland und den USA”, sagt gar die Hälfte der Befragten, sie sei “eher spirituell als religiös“. Warum die in dieser Studie festgestellten spirituellen Atheisten, Agnostiker und Nontheisten keinen logischen Widerspruch leben und worum es eigentlich konkret beim boomenden Spirituellen gehen kann, das ist das Thema des REMID-Blogs zur aktuellen Woche.

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Religiöse Erziehung im Islam: Gender-Perspektiven, Elternbilder und ethnischer Kontext in Deutschland und Ägypten

Unabhängig von Projekten für islamischen Religionsunterricht in bisher einzelnen Bundesländern (vgl. z.B. Artikel der ZEIT “Auf dem Weg zum deutschen ‘Staats-Islam'”), ob konfessionell als Bekenntnisunterweisung oder überkonfessionell als Religionskunde, bleiben bei Fragen der religiösen Erziehung die Eltern die erste Adresse. Insbesondere bei Migrantengruppen und hier wiederum im Speziellen beim Islam bestehen Vorurteile und Klischees über die Erziehung. Dabei ist diese weder notwendig religiös noch dann notwendig konservativ – etwa im Sinne der Religion betreffenden Skalen der jüngsten Studie des Innenministeriums über Lebenswelten junger Muslime. Über Erziehung im Islam in den Medien und in der Wirklichkeit, Unterschiede zwischen z.B. türkischen und arabischen Islamformen in Deutschland, Rollenbilder von Vater und Mutter sowie im Vergleich Familienplanung in Ägypten interviewte REMID Dr. Jeannette Spenlen vom Bonner Institut für Migration und interkulturelles Lernen (BIM).

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Von Jugend, Radikalisierung und “Sektenberatungen” nicht nur im Islam – ein Déjà-Vu

Es war erst am 1. Dezember 2011, dass die Reformierten und Katholischen Zentralschweizer Kirchen und die Stadtmission die Aufhebung der Beratungsstelle Religiöse Sondergruppen und Sekten in der Schweiz beschlossen. Der Verein soll bis Ende Juni 2012 aufgelöst worden sein. Dazu heißt es im letzten Newsletter der kirchlichen Berater: “Heutige Menschen sind nicht weniger religiös als Menschen früherer Generationen. Sie machen sich einfach anders auf ihre persönliche Suche. Gefragt sind Angebote, die von Einzelpersonen angeboten werden oder solche, die mit wissenschaftlichem Anspruch in Erscheinung treten”. Also zum Beispiel REMID und für die Schweiz INFOREL. Auch dem “langjährigen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen” der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Pfarrer Thomas Gandow, wird kein Nachfolger bestellt. Bereits 2010 verlor, wie die TAZ schreibt, Ursula Caberta ihre Dienststelle Arbeitsgruppe Scientology für “Antisektenkampf in Hamburg”. Ein eher bissiges Porträt der Berliner Tageszeitung erläutert, “ihre Auskünfte gingen mehr und mehr in Scientology-Beschimpfungen über”. Ihre Mitarbeiter sollen sich bereits vor der Auflösung der Gruppe “anderweitig orientiert” haben.
Nun reagiert Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime (ZMD) auf die aktuelle Studie des Innenministeriums über Einstellungen junger Muslime: “Ganz konkret fordern wir zum Beispiel Sektenbeauftragte für den Islam, die entsprechend ausgebildet sind. Wir wollen Scouts in den muslimischen Gemeinden einsetzen – zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung – die aufklären über die Ideologisierung von Religionen”. Ob religionswissenschaftliche Expertise nicht doch eher von Nöten wäre, soll folgende Betrachtung der Studie über junge Muslime sowie einer Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung über den sogenannten Salafismus eruieren. Die Salafiyya bietet sich nämlich als Projektionsfläche dafür an, den (eigentlich christlichen) Anti-Sekten-Diskurs auf den Islam zu übertragen.

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“In Sekten”? Religiöser Nonkonformismus als Auslöser kultureller Dynamik – aktuelle Ansätze in der Religionsforschung

“In Sekten” (die zoologische Assoziation ist gewollt) war 1993 der Titel einer Broschüre der CDU. “Sektierer treten auf, Gurus und Scharlatane[,] und verführen die Menschen, die stets nach etwas Neuem suchen” (Reinhard Horst: Christus unsre Hoffnung, Göttingen 2006, S. 7) – trotz der selbst randständigen Herkunft dieses aktuellen Zitats spiegelt es doch weiterhin ein gängiges Bild über Neue Religionen wider. Der Satz hätte auch in diversen konventionellen Zeitungen stehen können. Und das, obwohl auch schon eine Enquete-Kommission des Bundestages 1998 (Drucksache 1310950) empfahl, den Begriff “Sekte” nicht mehr zu verwenden, da er immer eine Wertung enthalte. “Ein Religionswissenschaftler sieht keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Amtskirchen und Sekten”, brachte ein Jahr zuvor die ZEIT (“Religion darf Unsinn sein”, 1997). Auch die Erforschung von Religionen, das meint insbesondere die Religionswissenschaft, hat sich seitdem entwickelt. Ein interdisziplinäres Graduiertenkolleg in Leipzig, von dieser Disziplin initiiert, widmet sich religiösem Nonkonformismus und kultureller Dynamik. REMID interviewte PD Dr. Thomas Hase von der Leipziger Religionswissenschaft zur Rolle z.B. der Sektendebatten und der von ihnen kritisierten Gemeinschaften im Vergleich zu historischen Beispielen der Nicht-Anerkennung von Normen, zur methodischen Ausrichtung der beteiligten Disziplinen und zur Methodologie der Religionswissenschaft.

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Heilige Medien: Von der Teufelsbibel bis zur Tempel-App

Die Zeichen haben längst die Starre steinerner Monumente hinter sich gelassen, Rechnungen bzw. andere ökonomische Texte sind handlicher geworden als etwa VAT 12770, eine sumerische Cuneiform im Vorderasiatischen Museum Berlins aus Fara (Periode ED IIIa, ca. 2600-2500 v.u.Z.). Inzwischen erlauben mobile Endgeräte, dass man z.B. jederzeit in der Lage ist, die nächstliegende Moschee zu finden (zumindest im United Kingdom und in Nordamerika; entsprechend gibt es einen buddhistischen “Temple Finder”) oder sogar weltweit Restaurants mit “halal food“. Abgesehen von der dabei relevanten GPS-Ortungsfunktion des mobilen Endgerätes – wie unterscheiden sich solche Medien von den weniger Handlichen? Wie viel Inhalt steckt in der Medienrevolution? Was bedeutet diese für heilige Texte? Können virtuelle Orte heilig sein?

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Wie steht’s mit der Offenheit für Religionen in Großbritannien? – Die Baroness, der Papst, die Jedi-Ritter und die Medien

Betrachtet man die deutschsprachigen Medien (soweit sie von Google News erfasst werden), ist der Artikel “Wir stehen an der Seite des Papstes” von Thomas Pany auf Telepolis der einzige deutschsprachige Artikel über den Papstbesuch einer britischen Delegation, der nicht in einem explizit katholischen Medium erschienen ist. Baroness Sayeeda Hussain Warsi, die erste weibliche muslimische Ministerin Großbritanniens, hatte in ihrer Rede – überfliegt man die deutschen wie die englischen Titelzeilen der Presse – eine “militante Säkularisierung” kritisiert (aber es geht auch um “Säkularismus“), sie trage einen “Kampf fürs Christentum” zum Vatikan etc. Zwar antwortet sie auf eine Rede Benedikts XVI., welche dieser bei seinem Besuch im Vereinigten Königreich 2010 hielt, und spricht mit ihm einen Repräsentanten des Christentums an, doch in ihrer Rede geht es um Allgemeineres: Sie spricht nicht allein vom christlichen Glauben. Insgesamt ist mit Warsi zum dritten Mal ein Muslime Minister – der britische Pluralismus wirkt auf den ersten Blick integrativer als anderswo. Die Rezeption der diversen Agenturmeldungen über Warsis Rede im Ausland drückt aber eher Erstaunen und Missverständnisse aus Was hat es mit diesem Plädoyer für Offenheit auf sich? Inwiefern geht dieses Medienereignis den Religionswissenschaftler an?

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Vielfalt und Perspektiven im Judentum: Haskala, Konversion, Migration

In der Zusammenarbeit mit den Religionen vor Ort hat Maria Mahler das Projekt “REMID lädt ein” entwickelt. Zudem forscht die Religions- und Kulturwissenschaftlerin seit einiger Zeit in der Marburger jüdischen Gemeinde. REMID interviewte sie zum zeitgenössischen Judentum in Deutschland. Dabei ist ein besonderes Anliegen, nicht allein aus der Perspektive der Bekämpfung von Vorurteilen gegenüber dem Judentum zu berichten, sondern das aktuelle jüdische Leben in Deutschland in den Mittelpunkt zu stellen (man vergleiche zur Problematik die Pressestimmen zu der neuen Zeitung “Jewish Voice of Germany” und deren Selbstverständnis).

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Umgang mit anderen Religionen: Russen dürfen weiter Bhagavadgita lesen

Dass Neue Religiöse Bewegungen es in manchen Ländern schwer haben, ist nicht nur am Beispiel Italien zu sehen, wo eine Liste mit 650 vermeintlich “satanischen” Gruppen mediale Aufmerksamkeit erzeugt (vgl. Artikel “Des Teufels Netz“). Auch in Russland besteht ein schlechtes Klima für Neue Religionen. Deren angeblich 600.000 bis 800.000 Anhänger erleben ähnliche Stigmatisierungen wie in der vergleichbaren sogenannten “Sektendebatte” im Deutschland der 1980er und 1990er Jahre vor dem Beschluss der Enquete-Kommission des Bundestages 1998: Die Bhagavadgita der Hare-Krishna-Bewegung (ISKCON) wäre beinahe indiziert worden, nachdem bereits die Schriften des Scientology-Begründers L. Ron Hubbard sowie “68 Publikationen der Zeugen Jehovas und 15 Werke des verstorbenen islamischen Theologen Said Nursi” als „extremistisch“ eingestuft worden sind.

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