Wessen Geistes Kind? Neue Religionen, alte Traditionen und die Crux des Systematikers

Es war ausgerechnet ein Gewaltverbrechen, welches letztes Jahr in den Medien vorübergehend die Frage virulent machte, was eigentlich christlich sei – also z.B. ob die neue christliche Kirche, welche ein Anders Behring Breivik in seinem Manifest einfordert, tatsächlich als eine neue Form von Christentum zu werten sei (vgl. Blogartikel “Was ist eigentlich christlich? Neue Antworten auf eine alte Frage”). Allgemein gültiger waren die dabei zitierten Aussagen eines ökumenischen Impulsreferates: “Das Christentum kann immer nur von einem konfessionellen Standpunkt aus beschrieben werden (als katholisch, protestantisch, lutherisch, calvinistisch, orthodox, freikirchlich …)”; “es gibt nicht ein einziges ‘spezifisches’ Merkmal des Christentums”. Das Problem der Einteilung, unterdrückt man nicht gänzlich den Willen zur Systematisierung, stellt sich genau genommen bei jeder Neuen Religion. Der neutrale Religionswissenschaftler hat es dabei noch schwerer als solche, die “spezifische” (wesentliche) Merkmale einer Weltreligion zu kennen glauben.

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Prä-Astronautik: Religionsgeschichte als unheimliche Begegnung der dritten Art

Für manche steht Sternenkult am Anfang der Religion. Solche Götter am Himmel sind dann Antwort auf die Frage, ob wir allein sind – auch in den unendlichen Weiten des Alls. Metaphysisch erschaudern lässt sowohl die Vorstellung, dass nach der Rare-Earth-Hypothese sehr viele komplexe Zufälle nötig gewesen seien, damit Vielzeller-Leben auf der Erde entstehen konnte, als auch diejenige der Green-Bank-Formel (oder SETI-Gleichung), nach welcher – je nach dem, welche Zahlen man für ihre Variablen einsetzt – wir uns in einer Masse an außerirdischen Zivilisationen verlieren. Der Physiker Enrico Fermi formulierte 1950 das Paradox, dass, vorausgesetzt Leben wäre kein ungewöhnlicher Vorgang im All, der Weltraum doch eigentlich dicht bestückt mit Raumschiffen, Sonden etc. sein müsste. Unabhängig davon, ob man aktuell an Präsenz von Außerirdischen glaubt, auch ernsthafte Entgegnungen auf Fermi seiner Zeit argumentierten, wir hätten diese Ära der Raumschiffe nur verpasst, Zivilisationen vergehen. Populärer als diese Gedankenspiele von Physikern sind bestimmte “Rätsel” der Archäologie und Geschichte, welche eine Bewegung, die sich Prä-Astronautik oder Paläo-SETI nennt, als Spuren außerirdischer Zivilisationen deutet. Nicht nur zu ihrem bekanntesten Vertreter Erich von Däniken interviewte REMID den Religionswissenschaftler Jonas Richter.

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Der Horrorfilm als derbe Predigt – bluttriefende Moraldidaxe im Kino

Für gewöhnlich heißt es gerne, Horror sei des Teufels liebster Film und entsprechend warnt z.B. Harald Lamprecht, davor, es sei “bezeichnend, dass immer wieder Satanisten in ihrer Biographie davon berichten, wie sie über das Sehen von Horrorfilmen zum Satanismus gekommen sind”. Tatsächlich – und das gilt nicht allein für Horror – handelt es sich um ein Genre mit zumeist sehr deutlichen Gut-Böse-Schemata. Horrorfilme können gar als Ausdruck einer christlichen Moraldidaxe interpretiert werden, welche moralische Exempel liefert – unabhängig von und nur in sehr wenigen Fällen mit Beteiligung von Priestern oder Theologen einer organisierten Kirche. Das Böse tritt auf moderne Weise in Filmen wie “Rosemarie’s Baby” (1968), “Der Exorzist” (1973) oder “Das Omen” (1976) zutage. Von den gothic novels und dem Schauerroman der Romantik herkommend, begann das Genre mit Literaturverfilmungen von Mary Shelleys “Frankenstein” (1910, 1931) und Bram Stokers “Dracula” (1922 als “Noferatu”). Neue Stoffe fanden sich in den Gebieten der Ethnographie (“Der Golem” z.B. 1920 von Paul Wegener, “White Zombie” 1932) sowie der Psychoanalyse und Hypnose (“Das Cabinet des Dr. Caligari” 1920). Zugleich spielen diese Filme häufig in einem magischen Universum, das mehr oder weniger in eine heile Alltagswelt einbricht. Ist insofern die Kritik dieser Filme aus theologischer Richtung (einschließlich der Absprache ihres moralischen Anspruchs) nur eine moderne Tradition des Ausdrucks protestantischer Schelte an einem hermetisch aufgeladenen, bunten Katholizismus?

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Gespenster – festliche Dekonstruktion einer Universalkategorie

Das Gespenst oder die Geister gelten im allgemeinen als eine alte Kategorie so genannter “niederer Mythologie”, wie es die deutsche Philologie des 19. Jahrhunderts nannte. Sie werden erst im religionswissenschaftlichen Blickpunkt zu einer phänomenologischen Kategorie universaler Relevanz. Doch ist das den Forschern geläufige europäische Vorbild, welches ihnen weltweit für die Konzepte der Totengespenster, aber auch der Ahnengeister als Erklärungsmuster Modell stand, wirklich alt? Oder ist es vielmehr wie mit vielen in Zeiten des Nationalismus für traditionell ausgegebenen Bräuchen, wo es galt, mit “Volksaberglauben”, Märchen und Sagen einen kulturellen Wettbewerb auszufechten?

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Ihr Kinderlein kommet? Religiosität und Familienideal als Faktor der Demographie

In den meisten Religionen, so klingt es fast schon banal, spielen Familie und damit Fortpflanzung irgend eine Rolle. Bezüglich westlicher Industrieländer gilt aber seit dem so genannten “Pillenknick”, dass zumindest auf einmal für erheblich mehr Menschen als zuvor die theoretische Möglichkeit besteht, aus dem Kindersegen eine Frage der Wahl zu machen. Dr. Carsten Ramsel ist der Frage nachgegangen, inwiefern Religion als Faktor einen Einfluss auf die Demographie haben könnte und hat in einer qualitativen Untersuchung seine Hypothesen mittels Diskussionen in 15 verschiedenen religiösen Gruppen unterschiedlichster Coleur überprüft. REMID interviewte ihn zu seiner Studie.

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Mudangs, Weon-Buddhismus und Hananim – religiöser Pluralismus in Südkorea

Nach Hai-Ran Woo lautet die koreanische Übersetzung von “Pluralismus”: “Chonggyo Dawôn Chûi” (“Religion” – “mehrere Quellen” – “Ideologie” / “-ismus”) und als Konzept sei “religiöser Pluralismus” durch zunächst westlichen Einfluss dann über die koreanische Religionswissenschaft bekannt gemacht worden. Ihre Rolle habe sich dadurch ergeben, dass es keine dominante Religion in Korea gebe (vgl. Die Dialogbewegung aus der Perspektive nicht-westlicher Religion. In: Michael Pye / Edith Franke (Hrsg.): Religionen nebeneinander: Modelle religiöser Vielfalt in Ost- und Südostasien, Münster 2006, S. 121-144). Über den religiösen Pluralismus Südkoreas interviewten wir Religionswissenschaftler Dr. Heinz-Jürgen Loth.

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Islamophobie: Pauschale Ablehnung einer gesamten Religionsgemeinschaft hat mit Religionskritik nichts zu tun

Während die schwarz-gelbe Regierungskoalition ihre ursprünglichen Pläne zur Kürzung der Programme gegen Rechts zurücknehmen will, kritisieren konservative Stimmen “Symbolpolitik” oder streiten um die Extremismusklausel (welche auch manche Kooperationspartner beim Kampf gegen Rechts betrifft). Alle Erklärungen und Absichten angesichts der aktuellen Rechtsterror-Debatte sollten sich aber nicht allein auf altbekannte Milieus wie die Neonazi-Szene oder ein neu zur Diskussion stehendes NDP-Parteiverbot konzentrieren: So verwundert es kaum, dass wenige jetzt Thilo Sarrazin ins Gedächtnis rufen, der letztes Jahr mit seinem Bestseller “Deutschland schafft sich ab” demonstrierte, dass rechte Positionen in Bezug auf den Islam viel tiefer in der Gesellschaft verwurzelt sind. Wir interviewen dazu den Buchautor und Religionswissenschaftler Florian Illerhaus.

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Wer zählt was? Statistiken aller Religionen der Welt und ihre Probleme

REMID bietet eine inzwischen häufig zitierte Internetstatistik zu den Religionsgemeinschaften Deutschlands an, die auf eigenen Auswertungen religionswissenschaftlicher Arbeiten sowie auf Veröffentlichungen von Mitgliederzahlen z.B. der großen christlichen Kirchen beruht. Wir erhalten allerdings auch Anfragen aus der Rubrik lokaler Religionsforschung, solche zu anderen Ländern und eben die nach der Religionsverteilung weltweit. Diese Fragen gehören bislang nicht zum Service von REMID. Die Ergebnisse einer Recherche zu dieser letzten Frage nach der Weltverteilung geben aber Anlass, kritisch nachzufragen, warum hier wer zählt – und welche Interessen mit den verschiedenen möglichen Lösungen der Frage: Wann gehört jemand zu einer Religion? zusammenhängen.

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Anders berichten. Gegen Sterotype in Bezug auf Islam und arabische Welt

Es war im Jahr 1978, als Edward Said den Begriff “Orientalismus” prägte und damit den westlichen, “eurozentrischen” Blick auf die arabische Welt als einen „Stil der Herrschaft, Umstrukturierung und des Autoritätsbesitzes über den Orient“ (1981, S. 10) analysierte. Auch wenn es Said um die akademische Orientalistik der Kolonialmächte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ging, ist sein Vorwurf weiterhin aktuell. Während zwar von unten inzwischen der “Tahrir-Platz” zum geflügelten Wort mit universaler Einsetzbarkeit aufgewertet wird, zeichnen die konventionellen Medien in Europa weiterhin gewohnte Bilder eines “Orients”. Nicht nur zum arabischen Frühling und zum interkulturellen Dialog interviewte REMID Wenke Krestin von eurient e.V.

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