Salafismus in Deutschland: Gefährliche Wissenschaft? Rezension zum Werk Nina Käsehages

Wenn man diese Überschrift liest, mag das erstmal so klingen, als ob es um die Gefährlichkeit des Forschungsgegenstandes selbst ginge, ähnlich einem glücklicherweise abgebrochenen Forschungsunterfangen im weiteren Bekanntenkreis zur italienischen Mafia. (Bevor Sie fragen, es war ein kulturwissenschaftliches, kein religionswissenschaftliches Projekt). Die Frage, inwiefern Nina Käsehage (Religionswissenschaft Göttingen und Rostock) ein besonderes Risiko einging, in der Wahl dieses Themas für ihre Doktorarbeit, die stellt sich sicherlich, doch wird sie gerade auch durch die Lektüre ihrer spannenden Arbeit ein wenig als ein Vorurteil entlarvt, indem die Leserin, der Leser sehr genau in die unterschiedlichen Selbstverortungen salafistischer Akteure eingeführt wird, die als “misstrauisches Milieu” besonderer Zugangsweisen bedürfen. Mehr noch, man erfährt am Rande von Käsehages Version einer engagierten Religionswissenschaft, sie gibt Handlungsempfehlungen für Präventionspraxis und die eine oder andere Fußnote erzählt von noch persönlicherem Kontakt, denn Interviewpartner*innen oder deren Angehörige meldeten sich bei der Forscherin zurück. Mit “Expertengesprächen” aus Sicherheitskreisen garniert, machte der Spiegel daraus 2017 “Die Frau, die Salafisten umpolt. Angeblich” (man siehe stattdessen “Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage ‘Die Salafisten sind sehr gespalten!'” im Deutschlandfunk Nova vom 20. Juni 2018). Dieses Jahr ist die Dissertation “Die gegenwärtige salafistische Szene in Deutschland” (Lit Münster) erschienen, und – wahrscheinlich auch ein wenig aufgrund dieser ungerechtfertigten Vorwürfe – 3.234 Fußnoten erläutern das Werk. Gerade Nummer 166 weist auf gravierende Missstände hin: “In diesem Kontext sei darauf verwiesen, dass der Quellenschutz für wissenschaftlich geführte Interviews leider noch immer weit hinter dem der Journalisten zurückbleibt. Es stellt sich folglich die Frage, warum die journalistischen Quellen erhelblich abgesicherter sind als die wissenschaftlichen und welchen Stellenwert der Gesetzgeber der wissenschaftlichen (empirischen) Arbeit im Gegensatz zur journalistischen Arbeit beimisst? Die Vertrauensbildung in misstrauischen Milieus wie dem des Salafismus könnte erheblich gesteigert werden, wenn die wissenschaftlichen Feldforscher – eindeutig juristisch abgesichert – in der Lage wären, den Respondenten verlässlichere Aussagen hinsichtlich ihres Quellenschutzes in wissenschaftlichen Untersuchungen zu übermitteln bzw. zuzusichern” (S. 36).

Weiterlesen

Wenn die “Theologie” der Religionskritiker*innen auf “konfessionslose” Islambilder trifft

Im “Freitag” finden sich aktuell zwei Beiträge zum Berliner Neutralitätsgesetz. Auf die Startseite als Empfehlung aus der Community geheftet wurde “Die Krux mit der Religion” von David Danys (24. Mai). Die Parteilinie der Linken in Berlin wolle für “Säkulare und gemäßigte Muslime und Muslima wie Atheisten und Atheistinnen mit islamischem Hintergrund, Vorkämpfer und Vorkämpferinnen einer emanzipierten Kultur in muslimisch geprägten Sphären” nicht das Wort ergreifen, sondern paktiere mit ihren islamistischen Unterdrückern. Daneben bzw. weiter oben steht der Beitrag von Cornelia Möhring und Christine Buchholz, “Gegen jeden Zwang – Das Berliner Neutralitätsgesetz beruht auf Vorurteilen, es macht Muslimas das Leben schwer”, ein redaktioneller Beitrag vom 28. Mai. Der Zwang, ein Kopftuch zu tragen, sei ebenso abzulehnen wie der Zwang, es abzusetzen. Dem ersten Beitrag nicht gänzlich unähnlich in der Argumentationsweise erschien ein Beitrag von Michael Schmidt-Salomon im Humanistischen Pressedienst, “Marx macht mobil. Der Marx-Hype in Trier und die linke Aversion gegen Religionskritik”, bereits am 8. Mai. Der Autor ist Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, die “keine ‘atheistische’, sondern – wie die meisten führenden Wissenschaftler heute – eine ‘naturalistische’ Position” vertrete, “[d]as heißt: Wir gehen davon aus, dass es im Universum ‘mit rechten Dingen zugeht’, dass weder Götter noch Geister noch Kobolde oder Dämonen in die Naturgesetze eingreifen”. Wie der letzgenannte Beitrag zeigt, geht es hier nicht allein um eine spezifische Diskussion eines besonderen politischen Milieus. Dennoch ist diese scheinbar paradoxe Situation möglicherweise auflösbar.

Bild von A Gude unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 2.0: Koran-Manuskript 12. Jahrhundert (Symbolbild).

Weiterlesen

Religionsparodien – konstitutives Element einer entwicklungsoffenen Religionsfreiheit?

Der Titel meines Vortrages in Jena wurde mir vorgegeben: “Religionsparodien – wie damit umgehen?”. Man spricht auch von “Spaßreligionen”, angedacht ist eine vorgebliche religiöse Verehrung von fliegenden Spaghetti-Monstern oder rosaroten Einhörnern zum Zweck der Parodie von Religionen. Gerade eine Religionswissenschaft, welche essenzialistische Bestimmungen “der Religion” nach ihrem angedachten “Wesen” hinter sich gelassen hat und mit einem erweiterten Religionsbegriff arbeitet, steht vor dem Problem, formal diese Parodiereligionen wie eine neue religiöse Bewegung einstufen zu müssen. Allerdings zielt dann die Frage nach dem Umgang darauf ab, sie in irgendeiner Form auszuschließen. Ich will im Folgenden zeigen, wie folgenschwer problematisch das wäre. Es wird darauf hinauslaufen, dass Religionsparodien für Religionswissenschaftler*innen sogar von systematischem Interesse sein könnten.

Weiterlesen

“Born again” – Interview mit den Herausgebern des Handbuchs Evangelikalismus

Die Religionswissenschaft als Disziplin folgte zur Zeit ihrer Entstehung einem Kompromiss mit den christlichen Theologien, der auch den missionswissenschaftlichen Interessen der letzteren geschuldet war und ihr als Aufgabengebiet die nicht-christlichen Religionen außerhalb Europas zuwies. Neue religiösen Bewegungen und Diaspora-Gemeinschaften sogenannter “Weltreligionen” in Europa waren Themen, mit denen bereits Ende des letzten Jahrhunderts das Profil der Religionswissenschaft aktualisiert wurde, begleitet von einer kritischen Diskussion der Methoden und ihrer Ergänzung um insbesondere sozialwissenschaftliche Zugänge. Insofern ist eine religionswissenschaftliche Christentumsforschung ein wichtiges Anliegen, das trotz aller theologischer und auch religionskritischer Literatur zum Christentum aktuell bleibt. Am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum (religionsforschung.de) ist jetzt ein “Handbuch Evangelikalismus” (transcript 2017) entstanden. REMID interviewte die drei Herausgeber Dr. Frederik Elwert, Dr. Jens Schlamelcher und Dr. Martin Radermacher (zum Thema entstanden mit ihm Interviews zu Ambivalentes Verhältnis zur Moderne: Was ist eigentlich die Pfingstbewegung und warum ist sie global so erfolgreich? mit Dr. Sebastian Schüler 2015, Devotionale Fitness – Körperideale in evangelikaler Perspektive 2011).

Weiterlesen

Mit Parallelen zu islamistischen Ideologien: “Christlicher Extremismus in Deutschland”

REMID engagiert sich schon länger für eine Kritik der Begriffe, mit denen Religionen in der Öffentlichkeit verhandelt werden, wie zum Beispiel dem der “Sekte”. Unser satzungsgemäßes Ziel, „ein friedliches und tolerantes Zusammenleben der Menschen und der verschiedenen Religionen“ zu befördern, hat Religionsfreiheit grundsätzlich zu einem wichtigen Thema werden lassen (vgl. unsere Themenseite). Ein Aspekt davon ist auch die wissenschaftliche Differenzierung zwischen Diskriminierung und Kritik. Das gilt für die Rhetorik über sogenannte “Sekten” genauso wie für diejenigen Formen von sogenannter “Islamkritik”, welchen mit soziologisch fundierbaren Gründen rassistische Züge zugeschrieben werden können. Diesen undifferenzierten und zu Recht zu problematisierenden Kritikformen gegenüber benötigt es religionskritische Arbeiten zu konkreten Gemeinschaften oder Gruppen. Eine solche hat der Politikwissenschaftler Alexander Kühn jetzt vorgelegt: “Christlicher Extremismus in Deutschland. Das Verhältnis der Partei Bibeltreuer Christen, Christliche Mitte, Priesterbruderschaft St. Pius und Zeugen Jehovas zum demokratischen Verfassungsstaat” (2017). Die Arbeit entstand unter Rückgriff auf das REMID-Archiv. Der Titel klingt provokant, als “extremistisch” gelten sonst immer die anderen, die Islamisten oder Scientology. Aber auch wer den Extremismusbegriff problematisiert, kommt nicht an der Frage vorbei, wie “legalistischer” bis terroristischer “Islamismus” mit besseren begrifflichen Mitteln parallelisiert werden kann mit berechtigterweise zu problematisierenden Ideologemen in anderen Religionen einschließlich des Christentums (man vgl. aber z.B. auch Hyperkultur und Kulturessenzialismus nach Andreas Rechwick). REMID interviewte Herrn Kühn zu seiner Arbeit.

Weiterlesen

Vom Ursprung des Sikhismus bis zum Traum von Khalistan

Kaum jemand kennt den Sikh Verband Deutschland e.V. (gegründet 2013) oder das kürzlich neu eröffnete Deutsche Informationszentrum für Sikhreligion, Sikhgeschichte, Kultur und Wissenschaft. Vielleicht aber kennt man “die mit dem Turban” von einem indischen Restaurant. Oder das Kundalini Yoga der 3H Organisation Deutschland e.V. Aber man muss selbst auf der 3HO-Webseite Bezüge zum Sikhismus suchen: “Die Mantras im Kundalini Yoga stammen aus dem Gurmukhi, der Sprache des Sikh Dharma, so wie die Mantras im Hatha Yoga im Hinduismus wurzeln. […] Eine Hinwendung zum Sikh Dharma ist nicht erforderlich”. REMID hat bei religioholic.de – Faszinierendes und Spannendes aus der Welt der Religion(en) nachgefragt. Mit Erlaubnis der Autorin, der Religionswissenschaftlerin und Bloggerin Sabine Liesche, bringen wir einen Gastbeitrag über Sikhismus (im Original mit Teilen I und II).

Weiterlesen

Homosexualität in den Religionsgemeinschaften Deutschlands

Homosexualität und Religion sind nicht notwendig ein Gegensatz. Die hier im Folgenden zusammengestellten Erklärungen und Positionen zu alternativen Formen der Sexualität aus unterschiedlichen religiösen Strömungen Deutschlands zeigen eine Breite an möglichen Einstellungen. Allerdings gilt eine “fundamentalistische Religiosität” als einer von drei Faktoren für Homophobie, so Dr. Ulrich Klocke, Sozialpsychologe an der HU Berlin und Diskriminierungsforscher, in der Zeit am 10. Feb. 2014. Er ergänzt, dass laut einer Studie besonders Menschen, die Homosexualität aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen ablehnen, ihre Einstellung bei persönlichem Kontakt zu Homosexuellen überdenken (Cunningham & Melton, 2013). Folgende Zusammenstellung ist bemüht, offizielle Erklärungen im Auszug abzudrucken. Nur in Ausnahmefällen wurden Sekundärquellen herangezogen. Sollte durch Auslassung ein Zitat Ihrer Ansicht nach verfälscht worden sein, bitten wir von REMID um einen entsprechenden Kommentar.

Weiterlesen

“Intensivgruppen”? Alter Wein in neuen Schläuchen

Der Begriff “Sekte” ist diskriminierend und ohne wissenschaftliche Schärfe, da ihm – wenn überhaupt – zumeist Kriterien zugrunde gelegt werden, die gerade nicht distinktiv sind (“charismatischer Führer”, “geschlossenes Weltbild”, “Bewusstseinskontrolle”; vgl. Artikel bzw. Interviews über religionsbezogene Diskriminierung, aktuelle Ansätze in der Erforschung von Religionen, Sekten-Macher und Berichterstattung über Religion). Nun ist es sehr verständlich, dass dennoch weiterhin ein Interesse besteht, sozusagen die “Guten” von den “Schlechten” zu sondieren. Jüngst veröffentlichte z.B. die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen ein neues Stichwort “Bewusstseinskontrolle” von Michael Utsch, welches unter Rückgriff auf Hansjörg Hemminger (Grundwissen Religionspsychologie, Freiburg im Breisgau 2003, S. 228ff.) von “Intensivgruppen” spricht. Woher stammt dieses Konzept “Intensivgruppen”? Eignet es sich als differenziertes methodisches Instrument?

Weiterlesen

Was forschen ReligionswissenschaftlerInnen in Deutschland?

Vor bald zwei Jahren wurde der Frage “Religionswissenschaft im Aufwind?” nachgegangen, anlässlich der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Religionswissenschaft (DVRW), die sich 2011 in Heidelberg diesem Thema widmete. Dieses Jahr ist es wieder so weit: “Empirie und Theorie — Religionswissenschaft zwischen Gegenstandsorientierung und systematischer Reflexion“, darum geht es bei der diesjährigen Tagung vom 11.-14. September in Göttingen. Ein solcher Titel bietet einen Anlass, mal nachzufragen: Was forschen ReligionswissenschaftlerInnen eigentlich aktuell in Deutschland?

Weiterlesen