Quo vadis, domine? Eurozentrismus(kritik) in der Religionswissenschaft

“Mit Europa und den USA endet die Welt nicht”, soll Wladimir Putin im Interview mit der Tagesschau am 30. August 2008 gesagt haben. Über die Zusammenarbeit mit chinesischen Sport-Journalisten äußerte Reporter Heribert Faßbender im Stern (Nr. 35/2008 vom 21. August 2008, S. 154): “Mein wichtigster Rat: Interpretiert und praktiziert die Menschenrechte und die Pressefreiheit so, wie wir das in Europa tun”. Die im Kolonialismus, aber auch in der euro-amerikanischen Ideengeschichte fußende Überheblichkeit des Westens ist längst ein vertrauerter Topos. Entsprechend variiert es der amerikanische Blick – der Sänger und Schaupieler Harry Belafonte wird in der Stuttgarter Zeitung vom 13. März 2003 zitiert mit den Worten: “Die Vokabel ‘altes Europa’ zu benutzen, das ist, als würde man sagen, die Bürgerrechte sind alt, Jesus ist alt, die Philosophen sind alt – und genau das ist der Punkt. Noch mal: Geschichte ist dazu da, aus ihr zu lernen. Europa ist da in einem höheren Reifestadium. Das ist nicht eure Schande, sondern eure Ehre.” – Samir Amin arbeitete 1988 die Denkfigur des “Eurozentrismus” heraus (L’eurocentrisme, critique d’une idéologie, Paris). Andere Autoren wie der Ägyptologe Jan Assmann (Die mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, 2003) oder der Sinologe François Jullien (De l’universel, de l’uniforme, du commun et du dialogue entre les cultures, 2008) versuchen für ihr jeweiliges Gebiet näher herauszuarbeiten, was das Spezifische des europäischen Ethnozentrismus sein könnte. Wie sieht es allerdings in der Religionswissenschaft aus? Inwiefern ist sie eurozentrisch? Zu diesen Fragen interviewte REMID die Religionswissenschaftlerin Dr. Angelika Rohrbacher (vgl. Eurozentrische Religionswissenschaft? Diskursanalytische Methodik an den Grenzen von Ost und West. Marburg: Tectum, 2009).

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Wessen Geistes Kind? Neue Religionen, alte Traditionen und die Crux des Systematikers

Es war ausgerechnet ein Gewaltverbrechen, welches letztes Jahr in den Medien vorübergehend die Frage virulent machte, was eigentlich christlich sei – also z.B. ob die neue christliche Kirche, welche ein Anders Behring Breivik in seinem Manifest einfordert, tatsächlich als eine neue Form von Christentum zu werten sei (vgl. Blogartikel “Was ist eigentlich christlich? Neue Antworten auf eine alte Frage”). Allgemein gültiger waren die dabei zitierten Aussagen eines ökumenischen Impulsreferates: “Das Christentum kann immer nur von einem konfessionellen Standpunkt aus beschrieben werden (als katholisch, protestantisch, lutherisch, calvinistisch, orthodox, freikirchlich …)”; “es gibt nicht ein einziges ‘spezifisches’ Merkmal des Christentums”. Das Problem der Einteilung, unterdrückt man nicht gänzlich den Willen zur Systematisierung, stellt sich genau genommen bei jeder Neuen Religion. Der neutrale Religionswissenschaftler hat es dabei noch schwerer als solche, die “spezifische” (wesentliche) Merkmale einer Weltreligion zu kennen glauben.

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Gefangen im Sprachspiel: Der Religionsbegriff und die neuen Atheisten

Es war eine Auszeichnung des frühen Ludwig Wittgensteins, den Begriff des “Sprachspiels” völlig ohne Voraussetzungen einer unabhängig von den Sprechern bestehenden “Natur” zu bestimmen. Man versuchte, den Schwebezustand, den man bei solchen Philosophien verspürte, abzuschwächen, indem Versuche unternommen worden sind, neben dem natürlichen auch das gesellschaftliche Sein des Menschen zu systematisieren und beide Seinsweisen auf verschiedene Weisen miteinander zu verbinden. Eine dieser Weisen führte zum Faschismus. In dieser Zeit institutionalisierte sich auch die Religionswissenschaft neben vielen anderen damals neuen Disziplinen. Doch wie aktuell sind auf solche Weise systematisierte Sprachspiele noch?

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Wiederlesen und Neuschreiben: das vielfältige Verhältnis von Religion und Text

Das Verhältnis von Religionen zu Texten ist alles andere als eine banale Angelegenheit. Nicht nur in Anbetracht von z.B. Höhlenmalereien als frühen Gedächtniskünsten (oder “Texten”) oder bzgl. der intrareligiös bedeutsamen Unterscheidung von Schrift- bzw. Offenbarungsreligionen und ihrem jeweiligen Gegenüber im abendländischen sowie islamischen Bereich. Nicht nur als wichtiger Erfahrungsbereich für die Entwicklung von (biblio)mantischen und hermeneutlichen Auslegekünsten, als somit wichtiger Anfang des Interpretierens und Kommentierens.

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