Esoterik: Ein ungewolltes Kind von Reformation, Aufklärung und Kolonialismus?

“Esoterisch” nannte man diejenigen Schriften des Aristoteles, welche nur seinem engeren Schülerkreis vorbehalten waren. Bis auf wenige Ausnahmen haben nur sie die Zeiten überdauert. Heute meint “Esoterik” etwas völlig anderes (vgl. unsere Kurzinformation). Umstritten ist das Verhältnis zum Begriff “Religion”. 10,6% des Sachbuchmarktes macht die Kategorie “Psychologie, Esoterik, Spiritualität, Anthroposophie” aus (1. Quartal 2011). Dabei bestehen viele Vorurteile sowohl über Nutzer wie auch Anbieter esoterischer Angebote.

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Religionsfreiheit hat in Deutschland keine Lobby

Nichts Neues steht im Länderbericht über Religionsfreiheit 2011 des Referats für Demokratie, Menschenrechte und Arbeitsfragen des US-Außenministeriums, so mancher Textabschnitt war bereits im Vorjahresbericht enthalten und wird auch vermutlich in dem für den Sommer zu erwartenden Folgebericht wiederzufinden sein. Die deutsche Regierung habe weder eine Tendenz in Richtung einer Verbesserung noch in Richtung einer Verschlechterung bei der Achtung und dem Schutz des Rechts auf Religionsfreiheit gezeigt. “In einer zunehmend säkularen und pluralen Gesellschaft ist das Recht auf Religionsfreiheit nicht mehr selbstverständlich”, resümiert die Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins in einer Studie im Rahmen des Exzellenzclusters “Religion und Politik” der Universität Münster Ende letzten Jahres. Ähnlich äußerte sich UN-Sonderberichterstatter Heiner Bielefeldt: Es gebe Defizite bei der Religionsfreiheit in Deutschland. So unglücklich die aktuelle Debatte um eine “Katholikenphobie” (Kardinal Joachim Meisner Anfang Februar) begonnen hatte, ausgelöst durch neue Skandale in katholischen Krankenhäusern um die Abweisung von Vergewaltigungsopfern in Köln oder Regensburg und durch einen problematischen “Pogrom”-Vergleich von Erzbischof Gerhard Ludwig Müller – was ist dran an den Beobachtungen, auch gerade in Bezug auf Religionsgemeinschaften jenseits der beiden Amtskirchen?

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Veganismus ist keine Religion! Ein Essay über demokratische Kultur

Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, REMID in einem Seminar der Friedens- und Konfliktforschung Marburgs vorzustellen. Und wiedermal wurde in der Diskussion die Frage von einem Seminarteilnehmer aufgeworfen, ob Veganismus eine Religion sei. Im Grunde genüge allein das “missionarische” Vorgehen einer Bewegung, um diese als “Religion” zu kategorisieren. Schließlich habe sich die Religionswissenschaft ja von der religiös motivierten Etymologie eines Laktanz, der “religio” als “Rückbindung an Gott” begriff, verabschiedet und setze nicht mehr auf essenzialistische Religionskonzepte, welche Religion allein von ihrem wie auch immer gearteten “Wesen” her bestimmen wollten (z.B. als Glauben an Höhere Wesen). Doch auch wenn REMID sicherlich diese kritische Wende unterstützt (die auch eine Absage an religiöse Deutungen von Religionen beinhaltet), auf unserer Statistik der Religionen und Weltanschauungen fehlen bislang Veganer (ungeprüft: zwischen 250 000 und 460 500 in Deutschland neben 5 Millionen Vegetariern) genauso wie der Deutsche Sportbund (27 Mio.) oder der ADAC (18 Mio. Mitglieder). Und das wird auch so bleiben. Es ist eher ein Armutszeugnis für eine demokratische Kultur, wenn ein rational argumentierender Versuch des Überzeugens (sicherlich mit einem weltanschaulichen moralischen Motiv, das im Einzelfall auch religiös begründet sein kann) durch eine solche Disqualifizierung seiner Motive und damit einer Absage an seine Berechtigung abgewehrt wird. Denn der “Vorwurf”, eine Religion zu sein, ist dann als Kontra-Argument gemeint.

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Der Leser und das Medienereignis: Razzia bei Religionsgemeinschaft

Eine Razzia sollte am 17. Oktober auf dem Anwesen der “Academy for the future health” erfolgen und endete im Schussgefecht. Die “Academy” versteht sich selbst als Teil einer “Thrive”-Bewegung. In einem mehr als zweistündigen Film, der bei Youtube zu finden ist, erläutert der Gründer selbst entworfene “spirituelle Technologien” und erklärt das aktuelle Weltgeschehen mit geheimen Machenschaften von Militärs, Geheimdiensten und anderen üblichen Akteuren, denen gerne Verschwörungen unterstellt worden sind. Die “Thrive”- und die sogenannte “Zeitgeist”-Bewegung berühren sich auch in rechtsextremen und antisemitischen Elementen ihrer Lehren. Doch es soll hier nicht um die konkrete Gruppe gehen, die neben der Dominikanischen Republik, in welcher die für ein Mitglied der “Academy” tödliche Razzia stattfand, auch im deutschsprachigen Raum aktiv ist, sondern um die Reaktionen der LeserInnen der Darstellungen des Medienereignisses, z.B. bei Spiegel Online im Kommentarbereich des Artikels “Razzia bei deutschem Sektenführer: Tödlicher Sturm auf die Guru-Bastion” vom 18. Oktober.

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Generationen in Konflikt und Wechsel: Von “Jugendsekten” zur “Gemeinde 2.0”

Karl Mannheim übertrug 1928 das kunstepochale Verständnis von Bewegungen, wie es spätestens seit “Sturm & Drang” und der Romantik Gang und Gebe wurde, auf den Begriff der “Generationen”. Inhalte und historische Ereignisse sollten es nun sein, welche ein Generationsgefüge bestimmen. Bis dahin waren “Generationen” lediglich statistisch relevante Einheiten von zumeist 30 Jahren. Auch für die Religionswissenschaft ist dieser Begriff von Relevanz geworden, etwa dadurch dass es gerade der gelungene Generationswechsel sei, welcher zum wichtigen Indiz dafür wird, dass eine Neue Religion sich verfestigt bzw. etabliert. Dieser Generationsbegriff hat einige Konsequenzen nicht nur für Debatten um sogenannte “Sekten”.

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Religion und Öffentlichkeit II: Sommerschule diskutiert über Nonkonformismus

Vor einiger Zeit berichteten wir über Religion und Öffentlichkeit am Beispiel der Medienberichterstattung über die Mormonen. Wie bestimmen Medien das öffentliche Bild einer Religion? Wann interessieren sich Medien für eine Religion? Wie versucht diese, eine eigene Öffentlichkeit zu etablieren? Wie ist das Verhältnis von Religion(en) und Öffentlichkeit? Diesen Fragen soll eine eigene Serie mit Artikeln, Berichten und Interviews nachgehen. Aktuell beschäftigte sich eine Sommerschule des Leipziger DFG-Graduiertenkollegs “Religiöser Nonkonformismus und kulturelle Dynamik” mit dem Thema “Nonkonformismus und Öffentlichkeit” aus religionswissenschaftlicher Perspektive (vom 20. bis 22. Juli in Bad Kösen). Der stellvertretende Sprecher Dr. Thomas Hase konnte bereits zu Beginn des Jahres für ein Interview gewonnen werden (vgl. “In Sekten”? Religiöser Nonkonformismus als Auslöser kultureller Dynamik – aktuelle Ansätze in der Religionsforschung). REMID war vor Ort und berichtet über die vielfältigen Zugänge zum Thema.

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Von Jugend, Radikalisierung und “Sektenberatungen” nicht nur im Islam – ein Déjà-Vu

Es war erst am 1. Dezember 2011, dass die Reformierten und Katholischen Zentralschweizer Kirchen und die Stadtmission die Aufhebung der Beratungsstelle Religiöse Sondergruppen und Sekten in der Schweiz beschlossen. Der Verein soll bis Ende Juni 2012 aufgelöst worden sein. Dazu heißt es im letzten Newsletter der kirchlichen Berater: “Heutige Menschen sind nicht weniger religiös als Menschen früherer Generationen. Sie machen sich einfach anders auf ihre persönliche Suche. Gefragt sind Angebote, die von Einzelpersonen angeboten werden oder solche, die mit wissenschaftlichem Anspruch in Erscheinung treten”. Also zum Beispiel REMID und für die Schweiz INFOREL. Auch dem “langjährigen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen” der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Pfarrer Thomas Gandow, wird kein Nachfolger bestellt. Bereits 2010 verlor, wie die TAZ schreibt, Ursula Caberta ihre Dienststelle Arbeitsgruppe Scientology für “Antisektenkampf in Hamburg”. Ein eher bissiges Porträt der Berliner Tageszeitung erläutert, “ihre Auskünfte gingen mehr und mehr in Scientology-Beschimpfungen über”. Ihre Mitarbeiter sollen sich bereits vor der Auflösung der Gruppe “anderweitig orientiert” haben.
Nun reagiert Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime (ZMD) auf die aktuelle Studie des Innenministeriums über Einstellungen junger Muslime: “Ganz konkret fordern wir zum Beispiel Sektenbeauftragte für den Islam, die entsprechend ausgebildet sind. Wir wollen Scouts in den muslimischen Gemeinden einsetzen – zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung – die aufklären über die Ideologisierung von Religionen”. Ob religionswissenschaftliche Expertise nicht doch eher von Nöten wäre, soll folgende Betrachtung der Studie über junge Muslime sowie einer Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung über den sogenannten Salafismus eruieren. Die Salafiyya bietet sich nämlich als Projektionsfläche dafür an, den (eigentlich christlichen) Anti-Sekten-Diskurs auf den Islam zu übertragen.

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“In Sekten”? Religiöser Nonkonformismus als Auslöser kultureller Dynamik – aktuelle Ansätze in der Religionsforschung

“In Sekten” (die zoologische Assoziation ist gewollt) war 1993 der Titel einer Broschüre der CDU. “Sektierer treten auf, Gurus und Scharlatane[,] und verführen die Menschen, die stets nach etwas Neuem suchen” (Reinhard Horst: Christus unsre Hoffnung, Göttingen 2006, S. 7) – trotz der selbst randständigen Herkunft dieses aktuellen Zitats spiegelt es doch weiterhin ein gängiges Bild über Neue Religionen wider. Der Satz hätte auch in diversen konventionellen Zeitungen stehen können. Und das, obwohl auch schon eine Enquete-Kommission des Bundestages 1998 (Drucksache 1310950) empfahl, den Begriff “Sekte” nicht mehr zu verwenden, da er immer eine Wertung enthalte. “Ein Religionswissenschaftler sieht keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Amtskirchen und Sekten”, brachte ein Jahr zuvor die ZEIT (“Religion darf Unsinn sein”, 1997). Auch die Erforschung von Religionen, das meint insbesondere die Religionswissenschaft, hat sich seitdem entwickelt. Ein interdisziplinäres Graduiertenkolleg in Leipzig, von dieser Disziplin initiiert, widmet sich religiösem Nonkonformismus und kultureller Dynamik. REMID interviewte PD Dr. Thomas Hase von der Leipziger Religionswissenschaft zur Rolle z.B. der Sektendebatten und der von ihnen kritisierten Gemeinschaften im Vergleich zu historischen Beispielen der Nicht-Anerkennung von Normen, zur methodischen Ausrichtung der beteiligten Disziplinen und zur Methodologie der Religionswissenschaft.

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Umgang mit anderen Religionen: Russen dürfen weiter Bhagavadgita lesen

Dass Neue Religiöse Bewegungen es in manchen Ländern schwer haben, ist nicht nur am Beispiel Italien zu sehen, wo eine Liste mit 650 vermeintlich “satanischen” Gruppen mediale Aufmerksamkeit erzeugt (vgl. Artikel “Des Teufels Netz“). Auch in Russland besteht ein schlechtes Klima für Neue Religionen. Deren angeblich 600.000 bis 800.000 Anhänger erleben ähnliche Stigmatisierungen wie in der vergleichbaren sogenannten “Sektendebatte” im Deutschland der 1980er und 1990er Jahre vor dem Beschluss der Enquete-Kommission des Bundestages 1998: Die Bhagavadgita der Hare-Krishna-Bewegung (ISKCON) wäre beinahe indiziert worden, nachdem bereits die Schriften des Scientology-Begründers L. Ron Hubbard sowie “68 Publikationen der Zeugen Jehovas und 15 Werke des verstorbenen islamischen Theologen Said Nursi” als „extremistisch“ eingestuft worden sind.

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