Kurzinformation Religion: Gothic Subkultur

Begriff

Es gibt unter­schiedliche Mei­n­un­gen über die Herkun­ft des Aus­drucks Goth­ic; manche brin­gen ihn mit der lit­er­arischen Gat­tung der goth­ic nov­els, z. B. von Edgar Allen Poe, in Verbindung. Die heutige Bedeu­tung kön­nte auf eine Aus­sage von Antho­ny H. Wil­son zurück­ge­hen, der als Man­ag­er der Band Joy Divi­sion 1978 dem BBC gegenüber dieses Wort benutzte, um die Stil­rich­tung der Musik jen­er Band zu kennze­ich­nen. Inhaltlich spricht der Aus­druck nicht nur das Gefühl der Schauer­ro­mane an, son­dern spielt auch mit der roman­tis­chen Rückbesin­nung auf den gotis­chen Baustil, der über die Wortbe­deu­tung frem­dar­tig / bar­barisch hin­aus als Orna­men­tik ein­er beson­deren Spir­i­tu­al­ität und melan­cholis­ch­er Sehn­sucht gedeutet wird.

Geschichte

Als heutige Jugend­szene reichen die Anfänge des Goth­ic zurück in die englis­che Punk-Bewe­gung Ende der 1970er Jahre. Dort wurde bere­its die Kri­tik am Estab­lish­ment, die jedoch noch eine pos­i­tive — zumeist anar­chis­che — Alter­na­tive den tat­säch­lichen Ver­hält­nis­sen gegenüber­stellte, mit ein­er pes­simistis­chen Zukun­ftsper­spek­tive ver­bun­den (no future). Die Musik von Bands wie Bauhaus, Chris­t­ian Death, Sis­ters of Mer­cy oder The Cure set­zte sich gegenüber dem bunt aggres­siv­en Punk ab mit düster-intro­vertierten Klän­gen sowie schwarz­er Klei­dung zwis­chen mod­rigem Leichen­hemd und Rokoko-Kleid. Neben der — oft als Belei­di­gung ver­stande­nen — Außen­beze­ichung Grufti wurde die Schwarze Szene auch gerne als Dark Wave oder New Roman­tics beze­ich­net. Erst in den 1990er Jahren set­zte sich der Aus­druck Goth­ic durch.
Die Szene ist nicht nur von Anfang an sehr het­ero­gen, son­dern split­terte sich zudem im Laufe der Zeit auf. Der größte einende Nen­ner sind neben der schwarzen Farbe ins­beson­dere Lokalitäten mit entsprechen­der Musik, einige eben­falls musiko­ri­en­tierte Mag­a­zine sowie ein­schlägige Fes­ti­vals, von denen das jährliche Wave-Gotik-Tre­f­fen in Leipzig das bekan­nteste sein dürfte. Auf­grund des zum Selb­stver­ständ­nis gehören­den Indi­vid­u­al­is­mus kön­nen sich die Anschau­un­gen und Selb­st­darstel­lun­gen Einzel­ner sehr unter­schei­den, so dass es etwa schwierig sein dürfte, manche Web­seite als repräsen­ta­tiv einzustufen.

Auf der anderen Seite lassen sich dur­chaus Entwick­lun­gen inner­halb der Szene aus­machen bzw. Unter­grup­pen unter­schei­den. Im Bere­ich der Musik find­en sich z. B. Pro­file, die sich eher an der stampfend­en Elec­tron­ic Body Music (EBM) oder Indus­tri­al ori­en­tieren, andere wiederum tendieren zu Goth­ic Met­al oder mit­te­lal­ter­lich­er Musik. Die spätestens mit Bands wie HIM ein­set­zende Kom­merzial­isierung führte eben­so zu eige­nen Abgren­zun­gen. Die Nähe des Klei­dungsstils manch­er zur Sado­ma­so-Szene muss nicht bedeuten, dass entsprechende Prak­tiken aus­geübt wer­den.
Da Spir­i­tu­al­ität bei einem größeren Teil der Bewe­gung eine Rolle spielt, gibt es auch weltan­schauliche Über­schnei­dun­gen mit neuen religiösen Bewe­gun­gen aller Art oder poli­tis­chen Ide­olo­gien. Von Einzelfällen abge­se­hen, dis­tanzieren sich jedoch die meis­ten Goth­ics strikt von Satanis­mus und Recht­sradikalis­mus. Spez­i­fis­che teil­weise aus der Szene ent­standene religiöse Grup­pen wie der 1989 gegrün­dete schwedis­che Orden Drag­on Rouge bilden auch eher die Aus­nahme.

Lehre (Gedanken)

Es gibt keine verbindliche Lehre der Goth­ic-Bewe­gung. Ähn­lich wie bei den in der Szene beliebten zur Roman­tik gerech­neten Künstler*innen sind es ger­ade Indi­vid­u­al­is­mus und Vere­inzelung, die das Goth­ic-Sein aus­machen. Spir­i­tu­al­ität spielt zwar eine gewisse Rolle, muss aber nicht mit pos­i­tiv­en Reli­gio­nen ver­bun­den sein, son­dern kann sich z. B. am genieäs­thetis­chen Ide­al der entsprechen­den Lit­er­atur ori­en­tieren. Insofern kön­nen Ele­mente aus unter­schiedlichen Philoso­phien, Weltan­schau­un­gen, Reli­gio­nen oder Kun­st­tra­di­tio­nen Bedeu­tung für einen Goth haben. Nihilis­mus und Weltschmerz kön­nen genau­so The­ma sein wie Okkul­tismus, Eso­terik oder christliche Mys­tik. Viele sind auch athe­is­tisch eingestellt.
Im Gegen­satz zu vie­len Gerücht­en in der Presse sind Goth­ics zumeist fried­liebend und eher kon­tem­pla­tiv. Fried­höfe gehören für sie zu den Orten der Welt, die sie gerne auf­suchen aus Grün­den der Ein­samkeit oder der Ruhe. Dies ist nur eine mögliche Form, das bekan­nteste Ele­ment dieses Lebensstils auszuleben, die Todessehn­sucht. Jedoch behan­deln sie die Gedenko­rte für Ver­stor­bene mit Respekt, und nur die Schwierigkeit Außen­ste­hen­der, sie von Satanis­ten zu unter­schei­den, führte zu der son­der­baren Annahme, sie wür­den qua­si ihr eigenes Refugium schän­den und entwei­hen. Eben­so führt die Vor­liebe für religiöse Sym­bole oft zu Missver­ständ­nis­sen in der Öffentlichkeit. Das neben Kruz­i­fix­en oder dem altä­gyp­tis­chen Ankh beliebte Pen­ta­gramm beispiel­sweise scheint vie­len nur noch als teu­flis­ches (umge­dreht­es!) Sym­bol aus Hor­ror­fil­men präsent, obwohl andere, zumeist ältere religiöse Bedeu­tun­gen es als heil­fördernd anse­hen.

Der erwäh­nte Pes­simis­mus bezüglich der men­schlichen Zukun­ft kann fatal­is­tisch sein, aber auch Motor für soziales Engage­ment. Tod und Trauer kön­nen als The­men kün­st­lerische Kreativ­ität inspiri­eren, doch kann es auch vorkom­men, dass die melan­cholis­che Welt­sicht sich mit ein­er per­sön­lichen Depres­sion verbindet. Jugendliche, ins­beson­dere wenn keine direk­te soziale Anbindung vor Ort beste­ht, kön­nen sich dabei auch in ein­er dun­klen Eigen­welt ver­strick­en und die bürg­er­lichen Anforderun­gen des Lebens ver­nach­läs­si­gen. Eben­so kann der Pes­simis­mus den Kon­sum leichter Dro­gen begün­sti­gen, Haschis­chkon­sum etwa wird in der Szene teil­weise toleriert. Medi­en­darstel­lun­gen über eine ange­bliche Ver­führung zum Suizid sind jedoch über­trieben.

Wichtige Elemente der Praxis

Ein wesentlich­es Ele­ment von dem, was man bei Jugend­szenen Prax­is nen­nen kön­nte, ist wohl die Pro­voka­tion. Bei der Schwarzen Szene gibt es hier einen gewis­sen Unter­schied zu all den­jeni­gen Sub­kul­turen, die eine gesellschaftliche Alter­na­tive verkör­pern. Der damit eher auf Neg­a­tives hin­weisende Protest richtet sich vornehm­lich gegen die als mate­ri­al­is­tisch wahrgenommene Gesellschaft, welche auch als Spaß- und Wohl­stand­skul­tur inter­pretiert wird. Die Form des Protestes ist dabei eher pas­siv, oft soll lediglich das äußere Erscheinen z. B. auf die ver­drängten dun­klen Seit­en des Men­sch­seins hin­weisen.
Schon vor den Zeit­en des Inter­nets gehörte die Pro­duk­tion und Rezep­tion von sze­neeigen­er Kun­st zu den wichtig­sten Beschäf­ti­gun­gen eines Goths. Inzwis­chen find­en sich unzäh­lige Web­seit­en mit dun­kler Poe­sie oder eigen­er Musik und Malerei. Für manche — ins­beson­dere abseits der Großstädte — kön­nen der Com­put­er sowie wenige ein­schlägige Loca­tions die einzi­gen Anschlüsse an die Szene sein. Manche ver­wan­deln sich nur zu bes­timmten Anlässen in einen Goth.

Wie bei der indi­vidu­ell kom­ponierten Sicht auf die Welt kön­nen auch teil­weise Prak­tiken aus anderen Reli­gio­nen eine Rolle spie­len. Das kann von Rol­len­spiel über Yoga, Med­i­ta­tion und Kampf­s­port bis hin zu spiri­tis­tis­chen Exper­i­menten wie Gläser­rück­en oder magis­chen Rit­ualen reichen.
Es beste­ht unter Umstän­den eine Affinität zu Kör­per­schmuck, Pierc­ings oder Make-up, bei eini­gen weni­gen aber auch zu Selb­stver­let­zun­gen oder dem gemein­samen Blut­strunk — etwa als ein Fre­und­schaften besiegel­ndes Rit­u­al oder in Anlehnung an Vorstel­lun­gen über Vam­pire. Auch im Bere­ich der Sex­u­al­ität (bzw. Darstel­lung) find­en sich Iden­tität­skonzepte unter­schiedlich­ster Art, die oft die Gren­zen zwis­chen den Geschlechtern ver­wis­chen.

Verbreitung

Es lässt sich nur schw­er abschätzen, wie groß die Goth­ic-Szene tat­säch­lich ist. Im Jahr 1999 waren 50.000 Besuch­er auf dem größten deutschen Szene-Fes­ti­val, dem Wave-Gotik-Tre­f­fen. Einen besseren Ein­druck geben die Aufla­gen der deutschen Szene-Mag­a­zine Zil­lo und Goth­ic mit mehr als 250.000 Exem­plaren. Die Szene ist dabei dur­chaus inter­na­tion­al mit Schw­er­punk­ten in den west­lichen Indus­trien­atio­nen sowie Japan. Als eine Beson­der­heit bei Jugend­szenen kann die gle­ich­mäßige Geschlechter­verteilung ange­se­hen wer­den, wo anson­sten ein Über­schuss an Män­nern zu find­en ist. Das Altersspek­trum reicht von zehn bis um die vierzig.
Im Bere­ich der Musik­stile, welche gerne unter Goth­ic sub­sum­iert wer­den oder von Szenegängern gehört wer­den, erschw­eren die unter­schiedlichen Dif­feren­zierun­gen, sich ein genaues Bild zu machen. Allein im Bere­ich der Met­al-Musik gibt es eine Band­bre­ite vom klas­sis­chen Heavy Met­al über eben Goth­ic Met­al bis hin zu Black, Trash und Death Met­al. Im elek­tro­n­is­chen Bere­ich gibt es neben dem erwäh­n­ten EBM zahlre­iche Stil­rich­tun­gen, die auch von Trance bis Goa dun­kle Vari­anten pop­ulär­er Musiksparten anbi­eten. Ähn­lich­es gilt für den so genan­nten Folk, von dem die mit­te­lal­ter­liche Musik auch nur eine von vie­len Rich­tun­gen darstellt.

Besonderheiten in Deutschland

Die Unter­schiede der Goth­ic-Bewe­gung in den einzel­nen Län­dern sind haupt­säch­lich von lokalen Musik- oder Mod­e­trends bes­timmt, aber auch die jew­eili­gen vorfind­baren kul­turellen und religiösen Tra­di­tio­nen prä­gen entsprechend die Aus­gestal­tung der Sub­kul­tur. Doch wan­deln sich solche Trends sehr schnell.
Zen­trale Bedeu­tung haben die jew­eili­gen Mag­a­zine und Fes­ti­vals. Neben dem Wave-Gotik-Tre­f­fen zu Pfin­g­sten in Leipzig sind z. B. das M’era Luna in Hildesheim, das Zil­lo-Fes­ti­val bei Tri­er, das Ad Lunam auf der Burg Raben­stein und das Dooms­day — The Orcus Fes­ti­val in Dres­den ein­mal im Jahr Gele­gen­heit­en für Goth­ics, wenige Tage völ­lig in eine andere Welt zu tauchen.
Viele Dis­cotheken bieten über­all im Land beson­dere Ver­anstal­tun­gen für die Schwarze Szene an. Auss­chließliche Loca­tions gibt es aber eher in den größeren Städten, konzen­tri­ert im Ruhrpott, im nördlicheren Bay­ern und den Metropolen der östlichen Bun­deslän­der. Für die meis­ten Großstädte find­et sich eine Web­seite mit der Kom­bi­na­tion des Adjek­tivs “schwarz” und dem Stadt­na­men als Inter­net-Adresse.

Die Ver­anstal­tun­gen der deutschen Mit­te­lal­ter-Szene — etwa die ver­schiede­nen Märk­te und Feste auf Bur­gen oder Schlössern — kön­nen eben­so ein Mag­net für Sze­neange­hörige sein. Ähn­lich­es gilt für his­torische Orte mit — je nach per­sön­lich­er Vor­liebe — christlichem oder vorchristlichem Hin­ter­grund (bzw. Leg­en­den).

Zeitschriften

Orkus (www.orkus-online.de)
Son­ic Seduc­er (www.sonic-seducer.de)
Zil­lo (www.zillo.de)
Ger­man Under­ground Crossec­tion (www.guc-area.de)

Kontaktadressen

www.wave-gotik-treffen.de
www.gothicinfo.de
www.vamp.org/Gothic/clublist.html

Literatur

Farin Klaus & Wei­denkaff, Ingo: Jugend­kul­turen in Thürin­gen, Tilsner, Bad Tölz 1999.
Farin, Klaus: Die Goth­ics. Tilsner, Bad Tölz 2001.
Matzke, Peter & Seel­iger, Tobias: Goth­ic! Die Szene in Deutsch­land aus Sicht ihrer Mach­er, 2000.
Richard, Bir­git: Schwarze Net­ze. Eine klas­sis­che Sub­kul­tur mit medi­alen Exten­sio­nen, die Gruftie bzw. Goth­ic Punk Szene. In Eric Mey­er u. a. (Hg.): Kurs­buch Jugend­kul­tur; Boll­mann-Ver­lag, Mannheim 1997, S. 129–140.
Schmidt, Axel & Neu­mann-Braun, Klaus: Die Welt der Goth­ics — Spiel­räume düster kon­notiert­er Tran­szen­denz, 2005.

Autorin: Kris Wagen­seil. © REMID 2005

Kurz­in­for­ma­tion Reli­gion “Goth­ic” als PDF-Datei

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