Pressemitteilung: Religionsprivileg

Das Religionsprivileg in seinen Grundzügen / Religionsfreiheit bewahren
Presseerklärung vom 17. September 2001

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachfolgend übermitteln wir Ihnen eine Kurzinformation zum sog. Religionsprivileg und einen kurzen Aufruf, auch bei der geplanten Abschaffung die Verfassungsprinzipien und die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten.

Mit freundlichen Grüßen
Steffen Rink, wiss. Angestellter der Geschäftsstelle

Das Religionsprivileg in seinen Grundzügen

Die Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften in Deutschland gründet sich auf Artikel 4 des Grundgesetzes und auf die sog. Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung von 1918, die über Art. 140 Bestandteil des Grundgesetzes sind.

Artikel 4 gewährleistet die Freiheit des Glaubens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sowie die ungestörte Religionsausübung.
Die hier bestimmte Religionsfreiheit gilt sowohl für den einzelnen Menschen als auch für religiöse Vereinigungen. Es ist sowohl ein Abwehrrecht der Gläubigen und der Gemeinschaften gegenüber dem Staat, dem es untersagt ist, in die Freiheit des Glaubens und der religiösen Betätigung einzugreifen, als auch das Recht von Menschen, keiner religiösen Vereinigung angehören zu müssen.
Artikel 137 Absatz 1 und 2 der Weimarer Reichsverfassung bestimmen, dass der Zusammenschluss von Religionsgemeinschaften keinerlei Beschränkungen unterliegt und dass die Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb des für alle geltenden Gesetzes ordnen.
Artikel 4 und die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung unterliegen keinem Gesetzesvorbehalt. Das bedeutet, dass in die Freiheit zur Bildung von Religionsgemeinschaften – und zu ihrer Auflösung – sowie zur Ausübung der Religion nur eingegriffen werden kann, wenn andere Verfassungsrechte (z. B. Unverletzlichkeit der Person) mit der Religionsfreiheit in Konflikt geraten. Darüber hinaus kann auch die Wertordnung des Grundgesetzes als Ganzes die Religionsfreiheit beschränken – die Religionsfreiheit selbst ist im Licht der Verfassung auszulegen.
In solchen Konfliktfällen obliegt es den Gerichten – letztlich dem Bundesverfassungsgericht –, eine Abwägung der betroffenen Verfassungsrechte vorzunehmen.

Durch die hervorgehobene Stellung der Religionsfreiheit im Grundgesetz unterscheidet sich auch die Position von Religionsgemeinschaften gegenüber anderen Vereinigungen wie Sport- oder Kulturvereinen. Das führt dazu, dass einzelne Vorschriften einfacher Gesetze (z. B. Strafrecht, Ordnungsrecht, Polizeirecht, Vereinsrecht) keine Anwendung finden oder nur im Licht des höher gestellten Rechts der Religionsfreiheit auszulegen sind. Deshalb kann zum Beispiel ein Verbot von Religionsgemeinschaften derzeit nicht mittels derjenigen Gesetze durchgeführt werden, die für „normale“ eingetragene Vereine gelten, auch wenn Religionsgemeinschaften nach dem Vereinsrecht organisiert sind. Wegen dem eigenständigen Recht der Religionsfreiheit findet auch Artikel 9 des Grundgesetzes keine direkte Anwendung. Artikel 9 verbietet Vereinigungen, deren Zweck oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Dieser Artikel richtet sich gegen einfache Vereinigungen ohne besonderen Verfassungsrang. Um eine Religionsgemeinschaft zu verbieten muss vielmehr der konkrete Nachweis geführt werden, dass sich das gesamte Wirken der Gemeinschaft gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland richet und dass im Wirken der Gemeinschaft eine reale Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung zutage tritt. Der Nachweis hingegen, dass die „religiöse Rhetorik“, also z. B. Aussagen in Schriften, nicht mit der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes vereinbar ist, ist für ein Verbot nicht ausreichend.

Bereits nach heutigem Recht ist die nachrichtendienstliche Beobachtung von Religionen oder von Gemeinschaften, denen vorgeworfen wird, die Privilegien der Religionsfreiheit zu missbrauchen, möglich. In diesem Sinne finden in den seit langem auch islamische Organisationen Aufnahme in die Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder.

Religionsfreiheit bewahren

Der Nachweis aber, dass das Wirken einer Gemeinschaft die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die freiheitliche demokratische Grundordnung konkret gefährdet, muss auch in Zukunft geführt werden, will man nicht bereits auf Verdacht gegen einzelne Religionen vorgehen und damit die Gemeinschaften und die Gläubigen unter den Generalvorwurf der Gesetzesuntreue stellen.
Geplante Maßnahmen zur Abschaffung des „Religionsprivilegs“ müssen sorgfältig darauf hin geprüft werden, ob das angestrebte Ziel, nämlich die Abwehr von Gefahren für unsere freiheitliche Gesellschaft oder die Verhinderung terroristischer Straftagen, erreicht wird. Alle geplanten Neuregelungen des Religionsrechts müssen die besondere Stellung, die das Grundgesetz den Religionen auch in unserer Gesellschaft zuschreibt, beachten. Beispiele anderer Länder, vor allem in Osteuropa, zeigen, dass staatliche Versuche, einzelnen Religionsgemeinschaften mittels besonderer Regelungen Herr zu werden, immer auch etablierte und anerkannte Gemeinschaften treffen können.

Das berechtigte Bedürfnis nach Sicherheit darf nicht dazu führen, Grundrechte von Bürgerinnen und Bürger Stück für Stück auszuhöhlen.

Marburg, 17.09.01
Steffen Rink
(wiss. Angestellter der Geschäftsstelle)

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Autor*in: REMID e.V.