Karlsruher Richter treffen umsichtige Entscheidung, die dem Pluralismus der Religionen Rechnung trägt
Presseerklärung vom 15. Januar 2002
Als „umsichtige Entscheidung, die dem Pluralismus der Religionen Rechnung trägt“, hat der derzeitige wissenschaftliche Mitarbeiter in der REMID-Geschäftsstelle, Steffen Rink, das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten bewertet.
„Es ist zukunftsweisend für den künftigen Umgang mit Religionen, wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass man nicht von ‚dem‘ Islam sprechen könne, um die Frage des Schächtens zu entscheiden“, betont Steffen Rink. Vielmehr erkenne das Gericht die Pluralität auch im Islam an, der unterschiedliche Auffassungen zur Frage der Notwendigkeit des betäubungslosen Schächtens – wie auch zu anderen Fragen – kenne. Religion zeigt sich immer im gelebten Glauben einer konkreten Gemeinschaft. Hier hat Religion ihren Sitz im Leben der Gläubigen. Die Anerkennung dieser Pluralität in Religionen ist grundlegend für die Auseinandersetzung mit Religionen und für den interreligiösen Dialog. Sie bewahrt vor allzu einseitigen Zerrbildern, etwa „des“ Islam, und lenkt den Blick auf die Menschen vor Ort, die den Glauben leben.
Deshalb stellt das Urteil keineswegs einen Freibrief dar, unter Berufung auf eine religiöse Überzeugung Gesetze zu umgehen, so Rink. Das Gericht hat vielmehr deutlich gemacht, dass ein Antrag auf Zulassung des betäubungslosen Schächtens glaubwürdig begründet sein muss. Die Behörden werden also auch in Zukunft immer Entscheidungen treffen, die auf den konkreten Fall bezogen sind. Im Vorfeld der Entscheidungen sind aber Stimmen laut geworden, nach denen es eine „zwingende Vorschrift“ für das betäubungslose Schächten im Islam nicht gebe. Ein solches religiöses Gebot ist aber notwendig, um eine Ausnahmegenehmigung vom Schächtverbot zu erlangen. Das Tierschutzgesetz verbietet zwar das betäubungslose Schächten, lässt aber Ausnahmen zu, wenn eine Religionsgemeinschaft zwingende Gründe geltend machen könne.
Die Verfassung räumt der Religionsfreiheit – und dazu gehört auch die Ausübung der Religion – aber einen weiten Raum ein. „Mit Blick auf die konkreten Verhältnisse und unter Vermeidung von unzulässigen Verallgemeinerungen hat das höchste deutsche Gericht dem gleichberechtigten Zusammenleben der Religionen heute wieder einen großen Dienst erwiesen“, sagte Rink abschließend.