Informationsplattform Religion: Muslime und die Bundestagswahl 2002

Nur deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger dürfen bei der Wahl zum Deutschen Bundestag am 22. September 2002 ihre Stimme abgeben. Nach Schätzungen befinden sich unter den rund 60 Millionen Wahlberechtigten auch 400.000 bis 700.000 Muslime. Meist handelt es sich dabei um eingebürgerte Türken.
In den vergangenen Jahren war das Interesse der Muslime für die Politik in Deutschland – zumindest nach Aussagen der veröffentlichten Meinung, auch der Muslime selbst – eher gering. Nicht nur die Entwicklungen nach dem 11. September 2001 haben dies verändert:
In dem Maße, in dem Muslime ihren gleichberechtigten Platz in der deutschen Gesellschaft einfordern, wächst auch die Einsicht, dass die politische Partizipation und Repräsentation ein wichtiges Element ist, die Umsetzung der eigenen Anliegen zu unterstützen. Der Bau neuer Moscheen, die Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht oder die Berücksichtigung eigener Interessen auf anderen Gebieten kann nicht allein dem Verhandlungsgeschick der Verbände und ihrer Vertreter überlassen bleiben, so die zunehmende Auffassung. Die Muslime wollen als gesellschaftliche Größe anerkannt werden. Dies verlangt die politische Teilhabe von Muslimen, führt aber auch dazu, dass die Aussagen der Parteien zu Problemen, die besondere Anliegen von Muslimen sind, genauer unter die Lupe genommen werden.
Wie so häufig, wenn neue Größen auf der gesellschaftlichen oder politischen Bühne erscheinen, gibt es die Sorge vor einer „Unterwanderung“ – vor allem dann, wenn es sich um Minderheiten, Ausländer oder „Fremde“ handelt, die sich in den öffentlichen Diskussion einbringen. Diese Befürchtung ist auch geäußert worden, als in islamischen Zeitschriften der Aufruf zu politischer Partizipation der Muslime zu lesen war. In der Tat wollen Muslime die Gesellschaft verändern, ihre Wertevorstellungen einbringen und ihre Vorstellungen berücksichtigt sehen. Dass sie dies in den etablierten Organisationen (Parteien) und Instanzen umsetzen wollen, sollte als Ausdruck der Anerkennung der demokratischen Spielregeln gewertet werden. Vergleiche mit dem Umsturz durch die Nationalsozialisten, die sich des demokratischen Systems bedienten, um es abzuschaffen, sind Fehl am Platz. Für die Mehrheit der Muslime sind Grundgesetz, Demokratie und Islam kein Widerspruch, und auch die Entwicklung in den Verbänden geht mehrheitilch geht in Richtung einer Anerkennung des politischen Systems in Deutschland. Der Versuch, Gruppeninteressen politisch wirksam werden zu lassen, ist Teil des politischen Systems, das auf Repräsentation des Volkes durch Parteien und Abgeordnete aufgebaut ist.

Parteipräferenzen der Muslime

Umfragen zu parteipolitischen Bindungen der Muslime werden von den großen demoskopischen Instituten nicht durchgeführt bzw. sind nicht veröffentlicht. Seit einiger Zeit aber haben islamische Institutionen selbst Erhebungen vorgenommen. Inwieweit die Ergebnisse repräsentativ sind, muss offen bleiben. Sie spiegeln aber eindeutig Trends im Stimmungsbild der Muslime in Deutschland.
Bei allen Umfragen führen die Parteien der derzeitigen Regierungskoalition – und dies trotz den eher konservativen Wert- und Moralvorstellungen der Muslime.

Verschiedene Umfragen zu den parteipolitischen Präferenzen der Muslime in Deutschland ergeben zwar kein einheitliches Bild, doch zeigen sie deutliche Trends. Die Mehrheit bevorzugt die Parteien der derzeitigen Bundesregierung. In einigen Umfragen schneidet aber auch die FDP überdurchschnittlich gut ab.

Bundestagswahl 1998

Zur Wahl im Oktober 1998 führte das Zentralinstitut Islam-Archiv mit Sitz in Soest eine Umfrage unter Muslimen durch. Die Frage: „Wenn Sie zur Bundestagswahl 1998 gehen dürften“ ergab folgendes Bild:

 

„Wenn Sie zur Bundestagswahl 1998 gehen dürften …“
Partei
Prozent
SPD
37
CDU/CSU
19
Bündnis 90 / Die Grünen
11
FDP
5
PDS
1
„Rep“
1
„weiß nicht“
26

(Umfrage im Vorfeld der Wahl)*

Ende 1999 / Anfang 2002 wurde der hessische Landtagswahlkampf von einem Thema beherrscht: Dem von der neuen Bundesregierung geplanten Staatsangehörigkeitsrecht, das eine befristete doppelte Staatsbürgerschaft für Jugendilche sowie die Erleichterung der Einbürgerung vorsah. Im Landtagswahlkampf führte die CDU hierzu eine Unterschriftenkampagne durch, durch die die Bürgerinnen und Bürger ihre Ablehnung der Regierungspläne kund tun sollten. Der CDU wurde vorgeworfen, sich gegen die Integration von Ausländern zu wenden und mit ihrer Kampagne Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Während auf der einen Seite das Gefühl vieler Ausländer – gerade solcher, die schon lange in Deutschland leben -, Teil zweier Kulturen zu sein, durch die Ermöglichung der doppelten Staatsbürgerschaft Berücksichtigung finden sollte, stand auf der anderen Seite die Forderung nach einer eindeutigen Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft gegenüber – verbunden mit der Erwartung nach Anpassungsleistungen der Ausländer an die deutsche Kultur. Ergänzt wurde diese Diskussion um eine Debatte über die „deutsche Leitkultur“. Das Ergebnis dieser Diskussionen spiegelt eine erneute Umfrage des Zentralinstituts Islam-Archiv vom 27. Februar:

„Wenn Sie heute wählen dürften…“ (2000)
Partei
Prozent
SPD
56,8
CDU/CSU
0
Bündnis 90 / Die Grünen
4,5
FDP
9,1
PDS
0
„Rep“
0
„weiß nicht“
29,5

An diesen Ergebnissen zeigt sich deutlich, dass die Muslime ihre Wahlentscheidung weniger von allgemeinen Kriterien (Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik) abhängig zu machen scheinen als vielmehr von der Beantwortung solcher Fragen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lebenssituation als (religiöse) Minderheit in Deutschland stehen. Parteien, denen die Verantwortung für Ressentiments gegenüber AusländerInnen zugesprochen wird oder die eher eine Anpassung der AusländerInnen an deutsche Lebensorientierungen und Wertvorstellungen fordern als Konzepte für ein Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen – auf Basis der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik -, würden nur selten von den Muslimen gewählt.

Bundestagswahl 2002

Dies findet in den Präferenzen anlässlich der Bundestagswahl 2002 seine Bestätigung.
Das Zentrum für Türkeistudien an der Universität Essen veröffentlichte im August die Ergebnisse einer im Juli durchgeführten repräsentativen Umfrage unter 2000 Deutschen mit türkischer Herkunft.

Wahlabsicht zur Bundestagswahl 2002
Partei
Prozent
SPD
60
CDU/CSU
12
Bündnis 90 / Die Grünen
17
FDP
5
PDS
5
Andere / keine Angabe
1

(Zentrum für Türkeistudien, Umfrage im Juli 2002)**

Abweichend hiervon fallen die Ergebnisse aus, die auf www.islam.de, dem Islam-Portal des Zentralrats der Muslime in Deutschland, veröffentlicht sind:

 

Wahlabsicht zur Bundestagswahl 2002 (Mai)
Partei
Prozent
SPD
30,3
CDU/CSU
22,4
Bündnis 90 / Die Grünen
13,0
FDP
22,5
PDS
11,8

(islam.de, Umfrage erste Maihälfte 2002)***

Wahlabsicht zur Bundestagswahl 2002 (Aug.)
Partei
Prozent
SPD
35,2
CDU/CSU
12,4
Bündnis 90 / Die Grünen
11,8
FDP
30,7
PDS
10,0

(islam.de, Umfrage erste Augusthälfte 2002)***

An diesen beiden im Internet durchgeführten Umfragen beteiligten sich 907 bzw. 1043 Personen (Mai / August). Die zunächst für Anfang September angekündigte dritte Abstimmungsrunde wurde erst in der Woche nach der Wahl veröffentlicht. An ihr beteiligten sich 1088 Personen im Zeitraum zwischen dem 14. und 22. September. Diese Abstimmung ergab folgende Daten:

Wahlabsicht zur Bundestagswahl 2002 (Sept.)
Partei
Prozent
SPD
53,4
CDU/CSU
13,8
Bündnis 90 / Die Grünen
9,7
FDP
15,5
PDS
7,5

(islam.de, Umfrage zweite Septemberhälfte 2002)***

Als Internet-Abstimmung sind diese Ergebnisse sicherlich nicht repräsentativ. Deutlich ist aber auch hier der geringe Anteil der Stimmen für die CDU/CSU sowie der – im Unterschied zu allen anderen Umfragen – hohe Anteil der FDP. Auch die PDS liegt über dem Durchschnitt. Es kann vermutet werden, dass diese Ergebnisse eine Folge der Antisemitismus-Diskussion ist, die im Sommer vom FDP-Vize-Vorsitzenden Jürgen Möllemann angezettelt und wenige Tage vor der Wahl noch einmal aktiviert wurde. Dabei dürften weniger die genuin antisemitischen Vorurteile, die in der Debatte bedient wurden, von Ausschlag gebender Wirkung gewesen sein, als vielmehr die deutliche Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung gegen die Palästinenser. Vielleicht mag auch eine Rolle gespielt haben, dass als einzige parteipolitische Reaktion auf das Kopftuch-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eine ablehnende Stellungnahme von Seiten der FDP auf den Internet-Seiten von islam.de zu lesen war. Nicht zuletzt muss aber auch berücksichtigt werden, dass die islam.de-Abstimmung durch das Internet erfolgte. Internet-NutzerInnen gehören immer noch höheren Bildungs- und Einkommensschichten an, was sich eher mit dem FDP-Klientel deckt.

Insgesamt gesehen führt die Zuwanderungs-, Integrations- und Ausländerpolitik der rot-grünen Bundesregierung offensichtlich zu einer hohen Zustimmung zu den beiden Regierungsparteien. Dass SPD und Bündnis 90/Die Grünen in anderen Politikbereichen Positionen vertreten, die nicht die Zustimmung der Muslime finden dürften (z. B. Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften), scheint hingegen die Parteipräferenzen weniger zu beeinflussen.

* Daten: Zentralinstitut Islam-Archiv, Soest, März 2000. Veröffentlicht in: Deutscher Islam – Islam in Deutschland. Hg. von Tilman Hannemann und Peter Meier-Hüsing. Marburg 2000.
** Ergebnisse nach einem Bericht der Islamischen Zeitung, dort unter Bezugnahme auf die Berliner Zeitung vom 19.08.02
*** Ergebnisse lt. Darstellung im Internet (10.09.02 / 25.09.02).

„Wahlprüfsteine“

Wie andere gesellschaftliche Gruppen auch haben islamische Verbände und Initiativen vor der Wahl so genannte Wahlprüfsteine an die Parteien mit der Bitte um Beantwortung versendet. In ihnen wurden die für die Muslime wichtigen Politikfelder abgefragt: Integration, Repräsentanz des Islam in der Öffentlichkeit – einschließlich Kopftuch am Arbeitsplatz -, Religionsunterricht. Aber auch außenpolitische Fragen spielten eine Rolle, so die Positionen zum Konflikt zwischen Palästinensern und Israel oder der drohende Krieg im Irak. Schließlich finden sich auch Fragen zum Komplex „Gerechtigkeit“, vor allen in den Beziehungen zwischen reichen Industrienationen und Entwicklungsländern, auf dem Fragezettel.

Wahlprüfsteine haben den Zweck, von den Parteien Positionen zu den Politikbereichen zu erfahren, die für die Gruppe, die die Prüfsteine vorlegt, von Bedeutung sind. In der Vergangenheit wurden solche Wahlprüfsteine regelmäßig von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, aber auch von anderen Interessengruppen verfasst. Sie sollen der eigenen Klientel helfen, eine Wahlentscheidung zu treffen. Eine Gruppe (Gemeinschaft, Verband, Organisation), die Wahlprüfsteine vorlegt, kann auf der einen Seite parteipolitische Neutralität wahren, da die Positionierung der Gruppe von den Antworten der Parteien abhängt. Auf der anderen Seite werden natürlich durch die Auswahl und die Formulierung der Fragen eigene Vorstellungen deutlich.

Die Wahlprüfsteine von islam.de und des Muslim-Markt

Beide Fragenkataloge zeigen ein hohes Maß an Überseinstimmung in zentralen, für die Muslime in Deutschland bedeutsamen Fragen. Diese betreffen…
… die Haltung und die Konzepte der Parteien zu Integration und zur Diskriminierung von Muslimen in Deutschland,
… die rechtliche Gleichbehandlung der Muslime bzw. der islamischen Verbände mit den großen Kirchen (d. h. vor allem die Frage des Körperschaftsstatus)
… die „Kopftuchfrage“, d. h. die Zulässigkeit des Kopftuchs am Arbeitsplatz und im öffentlichen Dienst (Schule)
… die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts als ordentlichem Lehrfach
… den Konflikt zwischen Palästinensern und dem Staat Israel und weitere Kriegsmaßnahmen der Anti-Terror-Koalition gegen islamisch-arabische Länder.

Darüber hinaus zeigen die Fragenkataloge aber auch charakteristische Unterschiede.

Der Autor der Wahlprüfsteine des Muslim-Markt, Yavuz Özoguz, spricht stärker religiöse Themen bzw. solche der Wert- und Moralvorstellungen an: Die Bedeutung von „Gott“ für die Parteien, die Haltung zu Abtreibung, die Forderung nach Gerechtigkeit in internationalen Beziehungen (auch: Handelsbeziehungen, Gleichbehandlung von Entwicklungsländern, Vertretung islamischer Staaten im UN-Sicherheitsrat).
Darüber hinaus bezieht Özoguz eindeutig Stellung, wenn er die Politik Israels als unmenschlich und völkerrechtswidrig bezeichnet und danach fragt, ob es für die Parteien vorstellbar ist, dass der derzeitige israelische Ministerpräsident Arial Scharon als Kriegsverbrecher vor einem „internationalen Gericht gegen Kriegsverbrechen“ angeklagt werden würde.

Die Wahlprüfsteine von islam.de resp. des Zentralrates der Muslime beziehen sich hingegen vorrangig auf die Situation der Muslime in Deutschland, d. h. vor allem der Repräsentation des Islam in der Öffentlichkeit. Neben der Frage nach der Möglichkeit des Körperschaftsstatus‘ taucht so auch die Frage nach der Repräsentation der Muslime in den öffentlich-rechtlichen Medien auf, aber auch die Haltung zum Bau neuer Moscheen bis hin zu einer repräsentativen Zentralmoschee in der Hauptstadt Berlin. Auch die Fragen zum Bereich Schule sind differenzierter (Berücksichtigung islamischer Vorstellungen bei der Unterrichtsgestaltung, Stichworte koedukativer Schwimmunterricht und Klassenfahrten), und schließlich greift der Fragenkatalog auch den Komplex von „Alltagsfragen“ auf: die Berücksichtigung des Islam in sozialen Einrichtungen, aber auch in der Bundeswehr. Nicht zuletzt sind die Fragen von Interesse, in denen von der Emanzipation der Muslime von ihren Herkunftsländern gesprochen wird: Das verweist zum einen darauf, dass im Zentralrat der größte islamische Dachverband, der von der türkischen Religionsbehörde kontrollierte DITIB, ebensowenig vertreten ist wie Türkei-orientierte IGMG, und positioniert den Zentralrat selbst als Ansprechpartner für „deutsche Muslime“, z. B. für Fragen des interkulturellen Dialogs, aber auch im Bereich der Schulpolitik – eindeutig gegen die Vereinbarungen zwischen den Kultusministerien der Länder und der türkischen Religionsbehörde über die Entsendung von Imamen für Moscheen und Lehrern für den muttersprachlichen Unterricht.

Die Antworten der Parteien

Die inhaltliche Bewertung der Antworten muss dem Einzelnen vorbehalten bleiben. Auffällig ist, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien (nur die wurden angeschrieben) – mehr oder weniger ausführlich und eindeutig – auf die Wahlprüfsteine von islam.de / dem Zentralrat geantwortet haben. Das bedeutet ein weiteres Mal die Anerkennung des Zentralrats als vielleicht dem wichtigsten überregionalen Gesprächspartner auf muslimischer Seite für die Politik. Die Profilierung als solcher Ansprechpartner ist das Bemühen des Zentralrats.
Dem steht eine deutliche Geringschätzung gegenüber dem Muslim-Markt gegenüber. Die Parteien haben hier zum Teil verspätet geantwortet, zum Teil überhaupt nicht (so die CDU/CSU). Vom Muslim-Markt wurden die meisten der zur Bundestagswahl zugelassenen Parteien angeschrieben. Einige kleinere Parteien haben so die Möglichkeit der Selbstdarstellung genutzt, etwa die „Republikaner“ und die „Ökologisch-demokratische Partei“ (ÖDP).
Insgesamt fällt auf, dass die Antworten weniger diplomatisch verfasst sind – die Positionen der Parteien also deutlicher zum Vorschein kommen. Allerdings hat das im Falle der ÖDP auch dazu geführt, dass trotz der Vorrede, die Antworten seien teilweise „provokant“ formuliert, die Grenze der Höflichkeit doch deutlich überschritten wurde.
Für mehr Transparenz in der Einschätzung könnte die Autorenschaft der Antworten sorgen, die auf islam.de leider nicht mitgegeben ist. Deshalb muss für den Vergleich die Frage offen bleiben, ob die Antworten von den jeweils die gleichen Personen verfasst wurden, oder ob auch hier Unterschiede des Ernst-Nehmens deutlich werden, die sich an der Position des/der Antwortenden im Parteiapparat aufzeigen lassen könnten.

Insofern enthalten sowohl die Themen der Wahlprüfsteine als auch Inhalt, Art und Weise der Antworten Indizien für die in den Umfragen sichtbar werdende Parteienpräferenz der Muslime in Deutschland.

Wahlprüfsteine des Schura Hamburg

Wie wenig Bedeutung lokalen Organisationen von Muslimen beigemessen wird oder solchen, die im Verruf stehen könnten, „extremistische“ Positionen zu vertreten, zeigt das Beispiel Hamburg. Hier hat der „Schura – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg“ Wahlprüfsteine an die Parteien in Hamburg versandt und zu einer Podiumsdiskussion mit Parteivertretern eingeladen. Leider ist der Vorgang nicht auf den Internet-Seiten des Schura dokumentiert. Nach einem Pressebericht hat die so genannte Schill-Partei (Partei Rechtsstaatliche Offensive) auf die Wahlprüfsteine wie auf die Einladung zur Diskussion nicht reagiert. Der Vertreter der CDU weigerte sich, in einer Moschee aufzutreten, insbesondere dann, wenn sie einem extremistischen Verband, dem Islamsichen Zentrum Hamburg, zuzurechnen sei. In gleichem Atemzug wurde nicht nur das den iranisch-schiitischen Islam repräsentierende Islamische Zentrum, sondern auch der Schura selbst verdächtigt, extremistische Positionen zu vertreten. Der Schura ist eine Vereinigung der meisten Moscheevereine in Hamburg. Im Ergebnis hat dieses Verhalten, das unter anderem über islamische Info-Netzwerke bekannt gemacht wurde, sicherlich noch einmal die Vorbehalte der Muslime gegen konservative Parteien verstärkt. Die Trennlinie verläuft dabei nicht auf dem Bereich grundsätzlicher Wert- und Moralvorstellungen (z. B. Familie, Erziehung), sondern vor allem an den Positionen zur Integration und den Erfahrungen von Diskriminierung.

Autor: Steffen Rink, 2002.

Kommentare sind geschlossen.

Veröffentlichungsdatum: . Änderungsdatum: .
Autor*in: REMID e.V.