Wie in anderen Religionen auch haben sich im Buddhismus verschiedene Richtungen entwickelt. Der Buddha hatte seine Lehre nicht schriftlich fixiert, so dass es unter den Anhängern zu unterschiedlichen Auslegungen kam.
Schließlich führte auch die Ausbreitung über den indischen Subkontinent hinaus in andere Kulturräume (China, Japan, Tibet) zur Aufnahme neuer Anschauungen. Nicht zuletzt ist die Wandlung in Bezug auf Lehrinhalte und Lebensformen aber ein selbstverständlicher religionsgeschichtlicher Prozess: Versuche, einen „Buddhismus für den Westen“ zu entwickeln, belegen dies bis in die heutigen Zeit hinein.
Die verschiedenen Traditionen – im Christentum würde man Konfessionen sagen – werden im Buddhismus meist als Schulen bezeichnet. Das spiegelt zugleich die hohe Bedeutung der Weitergabe der Lehre von einem Meister (Lehrer) an seine Schüler, die ein Kennzeichen vieler Schulen des Buddhismus ist.
Übersicht
Die Unterschiede der Schulen beziehen sich im Wesentlichen auf die Vorstellung des Buddha, die Stellung von Mönchen und Laien, die Meditation bzw. die tägliche Praxis und auf das Verhältnis von Lehrern zu Schülern. Die Darstellung der Schulen erfolgt in der Regel anhand der geographischen Ausbreitung des Buddhismus, beginnend mit dem Auftreten des Buddha im 6. vorchristlichen Jahrhundert.
Theravada (Hinayana)
Die „Schule der Alten“ (Theravada) beansprucht, den Buddhismus so leben, wie er von Buddha begründet wurde. Kennzeichen ist die deutliche Trennung von Mönchen und Laien. Die häufig verwendete Bezeichnung „Kleines Fahrzeug“ (Hinayana) ist eigentlich abwertend gemeint, da im Theravada-Buddhismus nur die Mönche die Möglichkeit haben, ins Nirvana eingehen zu können.
Mahayana
Als eigenständige Form hat sich der Mahayana-Buddhismus ab dem 1. vorchristlichen Jahrhundert in Nordindien etabliert. Die Anhänger sehen im historischen Buddha die irdische Verkörperung eines übernatürlichen Buddha, der letztlich mit allem Seienden und mit der Lehre identisch ist. Bodhisattvas, das sind Wesen (Menschen), die nach dem Erwachen streben bzw. es erlangt haben, können dem einzelnen Menschen auf ihrem spirituellen Weg helfen. Das Nirvana ist nicht mehr etwas völlig Anderes, sondern mit dem Geburtenkreislauf (Samsara) identisch, das heißt mit dem Erwachen wird auch die Leerheit des Samsara erkannt. Weil auch Laien die Möglichkeit des Erwachens haben, bezeichneten die Anhänger diese Lehre als „großes Fahrzeug“ (Mahayana).
Die drei nachfolgend beschriebenen Schulen haben sich auf der Grundlage des Mahayana entwickelt. Deshalb werden sie oft auch als Teil des Mahayana dargestellt.
Zen / Ch’an
m 1. Jahrhundert gelangte der Buddhismus nach China, wo er 600 Jahre später eine Blüte erlebte. Dort wurde, ebenfalls ab dem 7. Jahrhundert, der Ch’an-Buddhismus eine der maßgeblichen Schulen. Hergebrachte Konventionen gelten eher als hinderlich auf dem Weg zur Erleuchtung, die sich unvermittelt in der Praxis der Meditation einstellt. Dafür ist jedoch intensive, jahrelange Vorbereitung notwendig. Neben den Meditationsübungen (langes, ruhiges Sitzen zur inneren Versenkung; japanisch: zazen) betont der Ch’an-Buddhismus auch die Bedeutung körperlicher Arbeit.
Von China gelangte diese Form des Buddhismus nach Japan, wo das chinesische wort Ch’an mit Zen wiedergebeben wurde; beides bedeutet „Meditation“ oder „Aufgehen“.
Amida- (Amitabha-) Buddhismus
Der Amida-Buddhismus nahm seinen Anfang ebenfalls im China des 7. Jahrhunderts. Die Lehre betont einen Aspekt des Mahayana: die verschiedenen Körper des Buddha. Neben dem irdischen und dem kosmischen Buddha residiert ein transzendenter Buddha im „Paradies des Westens“, dem Reinen Land. Die Menschen haben die Hoffnung, dass sie von Buddha in dieses „Paradies“ aufgenommen werden, von wo aus der Weg zur Erleuchtung viel einfacher begangen werden kann. Amida bzw. Amitabha ist der meist gebräuchliche Name dieses transzendenten Buddha.
Buddhismus in Japan
Zen- und Amida-Buddhismus wurden die bestimmenden Schulen in Japan – ab dem 9. Jahrhundert gewann die Religion auch Anhänger unter der einfachen Bevölkerung. Es entwickelten sich zahlreiche weitere Schulen. Kennzeichen vieler dieser Richtungen ist die enge Verbindung von Spiritualität und Weltzugewandtheit. Weiter ist für Japan typisch, dass die Menschen in ihrem täglichen Leben für bestimmte Zwecke Riten der Shinto-Religion durchführen, bei anderen Anlässen jedoch buddhistischen Lehren folgen.
Vajrayana (tantrischer Buddhismus)
Als gegenüber Theravada und Mayayana eigenständige Richtung ist das „Diamantfahrzeug“ (Vajrayana) im 7. Jahrhundert in Nordindien entstanden. Im Vajrayana verbinden sich Lehren des Mahayana mit dem im 5. Jahrhundert aufkommenden Tantra. Die Dualität von Geist und Materie, von Mikrokosmos und Makrokosmos äußert sich auch in der Polarität der Geschlechter. Der Geschlechtsakt, in dem sich diese Polarität auflöst, kann unter Einhaltung bestimmter Übungen und Riten als Mittel auf dem Weg zum Erwachen eingesetzt werden. Wichtig wird dabei die Anleitung durch einen Lehrer (Guru).
Tibetischer Buddhismus
In Tibet wurde der Vajrayana-Buddhismus zur bestimmenden Religion, wobei Elemente der Bön-Religion integriert wurden. Die Bön-Religion hat ihre Wurzeln im Schamanismus und war die Religion der in Tibet lebenden Menschen. Der tibetische Buddhismus wird manchmal auch als Lamaismus bezeichnet. Lama ist das tibetische Wort für Guru (Lehrer). Diese Bezeichnung betont die Bedeutung von Gurus für die Anleitung der Schüler und Schülerinnen bei der Durchführung der verschiedenen Riten, aber auch in der Weitergabe der Lehre Allein der Lama verbürgt – vor dem äußerlichen Studium der Texte – die authentische Lehre, da er auch die Wahrheit hinter den aufgezeichneten Schriften erkannt hat.
Der Dalai Lama ist das Oberhaupt einer der vier Schulen im tibetischen Buddhismus, die ab dem 11. Jahrhundert entstanden sind und den tibetischen Buddhismus entscheidend geprägt haben.
Nyingmapa (Alte Richtung)
Der Buddhismus erlangte erstmals im 8. Jahrhundert in Tibet Bedeutung, vor allem aus machtpolitischen Erwägungen der tibetischen Herrscher. In der Auseinandersetzung darüber, welcher buddhistischen Schule man die Gunst schenken sollte, wurde der buddhistische Tantriker Padmasambhava geholt. In einer Dämonenbeschwörung – bei der andere buddhistische Vertreter erfolglos blieben – soll es ihm gelungen sein, böse Geister zu Beschützern der Lehre zu verpflichten.
Padmasambhava
Padmasambhava galt zu seiner Zeit als einer der berühmtesten Tantriker und Vertreter der Siddha-Tradition. Nach ihr verfügt ein den Yoga Praktizierender über magsiche, übernatürliche Kräfte, die nach der hinduistischen Tradition Mittel zur Erkenntnis sind. Im tantrischen Buddhismus können sie Ausdruck für die erreichte Erleuchtung sein. Zurzeit seines Wirkens ließ Padmasambhava indische tantrische Texte erscheinen, begründete zugleich aber auch die Terma-Tradition. Er vergrub die Texte, da Tibet seiner Ansicht nach noch nicht reif war für die fortgeschrittenen Erkenntnisse, die sie enthielten. Zu späteren Zeiten können diese Texte („Schatz“, Terma) wieder entdeckt werden – durch Ausgraben, aber auch durch Visualisierung.
Der bekannteste Terma-Text ist das „Tibetische Totenbuch“. 779 konnte Padmasambhava Samye einweihen, das erste buddhistische Kloster in Tibet. Er war Teil einer Übersetzergruppe, die tantrische Texte übertrug. Das Leben von Padmasambhava („Der Lotosgeborene“) ist von zahlreichen Legenden umwoben; unter anderem soll seine Kindheit ähnlich der des Buddha verlaufen sein. Von den Anhängern der Nyingmapa wird er als Guru Rinpoche (Höchst Kostbarer Lehrer) verehrt.
Entstehung der Nyingmapa
Die „Alte Richtung“ (Nyingmapa) entstand zur Zeit der zweiten Verbreitung der Lehre ab dem 10. Jahrhundert – zwischenzeitlich hatte der Buddhismus seinen Einfluss in Tibet fast gänzlich verloren. In einer Phase, in der sich weitere Schulen ausbildeten, kam es 1040 zur ersten Terma-Entdeckung. Das verweist darauf, dass die Anhänger in dieser Zeit ihren Bezug zur ursprünglichen Tradition deutlich machen wollten. Auch wenndie Terma-Tradition anderen Schulen nicht unbekannt ist, hat sie vor allem in der Nyingmapa große Bedeutung. Ihre eigentliche Ausprägung erhielt die Nyingmapa im 13. Jahrhundert unter Guru Chosbang, der viele Terma-Texte wiederentdeckte.
Lehren
Die Schule der Nyingmapa ist im Vergleich zu anderen tibetischen Schulen weniger hierarchisch organisiert; die Anhänger lebten oft als Einzelgänger oder in kleinen Gruppen. Das Hauptkloster war lange Zeit Samye. Es wurde während der Kulturrevolution von den Chinesen völlig zerstört.
Neben dem Sondergut der Terma-Tradition sowie der Stellung einiger weiterer Tantra-Texte zeichnet sich die Nyingmapa durch eine eigene Klassifizierung der Wege zur Erleuchtung aus. Wie im tibetischen Buddhismus üblich spielen trantrische und magische Rituale eine Rolle, doch die höchste Form der Meditation wird im Dzogchen („Große Vollkommenheit“) gesehen. Die Dzogchen ist eine besondere Meditationsmethode, die auf einen Terma-Text, den „Herztropfen“ zurückgeht. Dieser Text wird einem Begleiter Padmasambhavas zugeschrieben und im 12. Jahrhundert entdeckt. Danach gilt es, durch eine spontane Bewusstwerdung zu erkennen, dass der menschliche Geist selbst mit der Buddhanatur identisch ist, und zwar in seiner reinsten, ursprünglichen Form: ohne jedwede zusätzliche Eigenschaft und ohne zu Grunde liegende Realität. Gleiches gilt für alle Erscheinungen: ihnen haftet keine Realität an. Der Geist vermag, dies zu erkennen, wenn er sich von allen Täuschungen befreit hat. Den Weg dorthin lehrt die Meditation des Dzogchen. In seiner heutigen Form und Systematisierung wurde die Dzogchen im 18. Jahrhundert zusammengestellt.
Kagyüpa (mündliche Überlieferung)
Die Kagyüpa führt sich auf den indischen Siddha-Meister Naropa zurück, dessen Schüler Marpa (1012-1097) wesentlich an der Verbreitung des Buddhismus in Tibet beteiligt war. Die eigentliche Systematisierung der Lehre erfolgte aber erst durch Gampopa (1079-1153). Die Schüler Gampopas wiederum gründeten die meist heute noch existenten Schulen der Kagyüpa.
Lehre
Wie bei den Nyingmapa auch bürgt die Weitergabe der Lehre von einem Meister auf die Schüler für die authentische Aufrechterhaltung des Wissens um den rechten Weg zur Erleuchtung. Marpa hatte neue tantrische Lehren Meditationstechniken nach Indien gebracht, unter anderem das für die Kagyü-Schule bedeutende „Große Symbol“ (Mahamudra; auch übersetzt als „Großes Siegel). Demnach ist die letzliche, zu erkennende Realität mit Weisheit, Erleuchtung, Seligkeit und Leere identisch und wird als zeitloser Grund bzw. Wesen angesehen, dessen Ausdruck die wahrnehmbaren Dinge sind – die als Illusion zu erkennen sind. Dem Ziel dieser Erkenntnis dienen tantrische und magische Übungen, auch die Meditation mit Hilfe von Mantren. Damit steht die Mahamudra-Lehre dem Dzogchen der Nyingmapa nahe.
Tibetisches Totenbuch
Das im 14. Jahrhundert „entdeckte“ so genannte Tibetische Totenbuch ist zentraler Text der Terma-Literatur, d.h. von Texten, die von ihren Autoren vergraben wurden, um sie erst zu einem späteren Zeitpunkt durch Wiederentdeckung zugänglich zu machen – dann, wenn die Zeit für die Aufnahme der in den Texen enthaltenen Lehren reif ist. Der Name der Schrift ist eigentlich „Bardo Thödol“, was bedeutet: „Befreiung durch Hören im Zwischenzustand“. Die Bezeichnung „Tibetisches Totenbuch“ stammt von Walter Yeeling Evans-Wentz, der 1927 eine eine englische Übersetzung herausgab.
Das Bardo Thödol beschreibt die verschiedenen Stufen, die die Seele eines Verstorbenen bis zu ihrem endgültigen Tod durchläuft. Der Mensch zerfällt in seine Daseinsfaktoren, und es ist ihm möglich, die wahre Natur seines Selbst wahrzunehmen und so zur Erleuchtung zu kommen. Dabei durchläuft der Verstorbene verschiedene Zustände, die durch Visionen und die Konfrontation mit seinem früheren Leben gekennzeichnet sind. Weil dieser „Zwischenzustand“ die Möglichkeit der Erleuchtung gibt, ist die geistige Haltung, die ein Sterbender bei seinem Tod hat, besonders bedeutsam.
Mönchen ist es möglich, diese Zeit zu beeinflussen. Sie haben Verbindung mit dem Toten und können die Wahrnehmungen in den verschiedenen Zuständen interpretieren, um dem Verstorbenen so Anweisungen für sein Verhalten zu geben und ihm das Erreichen der Erleuchtung zu erleichtern.
Neben dieser „eigentlichen“ Funktion des Bardo Thödol sehen viele Anhänger des tibetischen Buddhismus den Text auch als Anleitung für das irdische Leben. Das basiert darauf, dass die sich ständig verändernden Zustände im Leben selbst als Folge von Sterben und Wiedergeburt gesehen werden. Das Bardo Thödol spielt nicht nur für die Kagyüpa, sondern auch für andere Schulen des tibetischen Buddhismus eine wichtige Rolle – vor allem für die Nyingmapa und Shakyapa.
Die verschiedenen Linien bzw. Schulen der Kagyüpa sind durch die Nachfolge der Lamas, die die Schulen begründet haben, bestimmt, zumal die mündliche Weitergabe Kern der Kagyüpa wie anderer Schulen des tibetischen Buddhismus darstellt. In Bezug auf die Lehren bestehen Unterschiede meist in der Betonung einzelner Aspekte und Auslegungen der Überlieferung. Lamas einzelner Linien finden auch Anerkennung unter Anhängern anderer Richtungen.
Karma-Kagyüpa und Karmapa
Die Karma-Kagyüpa ist die bedeutendste Schule der Kagyüpa. Sie wurde im 12. Jahrhundert begründet und hat unter den Kagyüpa-Schulen im Westen die meisten Anhänger. Ursprünglich wurden sie auch „Schwarzmützen“ genannt, nach den schwarzen Hüten ihrer Lamas (Lehrer). Das geistliche Oberhaupt der Karma-Kagyüpa ist der Karmapa („Ausführer der erleuchteten Aktivität“); er gilt nach dem Dalai Lama der Gelugpa als der zweithöchste religiöse Führer Tibets. Der Karmapa wird als Verkörperung des Mitgefühls angesehen, worin sich die Bodhisattva-Lehre des Mahayana spiegelt. Sein Auftreten soll bereits vom Buddha und von Padmasambhava, dem maßgeblichen Begründer des tibetischen Buddhismus, prophezeit worden sein. Als erster Karmapa gilt der Begründer der Schule, Dusum Khyenpa. Alle nachfolgenden Führer gelten als seine Wiederverkörperung. Der zweite Karmapa wurde als Tulku erklärt, das heißt als Wesen, das seine Wiederverkörperung selbst bestimmen kann – erstmals im tibetischen Buddhismus überhaupt. Zum Auffinden der Wiederverköprerung hinterlassen die Karmapa der Karma-Kagyü-Schule einen Brief, dem Findungsgremium Hinweise geben soll.
Zur Spaltung der Karma-Kagyüpa kam es bei der Wiederverkörperung des 17. Karmapa, denn zwei Personen wurden ausgemacht; die 1992 erfolgte Inthronisation des Karmapa hat die Anhänger nicht zur Ruhe kommen lassen. Dem Thema widmet sich unter anderem der Film „Living Buddha“ von Clemens Kuby aus dem Jahr 1994.
Drikung-Kagyüpa
Diese Linie der Kagyüpa geht auf Phagmodrupa, einen Schüler Gampopas, zurück. Der Nachfolger Phagmodrupas, Jingten Gönpo (1143-1217) begründete die Drikung-Kagyüpa. Eine der Besonderheiten dieser Schule ist, dass sie von zwei spirituellen Führern geleitet wird. Auch sie gelten als Tulkus, das heißt als willentlich wiederverkörperte Lamas. Sie haben den im tibetischen Buddhisus gebräuchlichen Ehrentitel Rinpoche („Kostbarer“).
Drukpa-Kagyüpa
Yeshe Dorje (1161-1211) gilt als Begründer der Drukpa-Kagyüpa. Im Sterben prophezeite er die Verbreitung im Gebiet des heutigen Bhutan durch einen Mann aus Osttibet. Drukgom Shigpo nahm diese Prophezeiung an. Seine Söhne heirateten in angesehene Adelsfamilien, was der Verbreitung dieser Schule förderlich war – der Buddhismus selbst war bereits seit dem 7. Jahrhundert bekannt. Im 17. Jahrhundert dann erfolgte die Gründung eines einheitlichen Königreiches Bhutan durch den Tibeter Ngawang Namgyel, der bereits in der Grukpa-Tradition erzogen wurde, wegen seines Anspruchs als Wiederverkörperung eines hohen Drukpa-Gurus jedoch fliehen musste. In Bhutan wurde die Drukpa-Kagyüpa Staatsdoktrin.
Shangpa-Kagyüpa
Die kleinste der Kagyü-Hauptschulen geht auf dem im 14. Jahrhundert lebenden Lama Kyungpo Naljor zurück. Diese Schule lehrt eine besondere Interpretation der Mahamudra, die „Fünf Goldenen Lehren von Niguma“, die von Niguma, eine Schwester Narupas, stammen sollen.
Sakyapa (Fahle Erde)
Der Begründer der Sakyapa, Könchog Gyaltsen aus der Familie der Khon, war zunächst Anhänger der Nyingmapa („Alte Richtung“), bevor er 1073 mit der Errichtung des Klosters Sakya seine eigene Richtung ins Leben rief. Ursache war die Begegnung mit dem Übersetzer Dogmi, durch den er ein besonderes Trantra-System kennen lernte, das sich auf den indischen Siddha Virupa zurückführt.
Lehre
Das von der Sakyapa übernommene Hevajra-Tantra enthält Aussagen über die feinstofflichen Energieströme, die in der Ausübung des Tantra zur Wirkung kommen, sowie eine weitgehende Beschreibung der rituellen sexuellen Vereinigung. In dieser Vereinigung soll die Dualität in der menschlichen Wahrnehmung als Illusion erkannt und aufgehoben werden. Hevajra ist die „Zornvolle Gottheit“, die Mitleid und Erkenntnis symbolisiert. Der Praktizierende soll sich in der Meditation mit dieser Gottheit identifizieren, um über Wohlwollen, Mitleid, Freude und Gleichmut zur Erkenntnis der Leerheit aller Dinge zu gelangen. Inwieweit die Beschreibungen sexueller Praktiken nur als Illusion des Praktizierenen stattfinden oder real vollzogen werden sollen, ist nicht eindeutig – auf jeden Fall stellen sie nach der Lehre ein Mittel auf dem Weg zur Erleuchtung dar, und haben keinen Wert an sich.
Das Hevajra-Tantra gehörte zu den ersten tantrischen Texten, die in eine westliche Sprache übersetzt wurden, und haben das sexualisierte Bild des Tantra mit bestimmt. Darüber hinaus ist die Sakyapa im Vergleich zu anderen Schulen weniger festgelegt. Unterschiedliche Anschauungen finden sich wieder.
Entwicklung
Die Sakyapa kennt zwar auch die Wiederverkörperung hoher Lamas, doch ist damit nicht zugleich eine Führungsrolle verbunden. Vielmehr wird die Leitung der Schule von Anbeginn an innerhalb der Familie der Khons weitergegeben – bis heute. Bedingt durch die günstige Lage des Hauptklosters Sakya erlangte die Schule materiellen Reichtum und wurde zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit. Durch Unterwerfung unter die mongolische Invasoren des 13. Jahrhunderts erlangte die Sakyapa eine dominierende Stellung in Tibet, denn sie forderten im Gegenzug das Amt des Vizekönigs für ihren obersten Führer. Die Hegemonie der Sakyapa wurde erst mit dem Sturz der Mongolenherrschaft über China Ende des 14. Jahrhunderts beendet. Durch die Verstrickung von Religion und politischer Macht und die Anhäufung von materiellen Reichtum, die sich unter der Sakyapa steigerte, wurden verschiedene Reformbewegungen hervorgerufen. Erfolgreich Tsongkapa, aus dessen Bemühungen die Gelugpa als künftig bestimmende Schule hervorgingen.
Die Sakyapa hingegen nahm in ihrer Bedeutung immer mehr ab und ist heute die kleinste der vier Hauptschulen des tibetischen Buddhismus.
Gelugpa (Tugendhafte Schule)
Nicht nur die während der Mongolenherrschaft dominierenden Sakyapa strebten nach politischer Macht in Tibet, auch die Klöster anderer Schulen suchten Einfluss in weltlichen Dingen. Zugleich wurden die Mönchsregeln mehr und mehr missachtet, und tantrische Praktiken rücken oftmals in den Vordergrund. Das rief im 15. Jahrhundert Reformbewegungen hervor.
Tsongkhapa und die Kadampa
Einer dieser Reformer war Tsongkhapa (1357-1419), der sich zum Ziel setzte, die alten Mönchsideale wieder zum Leben zu erwecken. Bevor er mit 40 Jahren in ein Kadampa-Kloster eintrat, war er schon Mönch in Klöstern anderer Schulen, unter anderem der Sakyapa.
Die Kadampa – „Schule des Rats“ – wurde 1054 gegründet und basiert auf den Lehren Atishas, der im 11./12. Jahrhundert maßgeblichen Anteil an der Wiederbelebung des Buddhismus in Tibet hatte. Die Kadampa legte großen Wert auf die Mönchsdisziplin, das heißt unter anderem auf ein zölibatäres Leben und die Vermeidung von Rauschmitteln und anderen materiellen Genüssen. Der Tantra wurde nicht abgelehnt, aber hauptsächlich symbolisch verstanden und als nachgeordnetes Mittel auf dem Weg zur Erleuchtung angesehen, dem das Studium der Lehre vorangehen müsse.
Diese Ideen hat auch Tsongkhapa verfochten, so dass er im Grunde als Restaurator des tibetischen Buddhismus anzusehen ist.
Gelugpa
Als Tsonkhapa eine größere Zahl von Anhängern gewonnen hatte, gründete er 1409 mit der Errichtung des Klosters Ganden („Freudiger Berg“) seine eigene Schule. Diese bezeichnete er selbst als „Neue Kadampa“, wodurch deutlich wird, dass er im Grunde eine Erneuerung bzw. Restauration der Kadampa anstrebte. Um sich von den anderen Schulen abzugrenzen, führte Tsongkhapa als Kopfbedeckung der Mönche gelbe Hüte ein. Das brachte seiner Schule schon bald den Beinamen „Gelbmützen“ ein – im Unterschied zu den „Rotmützen“ der anderen Schulen (Allerdings wird die von westlichen Forschern eingeführte Bezeichnung „Rotmützen“ von Tibetern nicht verwendet.)
Im Lauf der Zeit setzte sich für die Neue Kadampa jedoch die Bezeichnung „Schule der Tugendhaften“ (Gelugpa) durch. Die ursprüngliche Kadampa existierte nur noch bis in das 15. Jahrhundert hinein. Die von Tsongkhapa wiedererweckten Tugenden der Mönchsdisziplin und der Nachrangigkeit des Tantra – bzw. das Praktizieren des Tantra erst, nachdem der Mönch eine lange und intensive Ausbildung durchlaufen hat – bilden bis heute ein Kennzeichen der Gelugpa.
Dalai Lama
Der Dalai Lama („Lehrer des Ozeans der Weisheit“) ist für viele der Repräsentant des tibetischen Buddhismus. Dabei stammt die Bezeichnung „Dalai Lama“ von den Mongolen. Sodnam Gyatso, der Vorsteher des größten zentralen Gelugpa-Klosters Ganden, erneuerte die Schutzbeziehungen zwischen Tibetern und den Mongolen, worauf diese ihm den Ehrentitel verliehen. Er wurde dann rückwirkend bis zu Gedüngrub verwewndet, der somit der erste Dalai Lama ist – und Sodnam Gyatso der dritte. Gedüngrub wiederum, Neffe von Tsongkapa, war ebenfalls Klostervorsteher von Ganden und der erste, der als Tulku der Gelupga auftrat: Er sagte seine Wiederverkörperung voraus, gleich den Karmapas der Kagyüpa.
Die Wiederverkörperung des dritten Dalai Lamas erfolgte in einem Urenkel des Mongolen Altan Khan, womit die politische Herrschaft der Gelugpa über Tibet begründet wurde; der fünfte Dalai Lama schließlich konnte den dominierenden Einfluss der Gelugpa festigen, indem er rivalisierende mongolische Fürsten besiegte und die Anerkennung des 10. Karmapa der Kagyü-Schule erlangte. Seit dieser Zeit – Mitte des 17. Jahrhunderts – ist die politische Herrschaft der Gelugpa über Tibet unumstritten.
Die Eroberung Tibets durch das kommunistische China setzte dieser Herrschaft ein Ende. Der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, musste 1959 während einer großen Erhebung des tibetischen Volkes gegen die Chinesen nach Indien fliehen, wo er in Dharamsala eine Exilregierung aufbaute und sich seitdem – weitgehend erfolglos – für die politische Autonomie Tibets und den Erhalt der tibetischen Kultur einsetzt.
Der Dalai Lama wird des Öfteren als „Gottkönig“ bezeichnet. Diese irreführende Sicht stammt daher, dass hohe Würdenträger im tibetischen Buddhismus als Wiederverkörperung von Buddhas und Bodhisattvas gelten – wobei zu bedenken ist, dass es im tibetischen Buddhismus auf Grund der eigenständigen Kosmologie eine große Zahl von Buddhas und Bodhisattvas gibt. Der Dalai Lama gilt als Verkörperung des auch im Mahayana bedeutenden Avalokiteshvara, dem Bodhisattva des Mitgefühls. In Tibet wird für den Dalai Lama meist die Bezeichnung Gyalwa Rinpoche („Kostbare Eminenz“) verwendet – oder Kundun („Anwesenheit“), im Westen bekannt durch den gleichnamigen Film von Martin Scorsese.
Das Auffinden der Wiederverkörperung eines Dalai Lama unterscheidet sich nicht von denen anderer Tulkus: Durch Ankündigungen bereits vor seinem Tod und Hinterlassenschaften gibt der noch lebende Tulku entsprechende Hinweise. Eine Findungskommission, bestehend aus geistlichen Würdenträgern, prüft mögliche Indizien, zusätzlich werden Orakel befragt und Rituale durchgeführt, in denen Visionen und Prophezeiungen auftreten, die für die Suche von Bedeutung sind. Das daraufhin ausgemachte Kind muss sich mehreren Prüfungen unterziehen, ehe es als Wiederverkörperung bestätigt wird. Es folgt die Unterweisung im Kloster. Bis zur Volljährigkeit wird das Amt des neuen Dalai Lama von einem Stellvertreter ausgeübt.
Panchen Lama
Der fünfte Dalai Lama bestimmte einen anderen bedeutenden Lehrer der Gelugpa zum künftigen geistlichen Oberhaupt Tibets und erkannte in ihm die Wiederverkörperung des Buddha Amithaba. Sein Titel ist Panchen Rinpoche („Großer Lehrer“) bzw. Panchen Lama.
Bereits im 18. Jahrhundert versuchte China, das Tibet zu seinem Protektorat gemacht hatte, den Panchen Lama als Gegenspieler des Dalai Lama aufzubauen und seine Funktion enger an das chinesische Kaiserhaus zu binden. Im kommunistischen China setzte sich dieses Ansinnen fort, führte aber letztlich nur zur Stärkung des Dalai Lama und der Unterminierung der Autorität des Panchen Lama. Viele Tibeter erkannten den 1944 in China entdeckten siebten Panchen Lama zunächst nicht an. Erst seit den 1960er Jahren verfolgt der Panchen Lama einen China-kritischen Kurs. Nach seinem Tod 1988 entbrannte ein Konflikt um die Findung des neuen Panchen Lama, da die chinesische Regierung das vom Dalai Lama erkannte Kind nicht anerkennen wollte.
Potala
Der fünfte Dalai Lama ließ in der tibetischen Hauptstadt Lhasa ein neues Hauptkloster erreichten – Potala, benannt nach dem mythischen Wohnort des Bodhisattva Avalokiteshvara. Der riesige, mit goldenen Kuppeln versehene Palast wurde zum religiösen Zentrum und zugleich zum Regierungssitz der neuen tibetischen-buddhistischen Herrscher. Er ist heute das Sinnbild der tibetischen Kultur, die sich gegen die zunehmende Ansiedlung von Nicht-Tibetern durch die chinesische Regierung behaupten muss.
Buddhismus im Westen
Lange Jahrhunderte blieb der Buddhismus auf den ostasiatischen Raum beschränkt. In Indien (und Pakistan) wurde er vom wiedererstarkten Hinduismus bzw. vom Islam verdrängt. Erst im 19. Jahrhundert gelangte der Buddhismus in den Westen.
Anfänglich waren es vor allem Intellektuelle, die sich vornehmlich auf den Theravada als „ursprünglichen“ Buddhismus bezogen. Nach dem zweiten Weltkrieg kam der Zen-Buddhismus hinzu, der in der Alternativbewegung die Suche nach neuen Formen von Spiritualität befriedigte. Auch im katholischen Christentum gewann die „Methode“ des Zen Anhänger. Durch Migration aus den asiatischen Ländern erreichten ab den 80er Jahren auch alle anderen Schulen Europa und die USA. Vielfach leben zugewanderte und „einheimische“, konvertierte Buddhisten nebeneinander her. Die kulturellen Unterschiede sind oft groß, ebenso bestehen Sprachprobleme. Nicht zuletzt aber gibt es unter den Buddhisten, die im Westen sozialisiert wurden, das Bemühen, eigene Wege der Aneignung und Weitergabe der Lehre zu finden: einen „westlichen Buddhismus“, der den hiesigen Traditionen und Lebensformen gerecht wird und zugleich den Kern, das „Wesen“ der Lehre des Buddha bewahrt.
Autor: Steffen Rink, 2004.
Themenschwerpunkte
Religionsfreiheit
Islam
Christentum aus religionswissenschaftlicher Sicht
Religionen der Welt
Weltanschauungen und Säkularität
Esoterik und alternative Spiritualität