Gliederung: Die Entstehung einer eigenständigen Disziplin Religionswissenschaft im Singular hat mehrere Entwicklungen durchgemacht.
1. Vorformen – Herausbildung einer eigenen Disziplin Religionswissenschaft
2. Linguistic Turn
3. Sozialwissenschaftliche oder qualitative Wende
4. Neue soziale Bewegungen: Diskriminierungsforschung & Gender Studies
5. Religionswissenschaft und Postmoderne
6. Interdisziplinarität oder Methodenstreit A: Religion und Gesundheit (bzw. Naturwissenschaft)
7. Methodenstreit B: Metatheologischer Essenzialismus und methodischer Agnostizismus
8. Diverse Datenbanken & Materialien
1. Vorformen – Herausbildung einer eigenen Disziplin Religionswissenschaft
In der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts nahm das Interesse an anderen Religionen einerseits mit der vergleichenden Konfessionskunde und ihrer Vorliebe für den „radikal“ genannten separatistischen Pietismus seinen Anfang, andererseits mit dem von dort entlehnten Interesse an einem universalreligiös verstandenen Phänomen der „Mystik“, letztlich um im Sinne Nathan Söderbloms „Gott aus der Religionsgeschichte [zu] beweisen“. Auf katholischen und orthodoxen Gebiet kommt dem ein Interesse an religiöser Erfahrung, d.h. im Diskurs um 1900 auch an „Okkultismus“ oder „Parapsychologie“, sowie an der antiken Gnosis entgegen. Aus den frühen Sozialwissenschaften wurden evolutionistische Stufenmodelle entlehnt, um die Religionen der Welt darauf als unterschiedlich entwickelt einzuordnen. Dabei wurde die sogenannte Schule der Religionsphänomenologie besonders wichtig. Dabei handelt es sich nur oberflächlich um eine Rezeption der Philosophie Husserls, diese Religionswissenschaft wollte vergleichend Phänomene einer internationalen Religion im Singular dingfest machen: die „Mystik“ und „die Besessenheit“, „das Gebet“ oder „das Gespenst“. Moderne Religionswissenschaftler*innen untersuchen demgegenüber nicht „Religionen“ im Sinne von metaphysischen, objektiv vorhandenen Phänomenen, sondern empirisch Vorhandenes wie die Mitglieder oder Anhänger*innen einer Religionsgemeinschaft.
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- Weitere klassische Werke sind:
Edward Burnett Tylor: Primitive Culture (1871) / Die Anfänge der Cultur. Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte (1873),
William Robertson Smith: The Religion of the Semites (1889, dt. 1899),
James George Frazer: The Golden Bough. A Study in Comparative Religion (1890),
William James: The Varieties of Religious Experience: A Study in Human Nature (1902),
Gerardus van der Leeuw: Die do-ut-des-Formel in der Opfertheorie (in: Archiv für Religionswissenschaft, Bd. 20, 1920/21, S. 241-253),
Gerardus van der Leeuw: Einführung in die Phänomenologie der Religion (1925),
Hans Jonas: Gnosis und spätantiker Geist I: Die mythologische Gnosis (EA 1930 als „Der Begriff der Gnosis“),
Paul Radin: Trickster. A Study In American Indian Mythology (1956, mit Karl Kerényi und Carl Gustav Jung),
Mircea Eliade: The Sacred And The Profane (1957, vgl. kritisch Hannah Müller-Sommerfeld: Der frühe Mircea Eliade, 2004).
Bei REMID:
- Kris Wagenseil: Ein Versuch über Rudolf Ottos „Das Heilige“ (2012).
- Kris Wagenseil: Friedrich Heiler. Ein Klassiker der Religionswissenschaft? (2012).
2. Linguistic Turn
Bereits Immanuel Kant sprach in der Vorrede der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ von 1787 davon, dass eine „Umänderung der Denkart“ in der Philosophie ebenso zu vollziehen sei wie bei Kopernikus in der Kosmologie oder bei Euklid in der Geometrie. Es geht darum, nicht mehr „Dinge an sich“ selbst zu beschreiben, sondern die Bedingungen der Möglichkeit, über diese Dinge zu sprechen. Schließlich Ludwig Wittgenstein revidiert im „Tractatus logico-philosophicus“ (1918) die in der Philosophie bzw. Erkenntnistheorie zuvor angenommene, statische und eine Metaphorik der Natürlichkeit pflegende Abbildtheorie der Sprache. Sprache bildet nicht einfach die wirklichen Dinge ab, in seinen späteren Schriften empfiehlt Wittgenstein die Vorstellung unabhängiger „Sprachspiele“, deren Regeln nur durch gesellschaftlich vermittelte Erfahrung, nicht aber als Resultat einer wesensmäßigen Essenz begriffen werden könnten.
In der Religionswissenschaft wurde zunächst die Idee, wesensbezogene (essenzialistische) Aussagen über „die Religion“ im Singular treffen zu können, kritisiert, mit dem linguistic turn begann die Diskussion des Faches um die Bedingungen der Möglichkeit der Definition seines Gegenstandes. Die Philologien „außereuropäischer“ Religionstraditionen begegneten darauf der zuvor durch die Religionsphänomenolog*innen erstellten Terminologie und ihrer wertenden Hierarchie der Religionstraditionen kritisch. Übersetzungstheoretische Fragen, genealogische Rekonstruktionen europäischer Religionsgeschichten und aus der Vergleichspraxis gezogene Unterschiede von christlichen Perspektiven auf Religionen zu anderen Perspektiven (Orthodoxie vs. Orthopraxis, Heilige Schriften einer Offenbarung vs. religiöse Erfahrung im Ritual, Theologie der Religionsexpert*innen vs. sogenannte „Laienfrömmigkeit“, Kirchenförmigkeit vs. Unsichtbare Religion) bildeten schließlich den Inhalt einer Sebstreflexion des Faches nach der Erfahrung seiner Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus. Entgegen jeder Vereinnahmung der Disziplin zur Gottessuche bzw. zur Entwicklung einer Metareligion wurde ein methodischer Agnostizismus empfohlen, sich in der Beschreibung von Religionsgemeinschaften einer (metaphysischen) Wertung zu enthalten.
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- Kurt Rudolph: “Die ‘ideologiekritische’ Funktion der Religionswissenschaft” (Numen 1978, extern); eine Ausgabe der Zeitschrift für junge Religionswissenschaft von 2007 versucht mit ihren Beiträgen, das Plädoyer Rudolphs kritisch zu aktualisieren.
- Einen heute etwas veralteten Überblick bietet das Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Stuttgart: Kohlhammer 1988-2001 („Aberglaube – Antisemitismus“, „Apokalyptik – Geschichte“, „Gesetz – Kult“, „Kultbild – Rolle“, „Säkularisierung – Zwischenwesen“). Nicht immer bedeutet das Vorhandensein eines Stichworts die Empfehlung seiner Verwendung.
- In dieser Periode spielten auch die religionsbezogenen Schriften Sigmund Freuds Totem und Tabu (1913), Die Zukunft einer Illusion (1927) und Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939) eine Rolle für funktionale Bestimmungen von Religion, ebenso wie Les formes élémentaires de la vie religieuse. Le système totémique en Australie vom Emile Durkheim (1912). Man siehe auch die Werke von Marcel Mauss, insbesondere „Die Gabe“ (Essai sur le don, 1923/24; engl. „The Gift“, 1967).
- Im Hintergrund steht hier auch der Einfluss früher religionskritischer Schriften wie Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums (1841), Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843/44), Thesen über Feuerbach (1845) und das Kapitel Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis (Kapital I, 1867) sowie Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft (1887).
- Thomas Luckmann schließlich entwickelte den Sozialkonstruktivismus mit The Social Construction Of Reality (1966) und Invisible Religion (1967; vgl. Knoblauch: Die Verflüchtigung der Religion ins Religiöse. Thomas Luckmanns Unsichtbare Religion, 1991).
- Andere Einflüsse kommen von Aby Warburg: Die Erneuerung der heidnischen Antike [Band I, Band II]. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance (1932). Oder von Walter Benjamin: Fragment Kapitalismus als Religion (1921).
- Ein Anwendungsbeispiel einer historisch-philologisch motivierten Kritik ist Rainer Flasche: Der adoptierte Gott (Africana Marburgensia 17, 1998).
- Vereinnahmungen von Religionswissenschaft, Indologie oder Volkskunde behandeln Fritz Heinrich: Die Deutsche Religionswissenschaft und der Nationalsozialismus. Eine ideologiekritische und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung (2001) sowie Horst Junginger (Hrsg.): The Study of Religion under the Impact of Fascism (2008).
Bei REMID:
- Interview mit Thomas Hase: „‚In Sekten‘? Religiöser Nonkonformismus als Auslöser kultureller Dynamik – aktuelle Ansätze in der Religionsforschung“ (2012).
- Kris Wagenseil: „Die Kopie ist das wahre Original: Aura-Kopierer, Religionswissenschaft, Falsifikation und Don Quijote“ (2012).
- Interview mit Jörn Meyers: Der “arische” Jesus und “arteigene Religion”: Neue Studie zu einem spirituellen deutschen Sonderweg (2012).
- Interview mit Julian Strube: „‚Le Christianisme c’est le Communisme‘: Sozialismus und Okkultismus im Frankreich des 19. Jahrhunderts“ (2013).
- Kris Wagenseil: Religion und Vorurteil von A bis Z (2015).
3. Sozialwissenschaftliche oder qualitative Wende
Mit den 1970er/1980er Jahren erreichte der sogenannte sociological turn die Religionswissenschaft. Statt der heiligen Schriften und Gebrauchstexte „außereuropäischer“ Religionstraditionen (und der ihnen zugehörigen Materialität in religionskundlichen Sammlungen) wurde die religiöse Vielfalt der Gegenwart zum Forschungsgegenstand: einerseits die Diaspora-Gemeinden der sogenannten „Weltreligionen“ in den Metropolen der industrialisierten Länder, andererseits die Neuen Religiösen Bewegungen, die als „Sektendebatte“ durch hegemoniale Religionsgemeinschaften u.a. thematisiert worden waren.
Das bisherige Primat von philologischen und kritisch-historischen Methoden wurde an einigen Standorten abgelöst durch insbesondere qualitative Sozialforschung sowie Disziplintransfers aus Anthropologie, Soziologie, Kulturwissenschaft und Psychologie. Lokale Religionsforschung konnte die religiöse Vielfalt einzelner Städte, Landkreise oder Bundesländer aufzeigen. Mit teilnehmender Beobachtung und narrativen Interviews werden Neue Religiöse Bewegungen oder Konvertit*innen in den Islam untersucht. Mit Diskursanalyse und Grounded Theory werden im weiten Sinne als religiös beschreibbare gesellschaftliche Medienereignisse oder Praxen alternativer Spiritualität bearbeitet, dem Ideal einer „Dichten Beschreibung“ (Clifford Geertz) verpflichtet.
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- Man vergleiche auch den Aufsatz „Methoden für die Religionswissenschaft. Professionalisierung und Fachidentität“ (2013) von Steffen Führding in der Zeitschrift für junge Religionswissenschaft.
- Für besondere Fragestellungen siehe das Kapitel „1.2 Comparison“ von Michael Stausberg, aus: Ders. und Steven Engler (eds), The Routledge Handbook of Research Methods in the Study of Religion (2011) sowie „Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. Der »spirituelle Wanderer« als Idealtypus spätmoderner Religiosität“ von Winfried Gebhardt, Martin Engelbrecht und Christoph Bochinger (In: Zeitschrift für Religionswissenschaft [ZfR] Bd. 13 , 2005, Heft 2, S. 133-151) und Hubert Knoblauch: Soziologie der Spiritualität (in: ebd., S. 123-133).
- Klassische Sozialstudien sind Bronislaw Malinowski: Argonauts Of The Western Pacific. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea (1932) oder William Foote Whyte: Street Corner Society. The social Structure of an Italian Slum (1943).
- Für eine symbolische Anthropologie vergleiche Victor Witter Turner: The Ritual Process. Structure and Anti-Structure (EA 1969).
- Für den erweiterten Diaspora-Begriff siehe Robin Cohen: Global Diasporas. An introduction, 1997 (vgl. Boris Nieswand: Was ist eine Diaspora?, bpb 2018).
Bei REMID:
- Interview mit Sarah Jahn: Gefängnisseelsorge und Kriminalprävention: Religion im Strafvollzug (2011).
- Interview mit Anna Neumeier: Religion online: Digitale Sinnsucher, virtuelle heilige Stätten und die Rolle des Tabus (2012).
- Interview mit Christian Uhrig: „Studie über Junge Freiheit: Christentum und Islamfeindlichkeit statt Heidentum“ (2012).
- Kris Wagenseil: Was forschen ReligionswissenschaftlerInnen in Deutschland? (2013).
- Interview mit Christiane Königstedt: Gott in Frankreich: Ein Fall von bedingter Religionsfreiheit (2013).
- Interview mit Simone Heidbrink und Tobias Knoll: Deus ex machina: Religion(en) in digitalen Spielen (2014).
- Interview mit Ina Schmied-Knittel: Okkulte DDR – Umgang mit heterodoxen Wissensbeständen, Erfahrungen und Praktiken (2014).
- Interview mit Friedemann Rimbach-Sator: Lovecraft goes Magick: Cthulhus Ruf in Phantastik und (neuer) Religion (2015).
- Interview mit Tatjana Schnell: Was glaubt, wer nicht glaubt? Vergleichende Studie untersucht konfessionsfreie Identitäten (2016).
- Interview mit Kristina Dohrn: Hizmet in Tansania und Deutschland: Feldforschung in der Bewegung des Fethullah Gülen (2016)
- Interview mit Alexander Kühn: „Mit Parallelen zu islamistischen Ideologien: ‚Christlicher Extremismus in Deutschland'“ (2017).
- Miriam Kurz: Moral Cities: Religious Belonging and Cohabitation in Urban Spaces. Report from the 2017 German Anthropological Association conference (2017).
- Kris Wagenseil: Die religionspolitische Dimension von Statistik (2017).
- Interview mit Stefan Schröder: Freigeistige Organisationen als Gegenstand der Religionswissenschaft: Typen, Strategien, Widersprüche (2018).
- Kris Wagenseil: Salafismus in Deutschland: Gefährliche Wissenschaft? Rezension zum Werk Nina Käsehages (2018)
- Kris Wagenseil: Soziologie auf Abwegen? Vom Quexit und warum Geisteswissenschaftler*innen gerade besonders wichtig sind (2019).

4. Neue soziale Bewegungen: Diskriminierungsforschung & Gender Studies
Diese qualitative oder sozialwissenschaftliche Wende hatte auch damit zu tun, dass die politische Debatte der 1968er ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber traditioneller Autorität und damit dem Primat der Schrift und der Geschichte begünstigte. Die philologischen und historischen Methoden repräsentierten jetzt ein Etablishment, das blind schien für aktuelle Entwicklungen. Disziplingeschichtlich bedeutet das konkret die Kritik an einer etablierten Kanonizität klassischer Heiliger Schriften (entsprechend der „Weltreligionen“), gesteigert noch in der kolonialismuskritischen Version des Misstrauens gegenüber Missionarstexten zu anderen Religionen. Nur die Methoden von Soziologie und Anthropologie (bzw. Kulturwissenschaft) eröffneten gegenüber den verstaubt wirkenden Gegenständen der philologischen und historischen Fachvertreter*innen neue Möglichkeiten, eine gelebte religiöse Gegenwartskultur zu erforschen.
Das hat auch noch in einer weiteren Hinsicht eine grundsätzlich emanzipatorische Dimension. So wie das Interesse an einem radikal anderem „Gegentext“ zu demjenigen der einstigen Missionare wuchs, gilt es im Sinne der Frauenemanzipation statt „history“ (his story) auch „herstory“ zu erzählen. Das fängt damit an, dass oft nur männliche Initiationsriten erloschener Religionsformen überliefert sind, da die sie aufzeichnenden Forscher Männer waren. Grundsätzlich beginnt die Erforschung von struktureller Benachteiligung von Minderheiten im Religionsdiskurs – oder parallel von bislang marginalisierten Forschungsgegenständen – eine entscheidende Rolle einzunehmen.
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- Vergleiche auch Doris Bachmann-Medick: Jenseits der Konsensgemeinschaft – Kulturwissenschaft im ‘socio-political turn’? (in: Till Breyer et al. [Hrsg.]: Monster und Kapitalismus. Zeitschrift für Kulturwissenschaft. 2017/2, S. 105-110).
- In Bezug auf „alternative“ oder „Gegenkulturen“ wie die „Hermetic Tradition“ siehe auch Burkhard Gladigow: Europäische Religionsgeschichte seit der Renaissance (in: zeitenblicke 5, 2006, Nr. 1: „Das dramatisch Neue in der Europäischen Religionsgeschichte ist nicht so sehr ein Pluralismus von Religionen, sondern ein ‚problemloser‘ Pluralismus von Religionstypen“; ähnlich zuerst 1995) sowie Michael Bergunder: Was ist Esoterik? Religionswissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Esoterikforschung (in: Aufklärung und Esoterik, hrsg. von Monika Neugebauer-Wölk 2008, S. 477-507).
- Außerdem sei das Handbuch „Diversity Kompetenz“ (Band 2: Gegenstandsbereiche, 2016) von Petia Genkova und Tobias Ringeisen (Hrsg.) empfohlen.
Bei REMID:
- Thomas Hase: Streitfall Neue Religionen (1998). Vergleiche auch extern Frank Usarski: Die Stigmatisierung Neuer Spiritueller Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland (1988).
- Interview mit Marion Näser-Lather: Wicca: eine performative “Naturreligion” und die (re)konstruierte Tradition (2012).
- Interview mit Jeannette Spenlen: Religiöse Erziehung im Islam: Gender-Perspektiven, Elternbilder und ethnischer Kontext in Deutschland und Ägypten (2012).
- Kris Wagenseil: Überall “Sekten”? – Religionsbezogene Diskriminierung (nicht nur) in öffentlich-rechtlichen Medienanstalten (2013).
- Interview mit Kristina Göthling: „Hexe und Gender: Eine Transformationsgeschichte der Diskriminierungsfigur des Ketzers“ (2015).
- Interview mit Dana Fennert: “No negations of any kind!” – Islamischer Feminismus versus Pro-Familie-Bewegung (2016).
- Kris Wagenseil: Religionswissenschaft & Gender Studies: Selbstbestimmungsrechte und Theorie (2016).
- Gespräch mit Verena Maske: Islamkritik und Rassismus. Ein Briefwechsel über einen Essay von Ahmad Mansour (2016)
- Kris Wagenseil: „Religionsbarometer und Varianz: Hass-Prävention mit Religionswissenschaft?“ (2017).
- Christiane Königstedt: „Warum Definitionen wichtig sind“ – Paganismus, populäre Religion, Ahnenkult und rechtes Denken (2017).
- Interview mit Horst Junginger: Neue Stiftungsprofessur in Leipzig: Religionskritik als Gesellschaftskritik? (2018).
- Interview mit Felix Petzold und Giovanni Lapis: Religionswissenschaft gegen Vorurteile und Stereotype. Interview mit dem SORAPS-Projekt (2018).
Theoretische Zugänge zu Antisemitismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit:
5. Religionswissenschaft und Postmoderne


Die meisten Entwicklungen, die innerhalb der Fachgeschichte als „postmodern“ bezeichnet werden können, wurden bereits zuvor genannt: die Annahme einer Relativität der Wahrheit ist bereits in der Antike bekannt (Protagoras) und hier spätestens mit Ludwig Wittgenstein gegeben; entsprechend alt ist der Streit um eine Definition des Fachgegenstandes „Religion“; der Einfluss des Postkolonialismus verbleibt zunächst oft auf der Ebene eines Gedankenspiels bzw. eines Exkurses ausgewiesener Selbstreflexivität. Als besonders „radikal“ gilt Russell McCutcheon, der seinen Kolleg*innen vorwirft, „immer noch in den Fallstricken der Religionsphänomenologie verfangen zu sein, auch wenn sich vielleicht die verwendeten Begrifflichkeiten verändert haben“. Es ließe sich also eher von einem Annäherungsprozess sprechen, welcher bislang nur in Ausnahmen auf Lyotard, Derrida oder Foucault, kritische Theorie oder Queer Theory rekurriert, aber insgesamt eher einem Paradigma des Pluralismus oder Variantismus nahesteht.
- Grundlagentexte sind Jacques Derrida: De la Grammatologie (1967), Michel Foucault: Archäologie des Wissens (frz. L’Archéologie du savoir, 1969), Gilles Deleuze und Félix Guattari: Rhizome (1976; vgl. O’Sullivan, 2006), Jean-François Lyotard: La condition postmoderne (EA 1979; engl. 1985), Paul de Man: The Resistance to Theory (1982).
- Im Hintergrund stehen die Texte der Kritischen Theorie, insbesondere Herbert Marcuse: One-Dimensional Man (1964, „Der eindimensionale Mensch“) und Theodor W. Adorno und Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung (1944).
- Man siehe auch im Besonderen für die Religionswissenschaft Tomoko Masuzawa: The Invention of World Religions: Or, How European Universalism Was Preserved in the Language of Pluralism (2005).
- Eine poststrukturalistische Kritik an „Orientalismus“ formuliert Edward W. Said: Orientalism (1978).
- Zu Jan Assmann: Moses der Ägypter (1998), Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus (2003) vgl. seine Aufsätze Klarstellung (2000) und Neufassung (2015).
Bei REMID:
- Interview mit Angelika Rohrbacher: Quo vadis, domine? Eurozentrismus(kritik) in der Religionswissenschaft (2012).
- Interview mit Steffen Führding: Mit Religion provozieren: Nach Russell T. McCutcheon radikaler Perspektivwechsel notwendig (2014).
- Interview mit Simone Heidbrink und Carina Branković: Nachgefragt: Religion in Ex-Position. Eine religionswissenschaftliche Ausstellung (2014).
- Interview mit Christoph Kleine: „Quo vadis Religionswissenschaft? Wissenschaftliche ‘turns’ und die Nabelschau Europas“ (2016).
- Interview mit Inga Scharf da Silva: Orixás in den Alpen: Eine teilnehmende Beobachtung innerhalb von Umbanda-Gruppen in Brasilien und Europa (2018).
- Kris Wagenseil: Religionswissenschaft und Ideologiekritik. Ein Gespräch aus der Zukunft (2018).
6. Interdisziplinarität oder Methodenstreit A: Religion und Gesundheit (bzw. Naturwissenschaft)

Neophänomenologische Ansätze verknüpfen Kognitionswissenschaft mit experimenteller Neurologie o.ä. Über Religion in evolutionstheoretischen Zusammenhängen denken die Evolutionary Religious Studies nach. Manche religionspsychologische Ansätze versuchen neue Wege, zwischen gesunden und krankmachenden Formen von Religiosität oder Spiritualität zu unterscheiden, und entwerfen damit potenziell ebenfalls neue Hierarchien des Heiligen. Eine dem Wittgensteinschen Gedanken des „Sprachspiels“ und dem „methodischen Agnostizismus“ verpflichtete Religionswissenschaft nimmt die Vertreter*innen einer „evidenzbasierten Medizin“ gemeinsam mit den Akteuren „alternativer Heilpraxen“ genauso in den Blick, wie sie sich nicht nur für diejenigen interessiert, die sich einer Religionsgemeinschaft zuordnen, sondern auch für die übrigen, die genau das nicht tun. Auf der anderen Seite bleibt „Wirksamkeit“ ein Kriterium reproduzierbarer naturwissenschaftlicher Experimente, über das ein*e Religionswissenschaftler*in so wenig aussagen kann wie über Gott. Zugleich nehmen (im Idealfall) evidenzbasierte Cochrane Reviews über alternative Heilverfahren mehr Stellenwert in der eigenen Beurteilungspraxis ein als theologische Gottesbeweise.
- Interview mit Michael Blume: Natur des Glaubens? Die Kontroverse um die Evolutionary Religious Studies (2011). Siehe auch extern Ina Wunn: Entstehung und Evolution der Religionen aus religionswissenschaftlicher Sicht (in: Die Kunde. Zeitschrift für niedersächsische Archäologie, 60/2009).
- Interview mit Solmaz Golsabahi: Religion – Kultur – Medizin: Diversity ist die Devise und nicht Rezepte-Lernen (2011).
- Interview mit Peter J. Bräunlein: Christliche Körper in Ost und West. Eine Religionsgeschichte des Schmerzes (2013).
- Interview mit Frederik Elwert: “Der Brahmane sagt…” – Digital Humanities, Big Data und Religionswissenschaft (2013)
- Kris Wagenseil: “Intensivgruppen”? Alter Wein in neuen Schläuchen (2014).
- Interview mit Gerrit Lange: Säfte und Kräfte – Ansätze zu einer Religionsgeschichte der Körperflüssigkeiten (2015).
- Interview mit Sebastian Murken: Psychodynamik verstehen: Auch “Sekten” sind Religionen (2015).
- Interview mit Jürgen Dollmann: Religion & Medizin: Ein Gespräch über Heil- und Heilungskonzepte zwischen den Disziplinen (2018).
- Interview mit Jörg Albrecht: Religion und (alternative) Ernährung: Vom ‚Kohlrabi-Apostel‘ zum ‚Bionade-Biedermeier‘ (2018).
7. Methodenstreit B: Metatheologischer Essenzialismus und methodischer Agnostizismus
Die Versuchung, „Gott“ oder „die Religion“ oder Vergleichbares, z.B. „den Schamanismus“, zu beweisen, eine hinter den real existierenden Religionen verborgene Universalreligion zu entdecken, eine „pluralistische Theologie“ zu entwerfen als Grundlage für neue Mischformen zwischen Mission und Dialog oder das Erbe einer religiösen Tradition zu rekonstruieren für eine nationale oder lokale Identitätsfindung, die ist auch heute noch groß: „In diesem Sinne erscheint es konsequent, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass auch Religionswissenschaft ein leerer Signifikant ([…]) zu sein scheint, der von unterschiedlichen Akteuren in unterschiedlichen Kontexten mit sich unter Umständen diametral entgegengesetzten Konzepten gefüllt wird.” (Sebastian Emling: Von “In God We Trust” zu “Yes We Can”. Münster: Lit, 2013, S. 36, Anm. 7, unter Rückgriff auf Ernesto Laclau).
Folgende Beiträge thematisieren solche Aktualisierungsversuche einer nicht säkularen, sondern theologischen Religionswissenschaft kritisch:
- Interview mit Stamatios Gerogiorgakis: (A)Theismus und Religionsphilosophie: Aktuelle Streiflichter zur Debatte um die Existenz Gottes (2014).
- Friedemann Rimbach-Sator: Beispiele für angewandte Religionswissenschaft? Internationale Zugänge zur Dialogforschung (2014).
- Kris Wagenseil: Des Pudels Kern: Kritik eines Vier-Schichten-Modells zur Beurteilung von Religionsgemeinschaften (2015)
- Interview mit Assia Harwazinski: Die Maxime “Theologie ist nicht Religionswissenschaft” und die Debatte um den Islam (2019).
8. Diverse Datenbanken & Materialien
- I. Textzeugen: Manuskripte und Drucke
- Handschriften: Manuscripta Mediaevalia, Ptolemaeus Arabus et Latinus (PAL) (ehem. Jordanus), levity.com (Alchemie), Handschriftencensus (Eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferung deutschsprachiger Texte des Mittelalters), National Union Catalogue of manuscript collections (Library of Congress, Washington, USA).
- Kataloge der Handschriftensammlungen einzelner Institutionen: Bruxelles, KB; Cambridge (Mass.), Harvard/Houghton; Dresden, SLUB; Genève, Papyrus; Gießen, UB; Glasgow, UL; Graz, UB; Klosterneuburg, Mon.; København, RL; Linz, LB; London, BL; London, Wellcome Inst.; Marburg, Staatsarchiv; Merseburg, Monastery; Michelstadt, Matz lib.; München, BSB (s.a. Regesta Imperii); Paris, BNF (Mandragore); Salzburg, UB; St. Gallen, Mon.; St. Joseph (Minnesota), Hill; St. Paul, Benedictines; Wien, Schotten; Wolfenbüttel, HAB sowie beim Urs-Graf Verlag (Schaffhausen, St. Gallen, Porrentruy, Trogen, Aarau, Sarnen, Muri) und bei klosterbibliotheken.at (Heiligenkreuz, St. Florian).
- Incunabula, Inkunabeln, Wiegendrucke (15. Jh.): ISTC (London: „The Incunabula Short Title Catalogue is the international database of 15th-century European printing created by the British Library with contributions from institutions worldwide.“), GW (Berlin: Gesamtkatalog der Wiegendrucke), INKA (Tübingen: Inkunabeln in dt. Bibliotheken), Ink-ÖNB (Wien: Inkunabelzensus Österreich).
- Drucke ab dem 16. Jh.: VD 16 (München: Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts), EDIT 16 (Rom: Censimento nazionale delle edizioni italiane del XVI secolo), VD 17 (Berlin, München, Wolfenbüttel: Das Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts), STCN (Den Haag: „De STCN is de retrospectieve nationale bibliografie van Nederland voor de periode 1540-1800“), ESTC (London: „The English Short Title Catalogue lists over 480,000 items published between 1473 and 1800“), Einblattdrucke (München), VD 18 (Verzeichnis Deutscher Drucke des 18. Jahrhunderts), IDZ (Göttingen: Index Deutschsprachiger Zeitschriften 1750 – 1815).
- Weiteres zu Alten Drucken: für Einbände EBDB (Einbanddatenbank 15./16. Jh.), für Wasserzeichen Piccard Online und WZMA (Wasserzeichen des Mittelalters), WILC (Watermarks in Incunabula printed in the Low Countries), WIES (Watermarks in Incunabula printed in España).
- Außereuropäische und antike Quellen-Korpora: ECTSL (Electronic Text Corpus of Sumerian Literature), CDLI (Cuneiform Digital Library Initiative), CTH (Catalogue des textes hittites), Trismegistos („An interdisciplinary portal of papyrological and epigraphical resources formerly Egypt and the Nile valley [800 BC-AD 800], now expanding to the Ancient World in general“), TLA (Thesaurus Linguae Aegyptiae), SERaT (System zur Erfassung von Ritualszenen in altägyptischen Tempeln), Papyri.info (Papyrological Navigator; enthält ehem. APIS = Advanced Papyrological Information System), APD (Arabic Papyrology Database), Manuscripts of the Muslim World (University of Pennsylvania Libraries), Minassian Collection of Quranic Manuscripts (Brown University Library, Providence), Buddhist Canons Research Database (American Institute of Buddhist Studies, Columbia Univ. Center for Buddhist Studies), Thesaurus Literaturae Buddhicae (Univ. of Oslo, „a multilingual presentation of Buddhist literature sentence by sentence in Sanskrit, Chinese, Tibetan, English, etc.“), INBUDS (Indian and Buddhist Studies Treatise Database), CAN (Database of Chinese Buddhist texts).

- Religionswissenschaft im engeren Sinn: RelBib (Tübingen; Religionswissenschaftliche Bibliographie), HdR (Michael Klöcker, Udo Tworuschka [Hrsg.]: Handbuch der Religionen, seit 1997), Bamberger Einführung in die Geschichte des Islams (BEGI) (Patrick Franke, Bamberg), Religionen vor Ort (Übersicht), Feste der Religionen (2008), REMID-Archiv (Marburg; „Das REMID-Archiv beherbergt eine einzigartige Sammlung von sog. “grauer Literatur” der verschiedensten Religionsgemeinschaften in Deutschland“), „Religiöser und weltanschaulicher Pluralismus in Deutschland“ (Leipzig), REMID-Statistik (seit 1997).
- Soziologische Datenerhebungen: Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), Shell Jugendstudie (seit 1953), European Social Survey (ESS), International Social Survey Programme (ISSP).
- Sprachen: Cologne Digital Sanskrit Dictionaries (Institute of Indology and Tamil Studies, Köln).
- „Märchen“ u.ä. Erzählstoffe: Multilingual Folk Tale Database (Aarne-Thompson-Uther Classification of Folk Tales), Aesopica (Aesops Fabeln, Laura Gibbs, Oxford), Karl Engel: Zusammenstellung der Faust-Schriften vom 16. Jahrhundert bis Mitte 1884 (1885).
- Religion online: Internet Sacred Text Archive (Santa Cruz, California, John Bruno Hare, 1999-2010), Online Gallery Sacred Texts (British Library, 2007), Seshat: Global History Databank (Turchin P. et al., seit 2011), sefaria.org (Daniel Septimus, Brett Lockspeiser, Annie Lumerman: A Living Library of Jewish Texts), hebrewbooks.org (The Society for Preservation of Hebrew Books, Brooklyn), Perseus Digital Library (Department of the Classics, Tufts University, Klassiche Texte der Griechischen und Römischen Antike), Chinese Philosophical Etext Archive (Wesleyan University, Stephen C. Angle, 1996), Gnostic Society Library (Nag Hammadi Library, Los Angeles, James und John Morgan Pryse), pseudepigrapha.com („Pseudepigrapha, Apocrypha and Sacred Writings“, Nähe zur Church of Jesus Christ of Latter-day Saints), Bible Gateway (HarperCollins Christian Publishing, Zondervan; letzteres ist Mitglied in der Evangelical Christian Publishers Association).
Bilder aus: Übersetzer als Konquistadoren. Eine Geschichte der “Eroberung” heiliger Texte durch den Westen, 2013.
Themenschwerpunkte





