Themenschwerpunkt: Religionen der Welt

Weltreligionen oder Religionen der Welt?

Der Ausdruck „Weltreligionen“ war ursprünglich ein theologisches Konzept, das ältere Konzepte eines weltweiten „Heidentums“ ablöste, indem aus eben diesem sogenannte „Hochreligionen“ – neben Islam und Judentum – ausgegliedert wurden. Aus Sicht der christlichen Kirchen galt es diesen gegenüber andere Strategien zu entwickeln, als gegenüber sogenannten „Sekten“ (eigentlich: Neue Religiöse Bewegungen) und „Kulten“ (Religionen sogenannter „schriftloser“ Kulturen). Noch heute zeigen theologische Lehrstühle für „Religions- und Missionswissenschaft“, dass das Fach ursprünglich zur Erleichterung der Mission gerade der Angehörigen dieser „Weltreligionen“ gedacht war. Ähnlich begünstigt das Konzept der Weltreligionen bis heute Ansätze, aus der Vielzahl dieser „Hochreligionen“ eine – tendenziell einseitige – Gesamtschau des Heiligen in der Welt zu entwerfen, als Versuch einer Phänomenologie „der Religion“ im Singular. Diese Ansätze sind selbst religiöse Betätigung und verstoßen gegen den methodischen Agnostizismus, den sich die sich ab 1900 als eigene Disziplin herausbildende säkulare Religionswissenschaft zu ihrer Voraussetzung gemacht hat. Agnostizismus bedeutet davon auszugehen, dass wir nicht wissen können, ob es z.B. Gott gibt. Dadurch, dass es außerhalb der monotheistischen Religionen eben nicht einfach um Gott geht, und es andere Fragen sein können, welche Metaphysik und Skepsis in diesen Religionen bestimmen, wurde eine grundsätzliche Kritik von Terminologien bei Religionsbeschreibungen angeregt.

 

Andere Themenschwerpunkte:

 

Poster „Universalisierung des Religionsbegriffs“.

„Weiter“ Religionsbegriff

In der REMID-Religionsstatistik für Deutschland werden neben Judentum, Christentum und Islam die Kategorien Buddhismus, Hinduismus und (seit 2017) Yezidentum unterschieden. In die daneben bestehende Kategorie der „Verschiedenen“ fallen neben esoterischen Verbänden und spirituellen Gemeinschaften daher die Neuen Religiösen Bewegungen (gesetzte Grenze: 1800) und außerdem – älter als 1800 – Sikhs, Zarathustrier, Jainismus, traditioneller Shinto, Mandäer, Daoismus, afrikanisches Wodun sowie Einträge der (teilweise jüngeren) afroamerikanischen Religionen (Santería, Candomblé, Umbanda, Terra Sagreda). Über Konfuzius-Institute gibt es zumindest eine weltanschauliche Präsenz des Konfuzianismus.

Während reformhinduistische Strömungen ( sowie sikhistische und tantrische Gruppen) einerseits und das Feld Paganismus / Schamanismus andererseits sich inhaltlich mit alternativer Spiritualität und Esoterik überschneiden können, sind die Bahá’í ein Beispiel für eine religiöse Minderheit jüngeren Entstehungsdatums, welche sich selbst als eine neue „Weltreligion“ verstehen. Oft werden japanische Neureligionen wie Shinnyo-En, Soka Gakkai (diese beiden sind auch als Buddhismus lesbar), Sukyo Mahikari, Seicho-No-Ie oder Tenrikyo zu einem eigenen Typus zusammengefasst.

 

Judentum

 

Christentum

 

Islam

  • Themenschwerpunkt: Islam

 

Hinduismus

 

Die urna (Stirnlocke) ist eines von 32 Kennzeichen Buddhas, hier beim Daibutsu von Kamakura in Japan.

Buddhismus

Bild von muza-chan.net unter Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

 

Yeziden

 

Daoismus

  • Kurzinformation Religion: Daoismus (2017)

 

Sikhismus

 

Typische Darstellung eines Umbanda-Altars für Iemanjá und Cabocla in São Paulo, Brasilien, 1997. © Inga Scharf da Silva.

Afrikanische / Afroamerikanische Religionen

 

Bahá’í

 

Andere Neue Religiöse Bewegungen

 

Erloschene Religionen (und moderne rekonstruktive NRBs)

Erloschene Religionen, insbesondere solche mit schriftlicher Überlieferung, finden in oft verkürzender Rezeption Eingang in Neue Religiöse Bewegungen (NRB) sowie esoterische Konzepte. Daneben können Sie aber auch Gegenstand religionswissenschaftlicher historischer Forschung sein. Zugleich gehören auch sie zum Bestand einer allgemeinen vergleichenden Religionskunde.

1. Dabei sind archäologischen und teilweise auch philologischen Zugängen offen extinkte  Kulturen oder frühe kulturelle Epochen  wie die folgenden (fettgedruckt bedeutet, dass auch in entsprechendem Umfang Zeugnisse eines Schriftsystems überliefert sind). Innerhalb alternativer Spiritualität, Esoterik und neuen religiösen Bewegungen werden nur sehr ausgewählt erloschene Religionen dieses Typs rezipiert:

Xianrendong und Diaotonghuan in China (ca. 18.000-7000 v.chr.Z.*), die japanische Jōmon-Periode (ca. 14.000-300 v.chr.Z.), frühe Siedlungen in Jericho (10.-8. Jh. v.chr.Z.), Çatalhöyük (7500-5700 v.chr.Z.), im „Gulf of Khambat Cultural Complex“ (7500 v.chr.Z.), Sumer (ca. 4500 v.chr.Z. –  ca. 1900 v.chr.Z. mit nachfolgenden assyrischen, akkadischen und babylonischen Reichen), Altägypten (4000 v.chr.Z. – 345), Elam (3000 – 640  v.chr.Z.), Harappa oder Indus-Kultur (2800 – 1800 v.Chr.Z.), Minos (ca. 2600 v.chr.Z. – ca. 1100 v.chr.Z.), das koreanische Reich Go-Joseon (der Legende nach um ca. 2300 v.chr.Z. von dem Halbgott Dangun Wanggeom gegründet), Magan oder Makkan (2300-550 v.chr.Z.), die frühe Geschichte des Chinesischen Reichs (Dynastien ab ca. 2100 v.Chr.Z.), die Hethiter (ca. 1600 v.chr.Z.- ca. 1178 v.chr.Z.), Mittani/Mitanni/Mittan(n)i oder Ḫanilgabat (1500-1300 v.chr.Z.), Ugarit (Blüte zwischen etwa 1450 v.chr.Z. und 1185 v.chr.Z.), die Maya (Städte ab 1500 v.chr.Z.), die „Olmeken“ bzw. La-Venta-Kultur (1500-400 v.chr.Z.), die Villanova-Kultur bei Bologna (ca. 1000 v.chr.Z.), die „Skythen“ (9. Jh. v.chr.Z.- 4. Jh. nach), die Etrusker (ab 800 v.chr.Z.), die „Meder“ (768–715 v.chr.Z., Regierungszeit von Kyaxares I., medisch Ḫavachštra, elamisch Šattarrida, assyrisch Kaštarita, babylonisch Hašatritti, früher König eines medischen Stammesverbandes), Kusch (785 v.chr.Z. – 350 nach), Griechenland in der archaischen Zeit (ca. 750-500 v.chr.Z.), die Römische Königszeit (753-510 v.chr.Z.), die Zapoteken (ab ca. 700 v.chr.Z.), Teotihuacán (600 v.chr.Z. – 750), die Klassische Periode Griechenlands (510 -323 v.Chr.Z.), die Römische Republik (509-27 v.chr.Z.), Hellenismus (336/323-30/31 v.Chr.Z.), Numidia (202-40 v.chr.Z.), die Nazca (100 v.Chr.Z. – 800), die Moche (100-700), die japanische Kofun-Periode (300-710, ab 5. Jh. Übernahme der chinesischen Schrift), die Azteken (im Gebiet von Tenochtitlán ab zw. 1320/1350 oder nach neueren Ausgrabungen 2007 ab zw. 1100 und 1200) usf.

* v.chr.Z. nach Julia Dippel, „Altes erhalten – Neues gestalten?“, in: Beinhauer-Köhler, Franke, Frateantonio (Hrsg.): „Religion, Raum und Natur“, Münster: Lit 2017.

 

2. Einen besonderen Stellenwert hat die Rezeption der antiken Mysterienreligionen um Isis und Osiris, Mithras oder Dionysos, die sowohl monotheistische Religionen wie die Gnosis (wahrsch. 1.-2. Jh.), das Christentum oder den Manichäismus (3.-14. Jh.) beeinflussten, als auch ab der Frühen Neuzeit einen besonderen Inhalt der Renaissance, der wiederentdeckten Antike, ausmachten (ca. ab dem 15. Jh.). Gemeinsam mit den Überlieferungen des Corpus Hermeticum nach der mythischen Figur des Hermes Trismegistos (1.-3. Jh.) und anderen Stoffen bilden sie schließlich ab ca. 1800 eine Art Kanon eines Western Esotericism.

 

3. Einen noch stärker rekonstruktiven Zug haben Rückbezüge auf solche historische Ethnien, welche wenig bis keine schriftähnlichen Zeichen hinterlassen haben und in Tendenz weniger – oder dann nachträglich korrigierend – über archäologische Forschungsergebnisse zum Gegenstand religiöser Betätigung werden, sondern vielmehr durch Rekonstruktion aufgrund historischer Fremdbeschreibungen, Mythen- und Sageninterpretation, etymologischen Überlegungen und Vergleichen mit gegenwärtigen Ethnien oder unter Rückgriff auf Konzepte wie die der „Naturreligion“ oder des „Schamanismus“ erschlossen werden.

 

4. Schließlich gibt es erloschene (historische) Neue Religiöse Bewegungen (seit 1800). Dabei besteht das Missverhältnis, dass die weitaus größere Zahl gescheiterter Neuer Religiöser Bewegungen sich einfach wieder aufgelöst haben, ohne dass diese Gruppen große Referenz in Medienzeugnissen erfahren hätten – d.h. sie werden potenziell auch für Historiker*innen unsichtbar:

  • Eine der wenigen Gruppen, die aus der REMID-Statistik wieder entfernt wurden, hieß „Spirituelle Lebensgemeinschaft AUM“. Laut Oliver Krüger, EZW-Materialdienst 2001, hatte die Gruppe in Berlin 200 Unterstützer und Freunde und wurde 1996 von Ramin Hassani (geb. 1962, Hamburg) alias Lila Suka Dasa (ISKCON-Kontext) gegründet. 2005 wurde die Mitgliederangabe bei REMID auf 7 reduziert, 2010 der Eintrag entfernt. Krüger (MD 10/2001, S. 346): „Lila Suka und die spirituelle Lebensgemeinschaft AUM können möglicherweise als Indiz für einen bestimmten Trend in der Szene neuer religiöser Bewegungen gewertet werden, die strikte Orientung an einem spezifischen religiösen Lehrsystem zugunsten eines religiösen und esoterischen Synkretismus aufzugeben“.
  • Eine andere typische Situation ist diejenige, wie z.B. bei der protestantschen Denomination des Arminianismus bzw. der Remonstranten (von lat. remonstrare „zurückweisen“), auch Arminianer. Sie wurde gegründet durch den holländischen Theologen Jacob Hermann (1560-1609), latinisiert Jacobus Arminius. Zwar gibt es noch heute eine Remonstrantse Broederschap (Remonstrantische Bruderschaft) mit ca. 5.000 Mitgliedern, Freunden und Angehörigen, hauptsächlich in den Niederlanden (sowie eine Gemeinde in Deutschland), aber entscheidender ist, dass die methodistische Kirche, die 1843 aus dem Methodismus hervorgehenden The Wesleyan Churches, einige Pfingstkirchen (The Christian and Missionary Alliance, Church of God, The Churches of Christ, Assemblies of God), die American Baptist Churches USA und die Kirche des Nazareners die Lehre rezipieren.

Im Gegensatz dazu stehen die wenigen tatsächlich im Konflikt zugrundegehenden Gruppen:

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Autor*in: REMID e.V.