Die grundlegenden Schriften des Judentum, besonders die Tora, beinhalten keine einheitliche Konzeption über den Tod und über die Existenz nach dem Sterben. Im Mittelpunkt steht das Leben, das in Gehorsam gegenüber Gott geführt werden soll.
Tod als Ende des Lebens
Die Gegenwart Gottes kann nur im Leben gefunden werden. Sie wird im Segen Gottes erfahrbar, das heißt durch ein reiches, erfülltes, glückliches Leben. Der Tod beendet das Leben, was zu aller erst bedeutet, dass der Mensch nicht mehr in der Lage ist, Gott zu verehren. Dadurch ist auch die „Unterwelt“ (hebräisch: Scheol), in die die Toten gelangen, gekennzeichnet. An diesem auch „Schattenwelt“ genannten Ort ist der Mensch von Gott getrennt. Die Art und Weise, wie die Unterwelt aufgebaut ist, was dort im Einzelnen passiert usw., wird in den Texten der Tora nicht weiter ausgeführt.
Veränderungen der Jenseitsvorstellungen
Nach dem Exil, vor allem unter griechischem und persischem Einfluss ab dem vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung sowie unter dem Eindruck der erneuten Vertreibung nach der Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer, veränderten sich die Vorstellungen über den Tod und die Existenz nach dem Tod. Weitaus stärker treten dualistische Züge zu Tage. Für viele Juden wird die Scheol jetzt zu einem Ort der Vergeltung für die im Leben begangenen Sünden. Ihrem Wesen nach ähnelt sie jetzt christlichen Höllenvorstellungen. Je nach dem dauert der Aufenthalt in der Unterwelt nur eine gewisse Zeit oder aber ewig.
Gleichzeitig wird die Vorstellung einer Auferstehung aktuell. Dies steht im Zusammenhang mit endzeitlichen Erwartungen der Wiedererrichtung einer gerechten Gottesherrschaft, wie sie vor allem vom Propheten Daniel offenbart wurde. Bislang waren der Ort und die Form, in der die Menschen nach ihrem Tod einmal bei Gott wohnen würden, unbestimmt und für den Glauben von untergeordneter Bedeutung. Jetzt aber werden in dem endzeitlichen Gottesreich alle Juden vereinigt sein und in der Nähe Gottes leben.
Ebenfalls unter persischem und griechischem Einfluss entwickeln sich Vorstellungen, dass die Seele und der Körper eines Menschen voneinander getrennt zu betrachten sind. Nach Auffassung einiger Denker wie Philo von Alexandrien (ca. 20 vor bis 50 nach unserer Zeitrechnung) verlässt die Seele den Körper, um zu Gott aufzusteigen. Nach anderen rabbinischen Überlieferungen jedoch sind Körper und Seele auch nach dem Tod miteinander verbunden.
Bei allen unterschiedlichen Auffassungen über den Tod und ein mögliches Weiterleben nach dem Tode, wie sie sich im Lauf der Geschichte und unter den verschiedenen Glaubensrichtungen entwickelt haben, ist gemeinsam, dass vom Grundsatz her von einem Weiterleben nach dem Tod ausgegangen wird. Ebenso gilt, dass es einmal eine zukünftige Welt geben wird, in der die Gläubigen die Nähe Gottes in besonderer Weise erfahren werden. Dass über die Todes- und Jenseitsvorstellungen zwar unterschiedliche Auffassungen vorhanden sind, diese aber nie zu einem bestimmenden Thema der theologischen Diskussion wurden, zeigt die Bedeutung des Lebens: dies ist der Ort der Bewährung für den Menschen. Wichtiger als Spekulationen über das Leben nach dem Tod ist die Erfahrung der Nähe Gottes im diesseitigen Leben durch seinen – sichtbaren und unsichtbaren – Segen.
Bestattung
Die Bestattung eines Toten soll im Judentum möglichst schnell erfolgen. Nach dem Begräbnis schließt sich eine in verschiedene Phasen unterteilte Trauerzeit an, danach versammeln sich die Angehörigen zum jährlichen Gedächtnis.
Vorbereitung der Bestattung
Wenn es dem gläubigen Sterbenden möglich ist, soll er selbst bereits Vorbereitungen auf seinen Tod treffen, indem er das Kol Nidre und, zusammen mit den Angehörigen, das Schma Israel betet. Das Kol Nidre („alle Versprechen“) ist ein Sündenbekenntnis, das im Gottesdienst zum Feiertag Jom Kippur von der Gemeinde gesprochen wird. Der Sterbende betet es in der Ich-Form. Das Schma Israel („Höre Israel) ist das Hauptgebet des wöchentlichen Synagogengottesdienstes.
Beerdigung und Trauerriten
Wenn der Tod eingetreten ist, zerreißen die Angehörigen als Zeichen der Trauer ein Kleidungsstück. Dieser Brauch geht auf die Geschichte des vorgetäuschten Todes von Josef, dem Sohn Jakobs zurück. Jakob zerriss angesichts der Kunde vom angeblichen Tod seines Sohnes seine Kleider und legte ein Trauergewand an (Genesis 37, Vers 34).
Die Angehörigen des Toten sprechen weitere Gebete; danach wird der Verstorbene gewaschen und in ein weißes, leinenes Totenhemd gekleidet. Dies geschieht entweder zu Hause oder in einer Leichenhalle am Friedhof.
Die Beerdigung soll möglichst noch am gleichen Tag, spätestens aber am nächsten Morgen vorgenommen werden – es sei denn, der Schabbat oder andere Feiertage sorgen für eine Verzögerung.
Zur Bestattung wird meist eine Ansprache gehalten, und ein Kantor singt den 91. Pslam. Begleitet von Worten aus dem Buch des Propheten Daniel (Kapitel 12, Vers 13: „Du aber geh nun dem Ende zu. Du wirst ruhen, und am Ende der Tage wirst du auferstehen, um dein Erbteil zu empfangen“) wird der Sarg in das Grab gelassen. Die Trauernden werfen drei Schaufeln Erde auf den Sarg.
Häufig wird dem Sarg ein Säckchen Erde aus Israel beigefügt, damit der Tote symbolisch in der Erde des Heiligen Land begraben liegt.
Die Totenwaschung, Überführung in die Leichenhalle, Niederlassung des Sarges und weitere Tätigkeiten zur Bestattung des Toten werden in der Regel von Bestattungsbruderschaften („Heilige Gemeinschaft“, hebräisch: Chawura Kaddisch) ausgeführt, die sich im Mittelalter herausgebildet haben.
Nach der Bestattung beginnt eine siebentätige Trauerzeit (Schiwa). Freunde und Bekannte statten Kondolenzbesuche ab. Strenggläubige Juden verbringen diese Tage mit Gebeten und dem Lesen aus den Büchern der Tora, wobei sie in Erinnerung an den zerstörten Tempel auf kleinen Holzschemeln sitzen. In dieser Zeit soll man sich nicht Baden, keine Arbeiten verrichten und zu Hause bleiben. Die Angehörigen eines Toten sind von ihren religiösen Pflichten entbunden. Viele Juden begrenzen die Trauerwoche auf einen Tag. An diese Woche schließt sich der Trauermonat (Scheloschim) an. Das Arbeiten ist wieder gestattet, ebenso der Besuch des Synagogengottesdienstes. Am Ende dieser 30 Tage findet eine Trauerfeier am Grab des Verstorbenen statt. Für enge Angehörige folgt nun noch für 11 Monate eine weitere Trauerphase, deren zentrales Element das tägliche Beten des Kaddisch ist.
Zum Gedenken an den Toten wird dann jährlich am Todestag die „Jahrzeit“ abgehalten. Dieser Brauch ist in Deutschland im 15. Jahrhundert entstanden, der Begriff stammt aus dem Jiddischen. Der Brauch hat sich weit verbreitet und wird von Juden in islamischen Ländern auch zum Gedenken an angesehene Rabbiner genutzt. Im familiären Rahmen wird an Jahrzeit eine Kerze angezündet und das Kaddisch rezitiert – im ersten Jahr am Grab, danach im Synagogengottesdienst. An diesen Gottesdiensten nehmen auch viele Juden teil, die ihrer Religion ansonsten nur wenig verbunden sind.
Friedhof und Grab
Wenn der Verstorbene in das Grab gelegt wurde, bleibt die Grabstelle bis zum Ende des Trauermonats oder sogar bis zur ersten Jahrzeit nur mit Erde bedeckt. Erst danach wird ein Gedenkstein gesetzt. Im Allgemeinen soll die Grabgestaltung schlicht gehalten werden. Blumenschmuck gibt es auf jüdischen Gräbern erst seit seit jüngerer Zeit. Als Zeichen der Erinnerung legen Besucherinnen und Besucher der Gräber einen Stein auf den Grabstein. Woher dieser Brauch stammt, ist ungeklärt.
Die Totenruhe darf nicht gestört werden. Das Grab ist der Ort, an dem der Tote bis zu seiner Auferstehung verbringt. Deshalb werden die jüdischen Gräber auch nicht, wie im christlichen Bereich üblich, nach einer gewissen Zeit ausgehoben und für neue Grablegungen verwendet. Aus dem gleichen Grund wird die Schändung eines Grabes als besonders verwerflich angesehen.
In aller Regel wird der Tote in einem Sarg bestattet. Im Reformjudentum ist es auch möglich, eine Feuerbestattung vorzunehmen. Angesichts der millionenfachen Verbrennung in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wird dies heute jedoch kaum mehr praktiziert.
Da die jüdischen Gemeinden in Deutschland als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt sind, können sie ihre eigenen Friedhöfe betreiben. Die Friedhofsordnungen sehen vor, dass nur Angehörige der jüdischen Religion begraben werden dürfen. Liberale Gemeinden lassen jedoch auch die Bestattung nichtjüdischer Familienangehöriger zu, entweder bei ihren Familien oder auf einem separaten Platz.
Autor: Steffen Rink, 2002.
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