“Wir sind richtig gut darin, Komplexität zu begreifen. Das ist quasi unsere Superkraft.” Interview zu Religionswissenschaft im Beruf (RiB) 2.0

Bald ste­ht sie an: die zweite Ver­anstal­tung von RiB — Reli­gion­swis­senschaft im Beruf (rib.remid.de). Am 20./ 21. Juli 2019 wer­den sich im Mannheimer Stadthaus die Religionswissenschaftler*innen im Beruf und im Studi­um aus Deutsch­land, Öster­re­ich und der Schweiz zusam­men­find­en und gemein­sam beru­fliche Möglichkeit­en und Per­spek­tiv­en aus­tauschen. Vom Hei­del­berg­er Team der Veranstalter*innen inter­viewte REMID

Isis Mru­gal­la, Sophie Stol­berg, Clara Wenz und Philipp Wehage.

Reli­gion­swis­senschaft im Beruf — auch wenn wir bei REMID vor einem Jahr mit diesem Konzept antrat­en, Eure Gruppe in Hei­del­berg hat sich bere­it erk­lärt, eine Fol­gev­er­anstal­tung im Som­mer auszuricht­en. Worum geht es da? Warum heißt es nicht “Reli­gion im Beruf” oder “The­olo­gie im Beruf”

De fac­to haben Religionswissenschaftler_innen ein sehr offenes Beruf­spro­fil. Daher hal­ten wir es für wichtig, sich untere­inan­der auszu­tauschen. Das bet­rifft ein­er­seits Kom­mu­nika­tion über die im Studi­um erwor­be­nen Kom­pe­ten­zen und ihre öffentliche Wahrnehmung. Also die ver­mut­lich jeder_m Religionswissenschaftler_in bekan­nten Fra­gen „Was ist das denn?“, „Was macht man denn damit?“. Ander­er­seits geht es uns um die Frage der Berufs­felder und Beruf­swahl. Diese ist oft so unter­schiedlich wie die Inter­essen der Absolvent_innen. Darüber gilt es, sich als Fach zu ver­ständi­gen und die gemacht­en Erfahrun­gen zu kom­mu­nizieren und zu reflek­tieren.

Wenn man sich in der Öffentlichkeit umhört, ist es jedoch meis­tens so, dass kaum jemand unser Fach ken­nt oder um die Kom­pe­ten­zen der Reli­gion­swis­senschaft Bescheid weiß. Damit sich das ändert, müssen wir als Student_innen und Absolvent_innen unsere eige­nen Kom­pe­ten­zen erken­nen und kom­mu­nizieren ler­nen. Auch um die Marke Reli­gion­swis­senschaft für poten­zielle Arbeitgeber_innen auf dem öffentlichen — also nicht-akademis­chen Arbeits­markt glaub­haft vertreten zu kön­nen, müssen wir jen­seits des Flick­en­tep­pichs der Insti­tute gemein­same Nar­ra­tive und Struk­turen schaf­fen. Dazu wollen wir mit einem über­re­gionalen Tre­f­fen einen Beitrag leis­ten.

Ihr habt vorher auch eine kleine Umfrage gemacht. Da habt ihr auch nach den Traum­berufen von Religionswissenschaftler*innen gefragt. Was wurde denn da genan­nt? Fan­det ihr etwas über­raschend?

Wir hat­ten vorher auf Face­book nach Wün­schen und Anliegen von Student_Innen und Alum­ni gefragt. Der Rück­lauf war sehr über­schaubar. Die Frage nach den Traum­berufen lässt sich sich­er im Rah­men des Tre­f­fens als Ein­stieg benutzen.

Als Bere­iche für Referent*innen habt ihr Muse­um, Jour­nal­is­mus, Forschung­sein­rich­tun­gen, Schule, Erwach­se­nen­bil­dung und Öffentlichkeit­sar­beit aus­gewählt. Wie kamt ihr zu der Auswahl? Wie verortet ihr da die Möglichkeit­en und Prob­leme von Religionswissenschaftler*innen? Habt ihr ein­er­seits religiöse Ein­rich­tun­gen und ander­er­seits eher “rein” wirtschaftliche Branchen absichtlich wegge­lassen? Oder andere Behör­den  und die Poli­tik?

Um uns für die Referent_innen zu entschei­den, haben wir uns zunächst über­legt, welche poten­tiellen Berufe für uns selb­st in Frage kom­men wür­den. Wir haben auch danach geschaut, in welche Rich­tun­gen es die uns bekan­nten Absolvent_innen aus Hei­del­berg eigentlich ver­schla­gen hat. Dabei war es uns sehr wichtig, eine große Band­bre­ite von Berufen abzu­bilden. Außer­dem sind alle Berufs­bilder, die bei uns vorgestellt wer­den, bewusst außer­akademisch. Uni­ver­sität­skar­ri­eren wer­den uns im Studi­um ja bere­its vorgelebt und wir wollen ein Bewusst­sein für die Vielzahl der Möglichkeit­en schaf­fen, die sich aus dem Studi­um der ReWi ergeben!

Es ist uns gelun­gen, Berufs­felder mit völ­lig unter­schiedlichen The­men­feldern, per­sön­lichen Kom­pe­tenzbere­ichen und — was auch wichtig ist — Anstel­lungsver­hält­nis­sen in unser Pro­gramm zu inte­gri­eren. Wir deck­en neben Jour­nal­is­mus , Bil­dung und Öffentlichkeit­sar­beit auch Felder aus Poli­tik, Psy­cholo­gie, Wirtschaft und in gewis­sem Sinne sog­ar Reli­gion ab.

Viele denken bei Geisteswissenschafler*innen an Büch­er-Nerds und wenig Prax­is­bezug. In der Zeit hat jüngst am 18. Mai 2019 Astrid Her­bold ein Plä­doy­er “Weg vom Klis­chee” veröf­fentlicht.

Da die Frage ger­ade in let­zter Zeit bezüglich Nach­wuchs und beru­flichen Chan­cen aktuell gewor­den ist, wie sieht es aus mit Diver­si­ty, Reli­gion­swis­senschaft und Beruf? Ich begrüße es sehr, dass ihr den ursprünglichen Namen von “Reli­gion­swis­senschaftler im Beruf” verän­dert habt.

RiB selb­st ist eine poli­tisch und sozial diverse Gruppe. Fra­gen der Diver­sität sind für uns also ganz konkrete, exis­ten­zielle Tat­sachen, die zu unserem Arbeit­sall­t­ag dazuge­hören. Noch immer wer­den Men­schen auf­grund von sozial zugeschriebe­nen Mark­ern wie Geschlecht, Herkun­ft oder Sex­u­al­ität in Deutsch­land diskri­m­iniert – auch auf dem Arbeits­markt. An all­ge­meinen gesellschaftlichen Diskri­m­inierun­gen kön­nen wir als Gruppe von Studieren­den wenig ändern, erk­lären diesen jedoch auf unser­er Ver­anstal­tung eine klare Absage: Wir wollen mit unser­er Ini­tia­tive einen offe­nen Raum schaf­fen, dessen Miteinan­der von gegen­seit­igem Respekt und Akzep­tanz geprägt ist. Dazu gehört für uns selb­stver­ständlich die Ver­wen­dung von Sprach­for­men, welche die Diver­sität von Religionswissenschaftler_innen abbilden und eine geschlechtliche Aus­ge­wogen­heit, was die ein­ge­lade­nen Redner_innen ange­ht. Darüber hin­aus wer­den wir auch mit eini­gen unser­er Ange­bote selb­st ein Augen­merk auf gen­der­sen­si­bles Empow­er­ment leg­en.

Früher war es ja so, Religionswissenschaftler*innen, die nicht an der Uni waren, gin­gen in die Kirche. Oft waren sie zugle­ich Theolog*innen. Wie sehr unter­schei­den sich heutige Religionswissenschaftler*innen davon in ihrem Pro­fil?

Religionswissenschaftler_innen kön­nen (als Gesellschaftswissenschafter_innen) fast alles wer­den. Genau das ist das geniale und auch die große Her­aus­forderung beim Studi­um der Reli­gion­swis­senschaft. Unsere Vision und unser Ver­ständ­nis von reli­gion­swis­senschaftlich­er Exper­tise ist, dass wir in unser­er Aus­bil­dung ein Kom­pe­ten­z­fun­da­ment erwer­ben, auf das wir im Grunde jedes Haus auf­bauen kön­nen. Egal ob wir Lust darauf haben, in der evan­ge­lis­chen Kirche ein Kul­tur­pro­gramm zu leit­en, in der BASF in der Per­son­al­abteilung das Diver­si­ty Man­age­ment zu übernehmen, oder ein kleines Restau­rant um die Ecke eröff­nen, wo wir regionale Bio-Küche mit einem Lesezirkel verbinden. Anders als bei Stu­di­engän­gen mit enger­er Berufs­bindung – wie etwa der Phar­mazie oder dem Lehramt – ist die Reli­gion­swis­senschaft ein Fach mit flu­iden Anbindun­gen an den Arbeits­markt. Darin liegt die enorme Chance unser­er Absolvent_innen.

Mit einem erfol­gre­ichen Studi­um der Reli­gion­swis­senschaft haben wir zwar noch keine Beruf­saus­bil­dung im Event­man­age­ment oder als Köchin, aber das gilt schließlich genau­so für alle anderen Stu­di­engänge – und das ist auch ganz nor­mal. Wir kom­men nicht aus der Uni und sind „fer­tig“, son­dern wir sind besten­falls „bere­it“ eine Fährte aufzunehmen und diese beru­flich zu ver­fol­gen. Die poli­tis­chen Vorstel­lun­gen von Arbeit­ge­berver­bän­den, aus der Uni fer­tige Arbeiter_innen zu erhal­ten, sind unre­al­is­tisch. Das wis­sen auch Per­son­al­abteilun­gen. Bei einem lan­gen Gespräch über Bewerber_innenqualifikationen mit einem Per­son­aler erzählte er mir: „Egal, wie gut die Noten sind, wer aus der Uni kommt, kann im Grunde noch nicht viel in der Prax­is. Und das wis­sen wir auch. Wir bilden sie im Grunde erst am Arbeit­splatz aus. Was zählt, ist die Bere­itschaft und das Auf­fas­sungsver­mö­gen, Neues zu ler­nen, etwas auszupro­bieren. Deshalb gucke ich eigentlich mehr auf die prak­tis­chen Erfahrun­gen, anstatt ob da jet­zt dieses oder jenes Fach ste­ht, solange es grob passt. Und die Per­sön­lichkeit ist wichtig. Schließlich arbeit­en wir in Teams.“

Die meis­ten reli­gion­swis­senschaftlichen Beruf­stäti­gen, die erfol­gre­ich ihren Weg gehen, haben sich das getraut: prak­tisch arbeit­en, ein „Handw­erk“ dazu ler­nen, sei es in ein­er Fort­bil­dung oder sei es ganz ein­fach am Arbeit­splatz selb­st. Und wenn es eine Sache gibt, die wir Religionswissenschaftler_innen kön­nen, dann ist es , sich in etwas Unbekan­ntes einzuar­beit­en, sei es noch so kom­plex. Erfol­gre­ich im Job wird, so die bish­erige Beobach­tung, wer sich begeis­tern kann und per­sön­lich engagiert. Direkt nach dem Studi­um mag es zwar unge­wohnt sein, prak­tisch statt the­o­retisch zu denken. Aber um gemein­sam her­auszufind­en, wie das geht, organ­isieren wir ja RiB.

Um also auf die Frage zurück­zukom­men: Konkret unter­schei­den wir uns also von der The­olo­gie, und auch von anderen Fäch­ern, in unser­er beru­flichen Flex­i­bil­ität. Berufe in religiösen Ein­rich­tun­gen kom­men für uns in Frage (wir kön­nen ja auf unser Fun­da­ment bauen, was wir wollen) – aber ganz viele andere eben auch. Und auch die Hal­tung zu Reli­gio­nen selb­st ist eine andere: Wir sind neu­tral, so die wis­senschaftliche Veror­tung, in der wir „aufgewach­sen“ sind. Kon­fes­sionelle Diszi­plinen sind das nicht. Dieser Unter­schied macht am Ende alles anders, selb­st wenn wir über ein und dieselbe Sache sprechen. Auch die Objek­te unser­er reli­gion­swis­senschaftlichen Tätigkeit sind frei und flex­i­bel, solange sie einen Bezug zu den flot­tieren­den Sig­nifikan­ten von „Reli­gion“ haben. Und da ist das Spek­trum sehr weit. Dieses weite Spek­trum ist wohl das, was uns als Diszi­plin sowohl in der Uni als auch im Job ausze­ich­net. Wir sind qua­si ein Mul­ti-Funk­tions-Werkzeug. Wichtig ist, dass wir uns selb­st einzuset­zen wis­sen.

Foto: Pix­e­lA­n­ar­chy (Pix­abay, CC0), ein beliebtes Sym­bol­bild für Kom­plex­ität: “Und wenn es eine Sache gibt, die wir Religionswissenschaftler*innen kön­nen, dann ist es, sich in etwas Unbekan­ntes einzuar­beit­en, sei es noch so kom­plex.”

Wenn Ihr eine Vision für Reli­gion­swis­senschaft im Beruf bzw. in der Gesellschaft for­mulieren wür­den, wie müsste die ausse­hen?

Wir haben die Vision von ein­er selb­st­be­wussten Reli­gion­swis­senschaft, die als Marke sicht­bar und bekan­nt ist. Unser gesellschaftlich­er Beitrag liegt doch genau dort, wo wir auch forschen: in unser­er Hal­tung als Beobachter und der daraus resul­tieren­den Fähigkeit, zu beschreiben und – prak­tisch gedacht – zu berat­en. Wir haben was zu sagen, wichtig wäre nur, dass wir auch begin­nen zu sprechen. Und zwar in ein­er Sprache, die viele ver­ste­hen. Das fängt nicht erst beim Bewer­bungs­ge­spräch an, son­dern bezieht sich bere­its auf unseren All­t­ag.

Es kann eine ganz wun­der­bare Erfahrung sein, inner­halb der eige­nen „Bub­ble“ sich im Fach­jar­gon über gemein­sam abges­timmte Inhalte auszu­tauschen. Das ist inter­es­sant, es macht Spaß, es bringt neue Erken­nt­nisse. Aber diese wertvollen Erken­nt­nisse wer­den wed­er hil­fre­ich noch nüt­zlich gemacht, wenn sie in der „Bub­ble“ bleiben. Wenn wir die Rel­e­vanz unseres Fach­es erweit­ern wollen, und davon prof­i­tieren die Wissenschaftler_innen in der Uni eben­so wie diejeni­gen, die im „freien Markt“ unter­wegs sind, dann müssen wir begin­nen, uns um das Pub­likum zu bemühen.

Wir sind richtig gut darin, Kom­plex­ität zu begreifen und abzu­bilden. Das ist qua­si unsere Superkraft. Aber was wir dazu entwick­eln müssen, ist die rhetorische und didak­tis­che Fähigkeit der Kom­mu­nika­tion „nach außen“. Unser Ein­druck ist, dass viele Hem­mungen haben, Dinge in zugängliche Sprache zu ver­pack­en, weil sie die Gefahr sehen zu homogenisieren und unterkom­plex zu wer­den. Hierzu haben wir zwei Gedanken:

Der erste ist, dass Sprache immer eine Auswahl vorn­immt, sie reduziert per Def­i­n­i­tion das Kom­plexe in vere­in­fachte Bruch­stücke. Alles abbilden ist utopisch, so viel Aufmerk­samkeit bekom­men wir gar nicht. Es gilt also bewusst und fall­spez­i­fisch zu entschei­den, was wir sagen. Wir fall­en deshalb nicht aus unser­er neu­tralen Hal­tung. Aber es gibt einen Unter­schied zwis­chen „neu­tral“ und „beliebig“. Nur weil wir in religiösen Angele­gen­heit­en neu­tral bleiben, heißt das nicht, dass wir keine gesellschaftlichen Ziele ver­fol­gen kön­nen, wie beispiel­sweise in ein­er Kon­flik­t­si­t­u­a­tion zu berat­en. Wir dür­fen uns hier eine Schippe Strate­gie auf die ganze Fachkom­pe­tenz schmeißen, so unsere Ein­schätzung.

Der zweite Gedanke ist, dass wir gesellschaftlich gese­hen in der Bringschuld sind. Und wenn wir diese Bringschuld nicht ernst nehmen und unseren Beitrag zur öffentlichen Diskus­sion nicht leis­ten, müssen wir uns auch nicht darüber ärg­ern, wenn wir das Feld anderen über­lassen. Wenn poli­tisch über „Reli­gion und Gewalt“, „das Gute und das Böse“ und die „recht­mäßige Ord­nung der Gesellschaft“ fab­u­liert wird und wir dabei schweigen, dann haben wir unser gesellschaftlich­es Poten­zial und ver­schenkt. In der ZfK 2017/2 macht die Kul­tur­wis­senschaft­lerin Doris Bach­mann-Medick einen Aufruf zum „socio-polit­i­cal turn“ in den Kul­tur­wis­senschaften. Sie fordert, dass wir uns ein­brin­gen und unsere Forschung als Werkzeug nutzen. Wenn wir eine Vision für die Reli­gion­swis­senschaft for­mulieren, dann lehnt die sich an Bach­mann-Medicks Forderung an: Mut zum Diskurs; mit der Hal­tung ein­er Religionswissenschaftler_in (vgl. Doris Bach­mann-Medick: „Jen­seits der Kon­sens­ge­mein­schaft – Kul­tur­wis­senschaft im ’socio-polit­i­cal turn’?“; in: Till Brey­er et al (Hrsg.): Mon­ster und Kap­i­tal­is­mus. Zeitschrift für Kul­tur­wis­senschaft. 2017/2. Biele­feld: tran­script, S. 105–110).

Danke für das Inter­view.

Das Inter­view führte Kris Wagen­seil.

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