Von Agnostizismus bis Säkular: Eine Zusammenstellung zu nichtreligiösen Weltanschauungen

Unter einem Blog­a­r­tikel der Rei­he “Reli­gion und Vorurteil von A‑Z” kom­men­tierte ein Leser, “eine schöne Erweiterung wäre mit der Auf­nahme von ‘Athe­is­mus’ denkbar, der im Bere­ich der Vorurteile für und wider Reli­gion wohl eine ähn­lich schillernde Rolle spielt, wie Säku­lar­isierung/-ris­mus (die auch passend in dieser Rei­he wären)”. Nun soll es aber an dieser Stelle weniger um “Vorurteile für und wider Reli­gion” gehen, auch wenn hier und dort auch beson­dere reli­gion­wis­senschaftliche Anmerkun­gen erfol­gen, die man in dieser Hin­sicht nen­nen kön­nte. Vielmehr soll es ins­beson­dere um “Vorurteile für und wider Nichtre­li­gion” gehen. Denn auch hier ist vielle­icht die Reli­gion­swis­senschaft ein guter Ansprech­part­ner, um zwis­chen z.B. Philoso­phie und den The­olo­gien der Reli­gio­nen zu ver­mit­teln. Ein­er­seits, weil die Möglichkeit des Nicht­glaubens eine Bedin­gung der Möglichkeit über­haupt ist, so etwas wie eine ver­gle­ichende Reli­gion­swis­senschaft sin­nvoll betreiben zu kön­nen. Ander­er­seits, weil schon aus reli­gion­ssta­tis­tis­chen Grün­den auch diejeni­gen in den Blick kom­men, die sich nicht religiös verorten.

Agnos­tizis­mus, method­is­ch­er. Im All­ge­meinen bedeutet Agnos­tizis­mus (Nicht-Wis­sen), nichts darüber aus­sagen zu kön­nen, ob es Gott gibt oder nicht. Durch den Bezug auf das Wis­sen (Gno­sis) lässt sich diese Form weltan­schaulich­er Selb­stveror­tung auch auf andere religiöse Sys­teme und ihre meta­ph­ysis­chen Aus­sagen über­tra­gen, seien es Ver­löschen und Wiederge­burt in Hin­duis­mus oder Bud­dhis­mus, oder seien es im All­ge­meinen philosophis­che Aus­sagen über den Sinn des Lebens, die Weit­erex­is­tenz nach dem Tod, die Präsenz höher­er Wesen oder beson­der­er Kräfte — genaugenom­men über­all dort, wo es um soge­nan­nte Let­zt­be­grün­dun­gen geht, die Prämis­sen eines logis­chen Kalküls, die Bedin­gun­gen der Möglichkeit von Erken­nt­nis oder nicht fal­si­fizier­bare The­o­reme. Während sich Natur­wis­senschaften in Anlehnung an Alexan­der von Hum­boldt eines method­is­chen Athe­is­mus verpflichtet haben — also Wis­senschaft so zu betreiben, als ob es keinen Gott gebe -, hat sich die Reli­gion­swis­senschaft eines method­is­chen Agnos­tizis­mus verpflichtet. Über­haupt auch wenn diese Reflex­ion aus dieser Diszi­plin stam­men mag, beschreibt sie doch etwas für die Geis­teswis­senschaften ten­den­ziell Ver­all­ge­meiner­bares. Dabei ist die Dif­ferenz offenkundig: Während die Moral von der Geschichte bei Hum­boldt damit zu tun hat­te, Autop­sien durch­führen zu wollen, beste­ht sie hier darin, eine Ebene zu etablieren, in der nicht bew­ertet wird — und dementsprechend die selb­st ver­wen­de­ten Begriffe in der Beschrei­bung ander­er Reli­gio­nen als des Chris­ten­tums auf ihre Vor­ein­genom­men­heit hin zu befra­gen. Inter­es­sant ist dabei im übri­gen der gele­gentliche Vor­wurf, eine solche Vorge­hensweise würde ein­er Reli­gion­skri­tik (siehe dort) ent­ge­ge­nar­beit­en. Tat­säch­lich ver­rät eine solche Reli­gion­skri­tik dabei nur über sich selb­st, dass es ihr dem­nach um einen meta­ph­ysis­chen Irrtum geht, durch den sich ger­ade eine bes­timmte Reli­gion ausze­ichne. Es wäre also ger­ade keine Reli­gion­skri­tik im Sinne ein­er human­is­tisch-aufk­lärerischen Tra­di­tion (siehe Aufk­lärung). Sie muss Agnos­tizis­mus prob­lema­tisieren, weil sie selb­st religiös ist.

Athe­is­mus. In einem reli­gion­swis­senschaftlichen Sem­i­nar wur­den Ein­führun­gen in jew­eils eine Reli­gion ver­glichen, im Ide­al­fall nach reli­gion­swis­senschaftlichen Kri­te­rien. In ein­er Sitzung wurde ein Text (the­ol­o­gis­ch­er Prove­nienz) über Athe­is­mus besprochen. Dieser unter­schied zunächst in seinem Vorge­hen eine sehr lange Liste unter­schiedlich­er Athe­is­men. Der Unter­schied bestand meist in der Moti­va­tion ein­er Abkehr von Gott, zugle­ich kön­nte man — darum ging es dem the­ol­o­gis­chen Text allerd­ings nicht — sie unter­schiedlichen reli­gion­skri­tis­chen Anliegen zuord­nen. Da gab es einen “moralis­chen Athe­is­mus”, der fragt, wie es einen Gott geben kann, der Auschwitz zulässt. Da war ein melan­cholisch-roman­tis­ch­er Athe­is­mus im Sinne der “Rede des toten Chris­tus vom Welt­ge­bäude herab, dass kein Gott sei” (Jean Paul, aus: Siebenkäs, 1796) oder ein nihilis­tis­ch­er im Sinne der Para­bel vom tollen Men­schen in Friedrich Niet­zsches “Die fröh­liche Wis­senschaft” (1882, Apho­ris­mus 125, “Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet!”). Sicher­lich war dem Text daran gele­gen, diese Het­ero­gen­ität zu demon­stri­eren, um aufzuzeigen, dass es sich ger­ade nicht um ein kohärentes Phänomen bzw. eine durch­dachte Weltan­schau­ung han­dele, son­dern vielmehr um the­ol­o­gisch ern­stzunehmende Anliegen zweifel­nder Men­schen, seine Sortenkunde des Athe­is­mus bot also zugle­ich Anleitung den Athe­is­ten in seinen diversen Fär­bun­gen zum jew­eili­gen Augs­gangspunkt ein­er Predigt zu machen. Diese Per­spek­tive lässt den Bruch mit dem Glauben nur in der durch die Mythen um Hiob ein­er­seits und Luz­ifer ander­er­seits vorgegebe­nen Weise zu. Insofern ste­ht auch nicht das reli­gion­skri­tis­che Anliegen im Vorder­grund, son­dern das ver­meintlich Defiz­itäre des Athe­is­mus als Weltan­schau­ung. Tat­säch­lich find­en sich wenige Ver­bände, die sich expliz­it und vor allem auss­chließlich als “athe­is­tisch” ver­ste­hen. Etwa die Gior­dano-Bruno-Stiftung hat­te sich zu dieser Zeit ins­beson­dere auf “Grundzüge ein­er säku­laren, evo­lu­tionär-human­is­tis­chen Ethik” berufen, heute betont sie zudem, dass sie “keine ‘athe­is­tis­che’, son­dern – wie die meis­ten führen­den Wis­senschaftler heute – eine ‘nat­u­ral­is­tis­che’ Posi­tion” vertrete, “[d]as heißt: Wir gehen davon aus, dass es im Uni­ver­sum ‘mit recht­en Din­gen zuge­ht’, dass wed­er Göt­ter noch Geis­ter noch Kobolde oder Dämo­nen in die Naturge­set­ze ein­greifen”. Eine andere Kri­tik am Athe­is­mus­be­griff beste­ht in der reli­gion­s­geschichtlich inspiri­erten Zurück­weisung sein­er Beto­nung der Gottesidee als Mit­telpunkt ein­er oder von “Reli­gion” oder zumin­d­est ihres Monothe­is­mus.

Bei redbubble.com kann man dieses T‑Shirt bestellen, mit einem Auf­druck, der auf den ersten Blick wie ein Druck aus der Zeit des Expres­sion­is­mus wirkt. Dieses Retro-Werk aus dem frühen 21. Jahrhun­dert spielt auf die “Para­ble of the Mad­man”, die “Para­bel vom tollen Men­schen” bei Friedrich Niet­zsche an. Bewor­ben wird das gute Stück mit “Love Niet­zsche? Love Ger­man Expres­sion­ism? Always want­ed a Ger­man Expres­sion­ist twist on Niet­zsche? Then here ya go!”.

Aufk­lärung. Im engeren Sinne han­delt es sich um eine his­torische Epoche mit regionalen Zen­tren ins­beson­dere in Europa und Ameri­ka, Mitte 17. bis Mitte 19. Jahrhun­dert mit Schw­er­punkt um 1800. Neben ein­er im Kul­turkon­takt inspiri­erten jüdis­chen Aufk­lärung, Haskala, einem gewis­sen Aus­tausch mit dem Islam und ein­er teil­weise möglicher­weise vom West­en unab­hängi­gen eige­nen japanis­chen Tra­di­tion aufgek­lärten Denkens zu dieser Zeit (vgl. Michael Pye, Aufk­lärung and Reli­gion in Europe and Japan, in: Reli­gious Stud­ies, Vol. 9, No. 2, Jun. 1973, S. 201–217) geht es dabei zunächst im Wesentlichen um eine kri­tis­che Reflex­ion des Chris­ten­tums, daraus abgeleit­et von Herrschaftsver­hält­nis­sen und ihrer Legit­i­ma­tion und schließlich kon­ser­v­a­tiv­er, auf Tra­di­tion beruhen­der Weltan­schau­un­gen. Nach der Losung Immanuel Kants, “Aufk­lärung ist der Aus­tritt des Men­schen aus sein­er selb­stver­schulde­ten Unmündigkeit”, sollte statt der The­olo­gie, der Lehre von Gott, die “Anthro­polo­gie”, also die Lehre vom Men­schen, im Zen­trum ste­hen (Lud­wig Feuer­bach) — dementsprechend statt eines gottes­fürchti­gen Lebens eine Gestal­tung der Welt durch den Men­schen und für den Men­schen. Es mag heute selt­sam erscheinen, dass das erste Pro­jekt der franzö­sis­chen Aufk­lärungsphilosophen die Ency­clopédie ou Dic­tio­n­naire raison­né des sci­ences, des arts et des métiers (Enzyk­lopädie oder ein durch­dacht­es Wörter­buch der Wis­senschaften, Kün­ste und Handw­erke) war, die von 1751 bis 1780 in 35 Bän­den erschien (vor der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion 1789). Prak­tisch musste das ganze bish­erige Wissen(schafts)system — in Anlehnung an Redeweisen der späteren Autoren Hegel und Marx — erst “auf die Füße” gestellt wer­den: Statt Monar­chie eines gottge­woll­ten abso­lutis­tis­chen Herrsch­ers eine Repub­lik oder gar Demokratie, statt autoritäre Erziehung Entwick­lung ein­er “phil­an­thropis­chen” Päd­a­gogik (ca. 1750–1815, also weit vor 1968), statt Irren­ver­wahrung im Kloster Erfind­ung ein­er medi­zinis­chen Psy­chi­a­trie, statt Todesstrafe und Folter eine auf Reha­bil­it­la­tion aus­gerichtete Straf­prax­is, statt der Bibel als unver­fälscht­es Wort Gottes his­torisch-kri­tis­che Bibel­wis­senschaft, statt Kun­st als Medi­um sakraler Bildlichkeit eine “mod­erne” Kun­st, der es um den Bruch mit der Tra­di­tion geht, statt höfis­chem Unter­hal­tungsthe­ater Irri­ta­tion des Gewohn­tem, statt Jen­seit­sori­en­tierung und inner­weltlich­er bis eremi­tis­ch­er Askese Dies­seits­be­jahung und Sinnlichkeit, usw. Dabei gibt es allerd­ings auch solche weit­er­hin “offe­nen” Aspek­te wie die Geschlechter­rollen, welche zwar nun biol­o­gisch und nicht weit­er religiös begrün­det wur­den, oder die Ungle­ich­heit der Men­schen, welche seit­dem zu einem entschei­den­den Gegen­stand der unter­schiedlichen poli­tis­chen Bewe­gun­gen (Kon­ser­v­a­tivis­mus, Lib­er­al­is­mus, Sozial­is­mus, Anar­chis­mus) wurde. Reli­gion­skri­tik (siehe dort) ist sicher­lich eine der Säulen der Aufk­lärung, allerd­ings lag der Fokus his­torisch weniger — oder nur bei sehr weni­gen rand­ständi­gen Autoren wie dem Mar­quis de Sade — auf einem antire­ligiösen Inter­esse, vielmehr ist es wie auch der im Stich­wort “Nat­u­ral­is­mus” genan­nte Deis­mus (siehe dort) eine Bewe­gung, die viele Impulse aus der protes­tantis­chen The­olo­gie aufgenom­men hat­te und den offe­nen Athe­is­mus eher mied (der zu dieser Zeit in der Regel noch gesellschaftlich sank­tion­iert wurde). Auch wenn sie von Philosophen getra­gen wurde, waren auch die evan­ge­lisch-the­ol­o­gis­chen Debat­ten der Zeit um 1800 davon bes­timmt, sich entwed­er nahe der Aufk­lärung oder demge­genüber etwa dem Pietismus nahe zu verorten.

Human­is­mus. Inspiri­ert durch die ital­ienis­che Renais­sance, welche die griechisch-römis­che Antike wieder­ent­deckt und neu (pos­i­tiv) bew­ertet, sowie als Kri­tik von Gegen­be­we­gun­gen wie z.B. der Schreck­en­sh­errschaft eines Pio­niers in Sachen soge­nan­nter religiös­er “Fun­da­men­tal­is­mus”, Giro­lamo Maria Francesco Mat­teo Savonaro­la in Flo­renz 1494–1498, begann man Autoren als Human­ista zu beze­ich­nen, welche Schriften der Antike oder der Renais­sance-Autoren in die “Volkssprachen” über­set­zten — oder mit Hil­fe dieser antiken Autoren ihre Gegen­wart karikierten. Nach diesem und dem­jeni­gen Human­is­mus der Aufk­lärungszeit (siehe dort) gab es allerd­ings auch Ansätze eines “Drit­ten Human­is­mus” im frühen 20. Jahrhun­dert, wo es z.B. darum gehen kon­nte, dass das Leben in der Mod­erne “zu ratio­nal­is­tis­ch­er Entleerung und Abplat­tung des Lebens [führe], zu bru­tal­en Reak­tio­nen der verge­waltigten Natur, zur unge­sun­den Hyper­tro­phie des Erwerbs- und Vergnü­gungssinnes, zur Aufhe­bung der geisti­gen Selb­ständigkeit von Staat und Kul­tur“ (Wern­er Jaeger, Antike und Human­is­mus, 1925). Das wiederum gehört aber in einen Kon­text, inner­halb dessen sich his­torisch vor 1933 Frei­denker-Ver­bände entwed­er sozial­is­tisch oder ‘bürg­er­lich’ posi­tion­ierten, abspal­teten und wiedervere­in­ten (vgl. Freigeistige Organ­i­sa­tio­nen als Gegen­stand der Reli­gion­swis­senschaft: Typen, Strate­gien, Wider­sprüche, 2018). In jün­ger­er Zeit haben soge­nan­nte “freire­ligiöse” Gemein­den den “Bund Freire­ligiös­er Gemein­den Deutsch­lands” (BFGD) mit noch 25.000 Mit­gliedern 2003 ver­lassen und sich zur “Human­is­tis­chen Gemein­schaft Hes­sen” umbe­nan­nt (2015; und in Ori­en­tierung am Human­is­tis­chen Ver­band Deutsch­lands, HVD), sie begrün­den ihre Entschei­dung fol­gen­der­maßen: “Im 19. Jahrhun­dert war der Begriff ‘Freire­ligiös’ syn­onym für Human­is­ten, Athe­is­ten, Agnos­tik­er, Pan­the­is­ten, Freigeis­ter und andere religiöse und are­ligiöse Dis­si­den­ten. Heute wer­den bei dem Begriff ‘Freire­ligiös’ eher evan­ge­likale Freikirchen assozi­iert, statt weltlichen Human­is­ten, die auf die men­schliche Fähigkeit ver­trauen, das Leben sin­nvoll zu gestal­ten und Ver­ant­wor­tung für sich selb­st zu übernehmen, ohne Beru­fung auf höhere Mächte oder göt­tliche Kräfte” (FAQ, HuGH, 2017). Der Region­alver­band Rhein-Neckar des “Bund für Geis­tes­frei­heit Bay­ern” wiederum hat sich 2014 auf­grund divergieren­der Hal­tun­gen zum Islam abges­pal­ten und in “Lib­erale Freigeis­ter” umbe­nan­nt. Schließlich sind der “evo­lu­tionäre Human­is­mus” älter­er grundle­gen­der Texte der Gior­dano-Bruno-Stiftung sowie Ideen des Trans- und Posthu­man­is­mus zu nen­nen, die sich von einem Human­is­mus im herkömm­lichen Sinn unter­schei­den (z.B. World Tran­shu­man­ist Asso­ci­a­tion, Cyborgs e.V.). Oft wird der Men­sch hier im Gegen­satz zu anderen Human­is­men defiz­itär oder als zu verbessern (Tran­shu­man­is­mus, evo­lu­tionär­er Human­is­mus) oder gar zu über­winden (Posthu­man­is­mus) ange­se­hen. Auf der anderen Seite existiert “Posthu­man­is­mus” zwar als the­o­retis­che Erwä­gung “tran­shu­man­is­tis­ch­er” Autoren, seine eigentliche Bedeu­tung liegt aber auf den Gebi­eten der Sci­ence-Fic­tion-Lit­er­atur und als anti­hu­manes Schreck­ens­bild in the­ol­o­gis­chen War­nun­gen vor einem Tran­shu­man­is­mus.

Kirchen­för­migkeit. Nicht nur Bewe­gun­gen von Kon­fes­sions­freien (siehe dort) haben das Prob­lem, im Grunde bet­rifft es die meis­ten nichtchristlichen Reli­gio­nen, dass ins­beson­dere im Chris­ten­tum früh Kirchenor­gan­i­sa­tion eng mit Mit­glied­schaft verknüpft wor­den war, während jene im Zuge der Inter­na­tion­al­isierung und Glob­al­isierung sich aber nur an weni­gen Mod­ellen ori­en­tieren kon­nten, die sozusagen “vom West­en” inspiri­ert waren oder im Aus­tausch mit ihm entwick­elt wor­den sind. Neben dem Kirchen­mod­ell sind das die Dachver­bände neuer religiös­er Bewe­gun­gen, für deren Entwick­lung allerd­ings ger­ade der Reformhin­duis­mus und bud­dhis­tis­che Schulen wichtig waren und sind. In der REMID-Sta­tis­tik wurde das Prob­lem bis­lang mit Umfeld-Angaben gelöst, welche zwis­chen Mit­gliedern im engeren Sinn und loseren Anhängern unter­schei­den. Allerd­ings sind das diejeni­gen, die den­noch am religiösen Geschehen in irgen­dein­er Form teil­nehmen, und das meint mehr als den Kon­sum eines Medi­ums der­jeni­gen Reli­gion oder den ein­ma­li­gen Besuch ein­er Ver­anstal­tung. Nichtre­ligiöse Organ­i­sa­tio­nen ver­fü­gen jedoch nicht immer über ein Äquiv­a­lent zu einem solchen “religiösen Geschehen”, an dem ein “Umfeld” par­tizip­ieren kön­nte (mit Umfeld rech­net die REMID-Sta­tis­tik mit 0,4 Mio. Organ­isierten Kon­fes­sions­freien). Zugle­ich ist die Mit­glieder­größe eine Bedin­gung für die Anerken­nung als Kör­per­schaft des Öffentlichen Rechts. Da Ein­stel­lungsstu­di­en in ihren Ergeb­nis­sen dies­bezüglich stark vari­ieren, lässt sich aber auch nicht genau bes­tim­men, wer z.B. alles “kon­fes­sions­frei” im Sinne der organ­isierten Kon­fes­sions­freien wäre.

Kon­fes­sions­freie. Reli­gion­ssta­tis­tiken bestanden früher aus katholisch, evan­ge­lisch und “kon­fes­sion­s­los”. Auch die REMID-Sta­tis­tik hat­te ihren “Rest” entsprechend aus­gewiesen. Andere sprechen ähn­lich das Nichtige ins Zen­trum stel­lend von “Nones” oder “Nicht­sen”. 2017 änderten wir das in unser­er Sta­tis­tik, seit­dem gibt es “Organ­isierte Kon­fes­sions­freie” (Selb­st­beze­ich­nung) und — davon unter­schieden — die Kat­e­gorie “Ohne Zuord­nung”. Das ist zwar ehrlich­er, da nicht gesagt wer­den kann, wie die Men­schen in dieser Kat­e­gorie eingeschätzt wer­den müssten. Ob sie eher irgend­wie christlich (aber nicht kirch­lich), eher eso­ter­isch (aber nicht neure­ligiös organ­isiert) oder eher kon­fes­sions­frei (und kein Mit­glied in einem Ver­band) sein mögen. Aber auf der anderen Seite ignori­ert es, dass Kirchenaus­tritte und Stu­di­en zur Bevölkerung Ost­deutsch­lands nahele­gen, dass dur­chaus ca. 20 Mil­lio­nen mehr oder weniger “säku­lar” eingestellt sein dürften. Neuere Stu­di­en ver­suchen allerd­ings, eine Iden­ti­fika­tion mit dem Chris­ten­tum trotz Dis­tanz zu religiös­er Prax­is und Glauben als Kri­teri­um für Reli­gion­szuge­hörigkeit zu bes­tim­men. Mit dieser Meth­ode lassen sich Zahlen zu Kon­fes­sions­freien (im Sinne der zuerst besproch­enen Rest-Kat­e­gorie) nach unten kor­rigieren. Der Begriff lehnt sich an den christlichen der Kon­fes­sion an, rechtlich an den der Kör­per­schaft des Öffentlichen Rechts. Manch­mal gal­ten für Organ­isierte Kon­fes­sions­freie nur Ange­hörige solch­er als Kör­per­schaften öffentlichen Rechts anerkan­nter Reli­gion­s­ge­mein­schaften als Adres­sat vor­ge­tra­gen­er Kri­tik (etwa in den ersten Jahren der fowid-Sta­tis­tik). His­torisch hängt das damit zusam­men, dass die Unab­hängigkeit von der Kirche der Unab­hängigkeit vom Chris­ten­tum und schließlich der Frei­heit von Reli­gion (im neg­a­tiv­en Sinn) vor­läu­fig war. Sim­pli­fizierend reichen “freire­ligiöse” Ver­bände weit­er zurück als “freigeistige” und bei­de bilden reli­gion­s­geschichtlich sozusagen einen säku­lar wer­den­den Arm aus den protes­tantis­chen Erweck­ungs­be­we­gun­gen her­aus, die wiederum in Deutsch­land als “freikirch­lich” beze­ich­net wer­den (vgl. Freigeistige Organ­i­sa­tio­nen als Gegen­stand der Reli­gion­swis­senschaft: Typen, Strate­gien, Wider­sprüche, 2018). Ger­ade diese Het­ero­gen­ität der Ursprünge und Pro­file erschw­ert auch die Etablierung ansprechen­der­er eigen­er, pos­i­tiv gefüll­ter Selb­st­beze­ich­nun­gen für die “säku­lare” Szene der organ­isierten “Kon­fes­sions­freien” ins­ge­samt.

‘Kul­tur­marx­is­mus’. “ ‘Cul­tur­al Marx­ism’ oder ‘Kul­tur­marx­is­mus’ ist in den USA bere­its ein gängiger Kampf­s­lo­gan, der in der neuen Recht­en zum ide­ol­o­gis­chen Hin­ter­grund ihrer Welt­sicht gehört. Nach dieser Deu­tung heißt es in neurecht­en Kreisen in den USA, dass ange­blich mit dem Emi­granten der Frank­furter Schule in den 1930er Jahren – wie Theodor Adorno und Max Horkheimer – ein poli­tis­ch­er Main­stream in den USA ent­standen sei, der als ‘Kul­tur­marx­is­mus’ charak­ter­isiert wird. Dies habe sich vor allem an den Uni­ver­sitäten Berke­ley in Kali­fornien und Colum­bia in New York aus­gewirkt”, erläutert der Poli­tologe und Recht­sex­trem­is­mus-Forsch­er Thomas Grumke 2016 gegenüber Deutsch­land­funk Kul­tur. In Europa gehört der recht­sex­treme Massen­mörder Anders Behring Breivik zu den­jeni­gen, welche dieses Schlag­wort zuerst rezip­ierten. Es dürfte mit ihrer Faschis­mus­forschung zusam­men­hän­gen, dass “Emi­granten der Frank­furter Schule” beispiel­haft genan­nt wer­den (für sie s.a. das Stich­wort “Reli­gion­skri­tik”). Das genan­nte Nar­ra­tiv ist aus diversen Grün­den falsch. Aus­gerech­net Adorno und Horkheimer als “Marx­is­ten” engzuführen, dehnt diesen Begriff aus, weit über diejeni­gen hin­aus­re­ichend, welche bei Kom­men­tierun­gen bes­timmter Ideen von Karl Marx und Friedrich Engels begin­nend tat­säch­lich an ein­er utopis­chen Aus­gestal­tung eines sozial­is­tis­chen oder kom­mu­nis­tis­chen Pro­jek­ts arbeit­en. Auch wer­den die Dis­tanzierun­gen der Frank­furter Schule von der Studieren­den­be­we­gung 1968 damit aus­ge­blendet. Falsch ist dabei auch die Vorstel­lung, solche emmi­gri­erten Linken hät­ten eine gesellschaftlich-kul­turelle Hege­monie eines neuen Main­streams bewirkt. Sie erin­nert kom­ple­men­tär an diejenige Vorstel­lung früher­er deutch­sprachiger link­er, anti­im­pe­ri­al­is­tis­ch­er Kreise, nach denen ger­ade führende Wis­senschaftler unter den Nazis nicht nur in Ameri­ka weit­er­wirk­ten, son­dern ähn­lich zum Grund dafür stil­isiert wor­den waren, Ameri­ka als den qua­si-faschis­tis­chen Kopf eines kap­i­tal­is­tis­chen Imperi­ums zu betra­cht­en. Fak­tisch waren ger­ade die 1950er Jahre durch eine stark antikom­mu­nis­tis­che Poli­tik in der soge­nan­nten McCarthy-Ära gekennze­ich­net, die sich durch Ver­fol­gung bere­its von “Sym­pa­thisan­ten” ausze­ich­nete. Die nach 1968 vorüberge­hend beste­hen­den alter­na­tiv­en Milieus wur­den nie “Main­stream”, wed­er in Ameri­ka noch in Europa. Das rechte Nar­ra­tiv aber lässt sich in ein Ver­hält­nis set­zen mit dem Konzept eines “pro­gres­siv­en Neolib­er­al­is­mus” nach Nan­cy Fras­er: “Der pro­gres­sive Neolib­er­al­is­mus hat sich in den Vere­inigten Staat­en seit grob gesagt drei Jahrzehn­ten her­aus­ge­bildet und die Wahl Bill Clin­tons im Jahr 1992 bedeutete so etwas wie seine Rat­i­fizierung. Clin­ton war der eigentliche Architekt und Ban­nerträger der ‘New Democ­rats’, des US-Gegen­stücks zu Tony Blairs ‘New Labour’. Anstelle der New-Deal-Koali­tion aus gew­erkschaftlich organ­isierten Indus­triear­beit­ern, Afroamerikan­ern und städtis­chen Mit­telschicht­en bildete er ein neues Bünd­nis aus Unternehmern, Vorort­be­wohn­ern, neuen sozialen Bewe­gun­gen und jun­gen Leuten. Sie alle bewiesen ihre Fortschrit­tlichkeit, indem sie auf Vielfalt, Mul­ti­kul­tur­al­is­mus und Frauen­rechte schworen” (“Für eine neue Linke oder: Das Ende des pro­gres­siv­en Neolib­er­al­is­mus”, Blät­ter für deutsche und inter­na­tionale Poli­tik, 2017). Diese mit anti­im­pe­ri­al­is­tis­chen Ele­menten gefärbte Para­phrase Frasers bezieht sich also auf Entwick­lun­gen ein­er ökonomis­chen Erschließung einiger Ele­mente der­jeni­gen alter­na­tiv­en Milieus, die par­al­lel ihren Nieder­gang erleben. Die daneben getätigten Äußerun­gen über die Rolle des “Clin­ton­is­mus” bzw. in Andeu­tung von Tony Blairs “New Labour” glob­al zu der­jeni­gen der Sozialdemokratie überge­hen dabei wahrschein­lich, dass es auch andere Gründe dafür geben kön­nte, dass herkömm­liche sozialdemokratis­che Poli­tik abhan­den gekom­men ist. Zum The­ma Ver­schwörungsmythen ver­gle­iche das Stich­wort “Ratio­nale Meth­ode” und die dort genan­nten weit­er­führen­den Links.

Nat­u­ral­is­mus. Im Inter­view mit Ste­fan Schröder geht es an ein­er Stelle darum, “was ‘Nat­u­ral­is­mus’ um 1800 bedeutet hat, etwa in dem Werk ‘Ueber die Wahl zwis­chen Nat­u­ral­is­mus, Athe­is­mus und Chris­ten­thum’ von Daniel A. Eich­horn (1812), näm­lich eher einen von Spin­oza und anderem bee­in­flussten Pan(en)theismus”. Zwar betreiben mod­erne Naturalist*innen eine Geschichtss­chrei­bung des Nat­u­ral­is­mus, welche ihnen wichtige Vordenker*innen ver­sam­meln möchte und es da nicht immer so philoso­phiegeschichtlich genau nimmt, denn “einen ‘Nat­u­ral­is­mus’ im engeren Sinne” müsste man aber “eher um 1900 verorten: der Über­gang von mech­a­nis­tis­chen, aber weit­er­hin speku­la­tiv­en Welt­bildern zu biol­o­gisch und physikalisch ‘mod­ern’ grundierten Philoso­phien, der Wiener Kreis, die entsprechende Kun­stepoche” (vgl. Freigeistige Organ­i­sa­tio­nen als Gegen­stand der Reli­gion­swis­senschaft: Typen, Strate­gien, Wider­sprüche, 2018). Um das ein wenig zu erläutern, sei der beim Stich­wort “Athe­is­mus” (siehe dort) zitierte Satz aus dem Kon­text der Gior­dano-Bruno-Stiftung, “dass wed­er Göt­ter noch Geis­ter noch Kobolde oder Dämo­nen in die Naturge­set­ze ein­greifen”, noch ein­mal The­ma. Im 17. Jahrhun­dert entwick­elte sich in Eng­land der soge­nan­nte Deis­mus. Statt (wie im The­is­mus) an einen per­sön­lichen Gott zu glauben, der ‘ein­greift’ in die Natur, habe Gott nur mehr die Welt erschaf­fen wie ein Uhrw­erk, das for­t­an mech­a­nisch nach den Naturge­set­zen funk­tion­iere. Als eine Art Kom­pro­miss schränk­ten manche evan­ge­lis­chen The­olo­gen das Wirken Gottes in Reak­tion auf eine his­torisch begren­zte “Zeit der Wun­der” ein (die im 18. Jahrhun­dert auf diese Weise die ihnen Konkur­renz machen­den soge­nan­nten “Schwärmer” und andere neure­ligiöse Phänomene zu dele­git­imieren sucht­en). Auf der anderen Seite zeigt das aber auch, dass die eigentliche Stör­größe des Nat­u­ral­is­mus zu dieser Zeit noch eher die Nähe zur “hei­d­nisch” wirk­enden Naturverehrung, gedacht in Gestalt eines Pan­the­is­mus, war, die in die Form ein­er Physikothe­olo­gie genan­nten legit­i­men Form der Schöp­fungsverehrung gemäßigt wer­den sollte. Gott musste sozusagen noch voll­ständig aus der Natur ver­trieben wer­den, zunächst durch den Mate­ri­al­is­mus sowie die Naturgeschichtss­chrei­bung und Evo­lu­tion­s­the­o­rie — was “die Schöp­fung” bet­rifft. Eine let­zte Zutat ist allerd­ings das Behar­ren auf einem ten­den­ziell auss­chließlich natur­wis­senschaftlichen Vorge­hen in der Beschrei­bung der Welt, die schließlich nat­u­ral­is­tis­chen Posi­tio­nen ab dem 20. Jahrhun­dert zueigen ist (the Brights, die genan­nte GBS). Der dahin­ter­liegende Pos­i­tivis­musstre­it würde an dieser Stelle den Rah­men spren­gen. Während das ursprüngliche Anliegen ver­ständlich ist, durch Exper­i­ment und Fal­si­fika­tion die den the­ol­o­gis­chen Sätzen ähn­lichen geis­teswis­senschaftlichen Sätze zu ent­lar­ven, die also unhin­ter­fragte meta­ph­ysis­che Annah­men enthal­ten, hat sich eine entsprechende kri­tis­che Tra­di­tion auf geis­teswis­senschaftlich­er Seite entwick­elt, etwa soge­nan­nte “nat­u­ral­is­tis­che Fehlschlüsse” zu ent­lar­ven, also das vorschnelle Schließen auf eine unverän­der­liche “Natur” von etwas, welche als Sein zugle­ich im Sinne eines Sol­lens nor­ma­tiv gedeutet wird.

Will­helm Der­hams “Physi­co-The­olo­gie oder Naturleitung zu Gott, durch aufmerk­same Betra­ch­tung der Erd­kugel und der darauf sich befind­en­den Geschöpfe, zum augen­schein­lichen Beweise, daß ein Gott, und der­sel­bige ein allergütig­stes, all­weis­es, allmächtig­stes Wesen sey”, über­set­zt und zum Druck befördert von Johann Albert Fabri­cius, Ham­burg: Johann Chris­t­ian Brandt, 1764.

Ratio­nale Meth­ode. Eigentlich meint die Meth­ode des ratio­nalen Schließens die Regeln, nach denen ein logis­ches Kalkül gültig ist. Es geht also darum, wie argu­men­tiert wird, nicht welche Inhalte ver­han­delt wer­den. Den­noch hat sich eine Rede von der “Irra­tional­ität” etabliert, welche ger­ade bes­timmte Inhalte meint. Dabei kön­nen auch solche Inhalte zum Gegen­stand von Prämis­sen wer­den, die als vorgegebene Sätze der Aus­gangspunkt eines logis­chen Schließens auf andere Sätze darstellen. Was aber in den Prämis­sen ste­ht, ist voraus­ge­set­zt und eben ger­ade nicht Resul­tat der ratio­nalen Meth­ode. Damit ist es aber auch noch nicht irra­tional im engen Sinn. Das kann erst über Folgesätze gesagt wer­den, die mit­tels ein­er Meth­ode, die ger­ade kein gültiges logis­ches Ver­fahren darstellt, ermit­telt wor­den sind. Während etwa “Kunst­werke haben einen Urhe­ber” und “Die Mona Lisa ist ein Kunst­werk” als Prämis­sen den ein­fachen Schluss zulassen, dass auch die “Mona Lisa” einen Urhe­ber hat, mag eine alter­na­tive zweite Prämisse “Die Natur ist ein Kunst­werk” zwar mit dem Ergeb­nis, sie müsse einen Urhe­ber haben, daherkom­men, aber damit ist ger­ade kein Gottes­be­weis gelun­gen, son­dern diese vorgegebene zweite Prämisse enthält bere­its etwas, was man empirisch wed­er fal­si­fizieren noch ver­i­fizieren kann. Diese wiederum exper­i­mentelle Meth­ode ist im übri­gen etwas völ­lig Anderes als die der Logik entlehnte ratio­nale Meth­ode. Ein­er exper­i­mentellen Über­prü­fung entzieht sich allerd­ings auch die erste Prämisse “Kunst­werke haben einen Urhe­ber”, da es sich um eine Bes­tim­mung a pri­ori han­delt: Kunst­werke sind per def­i­n­i­tionem solche Dinge, die einen Urhe­ber haben. Der Satz “Kunst­werke sind grün” dage­gen lässt sich leicht fal­si­fizieren, und wenn man dann eben ein rotes Kunst­werk malt. Aber schließe ich nun aus diesem Satz und dem zweit­en Satz “Die Natur ist ein Kunst­werk” darauf, dass die Natur “grün” sei, dann ist das also ein for­mal gültiges ratio­nal-logis­ches Kalkül, obwohl ein­er der Aus­gangssätze natur­wis­senschaftlich wider­leg­bar ist (und trotz­dem kommt schein­bar ein stim­miges Ergeb­nis raus). Dass den­noch exper­i­mentelle Meth­ode und die ratio­nale Meth­ode logis­chen Schließens heute im pop­ulären Sprachge­brauch nicht unter­schieden wer­den, son­dern eher die Ergeb­nisse his­torisch­er Auseinan­der­set­zun­gen als “ratio­nal” oder “irra­tional” erin­nert wer­den, hängt damit zusam­men, dass Philoso­phie heute nicht mehr den Stel­len­wert in der Gesellschaft hat wie noch um 1800. Schließlich gibt es dur­chaus die Möglichkeit Sätze aus anderen Sätzen zu erschließen, welche auf fehler­haften logis­chen Kalkülen auf­bauen oder statt logis­chen Regeln wer­den assozia­tive Ansätze gewählt. Etwa weil eine Pflanze aussieht wie ein Herz, sei sie auch als Medi­zin in Herzen­san­gele­gen­heit­en geeignet. René Descartes und dem 17. Jahrhun­dert wird zumeist das Par­a­dig­ma eines kri­tis­chen Ratio­nal­is­mus zugeschrieben. Inner­halb der Aufk­lärungs­de­bat­ten führte der Stre­it in Auseinan­der­set­zung mit ger­ade den the­ol­o­gis­chen und magisch-eso­ter­ischen Sätzen dazu, das eine oder andere fehler­hafte Kalkül aufzuzeigen (und damit im Resul­tat den Abstrak­tion­s­grad religiös­er Anschau­un­gen zu steigern und magis­ches bzw. assozia­tives Denken in Ten­denz eher verächtlich erscheinen zu lassen). Auf höher­er Ebene kön­nen aber auch die Philoso­phien der Aufk­lär­er selb­st wiederum fehler­hafte logis­che Kalküle enthal­ten, wie etwa bei Jean-Jacques Rousseau: Begriffe wie “Natur” wer­den zweifach definiert und, obwohl die bei­den ver­schiede­nen Begriffe ein­er “Natur” sich gegen­seit­ig auss­chließen, kön­nen sie, da sie in den ver­wen­de­ten Sätzen unun­ter­schei­d­bar sind, logis­che Schlüsse erlauben, die nicht möglich wären, hätte Rousseau zwei unter­schiedliche Wörter benutzt. Ein mod­ernes Beispiel für Kalküle, welche logis­che Fehler mit assozia­tiv-magis­chen Schlüssen kom­binieren, sind Ver­schwörungsmythen. Auch hier gilt, ein ratio­nal-logis­ches Kalkül, das eine Ver­schwörung — etwa im Maßstab des Umfanges der Mörder eines Julius Cäsar — dann sog­ar nach­weist, ist möglich, aber das, was empirisch an Ver­schwörungsmythen vorhan­den ist, muss gegen diese Regeln ver­stoßen, um den Welt­maßstab ein­er grund­sät­zlichen (anti­semi­tis­chen) Inter­pre­ta­tion poli­tis­ch­er Ver­hält­nisse zu erre­ichen.

Rel­a­tiv­ität aller Wahrheit. Ursprünglich eine Vari­a­tion eines Satzes des Vor­sokratik­ers Pro­tago­ras: “Der Men­sch ist das Maß aller Dinge. Der­jeni­gen, die sind, so wie sie sind. Der­jeni­gen, die nicht sind, so wie sie nicht sind” (zitiert von Pla­ton im Theaite­tos 152a). Im Grunde han­delt es sich um einen kon­se­quenten Agnos­tizis­mus (siehe dort). Die älteste Beleg­stelle bei books.google.com stammt von 1891, die “Tran­scen­den­talpsy­cholo­gie. Ein kri­tisch-philosophis­ch­er Entwurf” von Otto Schnei­der (Leipzig: Wil­helm Friedrich), S. 429f.: “Zwar auch in dieser Erken­nt­nis [das ‘Selb­st­be­wusst­sein’ betr­e­f­fend, Anm. C.W.] haben das Alter­tum und das Mit­te­lal­ter der Neuzeit vorgear­beit­et, Pro­tago­ras durch seine drei keck­en Sätze von dem Men­schen als dem Mass aller Dinge, von dem Schein allen Seins und der Rel­a­tiv­ität aller Wahrheit nicht min­der als Pla­ton durch sein Aus­ge­hen von der That­sache des Wis­sens”. Auch im Kon­text der Freimau­r­erei bekam der Satz des Pro­tago­ras Bedeu­tung: “Das Erken­nen der Rel­a­tiv­ität jed­er Wahrheit heißt aber zugle­ich die Möglichkeit, ja ger­adezu die Regelmäßigkeit des Irrens bei allem men­schlichen Weg- und Ziel­streben zuzugeben. Diese Erken­nt­nis ist die notwendi­ge Voraus­set­zung aller Tol­er­anz, aller Glaubens‑, Gewis­sens- und Geis­tes­frei­heit, dieser wesentlichen Kri­te­rien der Demokratie als Kul­tur­form” (Unverän­dert­er Nach­druck der Aus­gabe 1932, Wien/München, 1980, Sp. 331, Stich­wort “Demokratie”). Allerd­ings sei die Freimau­r­erei hier nur als eine beson­dere kul­turelle Prax­is genan­nt, die im 18. Jahrhun­dert einen der Orte darstellte, wo Ideen der Aufk­lärung (siehe dort) früh disku­tiert wor­den sind — ins­beson­dere bevor sich eine entsprechende Salonkul­tur entwick­elt hat­te und zuweilen noch mit Repres­sion zu rech­nen war. Bezüglich Ver­schwörungsmythen sei auf das Stich­wort “ratio­nale Meth­ode” und die dort ange­führten Links ver­wiesen.

“Son of Pro­tago­ras”, Belfast, Werk des franzö­sis­chen Kün­stlers MTO, 2014.

Bild von Albert Bridge unter Cre­ative Com­mons Lizenz CC BY-SA 2.0.

Reli­gion­skri­tik. Kri­tik an bes­timmten For­men des Göt­ter­glaubens oder entsprechend bes­timmten religiös-magis­chen For­men von Heilkunde gibt es bere­its in der römisch-griechis­chen Antike (oder z.B. auch in der chi­ne­sis­chen). Eine eher moralis­che, aber in Ten­denz bere­its priv­i­legien­kri­tis­che Reli­gion­skri­tik liefert der früh­neuzeitliche Human­is­mus um 1500 (siehe unter “Human­is­mus”). Mit Priv­i­legien sind Vor­rechte der religiösen Experten, des Klerus, gemeint, und zu dieser Zeit ins­beson­dere ihre miss­bräuch­liche Ver­wen­dung. Grund­sät­zlich­er wurde Reli­gion­skri­tik aber erst mit der Aufk­lärung (siehe dort). Allerd­ings ging es eben ger­ade auch noch nicht um den “Athe­is­mus” (siehe dort), auch in freimau­rerischen Doku­menten des 18. Jahrhun­derts ist der “Gottesleugn­er” noch eine neg­a­tive Fig­ur (“Der Mau­r­er ist als Mau­r­er verpflichtet, dem Sit­tenge­setz zu gehorchen; und wenn er die Kun­st recht ver­ste­ht, wird er wed­er ein eng­stirniger Gottesleugn­er, noch ein bindungslos­er Freigeist sein”, “Alte Pflicht­en”, 1723). Poli­tisch waren es die Macht von Klerus und Adel in der feu­dalen Gesellschaft bzw. davon abgeleit­et die Priv­i­legien der Kirchen in der späteren bürg­er­lichen Gesellschaft, aber auch eine damit ver­bun­dene grund­sät­zliche Aufar­beitung und Reform tra­di­tioneller Vorstel­lun­gen von Recht, Fam­i­lie und schließlich gesellschaftlichem Umgang. Für Wis­senschaft und öffentliche Debat­te wurde es wichtig, dass sie ihre Argu­men­ta­tion­sweise auf ihre Ratio­nal­ität hin über­prüfen (siehe “ratio­nale Meth­ode”). Während zwar das 18. Jahrhun­dert bere­its die religiöse Legit­i­ma­tion von Autorität hin­ter­fragte, gründ­sät­zlichere Zweifel am Prinzip des Autori­taris­mus (bis heute ist das “Argu­ment ein­er Autorität”, argu­men­tum ad vere­cun­di­am, umstrit­ten, aber nicht geächtet) erfol­gten allerd­ings erst durch und nach Sig­mund Freud, Erich Fromm oder Theodor W. Adorno als Reflex­ion über den Faschis­mus der Nation­al­sozial­is­ten im 20. Jahrhun­dert. Demge­genüber früh wer­den Bestra­fun­gen im Jen­seits zum Gegen­stand der Kri­tik — um 1800 in Form von Gerichts­fällen, bei denen es um Kindsmörder ging, die angaben, nur deshalb ein Kind getötet zu haben, um hin­gerichtet zu wer­den. Ein Selb­st­mord hätte zur ewigen Ver­damm­nis geführt, ein Kindsmord nur ins Fege­feuer (vgl. z.B.: Jür­gen Martschukat, Ein Fre­itod durch die Hand des Henkers. Erörterun­gen zur Kom­ple­men­tar­ität von Diskursen und Prak­tiken am Beispiel von „Mord aus Lebens-Über­druß“ und Todesstrafe im 18. Jahrhun­dert; in: Zeitschrift für His­torische Forschung, Nr. 27, 2000, Heft 1, S. 53–74). Allerd­ings ist den­noch bis heute zweifel­haft, inwiefern solche Höl­len­strafen o.ä. mit neg­a­tivem psy­chis­chen Wohlbefind­en kor­re­lieren. Zwar kön­nen Anhänger von bes­timmten Reli­gion­s­ge­mein­schaften, die beson­ders mit diesem Ele­ment arbeit­en, dur­chaus hohe Werte auf z.B. Autori­taris­musskalen haben, das kann aber auch für Per­so­n­en gel­ten, die kein­er Reli­gion­s­ge­mein­schaft ange­hören. Zumal eben Höl­len­strafen in den meis­ten Fällen weit­er­hin mit den Nor­men säku­lar­er Rechtssprechung ineins­fall­en, mit den entsprechen­den Aus­nah­men bei bes­timmten Gemein­schaften in Bezug auf Homo­sex­u­al­ität oder andere sym­bol­isch aus­gewählten Ele­mente ein­er jün­geren Mod­erne. Unter heuti­gen Bedin­gun­gen ein­er grund­sät­zlich plu­ral­is­tis­chen Gesellschaft, die eine Vielzahl religiös­er Gemein­schaften enthält, kann man mit Heinz-Wern­er Kub­itza zu dem Schluss kom­men, dass reli­gion­skri­tis­che Schriften “Man­gel­ware” sind, “[u]nd es gibt auch kaum Ver­lage, die daran inter­essiert sind, weil man sich damit leicht das viel größere religiöse Klien­tel ver­grault”. Man kann aber auch fra­gen, ob Reli­gion­skri­tik in ihrer klas­sis­chen Form in säku­laren Gesellschaften nicht den emanzi­pa­torischen Wert haben kön­nte wie in theokratis­chen. Daneben ste­hen Ansätze ein­er “wis­senschaftlichen Reli­gion­skri­tik”, “[d]ie wis­senschaftliche Reli­gion­skri­tik kön­nte hier tat­säch­lich einen Beitrag zur Ver­sach­lichung leis­ten, weil von ihr die essen­tial­is­tis­che Vorstel­lung, Reli­gio­nen seien so oder so, als beliebig und his­torisch unhalt­bar aufgewiesen wird” (Inter­view mit Horst Jungin­ger, Neue Stiftung­spro­fes­sur in Leipzig: Reli­gion­skri­tik als Gesellschaft­skri­tik?, 2018). Und schließlich mit ähn­lichen Schlüs­sel­be­grif­f­en zuweilen eine entsprechende Reform der Prax­is: “Anzuset­zen ist also nicht bei Reli­gion­skri­tik, son­dern bei ein­er all­ge­meinen Gesellschaft­skri­tik” (Ste­fan Schröder im Inter­view in Bezug auf seine Forschung über u.a. den HVD, Freigeistige Organ­i­sa­tio­nen als Gegen­stand der Reli­gion­swis­senschaft: Typen, Strate­gien, Wider­sprüche, 2018).

Säku­lar. Die Dif­ferenz von Pro­fan und Heilig, Kirch­lich und Weltlich kann als beson­dere Entwick­lung aus­ge­hend von west­lich-christlich­er Tra­di­tion ver­standen wer­den, die in der Zwei-Schw­ert­er-Lehre bis in das 14. Jahrhun­dert das Ver­hält­nis von kaiser­lich­er und päp­stlich­er Macht bes­timmte. Die Beze­ich­nung beruht auf ein­er alle­gorischen Exegese von Lukas 22,38 aus der Früh­phase des Investi­turstre­its im 11. Jahrhun­dert, wo es über die Apos­tel heißt: “Sie sprachen aber: Herr, siehe, hier sind zwei Schw­ert­er. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug”. Darauf auf­bauend ent­stand das unab­hängige Nebeneinan­der von kirch­lichem und weltlichen Recht. “Säku­lar­i­sa­tion” bedeutete im Zug der Ref­or­ma­tion, dass kirch­liche Besitztümer, ins­beson­dere im von Luther beson­ders kri­tisierten Kloster­we­sen, in weltlichen Besitz oder weltliche Nutzung übergin­gen. Als eine “Säku­lar­isierung” gilt im engeren Sinn ein ver­weltlichen­der Akt, wie die Abschaf­fung der Staat­sre­li­gion, der mit Machtein­bußen religiös­er Insti­tu­tio­nen ein­herge­ht. Andere his­torische säku­lar­isierende Akte sind z.B. die Ein­führung ein­er standesamtlichen Ehe unab­hängig von der Kirche oder die Ein­führung öffentlich­er Fried­höfe. Säku­lar­isierungs­the­o­rien pos­tulierten ein Fortschre­it­en der geisti­gen Entwick­lung und fügten Reli­gio­nen und Philoso­phien der Men­schheit in ein evo­lu­tion­is­tis­ches Schema ein, nach dem sie sich von ver­meintlich “niederen” zu “höheren” For­men entwick­el­ten, so dass heute dem­nach die Kon­fes­sions­freien (siehe dort) den höch­sten Stand der Entwick­lung aus­machen. Für Sozi­olo­gie und Reli­gion­swis­senschaft ist Max Weber hier der grundle­gende Autor schlechthin, und das Schlag­wort ein­er “Entza­uberung der Welt”. Und dementsprechend geht es heute um Mod­i­fika­tio­nen sein­er The­sen, inwiefern nicht eher eine “Wiederkehr” bzw. “Vielfalt der Reli­gio­nen”, ein neuer Plu­ral­is­mus, die aktuelle Entwick­lung bess­er beschreibe. Abschließend sei noch zu “Säku­lar­is­mus” ange­führt, dass dieser Begriff je nach Ver­wen­dung Unter­schiedlich­es bedeutet. Im englis­chsprachi­gen Raum han­delt es sich eher um eine Selb­st­beze­ich­nung entsprechen­der Anschau­un­gen, die auf den Agnos­tik­er George Jacob Holyoake (Rea­son­er, 10. Dezem­ber 1851, S. 62) zurück­ge­ht; im deutschsprachi­gen Raum geht der Begriff auf den The­olo­gen Friedrich Gog­a­rten zurück (1887–1967). Dieser gehörte den “Deutschen Chris­ten” an, und sein Pro­gramm ist mit “kon­ser­v­a­tive poli­tis­che Roman­tik” (Theodor Strom, Berlin 1961) eher ver­harm­losend umschrieben. Auch wenn manche von ein­er “Aussöh­nung” mit der Mod­erne sprechen, ist die Hal­tung deut­lich anti­mod­ernistisch: “Nur der Säku­lar­is­mus, d.h. das auss­chließlich auf die Welt fix­ierte Wirk­lichkeitsver­ständ­nis ist zu bekämpfen” (nach Wolf Krötke, Die “dialek­tis­che The­olo­gie”: Friedrich Gog­a­rten und das Prob­lem der poli­tis­chen The­olo­gie, 2015).

Kris Wagen­seil

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